S 13 SF 192/11 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 SF 192/11 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das wesentliche Kriterium bei der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV ist die Terminsdauer. Die Dauer einer Verhandlung von 30 bis 45 Minuten ist durchschnittlich und rechtfertigt in der Regel die Festsetzung der Mittelgebühr. Die Terminsdauer von 15 Minuten im Rahmen eines Erörterungstermins in Bezug auf eine Untätigkeitsklage kann zu einem Abschlag auf die Höhe einer halben Mittelgebühr führen.
Auf die Erinnerung des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. April 2011 abgeändert und die dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 172,55 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegenstand des Erinnerungsverfahrens ist allein die Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nebst der damit zusammenhängenden Höhe der Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG.

Im zugrunde liegenden Rechtsstreit (Az.: S 20 AS 210/05) vor dem Sozialgericht Darmstadt waren im Rahmen einer Untätigkeitsklage die Ausstattung des Klägers mit verschiedenen Werkzeugen, Haushalts- und Wohnungsgegenständen sowie Kosten für einen Umzugswagen streitig. In diesem Zusammenhang fand vor der zu diesem Zeitpunkt zuständigen 9. Kammer des Sozialgerichts Darmstadt am 25. September 2006 ein Erörterungstermin statt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift dauerte dieser Termin 15 Minuten. Der Widerspruch des Klägers gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2007 zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 4. September 2007 erklärte der Kläger den Rechtsstreit für erledigt. Mit Beschluss vom 11. Februar 2011 ist entschieden worden, dass die Beklagte die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten hat.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger u.a. die Festsetzung der Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 150,00 EUR begehrt. Diesbezüglich hat die Beklagte die Auffassung vertreten, im vorliegenden Falle sei lediglich eine Terminsgebühr in Höhe von 80,00 als angemessen anzusehen. Denn die Dauer der mündlichen Verhandlung am 25. September 2006 habe lediglich 15 Minuten betragen. Nach statistischer Auswertung von Verfahrensakten aus allen Sozialrechtsgebieten werde auf hinreichend gesicherter Basis davon ausgegangen, dass eine durchschnittliche Verhandlungsdauer von ca. 50 Minuten festzustellen sei.

In dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. April 2011 hat der zuständige Urkundsbeamte des Sozialgerichts Darmstadt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auf 160,65 EUR festgesetzt, wobei er von einer Terminsgebühr in Höhe von 80,00 EUR ausgegangen ist und sich in der Begründung der Sichtweise der Beklagten voll umfänglich angeschlossen hat.

Dagegen hat der Kläger am 4. Mai 2011 Erinnerung eingelegt. Er weist darauf hin, dass im Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamte von einer fiktiven Terminsgebühr ausgehe, obwohl in der Sache aber tatsächlich ein Termin wahrgenommen worden sei. Nach seiner Auffassung liege die durchschnittliche Terminsdauer innerhalb der hessischen Sozialgerichtsbarkeit bei 30 Minuten.

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

II.

Die Festsetzung der rechtsanwaltlichen Gebühren im angefochtenen Beschluss vom 18. April 2011 ist bezogen auf die Höhe der Terminsgebühr und der damit im Zusammenhang stehenden Umsatzsteuer abzuändern.

Die Terminsgebühr in sozialrechtlichen Streitigkeiten beträgt 20,00 bis 380,00 EUR (Nr. 3106 VV RVG). Diese Gebühr ist nach den Kriterien des § 14 RVG festzusetzen. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt diese Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden (§ 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 RVG). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG).

Entspricht die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr nicht der Billigkeit, ist sie insgesamt unverbindlich und wird im Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Eine Reduktion der überhöhten Bestimmung auf eine gerade noch zulässige Gebührenhöhe findet nicht statt (vgl. Hartung/Römermann, RVG, § 14 Rdnr. 92 m.w.N.). Wegen der Schwierigkeiten zu bestimmen, wann eine Rahmengebühr unbillig ist, hat es sich in der Praxis vielfach bewährt, mit der so genannten Mittelgebühr zu arbeiten. Diese Mittelgebühr soll dann gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in den "Normalfällen" werden, in denen sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 AVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also von einer üblichen Bedeutung der Angelegenheit, von einem durchschnittlichen Umfang und durchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen, auszugehen ist. Allerdings kann jedes der Bemessungskriterien des § 14 RVG Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom Durchschnitt abweicht.

Vorliegend entspricht die vom Kläger geltend gemachte Terminsgebühr nicht der Billigkeit. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit durch unterschiedliche Rahmengebühren es verbietet, die Kriterienbewertung nach § 14 RVG bei der einen Rahmengebühr blindlings auf die anderen Rahmengebühren zu übertragen. Es kann durchaus vorkommen, dass ein unterdurchschnittlicher Verfahrensaufwand betrieben wird, die mündliche Verhandlung sich aber sehr schwierig gestaltet und überdurchschnittlich lange dauert. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar, etwa dann, wenn eine sehr aufwändige schriftliche Vorbereitung zu einer extrem kurzen mündlichen Verhandlung führt. Daher sind Verfahrens- und Terminsgebühr differenzierend zu betrachten (so zutreffend: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12. September 2006, L 1 B 320/05 SF SK; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, VV 3106 Rdnr. 11).

Bei der Bewertung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG i.S.d. § 14 RVG ist die Dauer des Termins nach Auffassung der Kammer das wesentliche Kriterium. Denn damit wird der Aufwand des Rechtsanwalts in zeitlicher Hinsicht unmittelbar erfasst, den er für seine Anwesenheit bei der Terminsteilnahme hat. Daneben finden aber alle o.g. anderen Kriterien Berücksichtigung.

Nach Auffassung der erkennenden Kostenkammer des Sozialgerichts Darmstadt ist eine Terminsdauer von etwa 30 bis 45 Minuten durchschnittlich. In dieser Zeit werden nach den Erfahrungen der Kammer die allermeisten Termine der mündlichen Verhandlung ohne Zeugen- oder Sachverständigenvernehmung oder längerer informatorischer Befragungen der Beteiligten durchgeführt (SG Darmstadt, Beschluss vom 29. September 2010,13 SF 269/10; so auch SG Berlin, Beschlüsse vom 2. September 2010, S 127 SF 332/09 E und S 164 SF 332/09 E, und vom 17. Februar 2011, S 180 SF 3212/10). Die Kammer geht davon aus, dass eine solche Terminsdauer - insbesondere bei Kammerterminen - regelmäßig die Festsetzung der Mittelgebühr in Höhe von 200,00 EUR rechtfertigt.

Bei kürzeren Terminen ist zu differenzieren. Soll etwa lediglich ein Vergleich oder eine prozessbeendende Erklärung protokolliert werden, ohne dass streitig verhandelt wird, kann eine Gebühr angemessen sein, die in der Regel unter der halben Mittelgebühr liegen wird, denn die Durchführung eines solchen Termins belastet den Rechtsanwalt zeitlich nur gering für allenfalls nur wenige Minuten. Die Schwierigkeit des Verfahrens ist ebenso ausgesprochen einfach, weil die Erklärungen, die protokolliert werden sollen, meist in der Sache oder sogar im Wortlaut bereits vorbereitet sind.

Bei Terminen, die eine Dauer von länger als wenige Minuten bis von unter 30 Minuten haben, kann häufig eine Terminsgebühr zwischen der halben Mittelgebühr bis zur Mittelgebühr angemessen sein.

Jeweils ergeben sich im Einzelfall aus der Sitzungsniederschrift Hinweise zur Bedeutung, zum Umfang oder zur Schwierigkeit der Angelegenheit, etwa wenn Erklärungen der Beteiligten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht protokolliert werden. Denn wenn keine Notwendigkeit bestand, sich in der mündlichen Verhandlung auf neue Tatsachen, neue rechtliche Ausführungen oder sonstige neue Konstellationen einzustellen, die nicht schon in den Bescheiden oder den schriftsätzlichen Ausführungen der Beteiligten bzw. in Hinweisen des Gerichts angesprochen worden sind, ist die Terminswahrnehmung für den Rechtsanwalt nicht besonders aufwändig. Weiter kann die Durchführung eines Erörterungstermins für einen Rechtsanwalt einfacher sein, da auf keinen Fall mit einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache gerechnet werden braucht. Dies muss allerdings nicht immer so sein, z.B. wenn der Erörterungstermin zur Strukturierung und Ermittlung des Sachverhalts durchgeführt wird, wofür dann aber wieder die Sitzungsniederschrift ausreichend Hinweise geben dürfte. Schließlich kann die Art des Streitgegenstandes Hinweise auf die über- bzw. unterdurchschnittliche Schwierigkeit und Bedeutung der Angelegenheit geben. So dürfte oft die Behandlung einer Untätigkeitsklage im Rahmen eines Erörterungstermins für den Rechtsanwalt unterdurchschnittlich schwierig sein. Denn dann werden sich die Beteiligten entweder um eine unstreitige Erledigung der Verfahrens bemühen oder aber der Streitstoff kann in der Verhandlung auf die Fragestellung, ob zureichende Gründe für den Fristablauf bestehen bzw. mit welcher zeitlichen Perspektive für eine Entscheidung gerechnet werden kann, reduziert sein.

Vorliegend ist nach Auffassung der Kammer eine Terminsgebühr in Höhe einer halben Mittelgebühr von 100,00 EUR angemessen. Der Umfang des Termins war mit 15 Minuten zeitlich unterdurchschnittlich. Aus der Sitzungsniederschrift vom 25. September 2006 ergibt sich, dass zur Sache verhandelt und die Möglichkeiten einer unstreitigen Erledigung besprochen wurden. Von einer besonderen Schwierigkeit in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit kann insoweit jedoch nicht gesprochen werden. Die Bedeutung für den Kläger war ebenfalls unterdurchschnittlich, denn es handelte sich lediglich um eine Untätigkeitsklage, die im Rahmen eines Erörterungstermins verhandelt wurde. Bei unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers bei nicht erkennbarem besonderem Haftungsrisiko des Prozessbevollmächtigten des Klägers erscheint die Festsetzung einer halben Mittelgebühr im Ergebnis angemessen.

Entsprechend war auch noch die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG anzupassen, so dass sich die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Klägers wie folgt berechnen:

Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG 150,00 EUR
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG 100,00 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Tage- und Abwesenheitsgeld gem. Nr. 7005 VV RVG 20,00 EUR
Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 55,10 EUR
Gesamtbetrag 345,10 EUR
Erstattungsbetrag zur Hälfte 172,55 EUR.

Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft (§ 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz).
Rechtskraft
Aus
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