L 8 SB 5408/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 2337/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5408/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die fehlende geistige Fähigkeit, den Inhalt öffentlicher Veranstaltungen zu erfassen, begründet keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich RF. Ist der Behinderte trotz seiner geistigen Behinderung noch in der Lage, die äußeren Umstände einer Veranstaltung als solche wahrzunehmen und zu erkennen, ist eine Unterschreitung des Mindestmaßes geistiger Aufnahme und damit eine Unfähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht festzustellen (im Anschluss an BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9 a/9 RVs 15/89 -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 2).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. September 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches RF hat.

Der am 1961 geborene Kläger leidet hauptsächlich an einem frühkindlichen Hirnschaden.

Mit Bescheid vom 10.08.1983 stellte das Versorgungsamt U. beim Kläger unter Berücksichtigung einer (offenen, ansteckenden) Lungentuberkulose eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v. H. sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht und die Gebührenermäßigung beim Fernsprechanschluss fest. Mit Neufeststellungsbescheid vom 06.05.1986 setzte das nunmehr zuständige Versorgungsamt H. (VA) die MdE ab 09.05.1986 auf 50 herab und entzog ab diesem Zeitpunkt u. a. auch das Merkzeichen RF. Die Tuberkulose sei vernarbt und die Restfolgen dieser Erkrankung sowie seine geistige Behinderung, die versorgungsärztlicherseits jeweils mit einer MdE von 30 v. H. bewertet wurden, bedingten nur noch eine MdE von insgesamt 50 v. H. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers erließ das VA am 16.03.1995 einen Neufeststellungsbescheid, mit dem unter Berücksichtigung einer mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 bewerteten geistigen Behinderung, der unverändert bewerteten Folgen der Tuberkulose und eines Zustandes nach Herzoperation (GdB 20) ab 20.04.1994 ein GdB von 100 sowie die Nachteilsausgleiche G und B festgestellt wurden. Auf den im März 2003 vom Kläger gestellten Antrag lehnte das VA die Feststellung der Nachteilsausgleiche Gl, H, aG, Bl und RF ab und entschied, dass die Nachteilsausgleiche G und B festgestellt bleiben (Bescheid vom 08.07.2003).

Am 07.06.2006 beantragte der Vater des Klägers beim Landratsamt H. (LRA) die Feststellung der Nachteilsausgleiche H und RF. Er gab hierzu an, sein Sohn erhalte seit Februar 2006 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Schon zuvor hatte er den Bescheid des LRA vom 31.01.2005 über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung vorgelegt, mit dem seinem Sohn Grundsicherungsleistungen ab Januar 2005 bewilligt worden waren. Das LRA holte von Dr. S. den Befundbericht vom 15.11.2006 ein. Dr. L. vom Ärztlichen Dienst des LRA äußerte sich hierzu dahingehend, dass dadurch die Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche RF und H nicht belegt seien. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei dem Kläger in nennenswertem Umfang zumutbar. Daraufhin lehnte das LRA den Antrag auf Feststellung der Nachteilsausgleiche H und RF mit Bescheid vom 29.01.2007 ab.

Dagegen legte der Vater des Klägers am 15.02.2007 Widerspruch ein und machte geltend, es sei nicht berücksichtigt worden, dass sein Sohn auf Grund seiner Behinderungen an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könne. In der hierzu eingeholten gutachterlichen Stellungnahme von Dr. M.-A. wurde die Auffassung vertreten, die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen rechtfertigten den Nachteilsausgleich RF nicht. Der Kläger sei nicht an die Wohnung gebunden und könne in Begleitung an allen öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2007 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 21.06.2007 erhob der Vater des Klägers Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG), mit der er sich gegen die Versagung des Nachteilsausgleiches RF wandte. Der Beklagte habe den frühkindlichen Hirnschadens seines Sohnes in keiner Weise berücksichtigt. Auf Grund dieser schwerwiegenden Behinderung sei er nicht in der Lage, den Inhalt einer Veranstaltung (Theater, Konzert, usw.) geistig aufzunehmen und zu verarbeiten. Er könne zwar solche Veranstaltungen in Begleitung besuchen, aber für den Inhalt "mache der Verstand nicht mit".

Das SG holte von der Neurologin und Psychiaterin Dr. M.-W. ein nervenfachärztliches Gutachten ein. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers gelangte die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger würden seit Jahren immer wieder synkopale, nicht geklärte Attacken und zudem gelegentlich cerebrale Krampfanfälle mit fokalen Anfällen auftreten. Ganz im Vordergrund stehe auch eine mentale Einschränkung, die wohl Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung sei. Es bestünden sowohl in zeitlicher als auch in örtlicher Hinsicht Orientierungsstörungen. Ferner liege eine eingeschränkte Merkfähigkeit vor. Der Kläger wirke sehr selbstunsicher und durch seine Einschränkung sehr beeinträchtigt. Er könne an öffentlichen Veranstaltungen allein in keinem Fall teilnehmen. Er finde den Weg dorthin nicht und auch nicht zurück. Seinem Vater sei es auch nicht zumutbar, ihn zu jeder Veranstaltung zu begleiten.

Mit Urteil vom 24.09.2008 wies das SG die Klage ab. Der Kläger könne an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Dies folge aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. M.-W ... Die Sachverständige habe lediglich betont, dass der Kläger wegen seiner Orientierungslosigkeit nicht allein an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Da jedoch die Nachteilsausgleiche G und B zuerkannt seien, könne er mit einer Begleitperson und unter Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durchaus zu öffentlichen Veranstaltungen, insbesondere solche, die auf die Bedürfnisse von Behinderten und insbesondere geistig Behinderten zugeschnitten seien, gelangen.

Gegen das ihm am 23.10.2008 zugestellte Urteil hat der Vater des Klägers am 21.11.2008 Berufung eingelegt, mit der er an seinem Ziel festhält. Er sieht in den ablehnenden Entscheidungen eine diskriminierende und entwürdigende Behandlung von Behinderten. Sie hätten 3 behinderte Kinder zu versorgen und deshalb weder Zeit noch Geld, um Veranstaltungen zu besuchen. Sein Sohn leide an massiven Gleichgewichtsstörungen und an Orientierungslosigkeit. Hinzu kämen die immer heftiger auftretenden geistigen Verwirrungen. Deshalb sei er seit 22.12.2008 arbeitsunfähig und werde ärztlich behandelt. Inzwischen habe sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. Am 17.02.2009 habe er in eine psychiatrische Klinik und anschließend in eine neurologische Klinik eingewiesen werden müssen. Insbesondere die Orientierungslosigkeit und geistige Verwirrung hätten zugenommen. Er sei auch nicht in der Lage, seine (bisherige) Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte (WfB) auszuüben. Im Übrigen habe sein Sohn seit 2 Jahren kein eigenes Rundfunkgerät mehr. Hierzu legt er die Abmeldebestätigung der Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland (GEZ) vom 10.12.2009 vor (Ende der Gebührenpflicht mit Ablauf des Monats September 2009).

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. September 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ab 01. März 2006 den Nachteilsausgleich RF festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF seien nicht erfüllt. Der Beklagte legt den vom Kläger am 07.06.2010 beim LRA gestellten Antrag auf Feststellung des Nachteilsausgleiches RF einschließlich Bericht über seine stationäre Behandlung im Kreiskrankenhaus T. vom 27.07. bis 27.08.2010 vor. Als Diagnosen sind in diesem Bericht eine depressive Episode und eine organische Persönlichkeits- und Verhaltensstörung nach perinatalem hypoxyschem Hirnschaden genannt.

Der Senat hat die GEZ um Auskunft gebeten. Diese hat am 08.03.2010 mitgeteilt, der Kläger sei bis einschließlich Februar 2006 von der Gebührenpflicht befreit gewesen. Befreiungsanträge für die nachfolgende Zeit hätten bislang keinen Erfolg gehabt, da die Befreiungsvoraussetzungen nicht nachgewiesen worden seien. Das Verwaltungsgericht Stuttgart (VG) hat dem Senat das am 10.06.2011 ergangene Urteil in der Sache 3 K 515/11 übersandt, mit dem die auf die Befreiung von den Rundfunkgebühren gerichtete Klage des Klägers gegen den Südwestrundfunk (SWR) für die Zeit vom 01.03.2006 bis einschließlich 30.09.2009 wegen Versäumung der Klagefrist und im Übrigen auch mangels vorliegender Befreiungstatbestände abgewiesen worden ist. Eine weitere Anfrage des Senats bei der GEZ ist vom SWR als zuständige Landesrundfunkanstalt am 20.06.2011 im Wesentlichen mit dem Hinweis auf dieses - noch nicht rechtskräftige - Urteil des VG beantwortet worden.

Die Beteiligten sind mit Schreiben des Senats vom 11.07.2011 darauf hingewiesen worden, dass der Senat nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen könne, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte und diese Möglichkeit nach dem Inhalt der vorliegenden Akten in Betracht komme. Ferner ist (nochmals) der Hinweis erfolgt, dass für die Zeit ab September 2009 mangels Gebührenpflicht kein Rechtsschutzinteresse mehr für die Berufung bestehe. Der Vater des Klägers hat hierzu erklärt, dass sein Sohn wegen seines schlechten Gesundheitszustandes in einer Langzeiteinrichtung für psychisch Kranke untergebracht sei. Es könne nicht nachvollzogen werden, dass ein derart Erkrankter nicht von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat kann über die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG). Der Vater des Klägers hat sich hierauf zur Sache geäußert. Gesichtspunkte, die dafür sprechen, dass eine mündliche Verhandlung erforderlich ist, sind von ihm nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Das SG hat die Klage - soweit vom Senat darüber noch in der Sache zu befinden ist - zu Recht abgewiesen. Der Beklagte hat insoweit die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF zutreffend verneint. Der Kläger hat für den nach sinnentsprechender Auslegung des Klagebegehrens noch streitigen Zeitraum ab 01.03.2006 (zuvor bestand bis Februar 2006 Gebührenbefreiung) keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich RF.

In der Sache zu entscheiden ist nur noch darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.09.2009 der Nachteilsausgleich RF zusteht. Für die Zeit nach dem 30.09.2009 bestand schon aus anderen Gründen (Abmeldung des Rundfunkgerätes) keine Rundfunkgebührenpflicht, so dass insoweit kein Rechtsschutzinteresse für die Berufung mehr besteht. Die Berufung ist daher insoweit mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig.

Soweit die Berufung den noch streitigen Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.09.2009 betrifft, ist sie unbegründet.

Die Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF waren bis 31.03.2005 in § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung der Landesregierung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 21.07.1992 des Landes Baden-Württemberg (GBl 1992, 578) geregelt. An deren Stelle trat zwar mit Wirkung ab 01.04.2005 Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 8 des 8. Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 08. bis 15.10.2004 idF des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl 2005, 189). Diese Normen regeln jedoch inhaltsgleich die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Sie sind grundsätzlich für die inhaltliche Beurteilung, ob dem Kläger der Nachteilsausgleich RF zusteht, zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2007, B 9/9a SB 3/06 R, Juris). Danach werden auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreit:

- Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung - Hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist - behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

In Betracht zu ziehen ist im vorliegenden Fall nur der letztgenannte (gesundheitliche) Befreiungstatbestand. Der Kläger erfüllt zwar die dort genannte Voraussetzung eines GdB von wenigstens 80, nachdem der GdB bei ihm bereits seit 20.04.1994 100 beträgt. Zusätzlich ist jedoch erforderlich, dass der Kläger in der streitigen Zeit wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen konnte. Dies ist zu verneinen. Die Auswirkungen der beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen, in deren Vordergrund die Folgen und Auswirkungen einer frühkindlichen Hirnschädigung stehen, waren jedenfalls bis September 2009 nicht derart, dass er damit (allgemein) von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen war. Dass er Veranstaltungen (wie z. B. Kino - und Theatervorführungen sowie Vortragsveranstaltungen) wegen seiner geistigen Behinderung inhaltlich nicht zu folgen vermag, wie sein Vater geltend macht, bedeutet nicht, dass er an solchen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Auch dem Besuch solcher Veranstaltungen (einschließlich des Hin- und Rückweges) stehen mit Hilfe einer Begleitperson - der entsprechende Nachteilsausgleich B ist beim Kläger seit vielen Jahren festgestellt - gesundheitliche Gründe nicht entgegen. Die fehlende geistige Fähigkeit, den Inhalt solcher öffentlichen Veranstaltungen zu erfassen, begründet keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich RF. Grundsätzlich lässt sich nicht allgemein feststellen, wo das Mindestmaß der geistigen Anteilnahme liegt, unterhalb dessen von einer "Teilnahme" nicht mehr gesprochen werden kann. (BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9 a/9 RVs 15/89 -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 2).

In dieser Entscheidung hat das BSG betont, dass es nach der Systematik der (früheren) Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht keinem Zweifel unterliegen könne, dass in der betreffenden Regelung nur solche Behinderte mit einem GdB von wenigstens 80 gemeint seien, die allein physisch nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, sei es wegen körperlicher Behinderung, sei es wegen Unzumutbarkeit für ihre Umgebung. Solche Gründe seien leicht erkennbar und in ihrer Auswirkung sicher zu beurteilen. Für geistige und seelische Beeinträchtigungen gelte das nicht. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung des BSG.

Vorliegend ist der Kläger in der Lage, körperlich - ggf. mit Hilfe Dritter - an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen; Unzumutbarkeiten für andere sind nicht ersichtlich. Darüber hinaus gibt es auch öffentliche Veranstaltungen, die im Wesentlichen keine geistige inhaltliche Aufnahmefähigkeit der Darbietungen erfordern. Hierzu gehören beispielsweise der Besuch von Messen, Jahrmärkten, Volksfesten und Freizeitparks. Schon die aus gesundheitlichen Gründen bestehende Möglichkeit, an öffentlichen Veranstaltungen dieser Art (mit einer Begleitperson) teilzunehmen, lässt den Anspruch auf den Nachteilsausgleich RF entfallen. Dass der Kläger aufgrund seiner geistigen Behinderung selbst die äußeren Umstände einer Veranstaltung nicht als solche wahrzunehmen in der Lage ist, ist den medizinischen Unterlagen und dem Klagevorbringen nicht zu entnehmen, weshalb eine Unterschreitung des Mindestmaßes geistiger Aufnahme und damit eine Unfähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vorliegend nicht festzustellen ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob es - wie im angefochtenen Urteil des SG zumindest angedeutet - für die Verneinung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF genügt, wenn der behinderte Mensch jedenfalls an speziell für Behinderte veranstalteten öffentlichen Zusammenkünften, aber nicht an allgemeinen öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann.

Soweit die vom SG gehörte Sachverständige Dr. M.-W. in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 11.03.2008 den Nachteilsausgleich RF in ihrer abschließenden Beurteilung befürwortet hat, kann ihr nicht gefolgt werden. Ihre Begründung, der Kläger könne an öffentlichen Veranstaltungen in keinem Fall allein teilnehmen und seinem Vater sei es auch nicht zumutbar, ihn zu jeder Veranstaltung zu begleiten, vermag die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF nicht zu begründen, da die Möglichkeit, mit Hilfe einer Begleitperson Veranstaltungen zu besuchen (wie z. B. Rollstuhlfahrer) dem geltend gemachten Anspruch entgegensteht. Ob eine Begleitperson immer zur Verfügung steht, ist nicht entscheidend, da es allein auf den auf Dauer bestehenden Gesundheitszustand des behinderten Menschen ankommt. Die von der Sachverständigen erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen belegen zwar schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers durch die erlittene frühkindliche Hirnschädigung in Form von synkopalen Attacken, cerebralen Krampfanfällen und zeitlichen sowie örtlichen Orientierungsstörungen, bestätigen ein gesundheitlich bedingtes ständiges Unvermögen der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen (mit Hilfe einer Begleitperson) jedoch nicht.

Diese Beurteilung wird durch die vom Kläger im streitigen Zeitraum außer Haus ausgeübte Tätigkeit zusätzlich bestätigt. Der Kläger arbeitete bis einschließlich April 2010 in der WfB in K ... Den Weg zur Werkstatt und wieder nach Hause legte er allein zurück, wie er gegenüber der Sachverständigen Dr. M.-W. am 11.03.2008 glaubhaft angegeben hat. Dass sich hieran nach dem 11.03.2008 bis September 2009 etwas geändert hat, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Für den Senat steht somit fest, dass er jedenfalls in der streitigen Zeit - wie für den Nachteilsausgleich RF erforderlich - nicht praktisch an das Haus gebunden war. Im Februar 2009 musste der Kläger zwar wegen Verhaltensauffälligkeiten und Aggressivität im Kreiskrankenhaus T. stationär behandelt werden. Er konnte aber in gut stabilisiertem Zustand entlassen werden und hat in der Folgezeit weiter in der WfB in K. gearbeitet. Erst ab April 2010 hat der Kläger nach den Angaben seines Vaters laut aktenkundigem Klinikbericht vom 14.10.2010 nicht mehr in der WfB gearbeitet. Er sitze abwesend auf dem Stuhl, zeige kein Interesse und weise eine depressive Symptomatik auf. Diese Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers, die zu seiner stationären Behandlung im Kreiskrankenhaus T. vom 27.07. bis 27.08.2010 und schließlich - so der Vater des Klägers in seinem Schreiben vom 30.07.2011 - zu seiner Unterbringung in einer Langzeiteinrichtung für psychisch Kranke geführt hat, ist mithin erst nach dem streitigen Zeitraum eingetreten, so dass sie - unabhängig von der Frage, ob die Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF damit erfüllt wären - für den streitigen Anspruch nicht erheblich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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