S 20 SO 128/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 128/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
S 9 SO 478/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger leidet an einem angeborenem Wasserkopf (konnataler Hydrocephalus) und in dessen Folge an psychomotorischer Entwicklungsverzögerung und Epilepsie, Gangunsicherheit bei Gleichgewichtsstörung, rechtsbetonter Spastik und Muskelinsuffiziernz; er ist geistig behindert. Er erhält regelmäßig Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie und Musiktherapie. Er besucht eine Schule für körperbehinderte Menschen, von 2007 bis 2010 die W.G.-Schule in B., seit 2010 die L.-Schule in B.

Erstmals am 03.11.2004 beantragte der Kläger Eingliederungshilfe in Form "heilpädagogischer Reittherapie". Er legte ein ärztliches Attest der Kinderärztin T. vom 08.10.2004 vor; darin hielt es die Kinderärztin für äußerst sinnvoll, wenn der Kläger seine Gleichgewichtskontrolle mit Hilfe der Reittherapie verbessern könnte; bei dieser Therapieform werde die Muskulatur der Beine deutlich gestärkt.

In der Folgezeit bewilligte die Beklagte durch vier Bescheide vom 13.01.2005, 18.07.2005, 16.02.2006 und 21.09.2006 je 20 Therapieeinheiten (TE) "therapeutisches Reiten", durch Bescheide vom 25.06.2008 und 02.02.2009 je 30 weitere TE. Diese wurden von der Diplom- und Reitpädagogin J. K. von November 2004 bis Dezember 2009 erbracht. Über den Verlauf der Reittherapie berichtete die Diplompädagogin am 03.1.2006, 15.05.2008 und 07.12.2009 und die Kinderärztin T. am 14.08.2006 und – mit identischem Text – am 22.01.2008. Auf den Inhalt dieser Berichte wird Bezug genommen.

Am 08.12.2009 beantragte der Kläger die weitere Kostenübernahme "für heilpädagogisches Reiten".

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 07.01.2010 ab mit der Begründung, das heilpädagogische Reiten erfülle keine Aufgabe der Eingliederungshilfe; es sei eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Die Beklagte verwies hierzu auf ein Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 27.08.2009 (L 9 SO 5/08).

Dagegen legte der Kläger am 28.01.2010 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, der Eingliederungshilfeanspruch ergebe sich aus §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Ziffer 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach seien Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten zu gewähren, die erforderlich und geeignet seien, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Unzutreffend gehe die Beklagte davon aus, dass es sich bei der hier in Rede stehenden Maßnahme um eine medizinische Therapie handele. Die Reittherapie werde nicht von einem medizinischen Leistungserbringer durchgeführt, sondern von einer pädagogischen Fachkraft, die rein pädagogische Leistungen erbringe. Durch das Reiten würden die körperlichen Folgen und Ausprägungen der Behinderungen weder medizinisch behandelt noch aufgehoben; die Reittherapie habe weder den Sinn und Zweck noch das Ziel, heilende Wirkung zu entfalten. Zu unterscheiden sei zwischen den Ansätzen der Hippotherapie und dem klassischen heilpädagogischem Reiten. "Beide Maßnahmen sind unzweifelhaft medizinischer Art und setzen an der Behinderung bzw. der Gesundheitsbeeinträchtigung unmittelbar an", so der Kläger. Heilpädagogisches Reiten sei bereits an sich keine medizinische Rehabilitationsleistung, da sie eine rein pädagogische und eben nicht medizinische Leistung sei. Dies werde in der zitierten Entscheidung des LSG NRW vom 27.08.2009 fachlich falsch dargestellt.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.09.2010 zurück. Sie verwies auf die Atteste der Kinderärztin und die Berichte der Reitpädagogin. Daraus ergebe sich, dass mit der Therapie die von der Kinderärztin beschriebenen medizinischen Ziele verfolgt und auch erreicht würden. Die Beklagte meinte, sowohl bei der Hippotherapie als auch beim heilpädagogischen Reiten handele es sich um medizinische Rehabilitationsleistungen, die durch besonders ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte erbracht würden. Die Reittherapie sei ein Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung; in der medizinischen Rehabilitation liege für den Kläger auch der Schwerpunkt, weshalb ein Eingliederungshilfeanspruch (Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) nicht bestehe.

Dagegen hat der Kläger am 09.10.2010 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die ärztlichen Atteste und Stellungnahmen der Pädagogin K. bis einschließlich 2008 seien nicht geeignet, den vorliegenden Fall zu beschreiben. Zur damaligen Zeit sei keine Differenzierung zwischen Hippotherapie und heilpädagogischem Reiten, die unter dem Oberbegriff "therapeutisches Reiten" zusammengefasst werden, vorgenommen worden. Den Rechnungen der Diplompädagogin sei zu entnehmen, dass der Kläger ausschließlich Maßnahmen des heilpädagogischen Reitens erfahren habe. Es sei schlichtweg falsch, dass durch das Reiten auch eine medizinische Therapie erfolge; hierzu sei Frau K. weder befugt noch auf Grund ihrer Ausbildung in der Lage. Entscheidend sei die Zielrichtung, die hier rein pädagogischer Art sei. Ziel des heilpädagogischen Reitens sei beim Kläger eine Förderung der Konzentration, der Verantwortung und des Selbstbewusstseins; über das Reiten erlerne er, sich in der Gruppe zurechtzufinden, sich zu intrigieren und sich sozial zu verhalten; er sei bisher isoliert und ohne die notwendigen sozialen Kontakte gewesen. Der Kläger hat mitgeteilt, dass das Reiten auch über 2009 hinaus fortgeführt worden ist; die Kosten sind durch Spenden der "Lebenshilfe" finanziert worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2010 zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten im Umfang von wöchentlich einer Therapieeinheit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist erneut auf den Inhalt der im Verwaltungsverfahren vorgelegten kinderärztlichen Atteste und der Berichte der Diplompädagogin über den Verlauf der Reittherapie. Sie meint, dass sich daraus ergebe, dass die Verfolgung medizinischer Ziele deutlich im Vordergrund gestanden habe und eine positive Beeinflussung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch die Therapie nur insoweit angesprochen worden sei, als sich diese aus dem gemeinschaftlichen Singen und Anlässen zum Sprechen ergäbe und der Kläger einen guten Kontakt zu anderen Kindern, die sich in der Reithalle befänden, habe. Weitere positive Entwicklungen in Bezug auf seine Konzentration, sein Selbst- oder Verantwortungsbewusstsein seien lediglich indirekte Auswirkungen, die mit der Verbesserung seines Gesundheitszustandes einhergingen. Die Beklagte folgert daraus, dass das Ziel der Therapie eindeutig auf die Beseitigung, Minderung, den Ausgleich oder die Verhütung einer Verschlimmerung der Behinderung und nicht auf die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gemeinschaft gerichtet sei.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts und des Inhalts des therapeutischen Reitens im Fall des Klägers hat das Gericht Auskünfte von der Diplompädagogin K. vom 08.01.2011 und von der Kinderärztin T. vom 19.01.2011 eingeholt. Sodann ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von der Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Universitätsklinikums Aachen, Prof. Dr. I.-E. vom 31.05.2011. Auf die Auskünfte und das Gutachten wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten.

Allerdings hat die Beklagte nur über einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem Recht der Sozialhilfe (§§ 53 ff. SGB XII) entschieden, obwohl sie als erstangegangener Rehabilitations-(Reha-)Träger, der den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen weitergeleitet hat, zuständig war, über den geltend gemachten Anspruch umfassend nach allen Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind, zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 R 33/07 R; Urteil vom 25.06.2009 – B 3 KR 4/08 R; Urteil vom 20.04.2010 – B 1/3 KR 6/09 R). In Betracht kommen Reha-Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, der Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Die Beklagte hat jedoch im Ergebnis zu Recht den Anspruch auf Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten verneint, da dieser nach keinen der in Betracht kommenden Reha-Rechtsvorschriften begründet ist.

Der Kläger hatte weder für den streitbefangenen Zeitraum noch hat er in Zukunft einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zwar leidet er an verschiedenen Krankheitsbildern, die u.a. durch Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie behandelt werden. Heilpädagogisches Reiten, das der Kläger beansprucht, ist jedoch keine Leistung der GKV. Das beanspruchte therapeutische Reiten wäre als Leistung der GKV allenfalls denkbar, wenn es sich um Hippotherapie handelt. Hippotherapie ist als physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit und auf dem Pferd definiert; sie wird bei Bewegungsstörungen infolge neurologischer Erkrankungen eingesetzt (so: "Zusammenfassende Dokumentation über die Bewertung der Hippotherapie als Heilmittel" des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 13.11.2006, Abschnitt 6.1). Im Rahmen des Leistungsrechts der GKV wäre die Hippotherapie als Heilmittel im Sinne des § 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einzustufen. Neue Heilmittel dürfen nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Neue Heilmittel können damit grundsätzlich nicht beansprucht werden, solange die geforderte Entscheidung des G-BA nicht ergangen ist. Bei der Hippotherapie fehlt es nicht etwa nur an einer entsprechenden Entscheidung des G-BA; vielmehr ist sie in der Anlage zu den Heilmittel-Richtlinien des G-BA ausdrücklich als nichtverordnungsfähiges Heilmittel eingestuft worden (vgl. Anlage "Nicht verordnungsfähige Heilmittel", a) Ziffer 1). Diese bereits 1981 vom Rechtsvorgänger des G-BA getroffene Entscheidung ist im Jahre 2001 und zuletzt durch Beschluss des G-BA vom 20.06.2006 (BAnz Nr. 182, S. 6499) bestätigt worden. Damit gehört die Hippotherapie nicht zu Leistungen der GKV.

Nach dem Recht der Kinder- und Jugendhilfe (§ 35a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII) haben Kinder oder Jugendliche, die seelisch behindert oder von einer seelischen Behinderung bedroht sind, Anspruch auf Eingliederungshilfe. Es kann dahinstehen, ob beim Kläger (auch) eine seelische Behinderung besteht oder droht, da er jedenfalls und im Wesentlichen körperlich und geistig behindert ist und die körperlichen und geistigen Behinderungen seinen überwiegenden Reha-Bedarf bedingen. Für einen derartigen Fall bestimmt die Vorrang-Nachrang-Regelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen.

Ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten besteht auch nicht nach dem Recht der Sozialhilfe als Leistung der Eingliederungshilfe gegenüber der Beklagten als Träger der Sozialhilfe auf der Grundlage der §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 SGB XII. Zwar gehört der Kläger zum Kreis der Personen im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII, die grundsätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe beanspruchen können. Jedoch erfüllt er nicht die konkreten Leistungsvoraussetzungen für Eingliederungshilfe. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere die in den Nrn. 1 bis 5 aufgeführten Leistungen. § 54 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben den jeweiligen Reha-Leistungen der GKV oder der Bundesagentur für Arbeit entsprechen. Dass keiner der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB XII hervorgehobenen Leistungsfälle vorliegt, ist offensichtlich und bedarf keiner näheren Erläuterung.

Ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten als Eingliederungshilfe ergibt sich aber auch aus keiner der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Bezug genommenen Normen des SGB IX. Dies ist für die §§ 33 und 41 SGB IX offensichtlich, da diese sich auf Werkstätten für behinderte Menschen sowie auf Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben beziehen und damit für den Kläger nicht einschlägig sind.

Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift werden zur medizinischen Rehabilitation behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen die erforderlichen Leistungen erbracht, um Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Nach § 26 Abs. 2 SGB IX umfassen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere neben der Behandlung durch Ärzte auch Heilmittel. Bestandteil der Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind insbesondere auch Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, die Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, u.a. durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen sowie das Training lebenspraktischer Fähigkeiten (vgl. § 26 Abs. 3 Nrn. 1, 2, 5 und 6 SGB IX). Die medizinische Sachverständige Prof. Dr. I.-E. hat in ihrem Gutachten vom 31.05.2011 dargelegt, dass die vom Kläger in der Vergangenheit erhaltene Reittherapie vor allen Dingen Elemente der Hippotherapie enthält. Sie hat sich bei dieser Beurteilung auf die Berichte über das heilpädagogische Reiten der Diplompädagogin K. vom 03.01.2006, 15.05.2008 und 07.12.2008 gestützt. In diesen, ebenso wie in den Attestes der Kinderärztin T., werden als Ziele der Therapie vor allen Dingen die Verbesserung der Haltung, motorischen Koordination und Linderung der Spastik angegeben; zudem soll der Muskeltonus verbessert werden. Die Diplompädagogin hat im Bericht vom 03.01.2006 dargelegt, dass im Vergleich zum Beginn der Maßnahme ein deutlicher Fortschritt im Bereich der Haltung und Körperspannung festzustellen sei; die angespannte Beinhaltung löse sich nach einigen Runden zunehmend; durch Übungen mit Bällen würden zum einen die Körperstreckung, zum anderen auch die Koordination von Hand und Auge und das gleichmäßige Greifen mit beiden Händen geübt; da der Kläger die linke Hand zum Greifen bevorzugt habe, sei immer wieder auch die rechte Hand einbezogen worden, um auch hier die Greiffähigkeit zu verbessern. Durch eine Fortführung der Maßnahme könne vor allem der Muskeltonus so weit verbessert werden, dass eine aufrechte Körperhaltung auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden könne, in denen der Kläger nur selten unabhängig von einer Lehne sitze; außerdem könne durch eine verbesserte Körperspannung auch das Laufenlernen unterstützt werden. Diese Ausführungen hat die Diplompädagogin später im Verlaufsbericht vom 15.05.2008 im Wesentlichen wiederholt und ergänzt; auch in diesem Bericht wird abschließend dargelegt, dass durch eine Fortführung der Maßnahme Muskeltonus und Gleichgewicht weiter verbessert werden können. Und im Bericht vom 07.12.2008 legt die Diplompädagogin dar, dass der Kläger seine Bewegungsabläufe besser zu koordinieren beginne; mit Hilfe beginne er auch zu laufen; das Reiten unterstützte in dieser Phase nachhaltig die Entwicklung von Muskelspannung und Koordination. Die Kinderärztin T. hat in ihren ärztlichen Attesten vom 08.10.2004/22.01.2008 expressis verbis die Reittherapie als "Hippotherapie" bezeichnet und deren Fortführung dringend empfohlen; es handele sich um ein gezieltes Training in der Haltungs-, Gleichgewichts- und Stützreaktionen sowie einer Regulierung des Muskeltonus. All dies belegt für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend, dass der Kläger jedenfalls bis Dezember 2009 im Rahmen des therapeutischen Reitens (auch) Bestandteile der Hippotherapie und damit medizinische Rehabilitation erfahren hat. Sofern es sich bei dem therapeutischem Reiten, dass der Kläger in Form von heilpädagogischem Reiten in Anspruch nehmen will, auch künftig – zumindest teilweise oder sogar im Schwerpunkt – um medizinische Rehabilitation handelt, scheitert ein Anspruch auf Eingliederungshilfe an § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Reha-Leistungen der GKV entsprechen. Im Rahmen der Eingliederungshilfe sind also keine geringeren, aber auch keine weitergehenden Leistungen zur medizinischen Reha zu erbringen als in der GKV (LSG NRW, Urteil vom 27.08.2009 – L 9 SO 5/08). Wie bereits dargelegt, entspricht die Hippotherapie nicht dem Leistungsumfang der GKV. Als Heilmittel ist sie durch die vom G-BA beschlossenen Heilmittel-Richtlinien und der dazu gehörenden Anlage ausdrücklich als verordnungsfähige Leistung der GKV ausgeschlossen. Dies bedingt gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch den Ausschluss als Eingliederungshilfe nach dem SGB XII.

Dem Kläger ist zuzugeben, dass das therapeutische Reiten auch Elemente des heilpädagogischen Reitens enthält. Therapeutisches Reiten (auch Reittherapie) beinhaltet pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und sozial-integrative Maßnahmen, die über das Medium Pferd umgesetzt werden. Therapeutisches Reiten umfasst die Bereiche heilpädagogisches Reiten, heilpädagogisches Voltigieren und Hippotherapie (aus: Wikipedia, Stichwort "Therapeutisches Reiten"). Die Diplompädagogin K. hat ihrer Auskunft vom 08.01.2011 eine Übersicht beigefügt, in der die Hippotherapie einerseits und das heilpädagogische Reiten/Voltigieren andererseits gegenüber gestellt und voneinander abgegrenzt werden. Auch die Kinderärztin T. hat in ihrer Auskunft vom 19.01.2011 das heilpädagogische Reiten/Voltigieren allgemein beschrieben. Soweit allerdings die Diplompädagogin K. meint, der Kläger habe bei ihr ausschließlich am heilpädagogischen Reiten teilgenommen, weil Hippotherapie mangels krankengymnastischer Ausbildung von ihr nicht durchgeführt werden könne, überzeugt dies nicht. Allein die fehlende krankengymnastische Ausbildung einer Therapeutin bedeutet nicht, dass das, was sie am Rehabilitanden durchführt, keine medizinische Rehabilitation – hier Hippotherapie – sein kann. Ihre eigenen Berichte aus den Jahren 2006 und 2008 sprechen eine eindeutig andere Sprache. Es ist deshalb kein Widerspruch zu den im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen der Diplompädagogin K. vom 08.01.2011 und der Kinderärztin T. vom 19.01.2011, wenn die Sachverständige Prof. Dr. I.-E. zum Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger erhaltene Reittherapie neben Elementen der Hippotherapie auch Elemente des heilpädagogischen Reitens enthält, wenn auch die Elemente der Hippotherapie überwogen haben. Beim heilpädagogischem Reiten handelt es sich um eine Methode, die durch den Umgang mit Pferden unter anderem soziale Kompetenzen bestärken soll, aber auch als eine Art von Belohnung zur Motivationssteigerung eingesetzt werden kann (Gutachten vom 31.05.2011, S. 9). Nach der von der Diplompädagogin K. überreichten Gegenüberstellung der Therapieformen handelt es sich beim heilpädagogischen Reiten um ein ganzheitlich pädagogisch-psychologisches Angebot, das Körper, Geist und Seele gleichermaßen fördert; Ziel ist die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung, um eine größtmögliche gesellschaftliche Integration zu unterstützen. Ein Blick in die Berichte der Diplompädagogin K. aus den Jahren 2006 und 2008 und in die Atteste der Kinderärztin, auf die seinerzeit die Eingliederungshilfeanträge gestützt wurden, zeigen, dass auch Elemente des heilpädagogischen Reitens Therapieziel waren und in der tatsächlichen Therapie Anwendung gefunden haben. Den Schwerpunkt bildete jedoch in der Vergangenheit die medizinische Rehabilitation mit den Elementen der Hippotherapie.

Es mag sein, dass in der Zukunft, für die allein der Kläger den Anspruch noch geltend macht (ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für in der Vergangenheit seit Ende 2009 durchgeführte Reittherapie kommt nicht in Betracht und wird auch nicht geltend gemacht, da solche Kosten dem Kläger nicht entstanden sind), die Elemente des heilpädagogischen Reitens gegenüber denjenigen der Hippotherapie in den Vordergrund treten und nunmehr den Schwerpunkt oder gar den ausschließlichen Inhalt des begehrten therapeutischen Reitens ausmacht. So hat es jedenfalls der Kläger in der ausführlichen Widerspruchsbegründung vom 25.03.2010 und der Klagebegründung vom 20.12.2010 dargestellt; und so sollen offensichtlich auch die Stellungnahme der Diplompädagogin K. vom 08.01.2011 und der Kinderärztin T. vom 19.01.2011 verstanden werden. Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Rehabilitation erfolgt nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen (und erst recht nicht nach der Bezeichnung der Maßnahme), sondern nach dem Leistungszweck (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R). Allein ausschlaggebend ist, worauf der Schwerpunkt der Zielsetzung der in Rede stehenden Maßnahme im konkreten Einzelfall liegt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.11.2010 – 7 A 10796/10). Die Kammer brauchte letztendlich nicht zu entscheiden, ob der Schwerpunkt des künftig vom Kläger begehrten therapeutischen Reitens eher im Bereich der Hippotherapie oder eher im Bereich des heilpädagogischen Reitens liegt. Selbst wenn künftig ausschließlich heilpädagogisches Reiten durchgeführt würde, hätte der Kläger keinen Anspruch darauf, dass diese Leistung als Eingliederungshilfe aus Mitteln der Sozialhilfe finanziert würde.

Als Anspruchsgrundlage eines solchen Eingliederungshilfeanspruchs käme nur § 54 Ab. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX in Betracht. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen (Abs. 1). In Abs. 2 Ziffern bis 1 bis 7 werden die Leistungen näher benannt, die nach Abs. 1 insbesondere Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind. Von diesen sind, wie sich den verschiedenen in der Akte der Beklagten befindlichen Fachstellungnahmen und dem Vortrag des Klägers ergibt, ersichtlich nur die Ziffern 2 und 3 des § 55 Abs. 2 SGB IX einschlägig. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 sind Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft "heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind". Bereits der Begriff "heilpädagogische Leistungen" macht deutlich, dass hierunter das heilpädagogische Reiten zu subsumieren ist. Einem entsprechenden Anspruch des Klägers auf diese Eingliederungshilfeleistung steht jedoch entgegen, dass er seit 2007 eingeschult ist. Der Anspruch auf heilpädagogische Leistungen als Leistungen der Eingliederungshilfe ist jedoch ausdrücklich auf Kinder, die noch nicht eingeschult, begrenzt.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann der geltend gemachte Anspruch auf das heilpädagogische Reiten nicht als Leistung nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 ("Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen") beansprucht werden. Zwar ist in der Vergangenheit in den Jahren 2004 bis 2009 vom fachärztlichen Dienst der Beklagten das therapeutische Reiten des Klägers mal der Ziffer 3 des § 55 Abs. 2 SGB IX (Fachstellungnahmen vom 13.12.2004, 05.08.2008 und 12.01.2009), mal aber auch der Nr. 2 des § 55 Abs. 2 SGB IX (Fachstellungnahmen vom 11.07.2005, 06.02.2006 und 07.09.2006) zugeordnet worden. Aus diesen widersprüchlichen Stellungnahmen kann jedoch insbesondere für den geltend gemachten in der Zukunft liegenden Anspruch des Klägers nichts hergeleitet werden. Vorliegend geht es dem Kläger um heilpädagogisches Reiten, und diese Maßnahme ist, wenn sie keine medizinische Leistung beinhaltet, schon rein begrifflich den heilpädagogischen Leistungen nach § 55 Abs. 2 Ziffer 2 SGB IX zuzuordnen. In diesem Fall kann die Ziffer 3 des § 55 Abs. 2 SGB IX nicht als Auffangnorm herangezogen werden für Fallgestaltungen, in denen heilpädagogische Leistungen nach Ziffer 2 nicht gewährt werden können, weil das Kind bereits eingeschult ist. Unabhängig davon wird auch aus dem vom Kläger in der Widerspruchs- und Klagebegründung vorgetragenen und aus dem von der Diplompädagogin K. vorgelegten Konzept des heilpädagogischen Reitens nicht deutlich, welche praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne von § 55 Abs. 2 Ziffer 3 SGB IX vom Kläger durch das Reiten erworben werden könnten. Ziffer 3 erfasst Hilfen, wenn wegen der Art oder Schwere der Behinderung pädagogische, schulische oder berufliche Maßnahmen nicht in Betracht kommen, den behinderten Menschen aber durch den Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten die für ihn erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht werden kann. Das ist z.B. dadurch möglich, dass der behinderte Mensch ohne fremde Hilfe essen, sich alleine anziehen und einfache manuelle Tätigkeiten ausüben kann (Wollschläger in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX-Kommentar, 3. Auflage, § 55 Rn. 6). Dass derartige Hilfen mit dem heilpädagogischen Reiten verfolgt werden, ist weder der Definition dieser Therapieform noch deren Konzeption zu entnehmen. Beim heilpädagogischem Reiten geht es um die Förderung von Konzentrations- und Koordinationsfähigkeit, der Sinnes- und Körperwahrnehmung, der Kommunikationsfähigkeit, der Leistungsbereitschaft, der Kontaktfähigkeit, der Sprachentwicklung, des Sozialverhaltens, von Frustrationstoleranz und Kompromissfähigkeit, von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen u.v.a. sowie dem Abbau von Ängsten (vgl. die von der Diplompädagogin K. vorgelegte Gegenüberstellung). Das sind jedoch keine praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten, um deren Erwerb es bei den Hilfemaßnahmen nach § 55 Abs. 2 Ziffer 3 SGB IX geht.

Nach alledem besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das vom Kläger begehrte therapeutische Reiten, konkret: das heilpädagogische Reiten. Eine Ladung und Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. I.-E. und der Diplompädagogin K., gegebenenfalls auch der Kinderärztin war nach Auffassung der Kammer nicht geboten (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 27.11.2007 – B 5a/5 R 60/07 B). Der insoweit gestellte Beweisantrag des Klägers legt nicht hinreichend konkret dar, um welche erläuterungsbedürftigen Punkte es ihm geht und welche Frage er stellen will. Soweit er ihn auf die Vermutung stützt, die Gutachterin habe offensichtlich die Ausführungen der Diplompädagogin K. vom 08.01.2011 nicht zur Kenntnis genommen, verkennt er, dass der Gutachterin die Gerichtsakte einschließlich dieses Berichtes nicht nur vorlag, sondern sie das Gutachten darauf (u.a.) auch gestützt hat, wie sie auf Seite 2 ihres Gutachtens ausdrücklich vermerkt hat. Die Sachverständige hat sich mit den Begriffen "Hippotherapie" und "heilpädagogischem Reiten" auseinandergesetzt und das, was der Kläger in der Vergangenheit beim therapeutischem Reiten (Oberbegriff) erfahren hat, aufgrund der individuell auf ihn bezogenen drei Berichte der Diplompädagogin K. vom 03.01.2006, 15.05.2008 und 15.12.2008 diesen Sparten zugeordnet. Danach war sie in der Beweisanordnung gefragt worden und dementsprechend hat sie die Beweisfragen beantwortet. Wenn Frau K. in ihrer Auskunft vom 08.01.2011 darlegt, sie habe nur "heilpädagogisches Reiten" durchgeführt, weil sie die für Hippotherapie erforderliche Krankengymnastikausbildung nicht habe, steht dies, ebenso wie die Ausführungen der Kinderärztin vom 19.01.2011, nicht in Widerspruch zu den Ausführungen der Gutachterin. Sowohl die Diplompädagogin als auch die Kinderärztin verkennen, dass therapeutisches Reiten nicht schon dann und ausschließlich "heilpädagogisches Reiten" ist, wenn man es so bezeichnet, sondern dass es zur Qualifizierung desselben darauf ankommt, was tatsächlich stattfindet und stattgefunden hat. Dies aber ist, wie Prof. Dr. I.-E. überzeugend dargelegt hat, in der Vergangenheit näher dem Bereich der Hippotherapie als dem des heilpädagogischen Reitens zuzuordnen gewesen. Der Kläger hat im Übrigen in den Schriftsätzen vom 12. und 18.07.2011 die Auffassung geäußert, "der Gutachter" habe die Ausführungen der Diplompädagogin offenbar nicht zur Kenntnis genommen; er hat deshalb beantragt, "den Gutachter" anzuhören; "der Gutachter Dr. W." habe anlässlich der Untersuchung geäußert, das er sich mit diesem Thema nie befasst habe; die Unterschiede zwischen Hippotherapie und heilpädagogischem Reiten seien ihm unbekannt. Der Kläger übersieht, dass der Oberarzt Dr. W. lediglich bei der Erstellung des Gutachtens mitgewirkt hat. Für das Gutachten verantwortlich ist jedoch allein die vom Gericht durch Beweisanordnung zur Sachverständigen ernannte Prof. Dr. I.-E ... Diese hat das Gutachten auch verantwortlich unterschrieben. Die vom Kläger dargelegten Äußerungen mögen auf Dr. W. zutreffen; auf die Sachverständige Prof. Dr. I.-E. – die Gutachterin – treffen sie sicher nicht zu. Sie wurde vom Gericht bewusst mit dem Gutachten beauftragt, weil dem Kammervorsitzenden aus Presseberichten (vgl. Aachener Zeitung vom 20.08.2009) bekannt war, dass gerade sie sich mit der Reittherapie und speziell auch mit "Heilpädagogischem Reiten" auskennt. Wie oben dargelegt kommt es aber ohnehin für den für die Zukunft geltend gemachten Anspruch des Klägers auf eine Befragung der Gutachterin, der Diplompädagogin und der Kinderärztin nicht an, weil der Anspruch, wie ausgeführt, allein aus rechtlichen Gründen nicht besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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