Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
51
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 51 SB 3287/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten (nur noch) darüber, ob im Hinblick auf die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers eine wesentliche Änderung eingetreten ist und deshalb die Beklagte zu Recht die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H aufgehoben hat.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30.03.1978 stellte das damals zuständige Versorgungsamt bei dem am xxx geborenen Kläger einen GdB von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H fest. Es folgte dabei einer gutachtlichen Stellungnahme seines ärztlichen Beraters, die bei dem Kläger von folgender Funktionsbeeinträchtigung ausging: "Hochgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit bds., mit geringem Restgehör, schwere Sprachstörung" (Einzel-GdB 100). Mit ebenfalls bestandskräftigen Bescheiden vom 18.05.1978 und 30.03.1981 stellte das Versorgungsamt außerdem das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G, B und RF fest.
Unter dem 13.06.2010 reichte der Kläger per Fax eine Kopie seines Zeugnisses über das Bestehen der Diplomprüfung im Studiengang Architektur und Städtebau aus August 2002 bei der Beklagten ein. Dies nahm die Beklagte zum Anlass, ein Nachprüfungsverfahren zu beginnen und holte einen Befundbericht bei Dr. xxx (Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, xxx) ein. Der ärztliche Berater der Beklagten änderte unter Beibehaltung des Einzel-GdB von 100 die Leidensbezeichnung in "Taubheit, Sprachstörungen". Bezüglich des Nachteilsausgleichs H kam er zu der Auffassung, dass dieser Nachteilsausgleich nach der durch das Diplomzeugnis dokumentierten Beendigung der Ausbildung nicht weiter festgestellt werden könne.
Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 14.07.2010 dazu an, dass auf Grundlage dieser versorgungsärztlichen Stellungnahme u.a. beabsichtigt sei, mit Wirkung für die Zukunft die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H aufzuheben. Als seitens des Klägers keine Reaktion erfolgte, stellte die Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 20.08.2010 "unter entsprechender Aufhebung [ihres] Bescheides vom 30.03.1981" u.a. fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens H nicht mehr vorlagen.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein. Zur Kompensation seiner behinderungsbedingten Kommunikationsdefizite sei er extrem häufig und regelmäßig auf einen Kommunikationsassistenten angewiesen. Die Tätigkeit des Kommunikationsassistenten mache eine Erwerbstätigkeit überhaupt erst möglich und diene dadurch auch der Sicherung der persönlichen Existenz.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2010 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, dass keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten sei. Dies habe die Beklagte durch regelmäßige Verlängerung des Schwerbehindertenausweises – letztmalig im Mai 2007 – selbst bestätigt. Im Hinblick auf den Nachteilsausgleich H seien diese Verlängerungen trotz der bereits im Jahr 2002 erfolgreich beendeten Ausbildung erfolgt, so dass das Ausbildungsende die Entziehung des Nachteilsausgleichs H auch mit Blick auf Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG nicht mehr rechtfertigen könne. Der Wegfall des Nachteilsausgleichs H im Falle des Abschlusses einer Ausbildung sei überdies nur bei solchen Gehörlosen gerechtfertigt, die in Sonderschulmaßnahmen mit Gebärdensprache ausgebildet, gut sozialisiert worden und nach Ausbildungsende etwa in Behinderteneinrichtungen untergebracht seien. Demgegenüber habe der Kläger eine Regelschule besucht, beherrsche die Gebärdensprache nicht und konnte und könne nur durch externe Hilfe sein Kommunikationsdefizit ausgleichen. Daneben seien beidseits gehörlose Menschen vergleichbar beeinträchtigt wie hochgradig sehbehinderte Menschen, so dass das Merkzeichen H auch in entsprechender Anwendung des Teil A Ziffer 4 lit. e aa) Versorgungsmedizinische Grundsätze (VmG) beim Kläger weiterhin festzustellen sei. Außerdem erfülle der Hilfsbedarf in Form der Kommunikationsassistenz jedenfalls die Anforderungen aus Teil A Ziffer 4 lit. b und c VmG. Weil der Kläger die Gebärdensprache nicht beherrsche sei er in allen Lebensbereichen täglich auf einen Kommunikationsassistenten angewiesen. Er sei zwar in der Lage von den Lippen abzulesen. Dies funktioniere aber nur beschränkt, etwa wenn der Gesprächspartner kein lesbares Mundbild besitze oder sein Gesicht – wie beim Telefonieren – nicht zu sehen sei. Dadurch bedingte Kommunikationsfehler vermeide die Hinzuziehung des Kommunikationsassistenten und mache eine Erwerbstätigkeit des Klägers so überhaupt erst möglich. Dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Kosten eines Kommunikationsassistenten im beruflichen Kontext im Wege der Wiedereingliederungshilfe übernehme, sei insoweit deutliches Indiz der Hilflosigkeit des Klägers. Schließlich seien die VmG hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H rechtswidrig, da sie mit dem von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Konvention) unvereinbar seien. Die grundsätzliche Aberkennung des Anspruchs auf den Nachteilsausgleich H mit Abschluss der Ausbildung nach Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG sowie die Nichtberücksichtigung gehörloser Menschen in Teil A Ziffer 4 lit. e VmG widerspreche der Forderung der UN-Konvention nach voller und wirksamer Teilhabe an der Gesellschaft. Blinde und Gehörlose würden außerdem konventionswidrig ungleich behandelt. Gegen die UN-Konvention verstoße es auch, wenn im beruflichen Bereich durch die Übernahme der Kosten einer Kommunikations-Assistenz behinderungsbedingte Nachteile abgemildert würden, im privaten Bereich aufgrund der Regelungen der VmG hingegen nicht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 21.09.2010 insoweit aufzuheben, als das Merkzeichen H entzogen worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass der Kläger nach Beendigung seiner Hochschulausbildung das Merkzeichen H nicht mehr nach Teil A Ziffer 5 lit. d ee VmG beanspruchen könne und die allgemeinen Voraussetzungen aus Teil A Ziffer 4 lit. b VmG nicht erfülle. Dazu fehle es in qualitativer wie quantitativer Hinsicht an Hilfebedarf.
Hinsichtlich Einzelheiten der Beweisaufnahme und wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist durch den Bescheid vom 20.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2010 nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Der Bescheid verletzt ihn nicht in eigenen Rechten, weil die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H nicht mehr vorliegen.
Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung des Nachteilsausgleichs H ist § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine solche liegt bei Nachteilsausgleichen vor, wenn die früher vorliegenden Voraussetzungen des jeweiligen Nachteilsausgleichs weggefallen sind. Gem. § 69 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) stellt die zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen fest. Deshalb muss die Behörde im Falle einer wesentlichen Änderung auch die in einem bestandskräftigen Bescheid enthaltenen Feststellungen zum Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen mit Wirkung für die Zukunft aufheben (§ 48 SGB X) und das Nicht-Mehr-Vorliegen von Nachteilsausgleichen (§ 69 Abs. 4 SGB IX) mittels eines neuen Bescheides feststellen.
Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass eine wesentliche Änderung hinsichtlich der Behinderung des Klägers eingetreten ist. Denn durch den Abschluss der Hochschulausbildung des Klägers im August 2002 sind die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H bei dem Kläger weggefallen und bis zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 9. Auflage 2008, § 54 Rn 33 m.w.N.) nicht wieder erfüllt worden.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Beklagten die Berufung auf den Abschluss der Hochschulausbildung im August 2002 als wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X nicht schon formalen Gründen verwehrt, weil sie den Schwerbehindertenausweis des Klägers auch nach Eintritt dieser Änderung über mehrere Jahre immer wieder verlängert hat. Denn der Schwerbehindertenausweis selbst ist kein Verwaltungsakt, sondern nur eine Urkunde, mit deren Hilfe die Feststellung eines bestimmten Grades der Behinderung bzw. des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen gegenüber Dritten belegt werden kann (BSG, Urteil vom 26.02.1986, Az. 9a RVs 4/83 = SozR 3870 § 3 Nr. 21; Schorn, in: Müller-Wenner/Schorn, SGB IX Teil 2 – Kommentar, 1. Auflage 2003). Er ist dabei ohne weitere Prüfung mit dem Inhalt zu erteilen (GdB, Nachteilsausgleiche), den die zuständige Behörde beim Ausweisinhaber durch statusbegründenden Verwaltungsakt festgestellt hat (vgl. § 69 Abs. 5 SGB IX). Deshalb ist mit einer Verlängerung des Schwerbehindertenauseses keine erneute Prüfung durch die Beklagte verbunden und kann aus der Verlängerung nicht auf das fortdauernde Bestehen von Gesundheitsstörungen geschlossen werden. Die fortwährende Verlängerung des Schwerbehindertenausweises des Klägers ist vielmehr allein der Tatsache geschuldet, dass die zugrunde liegende Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H im Bescheid vom 30.03.1978 unverändert – auch über den Abschluss der Hochschulausbildung im August 2002 hinaus – fortbestand.
Der Hochschulabschluss des Klägers scheidet auch nicht deshalb als wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X aus, weil der Bescheid vom 30.03.1978 nicht schon im August 2002, sondern erst im August 2010 im Hinblick auf den Nachteilsausgleich H aufgehoben wurde. Denn einer Aufhebung steht – wenn sie wie hier allein mit Wirkung für die Zukunft erfolgt – nicht entgegen, dass ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt rechtswidrig geworden ist und trotzdem über längere Zeit von der zuständigen Behörde nicht aufgehoben worden ist. Denn anders als bei der Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit gelten bei der Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft die Ausschlussfristen aus § 48 Abs. 4 SGB X nicht (BSGE 72, 1 ff. = Urteil vom 11.12.1992, Az. 9 A RV 20/90; Schütze, in: von Wulffen, SGB X-Kommentar, 6. Auflage 2008, § 48 Rn 34 m.w.N.).
Nach Beendigung der Hochschulausbildung ist der Kläger auch nicht mehr hilflos im Sinne des Gesetzes. Gem. Teil A Ziffer 4 lit. b VmG ist hilflos, wer infolge von nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen für eine Reihe häufig und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablaufe eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ist das nach Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählen in diesem Zusammenhang: der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung.
Seit Abschluss seines Hochschulstudiums im August 2002 erfüllte der Kläger diese Voraussetzungen nicht mehr. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, warum der Kläger – als Ausnahme vom gesetzlich in Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG normierten Regelfall – über die Beendigung der Ausbildung hinaus hilflos im Sinne des Gesetzes (Teil A Ziffer 4 lit. b VmG) sein sollte.
Vom Zeitpunkt der Beendigung einer Ausbildung an lässt sich Hilflosigkeit bei Gehörlosen nicht mehr allgemein annehmen, sondern nur noch aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall feststellen. Denn die eigentliche Funktionsstörung bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ist das Kommunikationsdefizit mit der Folge von erschwertem und verzögertem Kenntniserwerb, einer lebenslang verlangsamten Weiterentwicklung und bleibender Fremdheit in der Gesellschaft der Hörenden (BSGE 72, 285, 290 = Urteil vom 23.06.1993, Az. 9/9a RVs 1/91). Dieses Kommunikationsdefizit prägt die gesamte Lebensführung Gehörloser aber regelmäßig nur bis zum Ablauf einer ersten Berufsausbildung, in der Lebensspanne also, während derer Lernen, Kenntnis- und Fertigkeitserwerb zu den zentralen Verrichtungen des täglichen Lebens gehören (BSGE 72, 285 = Urteil vom 23.06.1993, Az. 9/9a RVs 1/91; BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95). Durch den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung zeigt ein Gehörloser, dass er die erworbenen Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich zu nutzen versteht. Damit ist es regelmäßig ausgeschlossen, seine Behinderung als prägend für die gesamte Lebensführung und damit ihn selbst als hilflos im Sinne des Gesetzes anzusehen (BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95). Das gilt auch trotz der Anforderungen des heutigen Wirtschafts- und Bildungswesen mit der Notwendigkeit berufsbegleitend und lebenslang neue Fähigkeiten zu erlernen und weiteres Fachwissen zu erwerben. Zwar kann nur noch in seltenen Fällen mit den einmal während einer mehrjährigen Berufsausbildung erworbenen Fähigkeiten und Kenntnissen eine gesicherte Stellung im Beruf erreicht, gesichert und auf Dauer behauptet werden. Daraus lässt sich aber nicht generell der Schluss ziehen, dass ein Gehörloser lebenslang hilflos ist. Das wäre er nur, wenn sich das Kommunikationsdefizit wegen der Notwendigkeit der ständigen Anpassung des beruflichen Könnens und Wissens während des Berufslebens prägend auf die Lebensführung auswirken würde. Daran fehlt es, weil zu den zentralen Verrichtungen im täglichen Leben eines Arbeitnehmers regelmäßig nicht die Anpassung und Erweiterung seiner beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten gehört, sondern die Verrichtung von Arbeit im erlernten Beruf (vgl. BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95). Auch kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass der Gehörlose nach Abschluss der Erstausbildung im nichtberuflichen Bereich weiter hilflos ist, wenn er in dem einem Gehörlosen möglichen Umfang (vgl. dazu BSGE 72, 285, 288 = Urteil vom 23.06.1993, Az. 9/9a RVs 1/91) Schreiben und Lesen erlernt hat.
Besondere Umstände, wonach der Kläger zum Kreis der Gehörlosen gehört, bei denen die Kommunikationsstörung ausnahmsweise eine lebenslange Hilflosigkeit bedingt, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vortrag des Klägers, der Wegfall des Nachteilsausgleichs H bei Abschluss einer Ausbildung sei nur bei solchen Gehörlosen gerechtfertigt, die in Sonderschulmaßnahmen mit Gebärdensprache ausgebildet, gut sozialisiert worden und nach Ausbildungsende etwa in Behinderteneinrichtungen untergebracht seien, nicht aber bei Gehörlosen, die – wie er – eine Regelschule besucht hätten und die Gebärdensprache nicht beherrschten. Maßgeblich für das Fortbestehen von Hilflosigkeit ist nach den obigen Ausführungen nämlich allein die Frage des Umfangs des nach Ausbildungsende fortbestehenden Kommunikationsdefizits. Diesbezüglich ist ausnahmsweise von lebenslanger Hilflosigkeit auszugehen, wenn der Gehörlose sich langzeitig beruflich weiterbildet und die Weiterbildung gleich hohe Anforderungen an Lernen und Fertigkeitserwerb stellt wie eine Erstausbildung, oder wenn er wegen Minderbegabung, einer geistigen Behinderung oder einer zusätzlichen Gesundheitsstörung nicht in der Lage ist, das Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten mit der hörenden Umwelt zu erlernen, das bei einem erfolgreichen Besuch einer Gehörlosenschule vermittelt wird (BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95; BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 9 SB 4/02 R; LSG Hessen, Urteil vom 20.06.2002, L 5 SB 528/01). Eine langzeitige – im Hinblick auf § 2 Abs. 1 SGB IX also über 6 monatige (BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 9 SB 4/02 R) – berufliche Weiterbildung mit hinreichendem Anforderungsprofil absolvierte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Beim Kläger liegt außerdem schon keine Minderbegabung, geistige Behinderung oder zusätzliche Gesundheitsstörung vor. Und obwohl er angibt, keine Gehörlosenschule besucht und die Gebärdensprache nicht gelernt zu haben, ist er zur Überzeugung der Kammer in der Lage, sich mit der hörenden Umwelt mindestens so gut zu verständigen, wie ein Gehörloser, der erfolgreich die Gehörlosenschule besucht hat. Denn der Kläger beherrscht zwar die Gebärdensprache nicht, er kann aber von den Lippen lesen. Sofern er vorträgt, dass dies unter bestimmten Umständen – etwa fehlender Rücksichtnahme der Gesprächspartner, schwer erkennbarem Mundbild, Kommunikation in der Gruppe - schwierig sei, so steht er damit doch nicht schlechter als ein Gehörloser, der ausschließlich die Gebärdensprache beherrscht. Auch für letzteren ergeben sich Probleme, wenn er seinen Gesprächspartner bzw. dessen Gebärden nicht gut sehen kann oder wenn er sich mehreren Gesprächspartner gegenüber sieht. Vorgreiflich dürfte für ihn aber das Problem sein, überhaupt einen Gesprächspartner zu finden, der die Gebärdensprache beherrscht. Für einen Gehörlosen, der allein die Gebärdensprache beherrscht ist der Kreis potentieller Kommunikationspartner nämlich erheblich kleiner als für einen Gehörlosen, der von den Lippen lesen kann. Auch im Hinblick auf die sonstigen Kommunikationsmöglichkeiten Gehörloser – schriftlicher Informationsaustausch durch Lesen und Schreiben – steht der Kläger einem Gehörlosen, der die Gehörlosenschule besucht hat, ersichtlich in nichts nach. Wie der Hochschulabschluss und die vom Kläger persönlich zu Papier gebrachte und ganz überwiegend gut verständlich im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragene Stellungnahme zu diesem Rechtsstreit zeigt, hat er das Schreiben und Lesen jedenfalls in dem einem Gehörlosen möglichen Umfang erlernt und ist auch zu einem verständlichen mündlichen Vortrag des Geschriebenen in der Lage.
Sofern der Kläger mit seinem Verweis auf die Gruppe der in Gebärdensprache ausgebildeten und nach Ausbildungsende in Behinderteneinrichtungen untergebrachten Gehörlosen möglicherweise darauf abstellt, dass diese – anders als der Kläger – jedenfalls innerhalb der jeweiligen Einrichtungen mit den anderen Gehörlosen per Gebärdensprache unproblematisch kommunizieren können, ergibt sich daraus nichts anderes. Denn im Schwerbehindertenrecht kommt es maßgeblich auf eine Gesamtbetrachtung der Teilhabebeeinträchtigung am Leben in der (ganzen) Gesellschaft an (§ 2 Abs. 1 SGB IX), nicht aber auf Besser-/Schlechterstellungen in nur einzelnen Konstellationen und Bereichen der Teilhabe (vgl. zu diesem Rechtsgedanken auch Teil A Ziffer 2 lit. a und b VmG). Sofern für Gehörlose in speziellen Einrichtungen möglicherweise geringere Kommunikationsprobleme unter den in der Einrichtung lebenden Gehörlosen bestehen, sind jedenfalls die Kommunikationsprobleme außerhalb der Einrichtung und in der Kommunikation mit Hörenden eher größer, jedenfalls ist der Kreis potentieller Gesprächspartner kleiner. Bei einer Gesamtbetrachtung ist deshalb keine Besserstellung dieses Personenkreises im Vergleich mit dem Kläger zu erkennen, die eine unterschiedliche Behandlung und Privilegierung des Klägers im Hinblick auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H nach Abschluss einer Ausbildung rechtfertigen könnte.
Ein fortbestehender Anspruch auf den Nachteilsausgleich H ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus einer analogen Anwendung von Teil A Ziffer 4 lit. e aa) VmG, der Blinden und hochgradig Sehbehinderten einen lebenslangen Anspruch auf die Feststellung des Nachteilsausgleichs H gibt. Zur Überzeugung der Kammer fehlt es schon an den methodischen Voraussetzungen einer Analogie, nämlich einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage im Hinblick auf den geregelten und den ungeregelten Fall.
Die Kammer vermag schon keine planwidrige Regelungslücke zu erkennen: Als Ausnahmevorschrift zu Teil A Ziffer 4 lit. b und c VmG ist Teil A Ziffer 4 lit. e aa) VmG ohnehin eng auszulegen und ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber bewusst nur die tatsächlich geregelten Ausnahmen gewollt hat. Auch der Wortlaut und das abgestufte Vorgehen (lit. e: Dies gilt stets bei ...; lit. f: in der Regel auch bei ...) mit der differenzierten Bezeichnung der Gesundheitsstörungen steht der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegen. Außerdem hat der Gesetzgeber im Rahmen der Überführung des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) in das SGB IX im Juni 2001 für Gehörlose den besonderen Nachteilsausgleich Gl geschaffen, dessen Vergünstigungen sich zum Teil mit denen des Nachteilsausgleichs H überschneiden (vgl. etwa § 145 Abs. 1 SGB IX). Dadurch hat er deutlich gemacht, dass er Gehörlose gerade nicht stets für hilflos hält, denn sonst hätte es dieses besonderen Nachteilsausgleichs gar nicht bedurft und machten die sich überschneidenden Vorteile keinen Sinn. Dann besteht aber auch kein Grund zu der Annahme, der Gesetzgeber habe die Gehörlosen planwidrig nicht zu den Regelbeispielen in Teil A Ziffer 4 lit. e VmG gezählt. Dies umso weniger, als bereits in den 1990er-Jahren mehrere Entscheidungen des BSG das Verhältnis von Gehör- und Hilflosigkeit problematisiert (BSGE 72, 285, 290 = Urteil vom 23.06.1993; BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95) und den Gesetzgeber zu Änderungen – etwa im Hinblick auf den heutigen Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG – veranlasst haben (vgl. zu den Urteilen und ihren Folgen Hausmann/Schillings/Wendler, Sozialrecht, Stand März 2011 , Anmerkung zu Teil A Ziffer 4 VmG). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Normgeber weitere als die tatsächlich vorgenommenen Änderungen nicht planwidrig vergessen, sondern offensichtlich nicht hat vornehmen wollen.
Jedenfalls besteht zwischen der Situation bei Blindheit bzw. hochgradiger Sehbehinderung und Gehörlosigkeit keine vergleichbare Interessenlage. Zwar ist bei Blinden wie auch bei Gehörlosen der Verlust einer Sinneswahrnehmung zu beklagten. Nach dem Dafürhalten der Kammer ist die Beeinträchtigung bei Blindheit jedoch ganz anderer Art als bei Gehörlosigkeit und bestehen insbesondere weniger Kompensations- und Ausgleichsmöglichkeiten als bei Gehörlosigkeit. Im Übrigen ist – gerade wegen der Verschiedenheit der betroffenen Sinnesorgane und der durch sie vermittelten Eindrücke eine gesetzliche Fiktion von Hilflosigkeit, wie sie blinden Menschen eingeräumt wird, für gehörlose Menschen nicht in gleicher Weise geboten (BSGE 72, 285, 290 = Urteil vom 23.06.1993; Urteil vom 10.12.2003, Az. B 9 SB 4/02 R). Denn die Gleichsetzung aller Sinnesorgane kommt rechtlich nicht in Betracht, weil sich insoweit die Gleichheit der Lebensverhältnisse und der Folgen des Verlustes eines Sinnesorganes für die Teilhabefähigkeit gerade nicht von selbst versteht. Es gilt das Ausmaß der Behinderung wägend und wertend zu umreißen. Deshalb lassen sich nicht alle Vergünstigungen, die der Gesetzgeber Blinden einräumt, auch nicht der Nachteilsausgleich H, auf die Gehörlosen übertragen (BSG aaO.; LSG Hessen, Urteil vom 20.06.2002, Az. L 5 SB 528/01).
Ein Fortbestehen des Anspruchs auf Feststellung des Nachteilsausgleichs H ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger behaupteten Kollision der VmG mit der UN-Konvention. Eine Kollision der VmG mit der UN-Konvention selbst – einem völkerrechtlichen Vertrag – kommt von vornherein nicht in Betracht, denn die Rechtsordnung unter dem Grundgesetz geht davon aus, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und – wie Art. 59 Abs. 2 GG zeigt – völkerrechtliche Verträge zur innerstaatlichen Wirksamkeit der Inkorporation in die deutsche Rechtsordnung bedürfen (BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004, Az. 2 BvR 1481/04). In Betracht kommt deshalb allenfalls eine Kollision mit dem innerstaatlichen Umsetzungsakt – dem Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl 2008, S. 1419 ff. (Umsetzungsgesetz) – der im Range eines einfachen Bundesgesetzes (vgl. BVerfG aaO.) und damit in der Normenhierarchie über den VmG – einer Rechtsverordnung – steht. Eine solche Kollision vermochte die Kammer indes nicht zu erkennen. Denn das Umsetzungsgesetz hat vor allem einen appellativen Charakter und ruft die Vertragsstaaten zu einer Verbesserung der Situation der behinderten Menschen im Hinblick auf verschiedenste Kriterien auf. Im Hinblick auf die vom Kläger gerügten Umstände käme eine Kollision der VmG wohl am ehesten mit Artikel 19 Umsetzungsgesetz – Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft – in Betracht. Wie das gesamte Umsetzungsgesetz ist aber auch diese Vorschrift erkennbar auf Ausgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber ausgelegt. Es werden keine konkreten Einzelmaßnahmen verpflichtend aufgezählt, sondern lediglich "wirksame und geeignete Maßnahmen" gefordert und mit einem nicht abschließenden Beispielkatalog illustriert. Welche Maßnahmen im jeweiligen Vertragsstaat konkret zu treffen sind, ist gerade nicht geregelt. Solche Maßnahmen zu ermitteln und festzuschreiben bleibt vielmehr dem zur Ausgestaltung und Umsetzung aufgerufenen – und völkerrechtlich verpflichteten – nationalen Gesetzgeber überlassen, dem dabei im Hinblick auf die prognostische Frage der Wirksamkeit und Geeignetheit eine Einschätzungsprärogative, d.h. ein nur beschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 93 Rn 4 m.w.N.). Jedenfalls stehen die VmG nicht in Widerspruch zu den im Umsetzungsgesetz festgelegten Zielen und den geforderten Maßnahmen, sondern teilen (vgl. dazu § 1 SGB IX) und befördern sie schon jetzt weitgehend.
Im Übrigen würde dem Kläger ein Anspruch auf die Feststellung des Nachteilsausgleichs H selbst im Falle einer Kollision zwischen VmG und dem Umsetzungsgesetz nicht zustehen. Denn sofern höherrangiges Bundesrecht – wie das Umsetzungsgesetz – mit einer Rechtsverordnung – wie den VmG – kollidiert, ist diese Rechtsverordnung insoweit im Einzelfall (inter partes) nicht anzuwenden (vgl. BVerfGE 1, 184, 241). Dann bliebe dem Kläger als Anspruchsgrundlage für den Nachteilsausgleich H nur noch § 33b Abs. 6 Satz 3 und 4 Einkommenssteuergesetz (EStG), dem das Umsetzungsgesetz in der Normenhierarchie nicht vorgeht und der mit Teil A Ziffer 4 lit. b VmG inhaltlich identisch ist. Die (identischen) Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 Satz 3 und 4 EStG für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H sind aber – unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zu den Voraussetzungen von Hilflosigkeit bei Gehörlosen – gerade nicht gegeben.
Schließlich war der Aufhebungsbescheid der Beklagten auch nicht wegen mangelnder Bestimmtheit aufzuheben. Zwar wird im Verfügungssatz des streitgegenständlichen Aufhebungsbescheides ausdrücklich nur auf den Bescheid vom 30.03.1981 Bezug genommen. Mit letzterem Bescheid ist jedoch nur das Vorliegen der Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G und RF, nicht aber des Nachteilsausgleichs H festgestellt worden. Indes ist es unschädlich, wenn der aufzuhebende Bescheid – hier der Bescheid vom 30.03.1978, mit dem das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H festgestellt wurde – vom Verfügungssatz nicht oder nicht richtig erfasst wird, wenn und weil der Wille der Behörde zur Aufhebung des "richtigen" Bescheides sich aus dem Bescheid im Übrigen – v.a. aus der Begründung ergibt (BSG, Urteil vom 11.12.1992, Az. 9a RV 20/90). So liegt es zur Überzeugung der Kammer hier, denn schon der Verfügungssatz des angefochtenen Aufhebungsbescheides macht klar, dass der Nachteilsausgleich H nicht mehr weiter festgestellt werden soll und sich die Aufhebungsentscheidung deshalb jedenfalls auch auf den Bescheid vom 30.03.1978 bezieht, mit dem ursprünglich das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H festgestellt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten (nur noch) darüber, ob im Hinblick auf die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers eine wesentliche Änderung eingetreten ist und deshalb die Beklagte zu Recht die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H aufgehoben hat.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30.03.1978 stellte das damals zuständige Versorgungsamt bei dem am xxx geborenen Kläger einen GdB von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H fest. Es folgte dabei einer gutachtlichen Stellungnahme seines ärztlichen Beraters, die bei dem Kläger von folgender Funktionsbeeinträchtigung ausging: "Hochgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit bds., mit geringem Restgehör, schwere Sprachstörung" (Einzel-GdB 100). Mit ebenfalls bestandskräftigen Bescheiden vom 18.05.1978 und 30.03.1981 stellte das Versorgungsamt außerdem das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G, B und RF fest.
Unter dem 13.06.2010 reichte der Kläger per Fax eine Kopie seines Zeugnisses über das Bestehen der Diplomprüfung im Studiengang Architektur und Städtebau aus August 2002 bei der Beklagten ein. Dies nahm die Beklagte zum Anlass, ein Nachprüfungsverfahren zu beginnen und holte einen Befundbericht bei Dr. xxx (Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, xxx) ein. Der ärztliche Berater der Beklagten änderte unter Beibehaltung des Einzel-GdB von 100 die Leidensbezeichnung in "Taubheit, Sprachstörungen". Bezüglich des Nachteilsausgleichs H kam er zu der Auffassung, dass dieser Nachteilsausgleich nach der durch das Diplomzeugnis dokumentierten Beendigung der Ausbildung nicht weiter festgestellt werden könne.
Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 14.07.2010 dazu an, dass auf Grundlage dieser versorgungsärztlichen Stellungnahme u.a. beabsichtigt sei, mit Wirkung für die Zukunft die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H aufzuheben. Als seitens des Klägers keine Reaktion erfolgte, stellte die Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 20.08.2010 "unter entsprechender Aufhebung [ihres] Bescheides vom 30.03.1981" u.a. fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens H nicht mehr vorlagen.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein. Zur Kompensation seiner behinderungsbedingten Kommunikationsdefizite sei er extrem häufig und regelmäßig auf einen Kommunikationsassistenten angewiesen. Die Tätigkeit des Kommunikationsassistenten mache eine Erwerbstätigkeit überhaupt erst möglich und diene dadurch auch der Sicherung der persönlichen Existenz.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2010 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, dass keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten sei. Dies habe die Beklagte durch regelmäßige Verlängerung des Schwerbehindertenausweises – letztmalig im Mai 2007 – selbst bestätigt. Im Hinblick auf den Nachteilsausgleich H seien diese Verlängerungen trotz der bereits im Jahr 2002 erfolgreich beendeten Ausbildung erfolgt, so dass das Ausbildungsende die Entziehung des Nachteilsausgleichs H auch mit Blick auf Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG nicht mehr rechtfertigen könne. Der Wegfall des Nachteilsausgleichs H im Falle des Abschlusses einer Ausbildung sei überdies nur bei solchen Gehörlosen gerechtfertigt, die in Sonderschulmaßnahmen mit Gebärdensprache ausgebildet, gut sozialisiert worden und nach Ausbildungsende etwa in Behinderteneinrichtungen untergebracht seien. Demgegenüber habe der Kläger eine Regelschule besucht, beherrsche die Gebärdensprache nicht und konnte und könne nur durch externe Hilfe sein Kommunikationsdefizit ausgleichen. Daneben seien beidseits gehörlose Menschen vergleichbar beeinträchtigt wie hochgradig sehbehinderte Menschen, so dass das Merkzeichen H auch in entsprechender Anwendung des Teil A Ziffer 4 lit. e aa) Versorgungsmedizinische Grundsätze (VmG) beim Kläger weiterhin festzustellen sei. Außerdem erfülle der Hilfsbedarf in Form der Kommunikationsassistenz jedenfalls die Anforderungen aus Teil A Ziffer 4 lit. b und c VmG. Weil der Kläger die Gebärdensprache nicht beherrsche sei er in allen Lebensbereichen täglich auf einen Kommunikationsassistenten angewiesen. Er sei zwar in der Lage von den Lippen abzulesen. Dies funktioniere aber nur beschränkt, etwa wenn der Gesprächspartner kein lesbares Mundbild besitze oder sein Gesicht – wie beim Telefonieren – nicht zu sehen sei. Dadurch bedingte Kommunikationsfehler vermeide die Hinzuziehung des Kommunikationsassistenten und mache eine Erwerbstätigkeit des Klägers so überhaupt erst möglich. Dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Kosten eines Kommunikationsassistenten im beruflichen Kontext im Wege der Wiedereingliederungshilfe übernehme, sei insoweit deutliches Indiz der Hilflosigkeit des Klägers. Schließlich seien die VmG hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H rechtswidrig, da sie mit dem von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Konvention) unvereinbar seien. Die grundsätzliche Aberkennung des Anspruchs auf den Nachteilsausgleich H mit Abschluss der Ausbildung nach Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG sowie die Nichtberücksichtigung gehörloser Menschen in Teil A Ziffer 4 lit. e VmG widerspreche der Forderung der UN-Konvention nach voller und wirksamer Teilhabe an der Gesellschaft. Blinde und Gehörlose würden außerdem konventionswidrig ungleich behandelt. Gegen die UN-Konvention verstoße es auch, wenn im beruflichen Bereich durch die Übernahme der Kosten einer Kommunikations-Assistenz behinderungsbedingte Nachteile abgemildert würden, im privaten Bereich aufgrund der Regelungen der VmG hingegen nicht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 21.09.2010 insoweit aufzuheben, als das Merkzeichen H entzogen worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass der Kläger nach Beendigung seiner Hochschulausbildung das Merkzeichen H nicht mehr nach Teil A Ziffer 5 lit. d ee VmG beanspruchen könne und die allgemeinen Voraussetzungen aus Teil A Ziffer 4 lit. b VmG nicht erfülle. Dazu fehle es in qualitativer wie quantitativer Hinsicht an Hilfebedarf.
Hinsichtlich Einzelheiten der Beweisaufnahme und wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist durch den Bescheid vom 20.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2010 nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Der Bescheid verletzt ihn nicht in eigenen Rechten, weil die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H nicht mehr vorliegen.
Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung des Nachteilsausgleichs H ist § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine solche liegt bei Nachteilsausgleichen vor, wenn die früher vorliegenden Voraussetzungen des jeweiligen Nachteilsausgleichs weggefallen sind. Gem. § 69 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) stellt die zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen fest. Deshalb muss die Behörde im Falle einer wesentlichen Änderung auch die in einem bestandskräftigen Bescheid enthaltenen Feststellungen zum Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen mit Wirkung für die Zukunft aufheben (§ 48 SGB X) und das Nicht-Mehr-Vorliegen von Nachteilsausgleichen (§ 69 Abs. 4 SGB IX) mittels eines neuen Bescheides feststellen.
Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass eine wesentliche Änderung hinsichtlich der Behinderung des Klägers eingetreten ist. Denn durch den Abschluss der Hochschulausbildung des Klägers im August 2002 sind die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H bei dem Kläger weggefallen und bis zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 9. Auflage 2008, § 54 Rn 33 m.w.N.) nicht wieder erfüllt worden.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Beklagten die Berufung auf den Abschluss der Hochschulausbildung im August 2002 als wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X nicht schon formalen Gründen verwehrt, weil sie den Schwerbehindertenausweis des Klägers auch nach Eintritt dieser Änderung über mehrere Jahre immer wieder verlängert hat. Denn der Schwerbehindertenausweis selbst ist kein Verwaltungsakt, sondern nur eine Urkunde, mit deren Hilfe die Feststellung eines bestimmten Grades der Behinderung bzw. des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen gegenüber Dritten belegt werden kann (BSG, Urteil vom 26.02.1986, Az. 9a RVs 4/83 = SozR 3870 § 3 Nr. 21; Schorn, in: Müller-Wenner/Schorn, SGB IX Teil 2 – Kommentar, 1. Auflage 2003). Er ist dabei ohne weitere Prüfung mit dem Inhalt zu erteilen (GdB, Nachteilsausgleiche), den die zuständige Behörde beim Ausweisinhaber durch statusbegründenden Verwaltungsakt festgestellt hat (vgl. § 69 Abs. 5 SGB IX). Deshalb ist mit einer Verlängerung des Schwerbehindertenauseses keine erneute Prüfung durch die Beklagte verbunden und kann aus der Verlängerung nicht auf das fortdauernde Bestehen von Gesundheitsstörungen geschlossen werden. Die fortwährende Verlängerung des Schwerbehindertenausweises des Klägers ist vielmehr allein der Tatsache geschuldet, dass die zugrunde liegende Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H im Bescheid vom 30.03.1978 unverändert – auch über den Abschluss der Hochschulausbildung im August 2002 hinaus – fortbestand.
Der Hochschulabschluss des Klägers scheidet auch nicht deshalb als wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X aus, weil der Bescheid vom 30.03.1978 nicht schon im August 2002, sondern erst im August 2010 im Hinblick auf den Nachteilsausgleich H aufgehoben wurde. Denn einer Aufhebung steht – wenn sie wie hier allein mit Wirkung für die Zukunft erfolgt – nicht entgegen, dass ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt rechtswidrig geworden ist und trotzdem über längere Zeit von der zuständigen Behörde nicht aufgehoben worden ist. Denn anders als bei der Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit gelten bei der Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft die Ausschlussfristen aus § 48 Abs. 4 SGB X nicht (BSGE 72, 1 ff. = Urteil vom 11.12.1992, Az. 9 A RV 20/90; Schütze, in: von Wulffen, SGB X-Kommentar, 6. Auflage 2008, § 48 Rn 34 m.w.N.).
Nach Beendigung der Hochschulausbildung ist der Kläger auch nicht mehr hilflos im Sinne des Gesetzes. Gem. Teil A Ziffer 4 lit. b VmG ist hilflos, wer infolge von nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen für eine Reihe häufig und regelmäßig wiederkehrender Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablaufe eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ist das nach Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählen in diesem Zusammenhang: der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung.
Seit Abschluss seines Hochschulstudiums im August 2002 erfüllte der Kläger diese Voraussetzungen nicht mehr. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, warum der Kläger – als Ausnahme vom gesetzlich in Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG normierten Regelfall – über die Beendigung der Ausbildung hinaus hilflos im Sinne des Gesetzes (Teil A Ziffer 4 lit. b VmG) sein sollte.
Vom Zeitpunkt der Beendigung einer Ausbildung an lässt sich Hilflosigkeit bei Gehörlosen nicht mehr allgemein annehmen, sondern nur noch aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall feststellen. Denn die eigentliche Funktionsstörung bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ist das Kommunikationsdefizit mit der Folge von erschwertem und verzögertem Kenntniserwerb, einer lebenslang verlangsamten Weiterentwicklung und bleibender Fremdheit in der Gesellschaft der Hörenden (BSGE 72, 285, 290 = Urteil vom 23.06.1993, Az. 9/9a RVs 1/91). Dieses Kommunikationsdefizit prägt die gesamte Lebensführung Gehörloser aber regelmäßig nur bis zum Ablauf einer ersten Berufsausbildung, in der Lebensspanne also, während derer Lernen, Kenntnis- und Fertigkeitserwerb zu den zentralen Verrichtungen des täglichen Lebens gehören (BSGE 72, 285 = Urteil vom 23.06.1993, Az. 9/9a RVs 1/91; BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95). Durch den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung zeigt ein Gehörloser, dass er die erworbenen Verständigungsmöglichkeiten in einem wichtigen Lebensbereich zu nutzen versteht. Damit ist es regelmäßig ausgeschlossen, seine Behinderung als prägend für die gesamte Lebensführung und damit ihn selbst als hilflos im Sinne des Gesetzes anzusehen (BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95). Das gilt auch trotz der Anforderungen des heutigen Wirtschafts- und Bildungswesen mit der Notwendigkeit berufsbegleitend und lebenslang neue Fähigkeiten zu erlernen und weiteres Fachwissen zu erwerben. Zwar kann nur noch in seltenen Fällen mit den einmal während einer mehrjährigen Berufsausbildung erworbenen Fähigkeiten und Kenntnissen eine gesicherte Stellung im Beruf erreicht, gesichert und auf Dauer behauptet werden. Daraus lässt sich aber nicht generell der Schluss ziehen, dass ein Gehörloser lebenslang hilflos ist. Das wäre er nur, wenn sich das Kommunikationsdefizit wegen der Notwendigkeit der ständigen Anpassung des beruflichen Könnens und Wissens während des Berufslebens prägend auf die Lebensführung auswirken würde. Daran fehlt es, weil zu den zentralen Verrichtungen im täglichen Leben eines Arbeitnehmers regelmäßig nicht die Anpassung und Erweiterung seiner beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten gehört, sondern die Verrichtung von Arbeit im erlernten Beruf (vgl. BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95). Auch kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass der Gehörlose nach Abschluss der Erstausbildung im nichtberuflichen Bereich weiter hilflos ist, wenn er in dem einem Gehörlosen möglichen Umfang (vgl. dazu BSGE 72, 285, 288 = Urteil vom 23.06.1993, Az. 9/9a RVs 1/91) Schreiben und Lesen erlernt hat.
Besondere Umstände, wonach der Kläger zum Kreis der Gehörlosen gehört, bei denen die Kommunikationsstörung ausnahmsweise eine lebenslange Hilflosigkeit bedingt, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vortrag des Klägers, der Wegfall des Nachteilsausgleichs H bei Abschluss einer Ausbildung sei nur bei solchen Gehörlosen gerechtfertigt, die in Sonderschulmaßnahmen mit Gebärdensprache ausgebildet, gut sozialisiert worden und nach Ausbildungsende etwa in Behinderteneinrichtungen untergebracht seien, nicht aber bei Gehörlosen, die – wie er – eine Regelschule besucht hätten und die Gebärdensprache nicht beherrschten. Maßgeblich für das Fortbestehen von Hilflosigkeit ist nach den obigen Ausführungen nämlich allein die Frage des Umfangs des nach Ausbildungsende fortbestehenden Kommunikationsdefizits. Diesbezüglich ist ausnahmsweise von lebenslanger Hilflosigkeit auszugehen, wenn der Gehörlose sich langzeitig beruflich weiterbildet und die Weiterbildung gleich hohe Anforderungen an Lernen und Fertigkeitserwerb stellt wie eine Erstausbildung, oder wenn er wegen Minderbegabung, einer geistigen Behinderung oder einer zusätzlichen Gesundheitsstörung nicht in der Lage ist, das Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten mit der hörenden Umwelt zu erlernen, das bei einem erfolgreichen Besuch einer Gehörlosenschule vermittelt wird (BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95; BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 9 SB 4/02 R; LSG Hessen, Urteil vom 20.06.2002, L 5 SB 528/01). Eine langzeitige – im Hinblick auf § 2 Abs. 1 SGB IX also über 6 monatige (BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 9 SB 4/02 R) – berufliche Weiterbildung mit hinreichendem Anforderungsprofil absolvierte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Beim Kläger liegt außerdem schon keine Minderbegabung, geistige Behinderung oder zusätzliche Gesundheitsstörung vor. Und obwohl er angibt, keine Gehörlosenschule besucht und die Gebärdensprache nicht gelernt zu haben, ist er zur Überzeugung der Kammer in der Lage, sich mit der hörenden Umwelt mindestens so gut zu verständigen, wie ein Gehörloser, der erfolgreich die Gehörlosenschule besucht hat. Denn der Kläger beherrscht zwar die Gebärdensprache nicht, er kann aber von den Lippen lesen. Sofern er vorträgt, dass dies unter bestimmten Umständen – etwa fehlender Rücksichtnahme der Gesprächspartner, schwer erkennbarem Mundbild, Kommunikation in der Gruppe - schwierig sei, so steht er damit doch nicht schlechter als ein Gehörloser, der ausschließlich die Gebärdensprache beherrscht. Auch für letzteren ergeben sich Probleme, wenn er seinen Gesprächspartner bzw. dessen Gebärden nicht gut sehen kann oder wenn er sich mehreren Gesprächspartner gegenüber sieht. Vorgreiflich dürfte für ihn aber das Problem sein, überhaupt einen Gesprächspartner zu finden, der die Gebärdensprache beherrscht. Für einen Gehörlosen, der allein die Gebärdensprache beherrscht ist der Kreis potentieller Kommunikationspartner nämlich erheblich kleiner als für einen Gehörlosen, der von den Lippen lesen kann. Auch im Hinblick auf die sonstigen Kommunikationsmöglichkeiten Gehörloser – schriftlicher Informationsaustausch durch Lesen und Schreiben – steht der Kläger einem Gehörlosen, der die Gehörlosenschule besucht hat, ersichtlich in nichts nach. Wie der Hochschulabschluss und die vom Kläger persönlich zu Papier gebrachte und ganz überwiegend gut verständlich im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragene Stellungnahme zu diesem Rechtsstreit zeigt, hat er das Schreiben und Lesen jedenfalls in dem einem Gehörlosen möglichen Umfang erlernt und ist auch zu einem verständlichen mündlichen Vortrag des Geschriebenen in der Lage.
Sofern der Kläger mit seinem Verweis auf die Gruppe der in Gebärdensprache ausgebildeten und nach Ausbildungsende in Behinderteneinrichtungen untergebrachten Gehörlosen möglicherweise darauf abstellt, dass diese – anders als der Kläger – jedenfalls innerhalb der jeweiligen Einrichtungen mit den anderen Gehörlosen per Gebärdensprache unproblematisch kommunizieren können, ergibt sich daraus nichts anderes. Denn im Schwerbehindertenrecht kommt es maßgeblich auf eine Gesamtbetrachtung der Teilhabebeeinträchtigung am Leben in der (ganzen) Gesellschaft an (§ 2 Abs. 1 SGB IX), nicht aber auf Besser-/Schlechterstellungen in nur einzelnen Konstellationen und Bereichen der Teilhabe (vgl. zu diesem Rechtsgedanken auch Teil A Ziffer 2 lit. a und b VmG). Sofern für Gehörlose in speziellen Einrichtungen möglicherweise geringere Kommunikationsprobleme unter den in der Einrichtung lebenden Gehörlosen bestehen, sind jedenfalls die Kommunikationsprobleme außerhalb der Einrichtung und in der Kommunikation mit Hörenden eher größer, jedenfalls ist der Kreis potentieller Gesprächspartner kleiner. Bei einer Gesamtbetrachtung ist deshalb keine Besserstellung dieses Personenkreises im Vergleich mit dem Kläger zu erkennen, die eine unterschiedliche Behandlung und Privilegierung des Klägers im Hinblick auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H nach Abschluss einer Ausbildung rechtfertigen könnte.
Ein fortbestehender Anspruch auf den Nachteilsausgleich H ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus einer analogen Anwendung von Teil A Ziffer 4 lit. e aa) VmG, der Blinden und hochgradig Sehbehinderten einen lebenslangen Anspruch auf die Feststellung des Nachteilsausgleichs H gibt. Zur Überzeugung der Kammer fehlt es schon an den methodischen Voraussetzungen einer Analogie, nämlich einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage im Hinblick auf den geregelten und den ungeregelten Fall.
Die Kammer vermag schon keine planwidrige Regelungslücke zu erkennen: Als Ausnahmevorschrift zu Teil A Ziffer 4 lit. b und c VmG ist Teil A Ziffer 4 lit. e aa) VmG ohnehin eng auszulegen und ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber bewusst nur die tatsächlich geregelten Ausnahmen gewollt hat. Auch der Wortlaut und das abgestufte Vorgehen (lit. e: Dies gilt stets bei ...; lit. f: in der Regel auch bei ...) mit der differenzierten Bezeichnung der Gesundheitsstörungen steht der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegen. Außerdem hat der Gesetzgeber im Rahmen der Überführung des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) in das SGB IX im Juni 2001 für Gehörlose den besonderen Nachteilsausgleich Gl geschaffen, dessen Vergünstigungen sich zum Teil mit denen des Nachteilsausgleichs H überschneiden (vgl. etwa § 145 Abs. 1 SGB IX). Dadurch hat er deutlich gemacht, dass er Gehörlose gerade nicht stets für hilflos hält, denn sonst hätte es dieses besonderen Nachteilsausgleichs gar nicht bedurft und machten die sich überschneidenden Vorteile keinen Sinn. Dann besteht aber auch kein Grund zu der Annahme, der Gesetzgeber habe die Gehörlosen planwidrig nicht zu den Regelbeispielen in Teil A Ziffer 4 lit. e VmG gezählt. Dies umso weniger, als bereits in den 1990er-Jahren mehrere Entscheidungen des BSG das Verhältnis von Gehör- und Hilflosigkeit problematisiert (BSGE 72, 285, 290 = Urteil vom 23.06.1993; BSGE 79, 223 = Urteil vom 12.11.1996, Az. 9 RVs 9/95) und den Gesetzgeber zu Änderungen – etwa im Hinblick auf den heutigen Teil A Ziffer 5 lit. d ee) VmG – veranlasst haben (vgl. zu den Urteilen und ihren Folgen Hausmann/Schillings/Wendler, Sozialrecht, Stand März 2011 , Anmerkung zu Teil A Ziffer 4 VmG). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Normgeber weitere als die tatsächlich vorgenommenen Änderungen nicht planwidrig vergessen, sondern offensichtlich nicht hat vornehmen wollen.
Jedenfalls besteht zwischen der Situation bei Blindheit bzw. hochgradiger Sehbehinderung und Gehörlosigkeit keine vergleichbare Interessenlage. Zwar ist bei Blinden wie auch bei Gehörlosen der Verlust einer Sinneswahrnehmung zu beklagten. Nach dem Dafürhalten der Kammer ist die Beeinträchtigung bei Blindheit jedoch ganz anderer Art als bei Gehörlosigkeit und bestehen insbesondere weniger Kompensations- und Ausgleichsmöglichkeiten als bei Gehörlosigkeit. Im Übrigen ist – gerade wegen der Verschiedenheit der betroffenen Sinnesorgane und der durch sie vermittelten Eindrücke eine gesetzliche Fiktion von Hilflosigkeit, wie sie blinden Menschen eingeräumt wird, für gehörlose Menschen nicht in gleicher Weise geboten (BSGE 72, 285, 290 = Urteil vom 23.06.1993; Urteil vom 10.12.2003, Az. B 9 SB 4/02 R). Denn die Gleichsetzung aller Sinnesorgane kommt rechtlich nicht in Betracht, weil sich insoweit die Gleichheit der Lebensverhältnisse und der Folgen des Verlustes eines Sinnesorganes für die Teilhabefähigkeit gerade nicht von selbst versteht. Es gilt das Ausmaß der Behinderung wägend und wertend zu umreißen. Deshalb lassen sich nicht alle Vergünstigungen, die der Gesetzgeber Blinden einräumt, auch nicht der Nachteilsausgleich H, auf die Gehörlosen übertragen (BSG aaO.; LSG Hessen, Urteil vom 20.06.2002, Az. L 5 SB 528/01).
Ein Fortbestehen des Anspruchs auf Feststellung des Nachteilsausgleichs H ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger behaupteten Kollision der VmG mit der UN-Konvention. Eine Kollision der VmG mit der UN-Konvention selbst – einem völkerrechtlichen Vertrag – kommt von vornherein nicht in Betracht, denn die Rechtsordnung unter dem Grundgesetz geht davon aus, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und – wie Art. 59 Abs. 2 GG zeigt – völkerrechtliche Verträge zur innerstaatlichen Wirksamkeit der Inkorporation in die deutsche Rechtsordnung bedürfen (BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004, Az. 2 BvR 1481/04). In Betracht kommt deshalb allenfalls eine Kollision mit dem innerstaatlichen Umsetzungsakt – dem Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl 2008, S. 1419 ff. (Umsetzungsgesetz) – der im Range eines einfachen Bundesgesetzes (vgl. BVerfG aaO.) und damit in der Normenhierarchie über den VmG – einer Rechtsverordnung – steht. Eine solche Kollision vermochte die Kammer indes nicht zu erkennen. Denn das Umsetzungsgesetz hat vor allem einen appellativen Charakter und ruft die Vertragsstaaten zu einer Verbesserung der Situation der behinderten Menschen im Hinblick auf verschiedenste Kriterien auf. Im Hinblick auf die vom Kläger gerügten Umstände käme eine Kollision der VmG wohl am ehesten mit Artikel 19 Umsetzungsgesetz – Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft – in Betracht. Wie das gesamte Umsetzungsgesetz ist aber auch diese Vorschrift erkennbar auf Ausgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber ausgelegt. Es werden keine konkreten Einzelmaßnahmen verpflichtend aufgezählt, sondern lediglich "wirksame und geeignete Maßnahmen" gefordert und mit einem nicht abschließenden Beispielkatalog illustriert. Welche Maßnahmen im jeweiligen Vertragsstaat konkret zu treffen sind, ist gerade nicht geregelt. Solche Maßnahmen zu ermitteln und festzuschreiben bleibt vielmehr dem zur Ausgestaltung und Umsetzung aufgerufenen – und völkerrechtlich verpflichteten – nationalen Gesetzgeber überlassen, dem dabei im Hinblick auf die prognostische Frage der Wirksamkeit und Geeignetheit eine Einschätzungsprärogative, d.h. ein nur beschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 93 Rn 4 m.w.N.). Jedenfalls stehen die VmG nicht in Widerspruch zu den im Umsetzungsgesetz festgelegten Zielen und den geforderten Maßnahmen, sondern teilen (vgl. dazu § 1 SGB IX) und befördern sie schon jetzt weitgehend.
Im Übrigen würde dem Kläger ein Anspruch auf die Feststellung des Nachteilsausgleichs H selbst im Falle einer Kollision zwischen VmG und dem Umsetzungsgesetz nicht zustehen. Denn sofern höherrangiges Bundesrecht – wie das Umsetzungsgesetz – mit einer Rechtsverordnung – wie den VmG – kollidiert, ist diese Rechtsverordnung insoweit im Einzelfall (inter partes) nicht anzuwenden (vgl. BVerfGE 1, 184, 241). Dann bliebe dem Kläger als Anspruchsgrundlage für den Nachteilsausgleich H nur noch § 33b Abs. 6 Satz 3 und 4 Einkommenssteuergesetz (EStG), dem das Umsetzungsgesetz in der Normenhierarchie nicht vorgeht und der mit Teil A Ziffer 4 lit. b VmG inhaltlich identisch ist. Die (identischen) Voraussetzungen des § 33b Abs. 6 Satz 3 und 4 EStG für die Feststellung des Nachteilsausgleichs H sind aber – unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zu den Voraussetzungen von Hilflosigkeit bei Gehörlosen – gerade nicht gegeben.
Schließlich war der Aufhebungsbescheid der Beklagten auch nicht wegen mangelnder Bestimmtheit aufzuheben. Zwar wird im Verfügungssatz des streitgegenständlichen Aufhebungsbescheides ausdrücklich nur auf den Bescheid vom 30.03.1981 Bezug genommen. Mit letzterem Bescheid ist jedoch nur das Vorliegen der Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G und RF, nicht aber des Nachteilsausgleichs H festgestellt worden. Indes ist es unschädlich, wenn der aufzuhebende Bescheid – hier der Bescheid vom 30.03.1978, mit dem das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H festgestellt wurde – vom Verfügungssatz nicht oder nicht richtig erfasst wird, wenn und weil der Wille der Behörde zur Aufhebung des "richtigen" Bescheides sich aus dem Bescheid im Übrigen – v.a. aus der Begründung ergibt (BSG, Urteil vom 11.12.1992, Az. 9a RV 20/90). So liegt es zur Überzeugung der Kammer hier, denn schon der Verfügungssatz des angefochtenen Aufhebungsbescheides macht klar, dass der Nachteilsausgleich H nicht mehr weiter festgestellt werden soll und sich die Aufhebungsentscheidung deshalb jedenfalls auch auf den Bescheid vom 30.03.1978 bezieht, mit dem ursprünglich das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H festgestellt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
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