L 7 R 5184/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 3060/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 5184/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung im Anschluss an eine vom 1. Dezember 2005 bis zum 30. November 2007 bezogene Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit.

Der 1955 geborene Kläger hat keine Berufsausbildung absolviert; er hat nach seinen Angaben von 1972 bis zur Insolvenz seines früheren Arbeitgebers im Jahr 2002 als Metallarbeiter gearbeitet. Vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2005 war er als Reinigungskraft beschäftigt. Auf den am 24. August 2005 gestellten ersten Rentenantrag holte die Beklagte ein Gutachten des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 29. November 2005 ein, der beim Kläger eine schwere depressive Störung, ein pathologisches Spielen und ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostizierte. Aufgrund eines nur unter dreistündigen Leistungsvermögens des Klägers empfahl Dr. G. die Gewährung einer Rente für zunächst zwei Jahre; in diesem Zeitraum sollte versucht werden, eine stationäre Therapie bezüglich der Spielsucht durchzuführen. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 30. November 2007.

Am 5. Juli 2007 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente. Nach dem ärztlichen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. A vom 4. Juli 2007 besteht beim Kläger eine mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Funktion nach Vorderwandinfarkt im Jahr 2006, so dass keine mittelschweren oder schweren körperlichen Aktivitäten mehr möglich seien; aus seiner Sicht sei weiterhin keine Erwerbstätigkeit möglich. Nach dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. H vom 13. November 2007 liegt beim Kläger eine bekannte depressive Erkrankung mit aktuell leichtgradiger Ausprägung, ein bekanntes pathologisches Spielen und ein beidseitig rechtsbetontes Karpaltunnelsyndrom vor; leichte Arbeiten ohne Zeitdruck, ohne erhöhte emotionale Belastung und ohne Schichtarbeit seien jetzt wieder vollschichtig möglich. In der abschließenden sozialmedizinischen Stellungnahme vom 22. November 2007 hat sich Dr. F. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten dieser Einschätzung angeschlossen. Bezüglich der Depression sei eine deutliche Besserung eingetreten; die Spielsucht habe keinen Einfluss auf das Leistungsvermögen. Mit Bescheid vom 23. November 2007 lehnte die Beklagte daraufhin die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente auf Zeit ab. Hiergegen legte der Kläger am 29. November 2007 Widerspruch ein. Vom 22. April bis zum 3. Juni 2008 führte der Kläger auf Kosten der Beklagten eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Therapiezentrum M. im K. durch. Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 3. Juni 2008 wurde bei ihm ein pathologisches Spielen, zuletzt im März 2008, eine Alkohol- und Nikotinabhängigkeit, ein Zustand nach schwerer depressiver Störung im Mai 2006 und die Entwicklung körperlicher Syndrome aus psychischen Gründen (Rentenneurose) diagnostiziert. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Tagesschicht und in wechselnder statischer Belastung mindestens sechs Stunden täglich verrichten; nicht zumutbar seien Tätigkeiten, die eine psychische Belastbarkeit erforderten, insbesondere bezüglich des Konzentrations- und Reaktionsvermögens, Tätigkeiten mit Verantwortung für Personen, Maschinen und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, häufig wechselnde Arbeitszeiten und Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2008, der am 16. September 2008 zur Post gegeben wurde, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 17. Oktober 2008 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Neurologe und Psychiater Dr. G. (Stellungnahme vom 5. August 2009) hat ein Leistungsvermögen des Klägers für mindestens sechs bis acht Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angenommen. Der Hausarzt Dr. H.r (Stellungnahme vom 13. August 2009) hat angegeben, dass leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei stabiler Allgemeinsituation möglich seien; eine durchgehend stabile Situation sei aber nicht zu garantieren oder vorhersehbar. In dem von ihm vorgelegten Arztbrief des Chefarztes der Abteilung Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kreiskrankenhauses S. Prof. Dr. C. vom 19. Juli 2009 über eine stationäre Behandlung vom 3. Juni bis zum 17. Juli 2009 ist beim Kläger ein pathologisches Spielen, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, eine Somatisierungsstörung, ein Nikotinabusus und eine koronare Dreigefäßerkrankung diagnostiziert. Der Kläger sei am 17. Juli 2009 in stabilem Zustandsbild entlassen worden. Nach dem von Dr. H. vorgelegten Arztbrief des Internisten Dr. A. vom 12. September 2008 hat die kardiale Diagnostik keinen Hinweis auf eine erneute Koronarischämie ergeben; dabei sei ein gutes Koronarlangzeitergebnis nach Dilatation dokumentiert. Unverändert darstellbar sei ein Ventrikelspitzenthrombus, weshalb eine Marcumarbehandlung fortgesetzt werde. Der Orthopäde Dr. L. hat mit Schreiben vom 14. August 2009 ausgeführt, dass auf seinem Fachgebiet das chronische Lumbalsyndrom bei Spondylolisthesis L 5/S 1 und degenerative Veränderungen im Vordergrund stünden. Dem Kläger seien aber leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ohne Heben und Tragen schwererer Lasten, ohne häufiges Bücken, ohne einseitige, das Achsenorgan belastende Zwangshaltungen und ohne Exposition gegenüber Kälte, Nässe und Zugluft vollschichtig möglich.

Darüber hinaus hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. H. Dieser hat in seinem Gutachten vom 21. Oktober 2009 beim Kläger ein pathologisches Glücksspiel, rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtig allenfalls sehr leichte Episode, eine koronare Herzkrankheit nach Herzinfarkt 2006 ohne relevante Herzleistungsminderung und eine Neigung zu Lumbalgien ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Symptomatik diagnostiziert. Die Gesundheitsstörungen wirkten sich im Einzelnen auf die berufliche Leistungsfähigkeit des Kläger allgemein und auf die Tätigkeit als Metallarbeiter nicht schwerwiegend nachteilig aus. Allein vom Lebensalter her seien körperliche Schwerarbeiten nicht mehr zumutbar, wohl auch nicht Tätigkeiten verbunden mit ständigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, wesentliche weitere funktionelle Leistungseinschränkungen seien nicht begründbar. Der Kläger sei demnach noch in der Lage, Tätigkeiten als Metallarbeiter sowie leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig (acht Stunden täglich bei fünf Tagen in der Woche) zu verrichten.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. Dezember 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger seit dem 1. Dezember 2007 nicht mehr voll oder teilweise erwerbsgemindert sei.

Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Dezember 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Januar 2010 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt (L 7 R 191/10). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zugleich angekündigt, Antragstellung und Begründung der Berufung nachzureichen. Daraufhin hat ihn der Senat mit gerichtlichen Schreiben vom 18. Januar 2010, 2. März 2010, 6. April 2010 und 18. Mai 2010 jeweils zur Vorlage der angekündigten Berufungsbegründung aufgefordert. In dem dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20. Mai 2010 zugestellten Schreiben vom 18. Mai 2010 ist zugleich darauf hingewiesen, dass die Klage gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz dieser Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben werde. Mit einem am 23. August 2010 beim LSG eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger seine Berufung damit begründet, dass dem Gutachten von Dr. H. keine eingehende Untersuchung zugrunde liege und auch keine nennenswerte Testdiagnostik durchgeführt worden sei. Dr. H. habe insoweit das abgeliefert, was man von ihm kenne und was von ihm zu erwarten gewesen sei. Eine etwas eingehendere Auseinandersetzung mit den Befunden des Klägers, insbesondere mit dem Schmerzsyndrom einerseits sowie der depressiven Erkrankung andererseits und der mit Alkoholabusus einhergehenden Spielsucht sei dann allerdings schon zu erwarten gewesen, zumal der Kläger kurz vor der Untersuchung erneut einen depressiven Einbruch gehabt habe und sich vom 13. Juni bis 17. Juli 2009 in stationärer Behandlung befunden habe. Es werde daher beantragt, ein psychiatrisch-schmerzpsychologisches Sachverständigengutachten nach § 109 SGG bei Dr. B., S.-Zentrum B. S., einzuholen. Außerdem ist ein Arztbrief von Prof. Dr. C. vom 21. August 2009 vorgelegt worden, aus dem sich ergibt, dass sich der Kläger vom 15. bis 21. August 2009 im Kreiskrankenhaus Sigmaringen in stationärer Behandlung befand und eine ambulante verhaltenstherapeutische Weiterbehandlung empfohlen wurde.

Am 24. August 2010 ist das Verfahren ausgetragen und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt worden, dass die Klage gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte, weil das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben worden sei. Der Schriftsatz vom 23. August 2010 sei erst nach Ablauf von drei Monaten nach dem Hinweis des Senats und damit verspätet eingegangen. Nachdem festgestellt worden ist, dass die Betreibensaufforderung von der anordnenden Richterin zwar mit vollem Namen unterschrieben, dies auf der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellten Ausfertigung aber nicht erkennbar war, ist das Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers fortgesetzt worden (L 7 R 5184/10).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Dezember 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2008 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 30. November 2007 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG außerdem ein psychiatrisch-schmerzpsychologisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Suchtmedizin, Naturheilverfahren Dr. B. vom 21. März 2011 eingeholt, der beim Kläger ein Alkoholabhängigkeitssyndrom, pathologisches Spielen, eine anhaltende depressive Störung als Folge der Suchterkrankung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die seelische Störung sei mittelschwer, die Impulskontrollstörung (Spielsucht) und die Alkoholabhängigkeit variierten allerdings in ihrer Ausprägung. Nicht zu variieren scheine die depressive Verfassung, wenngleich diese vom Kläger als schwerwiegender wahrgenommen werde als vom Betrachter. Nach Aktenlage und Anamnese könne man davon ausgehen, dass die Beschwerden nicht vorgetäuscht seien und auch nicht gänzlich durch eigene Willensanstrengung zu überwinden seien. Aus psychiatrischer Sicht sei Arbeit in Akkord, mit Zeitdruck und in Nachtschicht nicht zumutbar. Der Kläger sollte Möglichkeiten zum Körperlagewechsel haben; ständig sitzende Tätigkeit scheine jedoch gut toleriert zu werden. Aufgrund der chronifizierten seelischen Störungen sehe er keine ganztägige Belastbarkeit mehr. Das zeitliche Höchstmaß sehe er in einer Halbtagstätigkeit; dies sollte auch noch toleriert werden. Der Kläger sei immerhin selbständig mit dem Auto zur Untersuchung gefahren, habe während des gesamten Untersuchungstages gut mitgearbeitet und habe sich also konzentrieren können. Aufgrund der stark fordernden Tätigkeit als Metallarbeiter sei weder die Belastbarkeit in diesem Beruf noch in gleichartig körperlich belastenden Berufen gegeben.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin B. vom 7. April 2011 vorgelegt, wonach dem Gutachten von Dr. B. nicht gefolgt werden könne. Es bestünden keine ausreichenden Anhalte dafür, dass in quantitativ leistungsrelevantem Maße eine Alkoholerkrankung beim Kläger derzeit dekompensiert sei. Auch die von Dr. B. gesehene mittelschwere "seelische Störung" könne nicht umfänglich nachvollzogen werden. Die Diagnose eines "pathologischen Spielens" impliziere im vorliegenden Fall keine quantitative Leistungsrelevanz. Es sei mit der durchgeführten Testpsychologie, bei der im D2 Aufmerksamkeits-/Belastungstest massive Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite hätten dargestellt werden können, nicht in Einklang zu bringen, dass Dr. B. einräume, dass der Kläger mit dem Auto zur Untersuchung gekommen sei und während des gesamten Untersuchungstages gut mitgearbeitet habe, sich also habe konzentrieren können. Auch die Tatsache, dass der Kläger im Sommer 2010 einen Türkeiurlaub gemacht und hierbei mit Tochter und Schwiegersohn eine Autofahrt von 2000 km und einer Dauer von 30 Stunden bewältigt habe, spreche nicht für eine quantitative Leistungsminderung aufgrund chronifizierter seelischer Störung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten in der Sache verhandeln und entscheiden, da diese in der ihnen am 16. Mai 2011 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Klägers fortgesetzt, weil keine Fiktion der Rücknahme der Klage gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 102 Abs. 2 SGG eingetreten ist. Zwar ist der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23. August 2010 erst nach Ablauf von drei Monaten nach Zustellung der Betreibensaufforderung vom 18. Mai 2010 eingegangenen. Die Betreibensaufforderung hat jedoch nicht i.S.d. § 102 Abs. 2 SGG Wirkung für die Beteiligten erzeugt, weil sie zwar von der zuständigen Richterin verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet war, die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung aber nicht ihren vollen Namen wiedergegeben hat (vgl. Bundessozialgericht (BSG), SozR 4-1500 § 102 Nr. 1).

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen kraft Gesetzes (§ 143 SGG) statthaft, ohne dass es ihrer Zulassung bedarf (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet.

Das SG hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2007 zutreffend verneint. Maßgeblich für die beanspruchte Rente ist vorliegend das ab dem 1. Januar 2001 für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltende Recht (eingeführt durch Gesetz vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827)). Nach § 43 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben bei Erfüllung hier nicht streitiger versicherungsrechtlicher Voraussetzungen Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht unter den genannten Bedingungen bei einem Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich (Abs. 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs. 3).

Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung scheidet vorliegend aus, weil der Kläger zur Überzeugung des Senats noch über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich verfügt. Die für das Leistungsvermögen wesentlichen Gesundheitsstörungen des Klägers liegen dabei im nervenärztlichen Bereich. Beim Kläger wurden von den behandelnden Ärzten und den Gutachtern - insoweit übereinstimmend - vor allem ein pathologisches Spielen und rezidivierende depressive Störungen diagnostiziert. Der Senat teilt insofern die Einschätzung des SG, dass diese gesundheitlichen Störungen zu keiner Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens führen. Dies folgt aus dem von der Beklagten veranlassten Gutachten von Dr. H. vom 13. November 2007, dem Reha-Entlassungsbericht des Therapiezentrums M. vom 3. Juni 2008 und dem vom SG eingeholten Gutachten von Dr. Hausotter vom 21. Oktober 2009. So hat bereits Dr. H. schlüssig dargelegt, dass es insgesamt zu einer Besserung des depressiven Syndroms gekommen ist. Dr. Hausotter hat in seinem Gutachten festgestellt, dass der Kläger keinesfalls tiefergehend depressiv herabgestimmt sei. Hinsichtlich der Spielsucht bestehe keinerlei Leidensdruck und auch keine Motivation, daran etwas zu ändern. Er habe stimmungsmäßig ausgeglichen gewirkt, lebhaft in Gestik und Mimik, und es habe keinerlei Hinweise auf Interessenverlust oder Freudlosigkeit gegeben; auch das Selbstwertgefühl sei nicht beeinträchtigt. Die Folgerung von Dr. Hausotter, dass sich das pathologische Glücksspiel auf die Leistungsfähigkeit im Berufsleben nicht auswirke und rezidivierende depressive Störungen lediglich im Zusammenhang mit erneuten Spielverlusten bestünden, erscheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Seine Einschätzung steht auch im Einklang mit den Arztbriefen von Prof. Dr. C. vom Kreiskrankenhaus S. vom 9. Dezember 2008 und vom 19. Juli 2009, aus denen sich ergibt, dass sich der Kläger dort jeweils in stationäre Behandlung begab, nachdem er seine monatliche Auszahlung (wohl gemeint: von Arbeitslosengeld II) verspielt hatte. Der Kläger wurde dort am 17. Juli 2009 in stabilem Zustand entlassen; eine dauerhafte Einschränkung des Leistungsvermögens infolge der depressiven Störungen ergibt sich damit nicht.

Die Beurteilung des Leistungsvermögens im Gutachten von Dr. B. vom 21. März 2011 überzeugt demgegenüber nicht. Zu Recht hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in seiner als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen zu berücksichtigenden Stellungnahme vom 7. April 2011 darauf hingewiesen, dass die von Dr. B. gesehene mittelschwere "seelische Störung" nicht umfänglich nachvollzogen werden kann. So konnte Dr. B. beim Kläger bei seiner Begutachtung nach der Bech-Rafaelsen-Melancholie-Skala (BRMS), einer Fremdbeurteilungsskala zur Einschätzung des Schweregrades einer Depression, lediglich ein leichtes depressives Syndrom feststellen und beschreibt auch den Antrieb als allenfalls leicht gemindert und Stimmung und Affekt als "etwas bedrückt wirkend", im eigentlichen Sinne nicht schwer depressiv. Wenn sich dann der Kläger selbst mittels Angaben im BDI (Beck’s Depressions-Inventar), einem Selbstbeurteilungsfragebogen, schwer depressiv zeichnet, so weist dies doch auf eine erhebliche Verdeutlichung hin. Dies gilt nach Einschätzung von Beratungsarzt B. auch dann, wenn der Kläger im Rey-Memory-Test im Erwartungsbereich gelandet sei und insofern mittels dieses Tests keine Tendenz zur Simulation darstellbar gewesen sei. Gegen eine Leistungsminderung aufgrund einer depressiven Störung spricht auch, dass der Kläger bei seinem Urlaub in der T. im Sommer 2010 eine Autofahrt von 2000 km und einer Dauer von 30 Stunden bewältigt und hierzu angegeben hat, dass ihm die drei Wochen dort gut getan hätten. Ein sozialer Rückzug ist ebenfalls nicht erkennbar. Der Kläger erfährt insoweit familiären Rückhalt und bezeichnet seine Ehe als gut. Bei der Schilderung seines Tagesablaufs gab der Kläger an, sich um das Holz und die Beschickung der Öfen zu kümmern; auch helfe er seiner Frau beim Abspülen. Das Gutachten von Dr. B. ist weiter insofern nicht schlüssig, als er in seinem Gutachten einerseits mit der durchgeführten Testpsychologie massive Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite dargestellt, während er andererseits selbst eingeräumt hat, dass der Kläger mit dem Auto zur Untersuchung gekommen sei und während des gesamten Untersuchungstages (mithin von 8.30 bis 17 Uhr) gut mitgearbeitet habe, sich also konzentrieren konnte. Darauf weist auch Beratungsarzt B. in seiner Stellungnahme vom 7. April 2011 zu Recht hin.

Weiter bestehen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass in quantitativ leistungsrelevantem Maße eine Alkoholerkrankung beim Kläger derzeit dekompensiert ist. Zutreffend weist Beratungsarzt B. in seiner Stellungnahme vom 7. April 2011 insofern darauf hin, dass die Behauptung des Klägers, er habe eine Woche vor der Begutachtung eine halbe Flasche Whisky in "kurzer Zeit" getrunken, hier nicht beweisend ist. Bei seiner Untersuchung durch Dr. H. im Oktober 2007 hat der Kläger Alkoholkonsum verneint. Bei den Begutachtungen durch Dr. Hausotter und Dr. B. war der Kläger offenbar nicht alkoholisiert und ist auch zu Dr. B. nach B. S. selbst mit dem Auto angereist. Damit lässt sich entgegen dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren auch nicht feststellen, dass Dr. Hausotter eine Alkoholabhängigkeit des Klägers unzutreffend nicht berücksichtigt habe.

Im Hinblick auf das orthopädische Fachgebiet legt der Senat die sachverständige Zeugenauskunft von Dr. L. vom 14. August 2009 zugrunde, wonach beim Kläger ein chronisches Lumbalsyndrom bei Spondylolisthesis L 5/S 1 und degenerative Veränderungen im Vordergrund stehen, die zwar qualitative Leistungseinschränkung bedingen; leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit im Wechsel Gehen, Stehen, Sitzen, ohne Heben und Tragen schwererer Lasten, ohne häufiges Bücken, ohne einseitige Zwangshaltungen und nicht unter Aussetzung von Kälte, Nässe oder Zugluft sind dem Kläger auf diesem Fachgebiet aber noch vollschichtig zumutbar. Auch auf internistischem Fachgebiet bestehen keine Anhaltspunkte für eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens; insbesondere liegt nach dem Arztbrief des Internisten Dr. Armbruster vom 12. September 2008 kein Hinweis auf eine erneute Koronarischämie vor. Eine Verschlechterung der Befunde auf dem orthopädischen und internistischen Gebiet hat der Kläger im Übrigen nicht geltend gemacht.

Schließlich bedingen auch die qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers weder nach ihrer Art noch in der Gesamtheit eine so weitgehende Einengung der noch zumutbaren Tätigkeiten, dass die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestanden hätte. In diesem Fall wäre trotz eines sechsstündigen Leistungsvermögens von einer vollen Erwerbsminderung auszugehen, wenn von der Beklagten kein leidensgerechter Arbeitsplatz benannt werden könnte. In der Rechtsprechung des BSG werden hierbei als Fallgruppen Einschränkungen genannt aufgrund schwerer spezifischer Leistungsbehinderung wie z. B. Einarmigkeit bei gleichzeitiger Einäugigkeit (SozR 2200 § 1246 Nr. 30), das Vorliegen besonderer Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz (SozR 2200 § 1246 Nr. 104 und 117), die Notwendigkeit von zwei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von je 15 Minuten (SozR 2200 § 1246 Nr. 136) oder von drei zusätzlich erforderlichen Arbeitspausen von zehn Minuten je Arbeitstag (BSG, Urteil vom 20.08.1997 - 13 RJ 39/96 - (juris)), Einschränkungen bei Arm- und Handbewegungen, Erforderlichkeit eines halbstündigen Wechsels vom Sitzen zum Gehen (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8) oder Einschränkungen aufgrund regelmäßig einmal in der Woche auftretender Fieberschübe (SozR 3-2200 § 1247 Nr. 14). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist dagegen insbesondere nicht erforderlich im Falle des Ausschlusses von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder ständiges Sitzen erfordern, in Nässe oder Kälte oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, besondere Fingerfertigkeiten erfordern oder mit besonderen Unfallgefahren verbunden sind, bei Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst, an laufenden Maschinen, bei Ausschluss von Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen stellen, sowie bei Ausschluss von Tätigkeiten, die häufiges Bücken erfordern (vgl. zu allem BSG Großer Senat SozR 3–2600 § 44 Nr. 8 m.w.N.; vgl. weiter Bayerisches LSG, Urteil vom 27. Januar 2010 - L 13 R 300/09 - (juris)). Bei den hier gegebenen qualitativen Leistungseinschränkungen liegt damit jedenfalls keine derartige Einengung der noch zumutbaren Tätigkeiten vor, dass - vergleichbar mit den oben dargelegten Fallgruppen - die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestanden hätte.

Die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 1 SGB VI) wird vom Kläger zu Recht nicht verlangt, denn er genießt als ungelernter Arbeiter keinen "Berufsschutz" (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55 und SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61, jeweils m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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