L 1 R 235/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 15 R 524/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 235/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Weise und in welcher Höhe die der Klägerin gewährte Altersrente und die der Klägerin gewährte Witwenrente zum 1. Juli 2007 anzupassen waren.

Die am ... 1922 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten sowohl eine Alters- als auch eine Witwenrente. Gegen die Anpassungsmitteilung vom 1. Juli 2007 legte sie am 3. August 2007 Widerspruch ein. Die Rentenanpassung verstoße insbesondere gegen Art. 14 Grundgesetz (GG).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2007 zurück. Durch die Rentenwertbestimmungsverordnung 2007 vom 14. Juni 2007 seien der aktuelle Rentenwert und der aktuelle Rentenwert (Ost) zum 1. Juli 2007 neu bestimmt worden. Unter Zugrundlegung dieser Werte habe sie die Anpassung der Renten der Klägerin zutreffend bestimmt.

Hiergegen hat die Klägerin am 5. November 2007 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Bei der Rentenanpassung zum 1. Juli 2007 seien der Eigentumsschutz des Art. 14 GG und die Vorgaben des Einigungsvertrages verletzt worden. Auch Art. 3 und Art. 2 Abs. 1 GG seien verletzt.

Mit Rentenbescheid vom 14. August 2008 hat die Beklagte die der Klägerin gewährte Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2004 neu festgestellt.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. September 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Soweit die Klägerin die Änderung aller Bescheide begehre, die Festlegungen zu ihrer Rente für die Zeit ab dem 1. Juli 1990 betreffen würden, sei die Klage unzulässig. Denn es fehle insoweit an der Durchführung eines Vorverfahrens. Der Rentenbescheid vom 14. August 2008 werde ebenfalls nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Als bloße Anpassungsmitteilung beschränke sich der Regelungsgehalt dieses Bescheides auf die wertmäßige Fortschreibung bereits zuerkannter Rentenrechte. Regelungsgehalt der hier streitigen Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2007 sei nur, in welcher Höhe die der Klägerin gewährten Renten durch die Veränderung des aktuellen Rentenwertes (Ost) zum 1. Juli 2007 anzupassen gewesen seien. Die Beklagte habe die Anpassung zum 1. Juli 2007 entsprechend den gesetzlichen Vorgaben vorgenommen. Die geäußerten Zweifel der Klägerin an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften seien unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 17. September 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 22. September 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und sich zur Begründung und im Hinblick auf die Anträge auf das Vorbringen in der ersten Instanz und im Vorverfahren bezogen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. September 2010 aufzuheben, und stellt die Anträge aus dem Schriftsatz vom 5. November 2007 sowie die Beweisanträge aus dem Schriftsatz vom 10. Dezember 2008.

Die Beklagte verweist auf die Ausführungen des SG und beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. September 2010 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages wird auf deren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gem. den §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil die angefochtene Anpassungsmitteilung der Beklagten vom 1. Juli 2007 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht i. S. der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist der Bescheid vom 14. August 2008 nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens nach § 96 Abs. 1 SGG geworden. Danach wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Bescheid vom 14. August 2008 ändert jedoch den angefochtenen Bescheid nicht ab und ersetzt ihn auch nicht. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung regelt nur die Rentenanpassung zum 1. Juli 2007. Nach der Rechtsprechung BSG handelt es sich dabei um einen selbständigen Streitgegenstand (siehe BSG, Urteil vom 10. April 2003 - B 4 RA 41/02 R - juris, Rdnr. 12), der von dem neuen Regelungsgegenstand (Neufeststellung der Regelaltersrente zum 1. Januar 2004) zu trennen ist.

Die Klägerin hat kein Recht darauf, dass ihre Renten ab dem 1. Juli 2007 über die erfolgte Anpassung hinaus weiter erhöht werden.

Nach § 64 SGB VI (amtliche Überschrift: Rentenformel für Monatsbetrag der Rente) ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Nach § 254 b Abs. 1 SGB VI wird bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein aktueller Rentenwert (Ost) für die Ermittlung des Monatsbetrags aus Zeiten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet gebildet, der an die Stelle des aktuellen Rentenwerts tritt.

Nach § 255 a Abs. 1 Satz 1 SGB VI (in der hier anzuwendenden Fassung) beträgt der aktuelle Rentenwert (Ost) am 30. Juni 2005 22,97 EUR. Er verändert sich zum 1. Juli eines jeden Jahres nach dem für die Veränderung des aktuellen Rentenwerts geltenden Verfahren (Satz 2). Hierbei sind jeweils die für das Beitrittsgebiet ermittelten Bruttolöhne und gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) maßgebend (Satz 3). § 68 Abs. 2 Satz 3 SGB VI ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die für das Beitrittsgebiet ermittelten beitragspflichtigen Bruttolöhne und gehälter je Arbeitnehmer ohne Beamte einschließlich der Bezieher von Arbeitslosengeld zugrunde zu legen sind (Satz 4). Nach § 255 a Abs. 2 SGB VI (in der hier anzuwendenden Fassung) ist der aktuelle Rentenwert (Ost) mindestens um den Vomhundertsatz anzupassen, um den der aktuelle Rentenwert angepasst wird. § 255 a Abs. 3 SGB VI (in der hier anzuwendenden Fassung) lautet: Abweichend von § 68 Abs. 4 SGB VI werden bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Anzahl der Äquivalenzrentner und die Anzahl der Äquivalenzbeitragszahler für das Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet und das Beitrittsgebiet getrennt berechnet (Satz 1). Für die weitere Berechnung nach § 68 Abs. 4 SGB VI werden die jeweiligen Ergebnisse anschließend addiert (Satz 2). Für die Berechnung sind die Werte für das Gesamtvolumen der Beiträge aller in der allgemeinen Rentenversicherung versicherungspflichtig Beschäftigten, der geringfügig Beschäftigten (§ 8 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs, SGB IV) und der Bezieher von Arbeitslosengeld eines Kalenderjahres, das Durchschnittsentgelt nach Anlage 1 zum SGB VI, das Gesamtvolumen der Renten abzüglich erstatteter Aufwendungen für Renten und Rententeile eines Kalenderjahres und eine Regelaltersrente mit 45 Entgeltpunkten für das Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet und für das Beitrittsgebiet getrennt zu ermitteln und der Berechnung zugrunde zu legen (Satz 3). Im Beitrittsgebiet ist dabei als Durchschnittsentgelt für das jeweilige Kalenderjahr der Wert der Anlage 1 zum SGB VI dividiert durch den Wert der Anlage 10 zum SGB VI zu berücksichtigen und bei der Berechnung der Regelaltersrente mit 45 Entgeltpunkten der aktuelle Rentenwert (Ost) zugrunde zu legen (Satz 4). § 255 a Abs. 4 SGB VI (in der hier anzuwendenden Fassung) lautet: Abweichend von § 68 a SGB VI tritt bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland jeweils an die Stelle des aktuellen Rentenwerts der aktuelle Rentenwert (Ost), des Ausgleichsbedarfs der Ausgleichsbedarf (Ost), des Ausgleichsfaktors der Ausgleichsfaktor (Ost) und des Anpassungsfaktors der Anpassungsfaktor (Ost) (Satz 1). Absatz 2 ist auf der Grundlage des nach Satz 1 bestimmten aktuellen Rentenwerts (Ost) anzuwenden (Satz 2). Für den zu ermittelnden Ausgleichsfaktor (Ost) bleibt die Veränderung des aktuellen Rentenwerts (Ost) nach Maßgabe des Absatzes 2 außer Betracht (Satz 3). Der Ausgleichsbedarf (Ost) verändert sich bei Anwendung des Absatzes 2 nur dann nach § 68a Abs. 3 SGB VI, wenn der nach Absatz 1 errechnete aktuelle Rentenwert (Ost) den nach Satz 1 in Verbindung mit Absatz 2 errechneten aktuellen Rentenwert (Ost) übersteigt; der Wert des Ausgleichsbedarfs (Ost) verändert sich, indem der im Vorjahr bestimmte Wert mit dem Anpassungsfaktor (Ost) vervielfältigt wird, der sich ergibt, wenn der nach Absatz 1 errechnete aktuelle Rentenwert (Ost) durch den nach Satz 1 in Verbindung mit Absatz 2 errechneten aktuellen Rentenwert (Ost) geteilt wird (Satz 4).

Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte zum 1. Juli 2007 (Rentenwertbestimmungsverordnung 2007) beträgt der aktuelle Rentenwert (Ost) vom 1. Juli 2007 an 23,09 EUR. Diese Vorgabe hat die Beklagte rechtsfehlerfrei umgesetzt. Als an Recht und Gesetz gebundene Behörde (Art. 20 Abs. 3 GG) durfte sie dem Begehren der Klägerin nicht entsprechen.

Der Senat ist auch nicht gem. Art. 100 Abs. 1 GG gehalten, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen, denn die erfolgte Anpassung der Rente zum 1. Juli 2007 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat dazu ausgeführt (Urteil vom 24. Juni 2010 - L 21 R 1889/08 - Rdnr. 23):

"Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der hier maßgebenden Vorschriften der Rentenanpassung zum 1. Juli 2007 bestehen nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich der Regelungen zur Rentenanpassung ein breites Einschätzungsrecht zusteht und sich die verfassungsrechtliche Prüfungskompetenz auf eine Evidenzkontrolle beschränkt (vgl. BVerfG 76, 220, 241). Es kann erst dann von einem unangemessenen bzw. unverhältnismäßigen staatlichen Grundrechtseingriff gesprochen werden, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr gewahrt ist. Hierbei ist bei der Abwägung zwischen der Belastung des Versicherten durch eine Schmälerung von Rentenansprüchen und Rentenanwartschaften einerseits sowie der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits zu beachten, dass der Versicherte in das Solidarsystem eingebunden ist und auch die Risiken dieses Systems trägt. Zu berücksichtigen ist gerade im Hinblick auf langfristig wirkende Rentenreformen die Generationengerechtigkeit zwischen den Vergleichsgruppen der gegenwärtigen Beitragszahler und der Rentenempfänger, die einen sozialverträglichen Ausgleich beinhaltet (Sodan, Verfassungsrechtliche Determinanten der gesetzlichen Rentenversicherung, NZS 2005, 561). Die demographische Last kann nicht ausschließlich von den Beitragszahlern getragen werden. Auch von den Rentenbeziehern kann ein sozialverträglich ausgestalteter Anteil eingefordert werden, wobei zwar ein Eingriff in die eigentliche Substanz ausscheidet, jedoch bei der Rentenanpassung möglich ist (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2006, - L 1 R 4018/04 -). Das BSG hat im Übrigen zur Frage, ob die Aussetzung der sich aus § 68 SGB VI eigentlich ergebenden Rentenanpassung 2004 infolge Art. 2 des 2. SGB VI-Änderungsgesetzes entgegen § 69 Abs. 1 SGB VI zu beanstanden war, darauf hingewiesen, dass das GG keine Anspruchsgrundlage enthält, aus der sich ein Anspruch auf höhere Rentenzahlung gegen die Rentenversicherungsträger ergeben könnte und keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht festgestellt (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2007 - B 4 RA 51/05 R -). Der Gesetzgeber verfolgte mit den bisher getroffenen Maßnahmen das Ziel, den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren. Schon dieses öffentliche Interesse ist geeignet, die hierzu getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen zu rechtfertigen, denn sie tragen zur Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung bei. Andererseits führen diese Maßnahmen nicht dazu, dass die Rente ihre Funktion als substanzielle Alterssicherung verliert (vgl. ausführlich Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. Oktober 2008 - L 1 R 504/08 - juris)."

Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und schließt sich ihnen an.

Den Beweisanträgen der Klägerin war nicht nachzugehen. Diese beziehen sich nicht auf die konkrete Rentenberechnung, sondern auf sozialpolitische Erwägungen, derentwegen kein Aufklärungsbedarf besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe i. S. von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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