Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 14 AL 150/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 AL 89/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Insolvenzgeld für Gehaltsforderungen des Klägers aus den Monaten April und Mai 2006.
Der 1961 geborene Kläger war vom 1. Februar 2006 bis 19. Juni 2006 als Maurer bei der Firma C. in D. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber wegen Geschäftsaufgabe zum 9. Juni 2006 mit Schreiben vom 10. Juni 2006 gekündigt.
Der Kläger erhob hiergegen Klage vor dem Arbeitsgericht E. Dort wurde am 10. Oktober 2006 ein Vergleich mit folgendem Inhalt geschlossen:
"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr am 01.02.2006 begründetes Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung des Beklagten vom 10.06.2006 wegen ausschließlich betrieblicher Gründe tariflich fristgemäß mit Ablauf des 19.06.2006 geendet hat.
2. Unter Berücksichtung der Leistungen der Arbeitsverwaltung an den Kläger zahlt der Beklagte zur Abgeltung der Klageforderung an den Kläger für den Monat Februar 2006 1.095,95 EUR brutto, für den Monat März 2006 908,50 EUR brutto sowie für den Monat Juni 2006 1.400,00 EUR brutto und erteilt hierüber dem Kläger ordnungsgemäße monatliche Abrechnungen.
3. Der Beklagte zahlt weiterhin an den Kläger für den Monat April 2006 in Höhe von 412,11 EUR netto und für den Monat Mai 2006 in Höhe von 1.381,25 EUR netto.
4. Alle vorstehenden Beträge sind bis spätestens zum 01.11.2006 zur Zahlung fällig, zu Händen der Prozessbevollmächtigten des Klägers. Zahlt der Beklagte nicht rechtzeitig, so sind die ausstehenden Beträge ab dem 02.11.2006 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
5. Damit sind alle gegenseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien aus ihrem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung erledigt, auf welchem Rechtsgrund sie auch immer beruhen, bekannt oder unbekannt.
6. Ihre außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst, die baren Auslagen des Gerichts werden geteilt."
Nachdem der frühere Arbeitgeber zu dem im Vergleich festgelegten Termin keine Zahlungen erbracht hatte, wurden Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet. Die vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs wurde am 18. Oktober 2006 erteilt. Diese wurde dem Schuldner aufgrund des Zwangsvollstreckungsauftrages des Klägers unter dem Datum vom 4. November 2006 ausweislich der Urkunde am 9. November 2006 durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Der Gerichtsvollzieher unternahm am 20. November 2006 einen erfolglosen Vollstreckungsversuch und lud den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Der Inhaber der Firma C. legte am 13. Dezember 2006 im Rahmen eines anderen Vollstreckungsauftrages die eidesstattliche Versicherung ab, dass er zahlungsunfähig sei. Das entsprechende Vermögensverzeichnis ist der Bevollmächtigten des Klägers vom Amtsgericht E. mit Verfügung vom 19. Januar 2007, eingegangen am 22. Januar 2007, übersandt worden.
Zuvor hatte das Amtsgericht E. bereits mit Beschluss vom 31. Oktober 2006 – xxxxx – einen Antrag der AOK auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen.
Am 29. Januar 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten Insolvenzgeld für die Monate April und Mai 2006.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab und begründete dies mit der Versäumung der Frist gemäß § 324 Abs. 3 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III), weil der Kläger den Antrag mehr als zwei Monate nach dem Insolvenzereignis gestellt habe.
Der Kläger legte gegen die Ablehnung Widerspruch ein und trug vor, er habe keine Mitteilung eines Insolvenzverwalters oder vom ehemaligen Arbeitgeber erhalten, dass ein Insolvenzverfahren überhaupt anhängig gewesen sei. Von einem Insolvenzereignis am 31. Oktober 2006 sei ihm nichts bekannt. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2007 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe mit der Durchsetzung seiner Ansprüche auf rückständiges Arbeitsentgelt einen Rechtsbeistand beauftragt gehabt. Wenn dieser Rechtsbeistand einen Hinweis auf die erforderliche bzw. mögliche Antragstellung auf Insolvenzgeld unterlassen habe und dadurch gegebenenfalls die gesetzlich geforderte Ausschlussfrist versäumt worden sei, müsse dies zu seinen Lasten gehen. Eine Nachfrist sei nicht einzuräumen.
Die dagegen gerichtete Klage ist am 16. Mai 2007 bei dem Sozialgericht Gießen eingegangen. Die Beteiligten haben ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren im Wesentlichen wiederholt und vertieft.
Mit Urteil vom 24. März 2010, der Beklagten zugestellt am 28. April 2010, hat das Sozialgericht Gießen den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld für die Monate April und Mai 2006 im gesetzlichen Umfange zu zahlen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld für die Monate April und Mai 2006 zu. Der Anspruch ergebe sich aus § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Zwar habe der Kläger die zweimonatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt. Dem Kläger sei jedoch eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III einzuräumen. Eine Nachfrist nach dieser Vorschrift sei gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt habe, die er nicht zu vertreten habe, und der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werde. Der Arbeitnehmer habe die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht habe (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Die unverschuldete Unkenntnis von einem Insolvenzereignis führte mithin dann zur Eröffnung einer weiteren Antragsfrist, wenn sich der Arbeitnehmer um die Durchsetzung seiner rückständigen Lohnansprüche bemüht habe. Dies sei hier der Fall. Der Kläger habe wegen der rückständigen Lohnansprüche Klage vor dem Arbeitsgericht E. erhoben. Nachdem dieses Verfahren durch Vergleich abgeschlossen worden sei, seien unverzügliche Vollstreckungsversuche beim Arbeitgeber erfolgt, die dann auch zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 13. Dezember 2006 geführt hätten. Der Kläger habe damit das getan, was jeder vernünftige Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation auch tun würde. Sein Vorgehen sei unter den gegebenen Umständen sachgerecht und angemessen gewesen; es lasse die erforderliche Sorgfalt nicht vermissen. Die Kammer sei auch davon überzeugt, dass der Kläger unverschuldet keine Kenntnis von dem am 31. Oktober 2006 eingetretenen Insolvenzereignis gehabt habe. Von einer Unkenntnis des Arbeitsnehmers sei auszugehen, solange kein ausreichender Anhaltspunkt vorhanden sei, dass er Kenntnis gehabt habe. Nur die positive Kenntnis vom Insolvenzereignis führe zum Anspruchsausschluss. Frühestens ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der eidesstattlichen Versicherung des früheren Arbeitgebers hätten für den Kläger hinreichende Anhaltspunkte für den Eintritt der Insolvenz des Unternehmens vorgelegen. Ausgehend von diesem Zeitpunkt sei der am 29. Januar 2007 gestellte Antrag innerhalb der zweimonatigen Nachfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III gestellt worden. Es ergäben sich hier keine Anhaltspunkte, dass der frühere Arbeitgeber seiner Pflicht aus § 183 Abs. 4 SGB III nachgekommen sei, den Beschluss des Insolvenzgerichts dem Kläger unverzüglich bekannt zu geben. Nur wenn der Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen dürfe, dass seine Ansprüche noch befriedigt würden, sei es ihm zuzumuten, aber auch zu verlangen, sich sachkundig zu machen, Rechtsrat einzuholen und gegebenenfalls vorsorglich Insolvenzgeld zu beantragen. Hierfür hätten aber aus Sicht des Klägers keine Anhaltspunkte bestanden. Im Gegenteil sei noch am 10. Oktober 2006 ein Vergleich vor dem Arbeitsgericht E. geschlossen, aufgrund dessen der Kläger habe davon ausgehen können, dass seine Gehaltsforderungen erfüllt werden würden. Da auch die damalige und jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers von dem Insolvenzereignis keine Kenntnis gehabt habe, habe sie den Kläger auch nicht auf die Notwendigkeit eines Antrags auf Insolvenzgeld hinweisen können.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 26. Mai 2010 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangen.
Die Beklagte trägt vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht angenommen, dass eine Nachfrist zu gewähren sei. Der Kläger habe schon seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses keine vollständigen Lohnzahlungen erhalten. Die durch seine Prozessbevollmächtigte unternommenen Vollstreckungsversuche seien erfolglos geblieben und hätten schließlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 13. Dezember 2006 geführt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger Anlass gehabt, sich beim Insolvenzgericht nach einem anhängigen Insolvenzverfahren zu erkundigen. Der Kläger müsse sich die Versäumnis seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Der Betreiber des Internetportals "Insolvenzbekanntmachungen.de", das Land Nordrhein-Westfalen, weise ausdrücklich darauf hin, dass keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit, Qualität und jederzeitige Verfügbarkeit übernommen werde. Die Bevollmächtigte des Klägers sei durch den Erhalt des Vollstreckungsprotokolls am 22. November 2006 darüber informiert gewesen, dass die Vollstreckung nicht erfolgreich gewesen sei und der ehemalige Arbeitgeber zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geladen worden sei. Dem Kläger und seiner Bevollmächtigten wäre ausreichend Zeit geblieben, vor Fristablauf den Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, dass erst am 22. Januar 2007 vom Amtsgericht E. das Protokoll über die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung übermittelt worden sei. Ein Hinweis auf das Insolvenzverfahren des Schuldners sei zu keiner Zeit in dem Internetportal "Insolvenzbekanntmachungen.de" eingestellt gewesen. Da dort keine Veröffentlichung vorhanden gewesen sei, habe für den Kläger noch weniger Anlass bestanden, weitere Nachforschungen anzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 24. März 2011 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht entschieden, dass der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Insolvenzgeld hat.
Der Anspruch folgt aus § 183 SGB III. Der Kläger stellte am 29. Januar 2007 einen fristgemäßen Leistungsantrag. Zwar versäumte er damit die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III, da der Antrag später als zwei Monate nach der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse mit Beschluss vom 31. Oktober 2006 bei der Beklagten einging. Maßgeblich ist insoweit das Datum des Gerichtsbeschlusses (Krodel in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl., § 180 Rn. 40 m.w.N.). Jedoch lagen – wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – die Voraussetzungen für die Anwendung der Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III vor. Nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (§ 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Innerhalb der Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III hatte der Kläger aus Gründen, die er nicht zu vertreten hatte, keine Kenntnis von der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse durch Beschluss des Amtsgerichts E. vom 31. Oktober 2006.
§ 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist eine spezialgesetzliche Regelung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Daher reicht die Unkenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses, des Laufens der Antragsfrist oder der sonstigen Rechtslage nicht aus. Vielmehr muss sie unverschuldet sein, wobei für das Verschulden bereits leichte Fahrlässigkeit genügt. Maßgeblich ist, ob der Kläger die Antragsfrist unter Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt versäumt hat, die für einen gewissenhaft Handelnden nach den Umständen erforderlich und ihm nach seiner Persönlichkeit zumutbar ist (BSG, Urteil vom 26. August 1983 - 10 Rar 1/82 - BSGE 55, 284). Bei der Beurteilung, ob der Arbeitnehmer die Fristversäumnis zu vertreten hat, ist ihm grundsätzlich auch das Verschulden (und in diesem Rahmen die Kenntnis) seines Bevollmächtigten zuzurechnen (vgl. § 276 BGB, § 73 Abs. 6 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Februar 2010 - L 12 AL 10/09 - juris). Dieser Sorgfaltsmaßstab wird europarechtlich überlagert, da § 324 Abs. 3 SGB III in den Regelungsbereich der seinerzeit noch geltenden Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers fällt (vgl. EuGH, Urteil vom 18. September 2003 - Rs. C-125/01 - Pflücke, Slg. 2003, I-9375; Hessisches LSG, Urteil vom 26. Oktober 2007 – L 7 AL 185/05 – juris m.w.N.). § 324 Abs. 3 SGB III kann die praktische Wirksamkeit des mit der Insolvenzsicherungsrichtlinie gewährten Schutzes nur dann gewährleisten, wenn die zuständigen Stellen nicht "übermäßig streng" beurteilen, ob der Betroffene sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (EuGH a.a.O. Rn. 44). Die Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes hat sich darüber hinaus daran auszurichten, dass er die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (EuGH a.a.O. Rn. 46; vgl. auch EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - Rs. C-69/08 - juris).
Hiernach kann dem Kläger kein Fahrlässigkeitsvorwurf daraus gemacht werden, dass er und seine Bevollmächtigte zunächst keine Kenntnis von der Abweisung des auf seinen ehemaligen Arbeitgeber bezogenen Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse hatten. Zwar ist eine erhöhte Sorgfalt hinsichtlich der Ermittlung eines Insolvenzereignisses geboten, wenn – wie hier – ein Arbeitgeber bereits seit längerem mit der Zahlung des Restlohnes nach einer Betriebseinstellung in Verzug ist. Ein Arbeitnehmer muss insoweit die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners ernstlich in Betracht ziehen und sich gegebenenfalls über die Möglichkeit einer Insolvenz informieren. Indes bestand für den Kläger und seine Bevollmächtigte aufgrund der bereits betriebenen Zwangsvollstreckung und des zügigen zeitlichen Ablaufes ab Titulierung des Anspruches kein Anlass zu weiteren Nachforschungen, da der Zwangsvollstreckungsauftrag vom 4. November 2006 zunächst durch den Gerichtsvollzieher normal bearbeitet wurde. Der Kläger und seine Bevollmächtigte konnten angesichts der zügig und ordentlich betriebenen Vollstreckung darauf vertrauen, im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens gegebenenfalls Kenntnis von einem Insolvenzereignis zu erlangen. Die vollstreckbare Ausfertigung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs wurde am 18. Oktober 2006 erteilt. Diese wurde dem Schuldner aufgrund des Zwangsvollstreckungsauftrages des Klägers unter dem Datum vom 4. November 2006 ausweislich der Urkunde am 9. November 2006 durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Der Gerichtsvollzieher unternahm am 20. November 2006 einen erfolglosen Vollstreckungsversuch und lud den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Als der Gerichtsvollzieher mit Schreiben vom 21. November 2006 die Protokollablichtung übersandte, wonach dieser den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO geladen hatte, konnten der Kläger und seine Bevollmächtigte davon ausgehen, dass noch kein Insolvenzereignis stattgefunden hat. Offensichtlich war selbst der Gerichtsvollzieher zu diesem Zeitpunkt nicht darüber informiert, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits drei Wochen zuvor abgelehnt worden war. Die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist zudem ein vollstreckungsrechtliches Druckmittel, aus dem – anders als aus der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung selbst - für das Vorliegen der Insolvenzvoraussetzungen oder eines Insolvenzereignisses in rechtlicher Hinsicht keine Rückschlüsse gezogen werden können. Angesichts des zeitlichen Ablaufes des Vollstreckungsverfahrens gab es ebenfalls keinen Anlass, vor Ablauf des Jahres 2006 weitere Ermittlungen anzustellen, ob ein Insolvenzereignis vorlag; im November und Dezember 2006 wurde das Vollstreckungsverfahren durch den Gerichtsvollzieher ersichtlich betrieben. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der zu vollstreckende gerichtliche Vergleich erst vom 10. Oktober 2006 datiert. Würde man hier strengere Maßstäbe wegen des Unterlassens früherer Ermittlungen stellen, so hätte der Kläger seinem ehemaligen Arbeitgeber letztlich einen Eingehungsbetrug bei Vergleichsschluss unterstellen müssen. Ein derartiges Misstrauen zu fordern, würde die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt überdehnen. Eine weiterer, im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigender Umstand ist schließlich, dass der Beschluss des Amtsgerichts E. nicht in www.insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht worden ist, worauf die Bevollmächtigte des Klägers hingewiesen hat. Nach
Überprüfung des Senats ist dies auch heute noch nicht der Fall. Angesichts dieser atypischen Informationslage kann dem Kläger seine Unkenntnis nicht vorgeworfen werden.
Erst am 22. Januar 2007 erhielt die Bevollmächtigte des Klägers das Vermögensverzeichnis des früheren Arbeitgebers vom 13. Dezember 2006, welches zu weiteren Ermittlungen Anlass gegeben hätte.
Offenbleiben kann, ob zu einem früheren Zeitpunkt im Laufe des Januar 2007 nicht eine Anfrage bei dem Gerichtsvollzieher zum Sachstand des Vollstreckungsauftrages geboten gewesen wäre, da dies die Rechtzeitigkeit der Antragstellung am 29. Januar 2007 innerhalb der Nachfrist am Maßstab des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht berührt hätte.
Hinsichtlich der weiteren anspruchsbegründenden Voraussetzungen wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Zutreffend wurde dort auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis abgestellt. Insoweit war die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 19. Juni 2006 maßgeblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Insolvenzgeld für Gehaltsforderungen des Klägers aus den Monaten April und Mai 2006.
Der 1961 geborene Kläger war vom 1. Februar 2006 bis 19. Juni 2006 als Maurer bei der Firma C. in D. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber wegen Geschäftsaufgabe zum 9. Juni 2006 mit Schreiben vom 10. Juni 2006 gekündigt.
Der Kläger erhob hiergegen Klage vor dem Arbeitsgericht E. Dort wurde am 10. Oktober 2006 ein Vergleich mit folgendem Inhalt geschlossen:
"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr am 01.02.2006 begründetes Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung des Beklagten vom 10.06.2006 wegen ausschließlich betrieblicher Gründe tariflich fristgemäß mit Ablauf des 19.06.2006 geendet hat.
2. Unter Berücksichtung der Leistungen der Arbeitsverwaltung an den Kläger zahlt der Beklagte zur Abgeltung der Klageforderung an den Kläger für den Monat Februar 2006 1.095,95 EUR brutto, für den Monat März 2006 908,50 EUR brutto sowie für den Monat Juni 2006 1.400,00 EUR brutto und erteilt hierüber dem Kläger ordnungsgemäße monatliche Abrechnungen.
3. Der Beklagte zahlt weiterhin an den Kläger für den Monat April 2006 in Höhe von 412,11 EUR netto und für den Monat Mai 2006 in Höhe von 1.381,25 EUR netto.
4. Alle vorstehenden Beträge sind bis spätestens zum 01.11.2006 zur Zahlung fällig, zu Händen der Prozessbevollmächtigten des Klägers. Zahlt der Beklagte nicht rechtzeitig, so sind die ausstehenden Beträge ab dem 02.11.2006 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
5. Damit sind alle gegenseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien aus ihrem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung erledigt, auf welchem Rechtsgrund sie auch immer beruhen, bekannt oder unbekannt.
6. Ihre außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst, die baren Auslagen des Gerichts werden geteilt."
Nachdem der frühere Arbeitgeber zu dem im Vergleich festgelegten Termin keine Zahlungen erbracht hatte, wurden Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet. Die vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs wurde am 18. Oktober 2006 erteilt. Diese wurde dem Schuldner aufgrund des Zwangsvollstreckungsauftrages des Klägers unter dem Datum vom 4. November 2006 ausweislich der Urkunde am 9. November 2006 durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Der Gerichtsvollzieher unternahm am 20. November 2006 einen erfolglosen Vollstreckungsversuch und lud den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Der Inhaber der Firma C. legte am 13. Dezember 2006 im Rahmen eines anderen Vollstreckungsauftrages die eidesstattliche Versicherung ab, dass er zahlungsunfähig sei. Das entsprechende Vermögensverzeichnis ist der Bevollmächtigten des Klägers vom Amtsgericht E. mit Verfügung vom 19. Januar 2007, eingegangen am 22. Januar 2007, übersandt worden.
Zuvor hatte das Amtsgericht E. bereits mit Beschluss vom 31. Oktober 2006 – xxxxx – einen Antrag der AOK auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen.
Am 29. Januar 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten Insolvenzgeld für die Monate April und Mai 2006.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab und begründete dies mit der Versäumung der Frist gemäß § 324 Abs. 3 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III), weil der Kläger den Antrag mehr als zwei Monate nach dem Insolvenzereignis gestellt habe.
Der Kläger legte gegen die Ablehnung Widerspruch ein und trug vor, er habe keine Mitteilung eines Insolvenzverwalters oder vom ehemaligen Arbeitgeber erhalten, dass ein Insolvenzverfahren überhaupt anhängig gewesen sei. Von einem Insolvenzereignis am 31. Oktober 2006 sei ihm nichts bekannt. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2007 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe mit der Durchsetzung seiner Ansprüche auf rückständiges Arbeitsentgelt einen Rechtsbeistand beauftragt gehabt. Wenn dieser Rechtsbeistand einen Hinweis auf die erforderliche bzw. mögliche Antragstellung auf Insolvenzgeld unterlassen habe und dadurch gegebenenfalls die gesetzlich geforderte Ausschlussfrist versäumt worden sei, müsse dies zu seinen Lasten gehen. Eine Nachfrist sei nicht einzuräumen.
Die dagegen gerichtete Klage ist am 16. Mai 2007 bei dem Sozialgericht Gießen eingegangen. Die Beteiligten haben ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren im Wesentlichen wiederholt und vertieft.
Mit Urteil vom 24. März 2010, der Beklagten zugestellt am 28. April 2010, hat das Sozialgericht Gießen den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld für die Monate April und Mai 2006 im gesetzlichen Umfange zu zahlen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld für die Monate April und Mai 2006 zu. Der Anspruch ergebe sich aus § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Zwar habe der Kläger die zweimonatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt. Dem Kläger sei jedoch eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III einzuräumen. Eine Nachfrist nach dieser Vorschrift sei gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt habe, die er nicht zu vertreten habe, und der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werde. Der Arbeitnehmer habe die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht habe (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Die unverschuldete Unkenntnis von einem Insolvenzereignis führte mithin dann zur Eröffnung einer weiteren Antragsfrist, wenn sich der Arbeitnehmer um die Durchsetzung seiner rückständigen Lohnansprüche bemüht habe. Dies sei hier der Fall. Der Kläger habe wegen der rückständigen Lohnansprüche Klage vor dem Arbeitsgericht E. erhoben. Nachdem dieses Verfahren durch Vergleich abgeschlossen worden sei, seien unverzügliche Vollstreckungsversuche beim Arbeitgeber erfolgt, die dann auch zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 13. Dezember 2006 geführt hätten. Der Kläger habe damit das getan, was jeder vernünftige Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation auch tun würde. Sein Vorgehen sei unter den gegebenen Umständen sachgerecht und angemessen gewesen; es lasse die erforderliche Sorgfalt nicht vermissen. Die Kammer sei auch davon überzeugt, dass der Kläger unverschuldet keine Kenntnis von dem am 31. Oktober 2006 eingetretenen Insolvenzereignis gehabt habe. Von einer Unkenntnis des Arbeitsnehmers sei auszugehen, solange kein ausreichender Anhaltspunkt vorhanden sei, dass er Kenntnis gehabt habe. Nur die positive Kenntnis vom Insolvenzereignis führe zum Anspruchsausschluss. Frühestens ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der eidesstattlichen Versicherung des früheren Arbeitgebers hätten für den Kläger hinreichende Anhaltspunkte für den Eintritt der Insolvenz des Unternehmens vorgelegen. Ausgehend von diesem Zeitpunkt sei der am 29. Januar 2007 gestellte Antrag innerhalb der zweimonatigen Nachfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III gestellt worden. Es ergäben sich hier keine Anhaltspunkte, dass der frühere Arbeitgeber seiner Pflicht aus § 183 Abs. 4 SGB III nachgekommen sei, den Beschluss des Insolvenzgerichts dem Kläger unverzüglich bekannt zu geben. Nur wenn der Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen dürfe, dass seine Ansprüche noch befriedigt würden, sei es ihm zuzumuten, aber auch zu verlangen, sich sachkundig zu machen, Rechtsrat einzuholen und gegebenenfalls vorsorglich Insolvenzgeld zu beantragen. Hierfür hätten aber aus Sicht des Klägers keine Anhaltspunkte bestanden. Im Gegenteil sei noch am 10. Oktober 2006 ein Vergleich vor dem Arbeitsgericht E. geschlossen, aufgrund dessen der Kläger habe davon ausgehen können, dass seine Gehaltsforderungen erfüllt werden würden. Da auch die damalige und jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers von dem Insolvenzereignis keine Kenntnis gehabt habe, habe sie den Kläger auch nicht auf die Notwendigkeit eines Antrags auf Insolvenzgeld hinweisen können.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 26. Mai 2010 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangen.
Die Beklagte trägt vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht angenommen, dass eine Nachfrist zu gewähren sei. Der Kläger habe schon seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses keine vollständigen Lohnzahlungen erhalten. Die durch seine Prozessbevollmächtigte unternommenen Vollstreckungsversuche seien erfolglos geblieben und hätten schließlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 13. Dezember 2006 geführt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger Anlass gehabt, sich beim Insolvenzgericht nach einem anhängigen Insolvenzverfahren zu erkundigen. Der Kläger müsse sich die Versäumnis seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Der Betreiber des Internetportals "Insolvenzbekanntmachungen.de", das Land Nordrhein-Westfalen, weise ausdrücklich darauf hin, dass keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit, Qualität und jederzeitige Verfügbarkeit übernommen werde. Die Bevollmächtigte des Klägers sei durch den Erhalt des Vollstreckungsprotokolls am 22. November 2006 darüber informiert gewesen, dass die Vollstreckung nicht erfolgreich gewesen sei und der ehemalige Arbeitgeber zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geladen worden sei. Dem Kläger und seiner Bevollmächtigten wäre ausreichend Zeit geblieben, vor Fristablauf den Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, dass erst am 22. Januar 2007 vom Amtsgericht E. das Protokoll über die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung übermittelt worden sei. Ein Hinweis auf das Insolvenzverfahren des Schuldners sei zu keiner Zeit in dem Internetportal "Insolvenzbekanntmachungen.de" eingestellt gewesen. Da dort keine Veröffentlichung vorhanden gewesen sei, habe für den Kläger noch weniger Anlass bestanden, weitere Nachforschungen anzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 24. März 2011 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht entschieden, dass der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Insolvenzgeld hat.
Der Anspruch folgt aus § 183 SGB III. Der Kläger stellte am 29. Januar 2007 einen fristgemäßen Leistungsantrag. Zwar versäumte er damit die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III, da der Antrag später als zwei Monate nach der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse mit Beschluss vom 31. Oktober 2006 bei der Beklagten einging. Maßgeblich ist insoweit das Datum des Gerichtsbeschlusses (Krodel in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl., § 180 Rn. 40 m.w.N.). Jedoch lagen – wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – die Voraussetzungen für die Anwendung der Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III vor. Nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (§ 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Innerhalb der Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III hatte der Kläger aus Gründen, die er nicht zu vertreten hatte, keine Kenntnis von der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse durch Beschluss des Amtsgerichts E. vom 31. Oktober 2006.
§ 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist eine spezialgesetzliche Regelung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Daher reicht die Unkenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses, des Laufens der Antragsfrist oder der sonstigen Rechtslage nicht aus. Vielmehr muss sie unverschuldet sein, wobei für das Verschulden bereits leichte Fahrlässigkeit genügt. Maßgeblich ist, ob der Kläger die Antragsfrist unter Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt versäumt hat, die für einen gewissenhaft Handelnden nach den Umständen erforderlich und ihm nach seiner Persönlichkeit zumutbar ist (BSG, Urteil vom 26. August 1983 - 10 Rar 1/82 - BSGE 55, 284). Bei der Beurteilung, ob der Arbeitnehmer die Fristversäumnis zu vertreten hat, ist ihm grundsätzlich auch das Verschulden (und in diesem Rahmen die Kenntnis) seines Bevollmächtigten zuzurechnen (vgl. § 276 BGB, § 73 Abs. 6 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Februar 2010 - L 12 AL 10/09 - juris). Dieser Sorgfaltsmaßstab wird europarechtlich überlagert, da § 324 Abs. 3 SGB III in den Regelungsbereich der seinerzeit noch geltenden Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers fällt (vgl. EuGH, Urteil vom 18. September 2003 - Rs. C-125/01 - Pflücke, Slg. 2003, I-9375; Hessisches LSG, Urteil vom 26. Oktober 2007 – L 7 AL 185/05 – juris m.w.N.). § 324 Abs. 3 SGB III kann die praktische Wirksamkeit des mit der Insolvenzsicherungsrichtlinie gewährten Schutzes nur dann gewährleisten, wenn die zuständigen Stellen nicht "übermäßig streng" beurteilen, ob der Betroffene sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (EuGH a.a.O. Rn. 44). Die Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes hat sich darüber hinaus daran auszurichten, dass er die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (EuGH a.a.O. Rn. 46; vgl. auch EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - Rs. C-69/08 - juris).
Hiernach kann dem Kläger kein Fahrlässigkeitsvorwurf daraus gemacht werden, dass er und seine Bevollmächtigte zunächst keine Kenntnis von der Abweisung des auf seinen ehemaligen Arbeitgeber bezogenen Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse hatten. Zwar ist eine erhöhte Sorgfalt hinsichtlich der Ermittlung eines Insolvenzereignisses geboten, wenn – wie hier – ein Arbeitgeber bereits seit längerem mit der Zahlung des Restlohnes nach einer Betriebseinstellung in Verzug ist. Ein Arbeitnehmer muss insoweit die Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners ernstlich in Betracht ziehen und sich gegebenenfalls über die Möglichkeit einer Insolvenz informieren. Indes bestand für den Kläger und seine Bevollmächtigte aufgrund der bereits betriebenen Zwangsvollstreckung und des zügigen zeitlichen Ablaufes ab Titulierung des Anspruches kein Anlass zu weiteren Nachforschungen, da der Zwangsvollstreckungsauftrag vom 4. November 2006 zunächst durch den Gerichtsvollzieher normal bearbeitet wurde. Der Kläger und seine Bevollmächtigte konnten angesichts der zügig und ordentlich betriebenen Vollstreckung darauf vertrauen, im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens gegebenenfalls Kenntnis von einem Insolvenzereignis zu erlangen. Die vollstreckbare Ausfertigung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs wurde am 18. Oktober 2006 erteilt. Diese wurde dem Schuldner aufgrund des Zwangsvollstreckungsauftrages des Klägers unter dem Datum vom 4. November 2006 ausweislich der Urkunde am 9. November 2006 durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Der Gerichtsvollzieher unternahm am 20. November 2006 einen erfolglosen Vollstreckungsversuch und lud den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Als der Gerichtsvollzieher mit Schreiben vom 21. November 2006 die Protokollablichtung übersandte, wonach dieser den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO geladen hatte, konnten der Kläger und seine Bevollmächtigte davon ausgehen, dass noch kein Insolvenzereignis stattgefunden hat. Offensichtlich war selbst der Gerichtsvollzieher zu diesem Zeitpunkt nicht darüber informiert, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits drei Wochen zuvor abgelehnt worden war. Die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist zudem ein vollstreckungsrechtliches Druckmittel, aus dem – anders als aus der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung selbst - für das Vorliegen der Insolvenzvoraussetzungen oder eines Insolvenzereignisses in rechtlicher Hinsicht keine Rückschlüsse gezogen werden können. Angesichts des zeitlichen Ablaufes des Vollstreckungsverfahrens gab es ebenfalls keinen Anlass, vor Ablauf des Jahres 2006 weitere Ermittlungen anzustellen, ob ein Insolvenzereignis vorlag; im November und Dezember 2006 wurde das Vollstreckungsverfahren durch den Gerichtsvollzieher ersichtlich betrieben. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der zu vollstreckende gerichtliche Vergleich erst vom 10. Oktober 2006 datiert. Würde man hier strengere Maßstäbe wegen des Unterlassens früherer Ermittlungen stellen, so hätte der Kläger seinem ehemaligen Arbeitgeber letztlich einen Eingehungsbetrug bei Vergleichsschluss unterstellen müssen. Ein derartiges Misstrauen zu fordern, würde die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt überdehnen. Eine weiterer, im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigender Umstand ist schließlich, dass der Beschluss des Amtsgerichts E. nicht in www.insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht worden ist, worauf die Bevollmächtigte des Klägers hingewiesen hat. Nach
Überprüfung des Senats ist dies auch heute noch nicht der Fall. Angesichts dieser atypischen Informationslage kann dem Kläger seine Unkenntnis nicht vorgeworfen werden.
Erst am 22. Januar 2007 erhielt die Bevollmächtigte des Klägers das Vermögensverzeichnis des früheren Arbeitgebers vom 13. Dezember 2006, welches zu weiteren Ermittlungen Anlass gegeben hätte.
Offenbleiben kann, ob zu einem früheren Zeitpunkt im Laufe des Januar 2007 nicht eine Anfrage bei dem Gerichtsvollzieher zum Sachstand des Vollstreckungsauftrages geboten gewesen wäre, da dies die Rechtzeitigkeit der Antragstellung am 29. Januar 2007 innerhalb der Nachfrist am Maßstab des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht berührt hätte.
Hinsichtlich der weiteren anspruchsbegründenden Voraussetzungen wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Zutreffend wurde dort auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis abgestellt. Insoweit war die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 19. Juni 2006 maßgeblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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