L 3 U 597/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 576/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 597/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Berlin vom 02. September 2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung einer Verletztenrente wegen den Folgen eines Unfalls aus dem Jahr 2004.

Die 1949 geborene und zum Unfallzeitpunkt als Küchenhilfe in der Zentralküche am V-Klinikum tätige Klägerin erlitt am 25. Februar 2004 einen Arbeitsunfall, als sie nach Verlassen des Umkleideraumes auf der Treppe zum Ausgang stürzte und sich dabei eine doppelte Fraktur des rechten Unterschenkels zuzog (s. Durchgangsarztbericht vom 26. Februar 2004). Die Verletzung wurde in der C, Campus V-Klinikum, operativ und osteosynthetisch versorgt (s. Bericht von Prof. Dr. H, Dr. Bund Dr. S vom 22. März 2004).

Ausweislich der Zwischenberichte des behandelnden Facharztes für Chirurgie Dipl.-Ing. D vom 07. April und vom 11. Juni 2004 zeigten die Röntgenkontrollen eine regelrechte Lage des Osteosynthesematerials und eine Knochenheilung, sodass das rechte Bein zunehmend belastet werden könne und das Tragen der Gipsmanschette nicht mehr erforderlich sei; die Klägerin sei an zwei Unterarmgehstützen mobilisiert. Der nachfolgend behandelnde Chirurg Dr. S teilte mit, dass die Wunde reizlos verheilt, die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks ungestört und des rechten oberen Sprunggelenks nur noch endgradig schmerzhaft eingeschränkt sei (0/5/35). Durchblutung und Sensibilität des Beines seien ungestört. Die Röntgenkontrollen vom 22. Juli und 17. September 2004 ließen eine reizlose Implantatlage und eine weitgehende Durchbau-ung der Fraktur erkennen, die Stellung sei achsengerecht, es bestehe kein
Implantatbruch und keine Lockerung. Wegen der noch deutlichen Schwellneigung des rechten Unterschenkels und Fußes sei die Klägerin angehalten, einen Kompressionsstrumpf zu tragen (s. Berichte vom 22. Juli, 20. August, 02. und 17. September, 29. Oktober und 25. November 2004). Die ab dem 15. November 2004 bei ihrem Arbeitgeber begonnene Belastungserpro-bung brach die Klägerin nach kurzem ab.

Der von der Beklagten beauftragte Facharzt für Chirurgie Dr. H teilte am 01. Dezember 2004 nach körperlicher und röntgenologischer Untersuchung der in Konfektionsturnschuhen erschienenen Klägerin, die massive Beschwerden im rechten Fuß angab, mit, dass die Röntgendiagnostik eine Kalksalzminderung im mittleren und distalen Unterschenkel und an der Fußwurzel zeige, im Übrigen die ehemalige Fraktur in anatomischer Stellung mit reizlos einliegenden Implantaten ohne Zeichen der Lockerung knöchern konsolidiert sei. Das rechte obere Sprunggelenk weise mit 15/0/40 eine gute Beweglichkeit auf, ebenso sei das rechte untere Sprunggelenk mit 4/5 gut beweglich. Die Beweglichkeit der Zehengelenke sei nur endgradig eingeschränkt. Die erhebliche Belastungseinschränkung (Barfußgehen ohne Gehstützen nur zögerlich, Zehen-, Fersen- und Einbeinstand nur ansatzweise, Hocke schmerzbedingt nicht er-reichbar) sei bedingt durch eine Dystrophie. Ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaße vorübergehend verbleibe, sei noch nicht abschätzbar.

Trotz umfangreicher Physiotherapiemaßnahmen klagte die Klägerin unverändert über Beschwerden. Nach den Zwischenberichten des Dr. S vom 27. Dezember 2004 und 07. Februar 2005 zeigte sich röntgenologisch im Frakturbereich nur noch eine gering-fügige Minderung des Kalksalzgehaltes, sonst von Struktur und Mineralisation seitengleiche Verhältnisse. Bei der Farbduplex-Sono-Kontrolle vom 21. Dezember 2004 fanden sich ein frei durchgängiges venöses Gefäßsystem und kein Anhalt für eine Leitveneninsuffizienz, eine Stammvarikosis oder für postthrombotische Veränderungen. Die Untersuchung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 10. Januar 2005 erbrachte bis auf die bekannte Hyperpathie und Hypalgesie im Versorgungsbereich des Nervus peronaeus superficialis rechts keinen Hinweis für eine Nervenschädigung.

In einer weiteren Stellungnahme vom 09. Februar 2005 führte der Facharzt für Chirurgie Dr. H aus, die Klägerin gehe auch nach Abschluss der umfangreichen Therapiemaßnahmen mit einer Gehstütze, die sie teilweise auf der falschen Seite trage, und demonstriere ein betont hinkendes Gangbild. Vom Lokalbefund sei das Bein äußerlich reizlos, die Sprunggelenksbeweglichkeit nahezu frei, eine wesentliche Schwellneigung bestehe nicht. Mitgebrachte Röntgenbilder zeigten eine knöchern konsolidierte Fraktur in achsengerechten Stellung. Auf Grund des katastrophalen Gangbildes und der wohl mangelnden Compliance solle eine Rehabilitations(Reha)-Maßnahme unter stationärer Kontrolle durchgeführt werden.

Vom 23. Februar bis zum 30. März 2005 befand sich die Klägerin – mit einer Unterbrechung wegen einer Behandlung des dekompensierten Diabetes mellitus und der Hypertonie in der C - zur berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW) in der Reha-Klinik M. Ausweislich des Entlassungsberichts sei das Gehen ohne Unterarmstützen besser möglich (ca. 100 Meter, auf dem Laufband bei drei km/h Gehgeschwindigkeit und leichter Abstützung sechs bis zehn Minuten), es bestünden jedoch weiterhin Belastungsbeschwerden, insbesondere beim Treppengehen. Der Bewegungsumfang im oberen Sprunggelenk sei leicht eingeschränkt (10/0/45 gegenüber links 10/0/60), der im unteren Sprunggelenk um etwa ¾ gegenüber links vermindert, die Zehenhebung sei ebenfalls leicht eingeschränkt mit Schmerzen im Vorfußbereich. Eine deutlich Schwellung oder Ödembildung bestehe nicht, jedoch eine deutliche Wadenmuskelhypotrophie mit Umfangsminderung um drei Zentimeter. Die Oberschenkelmuskulatur zeige kaum Defizite, der Muskeltonus sei relativ gut.

Der Facharzt für Chirurgie Dr. G erstattete am 15. Juni 2005 ein erstes Rentengutachten, in welchem er nach Untersuchung der Klägerin als Unfallfolgen ein kleinschrittiges Gangbild mit rechtshinkender Komponente, eine Bewegungseinschränkung des rechten oberes Sprunggelenks, Kribbelparästhesien als Folge des Compartiment-syndroms am rechten Unterschenkel und Fuß sowie radiologische Veränderungen feststellte und die daraus folgende MdE ab dem 04. Juli 2005 mit 20 v. H. einschätzte. Die Röntgendiagnostik habe eine vollständig knöchern konsolidierte distale Fibula- und Tibiafraktur, eine reizlose Materiallage ohne Zeichen der Lockerung oder des Ma-terialbruches und eine erstgradige Arthrose des oberen Sprunggelenks bei regelrechter Gelenkstellung gezeigt. Die Klägerin, die Konfektionsschuhwerk getragen und keine orthopädischen Hilfsmittel benutzt habe, habe Schmerzen im rechten Unterschenkel und Sprunggelenk, vor allem unter Belastung, und Kribbelgefühl mit Missempfindungen im rechten Sprunggelenk und Fuß angegeben. Der Barfußgang habe ein kleinschrittiges und rechtshinkendes Gangbild gezeigt, der Einbein-, Zehen- und Hackenstand sowie –gang sei rechts nur andeutungsweise, das Einnehmen der Hocke bis zu einem Gesäß-Boden-Abstand von 45 Zentimetern gelungen. Der Muskel- und Weichteilmantel im Bereich des rechten Ober- und Unterschenkels sei im Vergleich zur Gegenseite vermindert, die Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenks sei im Vergleich zur Gegenseite um 20° für das Fußheben und um 10° für das Fußsenken eingeschränkt, die unteren Sprunggelenke und die Zehengelenke seien beidseits frei beweglich gewesen.

Die am 06. Juni 2005 erneut aufgenommene Arbeitserprobung brach die Klägerin am 21. Juni 2005 ab (s. Zwischenbericht des Dr. H vom 22. Juni 2005). Eine am 07. Juli 2005 durchgeführte Magnetresonanztomografie (MRT) der Lendenwirbelsäule (LWS) ergab eine Protrusion von Bandscheibengewebe im Segment L5/S1.

Mit Bescheid vom 06. September 2005 gewährte die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls ab dem 08. Juli 2005 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. als vorläufige Entschädigung. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie an: "Nach distaler Unterschenkelfraktur rechts, die mittels Plattenosteosynthese und Anlage eines Fixateur extern operativ versorgt wurde, verbleiben geringgradige Be-wegungseinschränkungen des rechten oberen Sprunggelenks und ein damit verbundenes kleinschrittiges Gandbild mit rechtshinkender Komponente sowie noch nicht entferntes Material". Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden nicht anerkannt: "Schädigungen der LWS einschließlich der erheblichen Spondylarthrose und des Bandschei-benvorfalls".

Im Juni 2006 stellte die Klägerin durch ihre Tochter wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und einer zwischenzeitlich mit negativem Ergebnis erfolgten Begutachtung durch die Agentur für Arbeit einen Verschlimmerungsantrag (s. Akten-vermerk der Beklagten vom 26. Juni 2006).

In einem zweiten Rentengutachten vom 02. November 2006 vertraten Dr. G und der Assistenzarzt K nach Untersuchung der Klägerin am 22. September 2006 die Auffassung, dass bei unverändert fortbestehenden Unfallfolgen entsprechend dem ersten Rentengutachten vom 15. Juni 2005 die MdE auf Dauer mit 20 v. H. einzuschätzen sei. Die Röntgendiagnostik habe ein vollständig knöchern konsolidierte Fibula- und Tibiafraktur, eine reizlose Materiallage ohne Zeichen der Lockerung oder des Material-bruchs und eine regelrechte Gelenkstellung und im Vergleich zur Voruntersuchung eine diskrete Zunahme der Arthrose gezeigt. Die Klägerin klage weiterhin über Belas-tungsschmerzen und Schwellneigung, gehe in kleinen Schritten, aber ohne hinkende Komponente und ohne Benutzung von orthopädischen Hilfsmitteln, und trage Konfektionsschuhwerk. Die Untersuchung der Beine habe eine seitengleiche Bemuskelung, eine freie Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke und eine diskret eingeschränkte Beweglichkeit im rechten oberen Sprunggelenk (rechts 10/0/40, links 20/0/50) bei frei-er Beweglichkeit des unteren Sprunggelenks und der Zehen gezeigt. Der Einbein-, Zehen- und Hackenstand sei rechtsseitig nur andeutungsweise, die tiefe Hocke bis zu einem Abstand von 30 Zentimetern eingenommen worden.

Die Beklagte holte hierzu eine Stellungnahme des beratenden Arztes W vom 24. November 2006 ein, der die Ansicht vertrat, dass der von Dr. G erhobene Befund eine MdE in Höhe von 20. v. H. nicht rechtfertige.

Mit Bescheid vom 02. Januar 2007 lehnte die Beklagte - nach Anhörung der Klägerin (Schreiben vom 11. Dezember 2006) - eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab und entzog die Rente als vorläufige Entschädigung mit Wirkung ab dem 01. Februar 2007. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden eine geringe Bewegungseinschränkung und Sensibilitätsstörung im oberen Sprunggelenk rechts, eine leichte Gangbehinde-rung und röntgenologisch nachweisbare Veränderungen im Bereich des oberen Sprunggelenks rechts nach verheiltem Bruch des rechten Unterschenkels mit noch liegendem Fremdmaterial anerkannt. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt wurden die Schädigung der LWS einschließlich der erheblichen Spondylarthrose und der Bandscheibenvorfall.

Den nicht begründeten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2007 zurück.

Mit ihrer hiergegen bei dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiterverfolgt und sich zur Begründung auf das von Dr. G am 02. November 2006 erstattete zweite Rentengutachten berufen. Bei ihr liege ein Dauerschmerz vor, der sie zu einer ständigen Schmerzmedikation zwinge. Nicht
berücksichtigt worden sei auch die im Bereich des oberen Sprunggelenks bestehende geringere Nervenleitfähigkeit, die als Unfallfolge durch die knöchernen Veränderungen und die Vernarbungen entstanden sei. Die Beweglichkeitsmessungen im oberen und unteren Sprunggelenk sowie den Zehengelenken seien unter starken Schmerzen und unter Überwindung von Widerstand seitens Dritter vorgenommen geworden.

Im Auftrag des SG hat der Facharzt für Orthopädie Dr. W am 01. Mai 2008 nach Untersuchung und Befragung der Klägerin am 29. April 2008 ein Gutachten erstattet, in welchem er als unfallbedingte Gesundheitsstörungen einen Z. n. Unterschenkelfraktur rechts mit Compartiment-Spaltung, komplett knöchern konsolidiert, eine geringgradige Belastungsminderung des rechten Beines, eine diskrete Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks und Gefühlsstörungen als Folge einer Läsion des Nervus peronaeus superficialis rechts festgestellt hat. Eine MdE von 20. v. H. habe für den Zeitraum vom 04. Juli 2005 bis zum 31. Januar 2007 bestanden. Spätestens ab dem 02. Januar 2007 sei eine Verbesserungstendenz nachweisbar gewesen, so dass danach und auf Dauer bei nur noch geringgradigen funktionellen Defiziten und unter Einbeziehung der neurologischen Veränderungen am rechten Unterschenkel nur noch eine MdE von 10. v. H. gerechtfertigt sei. Bei der Untersuchung am 02. November 2006 durch Dr. G hätten sich trotz gleichbleibender Beschwerdeschilderung wesentlich gebesserte Befunde gezeigt. Die Untersuchung habe erneut eine freie Beweglichkeiten der Hüft- und Kniegelenke ergeben, so dass diese nicht sekundär in den Krankheitsprozess mit einzubeziehen gewesen seien. Das Bewegungsdefizit des rechten oberen Sprunggelenks sei als diskret endgradig eingeschränkt eingestuft worden, die unteren Sprunggelenke beidseits seien frei beweglich gewesen, ebenso die Zehen, was eine Verbesserung im Vergleich zur Erstuntersuchung bedeutet habe. Die Umfangsmessung beider Beine habe im Wesentlichen seitengleiche Ergebnisse gezeigt, was ein eindeutiger Beleg dafür sei, dass die vorgetra-gene Belastungsinsuffizienz des rechten Beines in der bis zum zweiten Rentengutachten abgelaufenen Zeit nicht vorgelegen habe könne. Seine eigene Untersuchung der Sprung- und Fußgelenke habe bei der Beweglichkeit keine Einschränkungen ergeben, das Fußheben/-senken sei im oberen Sprunggelenk auf beiden Seiten passiv mit 20/0/50 möglich gewesen, aktiv sei der rechte Fuß zöger-lich angehoben und gesenkt worden bei einem Defizit in der Fußhebung von 10° bei seitengleicher Streckung. Im unteren Sprunggelenk sei aktiv wie passiv eine seitengleiche Fußaußenrandhebung/-senkung messbar und die Zehenbeweglichkeit sei auf beiden Seiten unbeeinträchtigt gewesen. Im Bereich des Knöchels und des rechten Unterschenkels hätten sich keine Stauung, Abflussstörung oder Schwellneigungen gefunden (Untersuchung um 14:00 Uhr). Die eingereichten Röntgenaufnahmen vom 27. November 2007 zeigten eine komplet-te, knöcherne Konsolidierung der Unterschenkelfraktur, eine unauffällige Materiallage, eine regelrechte Gelenkstellung und keinen nennenswerten arthrotischen Prozess, so dass auch aus radiologischen Gesichtspunkten keine höhere MdE-Bemessung begründet werden könne. Die neurologische Untersuchung vom 10. Januar 2005 durch Dr. S habe bei der Überprüfung der Nervenleitgeschwindigkeit keinen pathologischen Befund ergeben. Die nunmehr in der C, Campus V-Klinikum, nachgewiesene Läsion des Nervus peronaeus superficialis auf der rechten Seite zeige eine Veränderung eines sensiblen Nervenastes, welche am ehesten den Gefühlsstörungen der rechten Unterschenkelaußenseite und des Fußrückens entsprechen würde. Veränderungen im Bereich des Nervus peronaeus superficialis könnten bei einem kompletten Ausfall eine MdE von 15 v. H. nach sich ziehen, was hier jedoch nicht der Fall sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 02. September 2008 hat das SG die Klage unter Bezugnahme auf die Feststellungen im Sachverständigengutachten von Dr. W vom 01. Mai 2008 abgewiesen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung verweist sie vor allem auf den Widerspruch zwischen dem Gerichtsgutachten von Dr. W und dem zweiten Rentengutachten von Dr. G. Bemängelt werde, dass der vom SG bestellte Sachverständige zwar eine Läsion des Nervus peronaeus superficialis rechts festgestellt, jedoch keine neurologische Untersuchung veranlasst habe. Ebenso wenig habe er sich mit ihrer ständigen Dauerschmerzbelastung und der erforderlichen Dauermedikation auseinandergesetzt, die ihre Konzentrations- und
Erwerbsfähigkeit stark beeinträchtige. Schließlich habe Dr. W weder Belastungsproben noch eine korrekte Messung der Bewegungseinschränkungen vorgenommen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02. September 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Unfalls vom 25. Februar 2004 ab dem 01. Februar 2007 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von we-nigstens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Sie hält die vom SG getroffene Entscheidung für rechtmäßig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten (drei Bände) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide, durch die die Beklagte die Feststellung des Rechts auf Verletztenrente als vorläufige Entschädigung im Bescheid vom 06. September 2005 zum Ablauf des 31. Januar 2007 aufgehoben und darüber hinaus festgestellt hat, dass ab dem 01. Februar 2007 ein Recht auf Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nicht bestehe, sind rechtmäßig.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die Bemessung der MdE hängt nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII vom Umfang der verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern der Funktionsverlust un-ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind.

Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII kann bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Nach Satz 1 wird die Rente jedoch spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall kraft Gesetzes nicht mehr als vorläufige Ent-schädigung, sondern als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet, sodass der Vorläufigkeitsvorbehalt in dem den Rentenanspruch feststellenden Verwaltungsakt entfällt.

Die Spezialvorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII, die die generelle Regelung des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängt, trägt dem Umstand Rechnung, dass sich in der ersten Zeit nach einem Versicherungsfall dessen gesundheitliche Folgen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten oft noch nicht stabilisiert haben und noch Veränderungen – sei es in positiver oder negativer Hinsicht – unterliegen. Sind die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gegeben, hat die Beklagte trotz des Wortes "kann" kein Ermessen, denn die Erkennt-nis, welche MdE voraussichtlich über den Ablauf des Dreijahreszeitraums fortbeste-hen wird, ist eine Tatsachenfeststellung. Das Gesetz trägt mit dem Wort "kann" nur dem Umstand Rechnung, dass die abschließende Feststellung der MdE zu einer anderen MdE als vorläufig festgesetzt, aber auch zu derselben führen kann. Es befugt und verpflichtet den Träger, die abschließende Tatsachenfeststellung ungeachtet der bisherigen MdE-Feststellungen und insbesondere ohne das Erfordernis einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu treffen (vgl. hierzu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. März 2010, B 2 U 2/09 R, in Juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin am 25. Februar 2004 einen Arbeitsunfall erlitten hat, der zu den mit Bescheid vom 06. September 2005 anerkannten Unfallfolgen und zu einem vorläufigen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB VII geführt hatte. Mit Bescheid vom 02. Januar 2007 hat die Beklagte innerhalb des Dreijahreszeitraums seit dem Versicherungsfall vom 25. Februar 2004 (§ 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII) nach zuvoriger Anhörung der Klägerin nach § 24 SGB X diese vorläufige Feststellung - auch wenn sie den Verwaltungsakt nicht konkret benannt hat - geändert und erstmals darüber entschieden, dass der Klägerin ein Rentenanspruch auf unbestimmte Zeit nicht zusteht, da die verbliebenen Unfallfolgen spätestens ab November 2006 (Untersuchung durch Dr. G/Assistanzarzt K) eine MdE von weniger als 20 v. H. bedingten.

Dieser Einschätzung ist zu folgen. Bei der Klägerin liegen in Abweichung vom Be-scheid vom 06. September 2005 nur noch die mit Bescheid vom 02. Januar 2007 anerkannten Unfallfolgen, nämlich eine geringe Bewegungseinschränkung und Sensibilitätsstörung im oberen Sprunggelenk rechts, eine leichte Gangbehinderung und
Veränderungen im Bereich des oberes Sprunggelenks rechts nach verheiltem Bruch des rechten Unterschenkels mit noch liegendem Fremdmaterial vor. Diese Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen keine MdE von 20 v. H. mehr.

Der Senat stützt sich in seiner Einschätzung vor allem auf das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 01. Mai 2008, der die Klägerin am 29. April 2008 gründlich untersucht und als noch vorliegende Gesundheitsstörungen einen Z. n. Unterschenkelfraktur rechts mit Compartiment-Spaltung, komplett knöchern konsolidiert, eine geringgradige Belastungsminderung des rechten Beines, eine diskrete Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks und Gefühlsstörungen als Folge einer Läsion des Nervus peronaeus superficialis rechts festgestellt hat. Diese Beeinträchtigungen würden aufgrund eingetretener Verbesserung und nur noch geringgradig bestehender funktionel-ler Defizite jedenfalls nach dem 31. Januar 2007 keine MdE von 20. v. H. mehr rechtfertigen.

Diesen nach umfassender Befunderhebung nachvollziehbar und schlüssig begründeten Feststellungen des Sachverständigen Dr. W ist zu folgen. So hat die körperliche Untersuchung der Klägerin am 29. April 2008 eine grundsätzlich freie Beweglichkeit der unteren Extremitäten und ihrer Gelenke gezeigt. Die Beweglichkeitsmessung (Fußheben/-senken und Fußrandhebung/-senkung) hat nur noch ein diskretes endgradiges Bewegungsdefizit des rechten oberen Sprunggelenks um 10° ohne Funktionseinschränkung ergeben (Werte passiv beidseits 20/0/50, aktiv rechts 10/0/50, links 20/0/50). Am unteren Sprunggelenk hat sich sowohl aktiv wie auch passiv eine seitengleiche Fußaußenrandhebung und -senkung gezeigt. Die Zehen sind beidseits frei beweglich gewesen. Dass die geklagte Belastungsinsuffizienz des rechten Beines in der bis zum zweiten Rentengutachten abgelaufenen Zeit nicht mehr vorgelegen habe kann, belegen auch die Ergebnisse der Umfangsmessungen der Beine, wonach sich nur noch in Höhe der Malleolengabel eine nennenswerte Differenz von 1,5 Zentimeter (rechts größer als links) feststellen ließ. Eine Schwellungsneigung oder Einlagerung im Bereich des rechten Knöchels hat sich bei der um 14 Uhr durchgeführten Untersuchung nicht gefunden. Das Gangbild hat leichtgradig schrittverkürzt aber ohne eindeutiges Entlastungshinken gewirkt. Die Klägerin ist in der Lage gewesen, den Zehenspitzen- und Fersenstand zu demonstrieren und zwischenzeitlich zum Ausziehen des Kleides auch die rechte Seite einbeinig zu belasten. Ein erheblicher posttraumatischer arthrotischer Prozess ist - in Übereinstimmung mit der Beurteilung des Dr. G - weder aus den Röntgenaufnahmen vom 22. Juli und 17. September 2004 noch aus den Aufnahmen vom 27. November 2007 ersichtlich. Das eingebrachte Osteosynthe-sematerial ist intakt, die Unterschenkelachse ist orthograd ausgerichtet und die Sprunggelenksgabel stellt sich zentral und ohne Verkippungstendenz dar. Eine höhere MdE als 10 v. H. rechtfertigt sich auch nicht aufgrund der von der Kläge-rin beklagten Hypästhesien bzw. Hyperalgesien. Dr. Wr hat in Übereinstimmung mit der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Anmerk. 5.6, Seite 230) dargelegt, dass
Veränderungen im Bereich des Nervus peronaeus superficialis erst bei einem kompletten Ausfall eine MdE von 15 v. H. nach sich ziehen können. Wie der Sachverständige un-ter Würdigung der in der Untersuchung am 27. November 2007 in der Ch, Campus V-Klinikum, nachgewiesenen Läsion des Nervus peronaeus superficialis auf der rechten Seite nachvollziehbar ausgeführt hat, liegt ein vollständiger Verlust dieses Nervs hier nicht vor. Zudem erweisen sich die funktionalen Auswirkungen der Nervenschädigung als gering, da die motorischen Anteile im Unterschenkelbereich nicht verändert sind und die Kraftentwicklung altersgemäß ist, was sich auch in der nahezu seitengleich ausgeprägten Muskulatur zeigt. Von daher bedurfte es auch keiner erneuten neurologischen Untersuchung der Klägerin.

Dass die verbliebenen Unfallfolgen jedenfalls ab dem 01. Februar 2007 entgegen der Einschätzung von Dr. G und dem Assistenzarzt K keine MdE von 20 v. H. mehr rechtfertigten, ergibt sich aus den im zweiten Rentengutachten vom 02. November 2006 mitgeteilten Befunden. Zwar weisen die Gutachter darin auf eine deutliche Verbesserung des Zustandes der Klägerin gegenüber der Untersuchung vom 15. Juni 2005 hin, jedoch ziehen sie hieraus keine Folgerungen hinsichtlich der verbliebenen MdE. So haben bei der Untersuchung am 22. September 2006 nur noch geringgradige
funktionelle Defizite bestanden, das Gangbild hat nur leichtgradig schrittverkürzt, aber ohne Entlastungshinken, gewirkt. Die Bewegungsabläufe wie das Be- und Entkleiden sind der Klägerin zügig und insgesamt flüssig und ohne fremde Hilfe gelungen. Der Zehenspitzen- und Fersenstand sowie -gang sind rechtsseitig, wenn auch nur eingeschränkt, möglich gewesen. Das Einnehmen der tiefen Hocke ist immerhin bis zu einem Gesäß-Boden-Abstand von ca. 30 Zentimetern gelungen. Ein auffälliges Beschwielungsmuster hat sich an beiden Fußsohlen nicht gefunden. Der Muskel- und Weichteilmantel der Ober- und Unterschenkel wird als seitengleich ausgeprägt
beschrieben. Orthopädische Hilfsmittel sind von der Klägerin nicht benutzt worden, sie sind von den Gutachtern auch nicht für notwendig erachtet worden. Hüft-, Knie- und untere Sprunggelenke, die Zehen wie auch das linke obere Sprunggelenk sind frei beweglich gewesen. Während die Beweglichkeitsprüfung des rechten oberen Sprung-gelenks bei der Untersuchung am 15. Juni 2005 noch eine Beschränkung auf 0/0/40 ergab, hat sich im September 2006 mit 10/0/40 ein nur noch "diskret endgradig eingeschränktes" Bewegungsdefizit (so Dr. G) gezeigt. Die festgestellten Gesundheitsstörungen unterscheiden sich in ihrer Ausprägung mithin nicht wesentlich von den Diagnosen und Befunden des Sachverständigen Dr. W im Gutachten vom 01. Mai 2008.

Eine MdE von 20 v. H. ist nach den von Dr. G und dem Assistenzarzt K im zweiten Rentengutachten vom 02. November 2006, auf das die Klägerin sich maßgeblich beruft, erhoben Befunden nicht zu begründen. Eine MdE in dieser Höhe entspricht einem funktionellen Zustand, wie er bei Versteifung des oberen Sprunggelenks und des
unteren Sprunggelenks in günstiger Stellung eintritt, worauf der Sachverständige Dr. W zutreffend hingewiesen hat. So wird auch in der unfallmedizinischen Literatur nur bei Versteifung des oberen Sprunggelenks und des unteren Sprunggelenks in Funktionsstellung eine MdE von 25 v. H., bei einer Versteifung des oberen Sprunggelenks im Winkel von 90 bis 100 Grad zum Unterschenkel eine MdE von 20 v. H. und bei einer Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks auf 0/0/30 eine MdE von 10 v. H angenommen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anmerk. 8.12.8, Seite 678). Derartig ausgeprägte Einschränkungen liegen bei der Klägerin, die nur noch ein endgradiges Bewegungsdefizit im Bereich des oberen Sprunggelenks um etwa 10° zeigt, gerade nicht vor, so dass auch unter Berücksichtigung der Läsion des Nervus peronaeus superficialis eine MdE von 20 v. H. nicht festgestellt werden kann.

Die Berufung ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist mangels Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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