L 5 KR 14/11 KL

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 14/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.Bei einer rechtswidrigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes stellt das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage deklaratorisch fest.
2.Wendet sich eine Krankenkasse mit einer Klage gegen die Mitteilung einer Aufsichtsbehörde, in der sie über einen Wechsel der zuständigen Aufsichtsbehörde unterrichtet und gleichzeitig u. a. aufgefordert wird, diverse Unterlagen vorzulegen, so hat diese Klage aufschiebende Wirkung.
Es wird festgestellt, dass die Klage der Antragstellerin vom 10. Februar 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (L 5 KR 14/11 KL) gegen die Anordnung der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2011 aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die antragstellende I.-krankenkasse N. mit Sitz in L., S.-H., erhielt von der Antragsgegnerin unter dem Datum 1. Februar 2011 die Mitteilung, dass nach der gemeinsamen Auffassung des Beigeladenen und der Antragsgegnerin die Antragstellerin ein bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger im Sinne von Art. 87 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) sei. Die Antragsgegnerin übernehme die Aufsicht über die Antragstellerin mit sofortiger Wirkung und bitte um die Vorlage diverser Unterlagen bzw. Mitteilung diverser Angaben. Diese werden anschließend im Einzelnen aufgeführt. Unter Punkt III. Satzung heißt es: "Bei nächster Gelegenheit bitten wir, § 1 Absatz 4 der Satzung um die Länder Niedersachsen und Hamburg zu erweitern. Außerdem wären ggf. in einer Anlage zur Satzung die Trägerinnungen sowie die Erstreckung auf die jeweiligen Bundesländer aufzulisten. Gemäß § 173 Absatz 2 Satz 2 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) muss sich aus der Satzung der IKK N. die Zuständigkeit für die Betriebe ergeben, von denen gemäß § 173 Absatz 2 Nr. 4 SGB V – abgestellt auf die Gebiete der Länder – das Satzungswahlrecht abgeleitet wird. Eine entsprechende Regelung hat in der Satzung zu erfolgen, so dass diese zu konkretisieren wäre."

Mit ihrer am 10. Februar 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhobenen Klage wendet sich die Antragstellerin gegen die Feststellung der Antragsgegnerin, sie, die Antragstellerin, sei ein bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger und die Aufsicht über sie gehe auf die Antragsgegnerin über. In ihren weiteren Ausführungen geht die Antragstellerin davon aus, dass es sich bei dem Schreiben vom 1. Februar 2011 um einen Verwaltungsakt handelt und begründet dies näher. Sollte, so die Antragstellerin, das Gericht das Schreiben nicht als Verwaltungsakt qualifizieren, werde lediglich um die Feststellung gebeten, dass sie eine landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts sei. Umfassend trägt die Antragstellerin anschließend dazu vor, warum ihrer Auffassung nach der Verwaltungsakt aus mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft sei, so u. a., weil ihm einzelne notwendige Bestandteile eines Verwaltungsaktes fehlten und im Übrigen keine Veränderung des Sachverhaltes dergestalt vorliege, dass es zu einer Änderung der Zuständigkeit der Aufsicht gekommen sei.

Nachdem das beigeladene Sozialministerium des Landes Schleswig-Holstein der Antragstellern mit E-Mail vom 3. März 2011 mitgeteilt hat, eine Anfrage zu einer Satzungsänderung sei an die zuständige Aufsichtsbehörde, die Antragsgegnerin, weitergeleitet worden und sämtliche weiteren Vorgänge, die die Antragstellerin beträfen, würden an die Antragsgegnerin geleitet, beantragt die Antragstellerin am 14. März 2011 beim Schleswig-Holsteini¬schen Landessozialgericht die Feststellung, dass ihre Klage vom 10. Februar 2011 gegen den Verwaltungsakt der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2011 aufschiebende Wirkung hat. Die Anordnung sei auszusprechen, weil die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung offensichtlich missachte. Sollte der Senat den angegriffenen Verwaltungsakt nicht als solchen betrachten, werde hilfsweise eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt. Ein besonderes Interesse an der Feststellung habe sie u. a. deshalb, weil sie anderweitig gar nicht in der Lage sei, ihren gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber der Aufsicht zu genügen. So müssten im Zweifel Übermittlungen von Daten verweigert werden, um nicht selbst gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen zu verstoßen. Im Übrigen zeige weiterer Schriftwechsel der Antragsgegnerin, dass der Wechsel der Aufsichtszuständigkeit nicht auf der Grundlage einer validen Sachverhaltsermittlung und umfassenden rechtlichen Bewertung getroffen worden sei.

Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz. Sie, die Antragsgegnerin, und der Beigeladene gingen übereinstimmend davon aus, dass die Überprüfung des Erstreckungsbereichs der Antragstellerin als Ergebnis deren Bundesunmittelbarkeit ergeben habe. Dies sei der Antragstellerin mit dem Schreiben vom 1. Februar 2011 mitgeteilt worden. Dabei handele es sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin um keinen Verwaltungsakt. Bereits im Klageverfahren habe die Antragsgegnerin ausführlich begründet, dass das Schreiben rein informativer Natur sei und allein der praktischen Umsetzung des bereits eingetretenen gesetzlichen Wechsels infolge nachgewiesener Erstreckung der Antragstellerin über das Gebiet von mehr als drei Bundesländern diene. Damit könne die erhobene Klage auch keine aufschiebende Wirkung begründen. Sie, die Antragsgegnerin, gehe folglich weiterhin von ihrer aufsichtsrechtlichen Zuständigkeit gegenüber der Antragstellerin aus und beabsichtige, ihre gesetzlichen Befugnisse der Antragstellerin gegenüber wahrzunehmen. Die Antragstellerin könne ihr Begehren auch nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung erreichen. Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs werde auf die umfassenden Ausführungen zum Sachverhalt, der zur Änderung der Zuständigkeit der Aufsicht geführt habe, verwiesen. Der ermittelte Sachverhalt sei valide. Die weiteren Sachverhaltsermittlungen erfolgten im Hinblick auf eine Anpassung der Satzung der Antragstellerin. Außerdem fehle es an einem Anordnungsgrund. Es seien keine Nachteile für die Antragstel¬lerin durch einen Wechsel der Aufsicht entstanden, sie sei insbesondere nicht in ihrem Bestand oder ihrer Handlungsfähigkeit bedroht.

Der Beigeladene schließt sich der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin an, dass es sich bei der Mitteilung vom 1. Feb-ruar 2011 nicht um einen Verwaltungsakt handele. Vielmehr habe die Mitteilung ausschließlich deklaratorischen Charakter. Zudem fehle dem Antrag die Klagebefugnis, da nicht ansatzweise erkennbar sei, inwieweit die Antragstellerin durch die Änderung der Zuständigkeit beschwert sein solle. Der Wechsel der Rechtsaufsicht habe einen rein ordnungsrechtlichen Charakter.

II.

Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet.

Zutreffend hat die Antragstellerin den Antrag beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht gestellt. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts ergibt sich aus § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG.

Das auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes notwendige Rechtsschutzbedürfnis (Keller in Meyer-Ladewig u. a., Kommentar zum SGG, § 86b Rz. 7a, 15; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rz. 20 ff.) besteht seitens der Antragstellerin darin, dass die Antragsgegnerin sowohl in ihren Schreiben an die Antragstellerin als auch im Vortrag gegenüber dem Gericht zu erkennen gibt, dass sie eine aufschiebende Wirkung nicht für gegeben erachtet.

Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet. Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 86b Abs. 1 SGG und hier die analoge Anwendung der Nr. 2 des Satzes 1 der Vorschrift. Zwar geht diese ausdrücklich von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen aus, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Bei einer rechtswidrigen Vollziehung kann die (ohnehin gegebene) aufschiebende Wirkung jedoch nicht angeordnet, sondern (nur) deklaratorisch festgestellt werden. Zu prüfen ist hier lediglich, ob aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen gegeben ist, eine Interessenabwägung ist nicht vorzunehmen (Krodel, a.a.O., Rz. 178 m.w.N.). Vorliegend kommt der Klage der Antragstellerin aufschiebende Wirkung zu.

Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. Das ist hier entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Beigeladenen der Fall.

Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung sieht der Senat die Grundvoraussetzung dieser die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage bestimmenden Norm, nämlich das Vorliegen eines Verwaltungsaktes in dem Schreiben vom 1. Februar 2001 der Antragsgegnerin, als gegeben an. Unzweifelhaft handelt es sich um eine Aufforderung der Aufsichtsbehörde gegenüber dem der Aufsicht (vermeintlich) unterstehenden Sozialversicherungsträger. In ihr wird nicht nur eine Rechtsfolge dargestellt, nämlich der Wechsel der für die Antragstellerin zuständigen Aufsichtsbehörde von dem Beigeladenen auf die Antragsgegnerin. In dem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nach § 86a Abs. 1 Satz 2 SGG auch feststellende Verwaltungsakte aufschiebende Wirkung entfalten. Darüber hinaus fordert in dem Schreiben vom 1. Februar die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, ihr diverse Unterlagen vorzulegen bzw. Angaben zu machen. Sie weist zudem auf notwendige Änderungen der Satzung hin. Damit gleicht dieser Fall dem vom Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 16. Dezember 1965 (3 RK 33/62, BSGE 24, SozR Nr. 3 zu GG Art. 87) entschiedenen, in dem das Bundesversicherungsamt ebenfalls nach einem (umstrittenen) Zuständigkeitswechsel die klagende BKK zur Übersendung diverser Unterlagen aufgefordert hatte. Vom BSG, ebenso wie von den Vorinstanzen, ist darin eine mit der Anfechtungsklage anfechtbare "Anordnung" bzw. "Verfügung" angesehen worden, ohne dass dies näher problematisiert wurde. Dieser Rechtsauffassung schließt sich der Senat auch vor dem Hintergrund an, dass der Gesetzgeber mit § 54 Abs. 3 SGG einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein gesondertes Klagerecht dergestalt eingeräumt hat, dass mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde mit der Begründung begehrt wird, die Anordnung überschreite das Aufsichtsrecht. Diese Regelung dient dazu, die Anfechtbarkeit aller Maßnahmen der Aufsichts- und Mitwirkungsbehörden zu gewährleisten, die in die Rechtssphäre der Selbstverwaltungskörperschaften eingreifen. Durch sie sollen Zweifel im Hinblick auf die Gestaltung der Rechtskontrolle im Verhältnis zwischen Staatsaufsicht und Selbstverwaltung ausgeräumt werden (Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Teil V, Anm. I.)an.

Unzweifelhaft handelt es sich bei Aufsichtsanordnungen als Aufsichtsmittel gemäß § 89 des Vierten Sozialgesetzbuches um Verwaltungsakte, gegenüber denen die verpflichtete Behörde Anfechtungsklage erheben kann. Denn inhaltlich handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (vgl. § 31 des Zehnten Sozialgesetzbuches). Der Umfang der Bedeutung des jeweiligen Aktes ist dabei unerheblich und hat auf die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, keine Auswirkungen. Letztlich darf bei der Bewertung der Mitteilung vom 1. Februar 2011 auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass in der Feststellung der Zuständigkeit bzw. des Zuständigkeitswechsels der aufsichtführenden Behörde ein Element festgestellt wird, das bei einer späteren Überprüfung einer Aufsichtsanordnung Gegenstand dieser Überprüfung im Rahmen ihrer Rechtmäßigkeit ist. Im Fall der fehlenden Zuständigkeit führt dies nämlich zu einer Aufhebung der Anordnung.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Beigeladenen dient das Schreiben vom 1. Februar 2011 nicht "nur" der Klarstellung einer offensichtlich bestehenden Rechtslage. Vielmehr ist dieses Schreiben mit dem Ergebnis der veränderten Zuständigkeit für die Aufsicht Folge einer sowohl von dem Beigeladenen als auch von der Antragsgegnerin durchgeführten Subsumtion dergestalt, dass der veränderte Sachverhalt nunmehr dazu führt, dass die Antragstellerin ihren Zuständigkeitsbereich über mehr als drei Länder hinaus im Sinne des Art. 87 Abs. 2 GG erstreckt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Von einer Beteiligung des Beigeladenen an der Kostentragung hat der Senat im Hinblick darauf abgesehen, dass dieser einen ausdrücklichen Antrag nicht gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Der Sach- und Streitstand bietet für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, so dass dieser nach § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz in Höhe von 5.000,00 EUR festzusetzen ist.

Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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