L 10 AS 886/11 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AS 22111/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 886/11 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde der Kläger - der 1960 geborenen, verwitweten Klägerin und des 1957 geborenen, geschiedenen Klägers - ist zulässig; insbesondere ist sie unabhängig vom Beschwerdewert auch nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da nach § 172 Abs 3 Nr 2 SGG Beschwerden gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Hauptsacheverfahren nur ausgeschlossen sind, wenn das Sozialgericht (SG) ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint hat. Eine solche Situation ist aber hier nicht gegeben, weil das SG seine ablehnende Entscheidung (allein) damit begründet hat, das Klageverfahren habe keine Aussicht auf Erfolg. Auch und gerade nach der Änderung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG mit Wirkung vom 11. August 2010 durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05. August 2010 (BGBl I 1127) hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach ein Beschwerdeausschluss auch nicht über eine (entsprechende) Anwendung des § 127 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) begründbar ist (vgl im Übrigen auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Oktober 2010 – L 25 B 2246/08 AS PKH, juris).

Die Beschwerde ist aber nicht begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 Abs 2 Satz 1 1. Alt ZPO).

Dabei beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig in summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes ohne strenge Anforderungen, dh ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus, nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance" (vgl Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88, juris RdNr 26 = BVerfGE 81, 347, 357f). Auch bei nur teilweise zu bejahender Erfolgsaussicht ist in gerichtskostenfreien Verfahren (§ 183 SGG) – wie dem vorliegenden - PKH unbeschränkt zu bewilligen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 7a zu § 73a; Knittel in Hennig ua, SGG, RdNr 13 zu § 73a).

An diesen Vorgaben gemessen ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der vor dem SG erhobenen Klage nicht gegeben. Obwohl der bisher gestellte Klageantrag keine Angaben zum streitigen Zeitraum und zur begehrten Leistungshöhe enthält, kann damit – entgegen der vom SG in der angefochtenen Entscheidung hilfsweise angeführten Argumentation - nicht bereits die Unzulässigkeit der Klage und damit die fehlende hinreichende Erfolgsaussicht begründet werden. Zwar soll die Klage gemäß § 92 Abs 1 Satz 3 SGG einen bestimmten Klageantrag enthalten. Ausreichend ist aber - auch wenn die Kläger hier, worauf das SG vornehmlich abgestellt hat, (fach)anwaltlich vertreten werden -, wenn das von den Klägern verfolgte Rechtsschutzziel spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung deutlich wird (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23. Februar 2005 – B 6 KA 77/03 R, juris RdNr 14f = SozR 4-1500 § 92 Nr 2, RdNr 7f; BSG, Urteil vom 28. September 2006 - B 3 KR 20/05 R , juris = SozR 4-1500 § 92 Nr 3, jeweils RdNr 14; Leitherer, aaO, RdNr 11 zu § 92; Binder in Lüdtke, SGG, 3. Aufl 2009, RdNr 8 zu § 92). Denn nach § 123 SGG entscheidet das Gericht (ohnehin) über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 92 Abs 2 Satz 1, § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 3 zu § 123). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist (BSG, Urteil vom 22. März 1988 - 8/5a RKn 11/87, juris RdNr 11 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; Keller aaO). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen. Dieser kann sich nicht nur aus dem Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen - etwa dem Inhalt der Verwaltungsakten – ergeben Allerdings können nur solche Umstände bei der Ermittlung des wirklichen Willens berücksichtigt werden, die für das Gericht und die anderen Prozessbeteiligten erkennbar sind (BSG, aaO). Auch wenn das Ziel einer Klage – so wie hier – darauf gerichtet ist, eine Geldleistung zu erstreiten, ist es nicht erforderlich, den geforderten Geldbetrag genau zu beziffern. Insbesondere aus dem prozessualen Instrument des Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG), das ein "verkapptes Verpflichtungsbescheidungsurteil" ist, mit dem – wenn auch nicht notwendig ausdrücklich - dem verurteilten Leistungsträger die Verpflichtung auferlegt wird, zu seiner "Ausführung" einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit dem die Leistung der Höhe nach festgestellt wird (BSG, Beschluss vom 06. August 1999 - B 4 RA 25/98 B, juris RdNr 22 = SozR 3-1500 § 199 Nr 1 Seite 7; vgl auch BSG, Urteil vom 30. September 2010 - B 10 EG 11/09 R, juris RdNr 36) und das durch Festsetzung eines Zwangsgeldes in entsprechender Anwendung des § 201 SGG vollstreckbar ist (BSG, Beschluss vom 06. August 1999, B 4 RA 25/98 B, juris RdNr 15 = SozR 3-1500 § 199 Nr 1 Seite 3), ergibt sich, dass ein hierauf gerichteter, nicht bezifferter Klageantrag zulässig ist (BSG, Urteil vom 30. April 1986 - 2 RU 15/85, juris RdNr 20 = SozR 1200 § 53 Nr 6 Seite; vgl auch Leitherer, aaO, RdNr 12 und Binder, aaO, RdNr 8). Es muss aber wenigstens die ungefähre Höhe des verlangten Betrages deutlich werden.

Klar sein dürfte, dass hier allein die Ansprüche der Kläger auf höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (zur Selbständigkeit der Verfügungen über die von der Bundesagentur für Arbeit und vom kommunalen Träger zu erbringenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF): Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 8/06 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18 ff) streitig sind, denn allein hierauf bezieht sich die Klagebegründung, und zwar für den Regelungszeitraum des ausdrücklich angefochtenen Bescheides, mithin für die Zeit vom 01. Mai 2010 bis zum 31. August 2010. Was die begehrte (jeweilige) Leistungshöhe dem Grunde nach innerhalb dieses Zeitraums anlangt, wird diese sich wohl auf der Basis der Differenz zwischen dem den Klägern insgesamt von dem Beklagen zugestandenen Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung von monatlich 444,00 EUR und der in diesem Zeitraum geschuldeten Miete von monatlich 602,01 EUR (Nettokaltmiete 430,74 EUR, Vorauszahlungen für Betriebskosten 60,43 EUR, Vorauszahlungen für Kaltwasser 33,57 EUR, Vorauszahlungen für Heizkosten 65,00 EUR und Vorauszahlungen für Warmwasser 12,27 EUR, vgl Bl 487 der Verwaltungsakte) für die 64,56 qm große mit Gas beheizte Wohnung bestimmen lassen.

Die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht ist aber zu verneinen, weil es fernliegend ist, dass die Klage – worauf das SG in erster Linie auch seine abweisende Entscheidung gestützt hat - auch nur zum Teil begründet sein könnte.

Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aF). Erfasst werden alle Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem Mietvertrag für die Unterkunft ergeben. Dazu zählen neben der geschuldeten Nettokaltmiete auch die Vorauszahlungen für die kalten Betriebskosten. Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft ist in einem mehrstufigen Verfahren nach Maßgabe der so genannten Produkttheorie (BSG, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 10/06 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 24ff; zu den angemessenen kalten Betriebskosten als ein Faktor des Produkts ausdrücklich: BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R, juris RdNr 28) zu ermitteln, und zwar unter Außerachtlassung der Heizkosten, die separat zu betrachten sind (BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, jeweils RdNr 18). Dabei ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen, die in B bei einem Zwei-Personenhaushalt mit (max) 60,00 qm zu veranschlagen ist (vgl hierzu näher BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R, juris RdNr 21ff). Sodann ist ausgehend von dem gesamten Stadtgebiet von B als räumlichem Vergleichsmaßstab (BSG, aaO, RdNr 24) der den Wohnungsstandard widerspiegelnde angemessene Quadratmeterpreis zu bestimmen, wobei ein einfacher im unteren Marktsegment liegender Standard zugrunde zu legen ist. Die angemessene Referenzmiete muss auf einem "schlüssigen Konzept" beruhen. Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass hierfür der in der in den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 II der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin (AV-Wohnen) vom 10. Februar 2009 genannte Referenzwert von monatlich 444,00 EUR, auf den sich der Beklagte im Sinne einer regelhaften Anwendung der AV-Wohnen beruft, nicht maßgeblich sein kann, weil (derzeit jedenfalls) nicht erkennbar ist und vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden ist, auf welcher Datengrundlage und welchem Auswertungskonzept dieser Wert beruht, der zudem das Problem in sich trägt, zwei separat zu beurteilende Bedarfe (Bruttokaltmiete und Heizkosten) zu repräsentieren. Das heißt jedoch nicht, dass damit "automatisch" die tatsächlichen Unterkunftskosten als angemessen zu erachten wären bzw auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetz (rechte Spalte zzgl eines Sicherheitszuschlages) zurückzugreifen wäre (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 50/09 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 29, jeweils RdNr 27). Vielmehr muss das Gericht, sofern – wie hier – vom Grundsicherungsträger ein schlüssiges Konzept nicht vorgelegt wird, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht auf ein ihm bekanntes schlüssiges Konzept zurückgreifen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 27/09 R, juris =SozR 4-4200 § 22 Nr 27, jeweils RdNr 23). Nach den nunmehr vorliegenden Entscheidungen des BSG zu den angemessenen Unterkunftskosten im Land Berlin (BSG, Urteile vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R, B 14 AS 50/10 R und B 14 AS 65/09 R, jeweils juris) ist festzustellen, dass die vom SG für die Bestimmung derselben herangezogenen Grundlagen mit hoher Wahrscheinlichkeit die an ein schlüssiges Konzept zu stellenden Anforderungen erfüllen, mit anderen Worten, es ist fern liegend (iS der PKH-Voraussetzungen), dass mit Erfolg eine höhere als die nach diesem Konzept berechnete Bruttokaltmiete erstritten werden kann. In Bezug genommen hat das SG das von Richterinnen und Richtern des SG Berlin erarbeitete Konzept für die Beurteilung angemessener Mietkosten (vollständig und im Einzelnen dargestellt: Schifferdecker, Irgang, Silbermann, Einheitliche Kosten der Unterkunft in B. Ein Projekt von Richterinnen und Richtern des Sozialgerichts Berlin, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 1/2010, S 28 ff). Defizite dieses Bestimmungsmodels zu den an ein schlüssiges Konzept zu stellenden Anforderungen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R, juris RdNr 21 – 27) sind nicht erkennbar; dazu ist insbesondere festzuhalten, dass das bezeichnete Konzept, gestützt auf die Datengrundlage des qualifizierten Mietspiegels, den Kreis der zu betrachtenden Wohnungen so wie vom BSG vorgegeben zieht und insbesondere die geforderte realistische Abbildung des Mietmarktes durch die Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete als gewichtetes arithmetisches Mittel nach Verteilung der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen in den jeweiligen Bauklassen vornimmt. Die Angemessenheit der vom SG danach ermittelten Nettokaltmiete von 4,76 EUR pro qm für Wohnungen von 40 qm bis 60 qm unterliegt damit bei derzeitiger Sachlage keinen aufzeigbaren Bedenken. Als kalte Betriebskosten iS von § 556 BGB die in den iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aF abstrakt angemessen Quadratmeterpreis der Unterkunft im Rahmen der Produkttheorie einzubeziehen sind, sind sodann auf der Grundlage der Betriebskostenangaben zum Mietspiegel 2009 durchschnittliche gewichtete kalte Betriebskosten (vgl BSG, aaO, RdNr 28) von 1,41 EUR ermittelt worden, so dass sich im vorliegenden Fall eine abstrakt angemessene Bruttokaltmiete von monatlich 370,20 EUR (60 qm x 6,17 EUR (4,76 EUR + 1,41 EUR)) ergibt. Unter Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Heizkostenvorauszahlungen von monatlich 65,00 EUR, die den Grenzwert (ausgehend von einer abstrakt angemessenen Quadratmeterzahl von 60,00 qm) des in Ermangelung eines regionalen Heizkostenspiegels maßgeblichen bundesweiten Heizkostenspiegels (www.heizkostenspiegel) nicht überschreiten dürften und deshalb als angemessen zu erachten sein dürften (BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, jeweils RdNr 20ff), ergeben sich iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aF abstrakt angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 435,20 EUR.

Es ist auch fernliegend, dass die Klage wegen der Bestimmung in § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II aF ganz oder teilweise begründet sein könnte; insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Beschluss (dort Seite 3 dritter Absatz bis Seite 4 erster Absatz) Bezug genommen (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Gerichtskosten werden nicht erhoben und außergerichtliche Kosten werden nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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