L 11 R 1184/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 3685/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1184/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.02.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1956 geborene Kläger hat nach seinen eigenen Angaben bei Rentenantragstellung von 1975 bis 1976 erfolgreich eine Hotelfachschule besucht. Nach seinem Wehrdienst hat er zwischen 1978 und 1979 ein Praktikum zum Hotelkaufmann absolviert und war 1980 und 1981 stellvertretender Restaurantleiter. 1982 hat er eine Prüfung zum Kellner bestanden und war zwischen 1982 und 1984 im Ausland tätig. Zuletzt hatte er Versicherungszeiten in Großbritannien zurückgelegt. Nach einer Beschäftigung als selbständiger Gastronom hat er 1990 bis 1992 eine Ausbildung zum Hotel-Betriebswirt absolviert. Nach diversen selbständigen und freiberuflichen Tätigkeiten (überwiegend in der Gastronomie) war er nur kurzzeitig versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 01.01.2005 bezieht der Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 27.05.2008 beantragte der Kläger bei der Ortsbehörde für die Arbeiter- und Angestelltenversicherung B.-B. die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung führte er aus, seit 2002 an Depressionen zu leiden. Seinem Antrag fügte er einen Befundbericht des Leitenden Arztes des S.-Klinikums K.-L. Prof Dr W. vom 23.07.2007 bei. Dieser hatte beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom), eine arterielle Hypertonie und eine Onychomykosis pedis diagnostiziert. Der Kläger hatte sich in der Klinik vom 04.04. bis 05.06.2007 stationär aufgehalten. Die Beklagte veranlasste im Anschluss daran die Untersuchung und Begutachtung des Klägers im Sozialmedizinischen Zentrum der Beklagten durch den Neurologen und Psychiater Dr Sch ... Zur Begutachtung brachte der Kläger eine kurze Stellungnahme zum Behandlungsverlauf in der Psychiatrischen Institutsambulanz des Klinikums L. von der Oberärztin Dr Schi. vom 26.11.2008 mit (Diagnose: Narzisstische Persönlichkeit, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte depressive Episode). In Kenntnis dieses Berichts legte Dr Sch. in seinem Gutachten vom 27.11.2008 dar, der Kläger leide an rezidivierenden depressiven Verstimmungszuständen bei narzisstischer Persönlichkeitsstrukturierung sowie anamnestisch an einem kontinuierlichen Alkoholkonsum mit diskreten Folgeschäden. Körperlich-neurologisch hätten sich beim Kläger Hinweise auf eine leichte Polyneuropathie ergeben, die auf einen zeitweise etwas höheren Alkoholkonsum zurückzuführen sein könnten. Im Ergebnis gelangte er zu der Einschätzung, der Kläger könne als selbständiger Gastwirt lediglich unter drei Stunden täglich tätig werden, mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm noch sechs Stunden und mehr täglich möglich. Als qualitative Leistungseinschränkungen formulierte er Arbeiten ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne überdurchschnittliche Anforderungen an die Konzentration, die Merk- und Durchhaltefähigkeit sowie die Fähigkeit, sich sozial, insbesondere in ein Team einzugliedern. Leichte Büroarbeiten, wie er sie 2005 noch verrichtet habe, könne er ausüben, sofern es sich um Tätigkeiten ohne überdurchschnittliche Anforderungen an die intellektuelle Leistungsbreite, die Konzentration und das Umstellungsvermögen handele. Auch andere Tätigkeiten im Gastronomiebereich mit Ausnahme einer selbständigen Tätigkeit oder einer solchen mit erheblich erhöhter Verantwortung seien grundsätzlich noch möglich. Mit Bescheid vom 19.12.2008 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag des Klägers ab. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch rezidivierende depressive Verstimmungszustände bei narzisstischer Persönlichkeitsstruktur sowie anamnestisch kontinuierlichem Alkoholkonsum mit diskreten Folgeschäden beeinträchtigt. Mit dem vorhanden Leistungsvermögen könne der Kläger jedoch im erlernten Beruf als Fachkraft im Gastgewerbe Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich sowie in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit als Restaurantkassierer im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Bei diesem Leistungsvermögen liege daher weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw Berufsunfähigkeit vor.

Hiergegen erhob der Kläger am 12.01.2009 Widerspruch und legte zur Begründung eine Stellungnahme des Sozialdienstes des Klinikums L. (E. E., Auskunft vom 29.01.2009) vor. Von Oktober 2007 bis April 2008 habe der Kläger eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme im Bildungs- und Rehabilitationszentrum K.-L. absolviert. Die Maßnahme habe aufgrund der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Klägers beendet werden müssen. Das Maßnahmeziel oder eine niederschwellige berufliche Wiedereingliederung habe wegen deutlicher Konzentrationsschwierigkeiten, verlangsamtem Arbeitstempo, starken Stimmungsschwankungen, daraus resultierenden Rückzugstendenzen und Spannungen nicht erreicht werden können. Der Kläger sei nicht mindestens drei Stunden täglich leistungsfähig. Dementsprechend sei seinem Rentenantrag stattzugeben. Nach Einholung einer Stellungnahme des beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten (Auskunft der Nervenfachärztin Dr. M. vom 12.02.2009), der sich der Leistungsbeurteilung von Dr Sch. anschloss, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2009 zurück. Der Kläger könne zwar seine Tätigkeit als Fachkraft im Gastgewerbe nicht mehr ausüben; allerdings könne er sozial und medizinisch zumutbar auf die Tätigkeit eines Bürohelfers im öffentlichen Dienst (Vergütungsstufe BAT VIII) verwiesen werden.

Der Kläger hat am 21.10.2009 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Begründung hat er dargelegt, die Verrichtung einer täglichen Beschäftigung in einem zeitlichen Umfang von drei und mehr Stunden sei ihm nicht mehr möglich. Dies werde durch das Schreiben des Klinikums L. vom 29.01.2009 bestätigt. Im Widerspruchsverfahren sei die Beklagte hierauf mit keinem Wort eingegangen. Insbesondere habe die Beklagte die seitens des Rehabilitationszentrums K.-L. gestellte Diagnose einer bipolaren affektiven Störung bzw die Überlappung in den Symptomen mit einer rezidivierenden depressiven Störung nicht ausreichend gewürdigt. Zudem hat der Kläger einen Bericht des beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums K.-L. vom 13.06.2008 vorgelegt. Darin hat der Sozialmediziner Dr. Sz. dargelegt, der Kläger leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, einem Verdacht auf bipolare affektive Störung sowie einer arteriellen Hypertonie. Er sei wegen seiner psychischen Erkrankung mit reduzierter Kritikfähigkeit, herabgesetzter Anpassungsfähigkeit, starken Stimmungsschwankungen und eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit derzeit nicht arbeitsfähig und solle berentet werden. Ua führt er unter dem Punkt Lebensweise und körperliche Aktivitäten aus: "Laufen ca dreimal pro Woche 10 bis 40 km.". Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das SG Dr Schi. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört und vom Hausarzt Dr We. einen aktuellen Befundbericht angefordert. Dr Schi. hat ausgeführt (Auskunft vom 24.03.2010), der seit September 2006 bei ihr in Behandlung stehende Kläger leide an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Im Rahmen von belastenden Lebenssituationen sei es in den letzten Jahren immer wieder zu depressiven Episoden mehr oder weniger schwerer Ausprägung gekommen. Prinzipiell sei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch Dr Sch. zuzustimmen. Dr Sch. habe allerdings nicht berücksichtigt, dass der Kläger nicht in der Lage sei, Arbeiten, wie sie aus der Leistungsbeschreibung vorstellbar wären, für sich anzunehmen. Infrage kämen subjektiv für den Kläger nur Tätigkeiten, bei denen er sich als "jemand Besonderes" oder als "in besonderer Position stehend" erlebe. So versuche er bis heute wieder in der Musik-/Kneipenszene Fuß zu fassen. Eine Tätigkeit in diesem Bereich mit allerdings untergeordneter Position sei aus seiner Sicht nicht vorstellbar. Unter diesem Gesichtspunkt halte sie die Persönlichkeitsstörung in ihrer Ausprägung und chronischen Festgefahrenheit der hinderlichen Charakterzüge für so ausgeprägt, dass der Kläger eine berufliche Tätigkeit in dem Rahmen, den Dr Sch. vorgegeben habe, nicht ausüben könne. Ein therapeutisches Angehen der Persönlichkeitsstörung halte sie für wenig erfolgversprechend, da der Kläger nicht der Ansicht sei, sich selbst ändern zu müssen. Vielmehr sei er davon überzeugt, dass sein Umfeld ihn hindere und ihm nicht ausreichend entgegen komme. Dr We. hat dargelegt (Auskunft vom 09.03.2010), die beim Kläger bekannte arterielle Hypertonie sei medikamentös sehr gut eingestellt. Ein akut-pathologisches Korrelat sei nicht feststellbar gewesen. Bei insgesamt seit 2002 bestehender rezidivierender depressiver Störung mit teils mittelgradigen, teils hochgradigen Episoden, narzisstischer Persönlichkeit und einem Verdacht auf bipolare Störung erfolge die Betreuung durch die Psychiatrische Institutsambulanz des Klinikums L. Das SG hat im Anschluss daran den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr Wo. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 12.08.2010 hat der Nervenfacharzt dargelegt, der Kläger leide auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, einem Zustand nach rezidivierenden depressiven Episoden sowie einer leichten Polyneuropathie. Befragt nach der Selbsteinschätzung seiner Stimmungslage habe der Kläger erklärt, bei positiver Grundstimmung sei er aktuell im Prinzip ruhig, vielleicht etwas angespannt. Sein Antriebsvermögen sei gegeben. Zu seinem Tagesverlauf habe der Kläger dargelegt, um 05:00 Uhr aufzustehen und ab ca 07:30 Uhr für eine bis eineinhalb Stunden mit seinem Hund spazieren zu gehen. Er richte ihm dann das Essen und erledige danach seine eigenen Aufgaben im Haushalt sowie auch schriftliche Angelegenheiten. Ca zwei- bis dreimal pro Woche besuche er seine Mutter, die nur etwa 5 km weiter weg wohne; er helfe ihr sowie dem Lebenspartner einer Tante, der einen Schlaganfall erlitten habe. Ferner gehe er gern joggen, meist gegen Mittag für eine bis zwei Stunden. Ca einmal in der Woche habe er eine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Diakonie. Dort gebe er warme und kalte Getränke für Bedürftige aus oder sei beratend für Hilfesuchende tätig. Am frühen Nachmittag gehe er gegen 14:00 Uhr ca eine Stunde mit seinem Hund spazieren. Auch höre er Musik und schreibe auch kleine Artikel über das, was ihn bewege. Zwischen 18:30 Uhr und 19:30 Uhr koche er sich ein Abendessen und gehe dann nochmals mit dem Hund spazieren. Später lese er etwas und sehe noch die Nachrichten. Gegen 20:30 Uhr gehe er zu Bett. Soziale Kontakte habe er durch seine ehrenamtliche Tätigkeit und die Spaziergänge mit seinem Hund geknüpft. Zu seinem Alkoholkonsum befragt, habe er angegeben, ein bis zwei "Bierchen" am Tag, gegebenenfalls auch etwas mehr zu trinken. Unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse sei der Kläger noch in der Lage, ohne Gefährdung seiner Gesundheit als Fachkraft im Gastronomiegewerbe regelmäßig ca 8 Stunden täglich zu arbeiten. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er ebenfalls noch 8 Stunden täglich verrichten. Der Kläger könne auch als Registrator arbeiten. Die Tätigkeit eines Restaurantkassierers sei dem Kläger ebenfalls noch zumutbar. In qualitativer Hinsicht seien Tätigkeiten mit besonders hoher Verantwortung auszuschließen. Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu. Insbesondere sei der Kläger noch in der Lage, seine zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit als Fachkraft im Gastgewerbe mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Dies ergebe sich aus den Gutachten von Dr Sch. und Dr Wo. Weder die beim Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen noch der von ihm selbst im Rahmen der Begutachtungssituation bei Dr Wo. geschilderte Tagesablauf enthielten Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsvermögen quantitativ eingeschränkt sei. Der Kläger sei in der Lage, seinen Tag zu strukturieren und persönliche Kontakte zu kreieren und aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus bestehe ein soziales Engagement. Da bereits die Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht vorlägen, bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Gegen die dem Klägerbevollmächtigten am 16.02.2011 zugestellte Entscheidung des SG hat der Kläger am 15.03.2011 beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die Beklagte habe die bei ihm vorhandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt. Insbesondere sei die bipolare affektive Störung durch die Gutachter nicht ausreichend gewürdigt worden. Insbesondere seien die vom Klinikum L. erstellten Berichte, die den Umfang seiner Erkrankung umfangreich darstellten, nicht ordnungsgemäß gewichtet worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 11.02.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.05.2008 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Der Vortrag des Klägers, nach einer ca zweistündigen Tätigkeit total erschöpft zu sein und seine ganze Kraft und Energie zur Aufrechterhaltung einer positiven Lebensbejahung und individuellen Tagesstruktur zu benötigen, sei bereits im Rahmen der Begutachtungssituation von Dr Wo. vorgetragen worden. Letzterer sei allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass nach den erhobenen psychischen Befunden und dem geschilderten Tagesablauf keine leistungsmindernden Auffälligkeiten im Alltagsleben und den außerberuflichen Bereichen festzustellen gewesen seien. Dies gelte insbesondere für die vom Kläger vorgetragenen Konzentrationsstörungen, die im Rahmen der Untersuchungssituation nicht feststellbar gewesen seien. Auch die Anreise mit dem eigenen PKW und einer Fahrzeit von ca zwei Stunden sprächen nicht für eine Konzentrationsstörung.

Der Senat hat mit Beschluss vom 18.08.2011 die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das anhängige Berufungsverfahren abgelehnt, da die Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 19.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach diesen Maßstäben ist der Kläger, wie das SG zutreffend entschieden hat, weder voll noch teilweise (auch nicht bei Berufsunfähigkeit) erwerbsgemindert. Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch in der Lage ist, sowohl eine Tätigkeit als Fachkraft im Gastgewerbe als auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat entnimmt dies dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Nervenfacharztes Dr Sch. vom 27.11.2008, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann, sowie dem neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten von Dr Wo. vom 12.08.2010. Der Senat nimmt deshalb auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Urteils Bezug, denen er sich in vollem Umfang anschließt; insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.

Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers liegt im neurologisch-psychiatrischen Bereich. Dies ergibt sich für den Senat aus den nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten von Dr Sch. und Dr Wo ... Der Kläger leidet danach an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, rezidivierenden depressiven Störungen sowie einem Verdacht auf schädlichen Gebrauch von Alkohol mit diskreten Folgeschäden. Aus diesen Befunden lässt sich - wie bereits das SG zutreffend erkannt hat - keine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht ableiten. Beide Gutachter haben dem Kläger noch ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen sowohl für die Tätigkeit als Fachkraft im Gastgewerbe als auch für leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes attestiert. Lediglich die Nervenfachärztin Dr Schi. hat beim Kläger ein auch quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen angenommen; deren Beurteilung überzeugt jedoch nicht. Für den Kläger kämen subjektiv nur Tätigkeiten in Betracht, bei denen er sich als "jemand Besonderes" fühle. Eine Tätigkeit mit untergeordneter Position sei aus Sicht des Klägers nicht vorstellbar. Insoweit hat Dr Wo. in seinem Gutachten vom 12.08.2010 allerdings zu Recht eingewandt, dem Kläger sei unter Berücksichtigung der bestehenden narzisstischen Persönlichkeitsstörung und der konsekutiven Schwierigkeiten der autonomen Selbstwertregulierung als zumutbare Frustration zuzumuten, auch eine der bisherigen Tätigkeiten wiederaufzunehmen oder eine andere gewinnbringende berufliche Betätigung des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung spricht, wie Dr Wo. nachvollziehbar und schlüssig dargelegt hat, nicht gegen die Zumutbarkeit einer derartigen Frustration, zumal nach dem während der Begutachtungssituation geschilderten Tagesablauf keine leistungsmindernden Auffälligkeiten im Alltagsleben und den außerberuflichen Bereichen festzustellen gewesen sind und der Kläger zudem in der Lage ist, seinen Tag zu strukturieren, persönliche Kontakte aufzunehmen und soziales Engagement zu demonstrieren. Auch sprechen die vom Kläger empfundenen Konzentrationsstörungen nicht gegen eine berufliche Tätigkeit, zumal Störungen dieser Art im Rahmen der Untersuchungssituation nicht festgestellt werden konnten.

Das Vorbringen des Klägers zur Begründung der Berufung, die Beklagte sowie die Gutachter Dr Sch. und Dr Wo. hätten die Diagnose der bipolaren affektiven Störung nicht ausreichend gewürdigt, rechtfertigt ebenfalls keine abweichende Beurteilung. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass beiden Gutachtern durch den Akteninhalt die Diagnose der bipolaren affektiven Störung bekannt war; dennoch führte ihre eigene diagnostische Einschätzung zu einer anderen Bewertung. Ferner ist auch nicht die Diagnose als solche, sondern die hiermit verbundene tatsächliche Leistungseinschränkung für die Frage der Auswirkung auf den zeitlichen Umfang der beruflichen Tätigkeit maßgeblich. Zu keinem anderen Ergebnis führt auch der Hinweis des Klägers auf die unterschiedliche Bewertung seines Leistungsvermögens durch die ihn behandelnde Nervenärztin Dr Schi. einerseits und die gerichtlichen Sachverständigen andererseits. Letzteres ist für ein sozialgerichtliches Verfahren, in dem es um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente geht, nicht untypisch. Wie bereits im PKH-Beschluss vom 18.08.2011 dargelegt, ist es nach Ansicht des Senats grundsätzlich nicht zu beanstanden, in einem solchen Fall den forensisch tätigen Gutachtern zu folgen. Zu deren Aufgaben gehört es ua, die Angaben des Betroffenen kritisch zu würdigen und den Schwerpunkt auf die sozialmedizinische Beurteilung zu legen. Dies erklärt in der Regel, warum forensisch tätige Sachverständige zu einer anderen Einschätzung gelangen als die behandelnden Ärzte. Im Hinblick darauf sieht der Senat auch keine Veranlassung weitere Beweiserhebungen durchzuführen.

Auch der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr 117) ist nicht gegeben. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 110). Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, liegen beim Kläger nicht vor. In qualitativer Hinsicht können diesem, wie Dr Sch. und Dr Wo. in ihren Gutachten vom 27.11.2008 und 12.08.2010 - auch insoweit überzeugend - ausgeführt haben, schwere Arbeiten, Tätigkeiten in Nachtschicht, Arbeiten mit besonderem Zeitdruck und überdurchschnittlichen Anforderungen an die Konzentration, die Merk- und Durchhaltefähigkeit sowie Tätigkeiten, die die Fähigkeit, sich sozial - insbesondere in einem Team einzugliedern - sowie Tätigkeiten mit erheblich erhöhter Verantwortung nicht mehr zugemutet werden. Diese Einschränkungen können zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken. Sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs 1 SGB VI nicht vor; der Kläger ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI aF entwickelten Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17). Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI RdNr 24 ff mwN) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 23). Entsprechendes gilt im Wesentlichen auch für Angestelltenberufe (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 2, Nr 41 mwN).

Bisheriger Beruf des Klägers ist derjenige der Fachkraft im Gastgewerbe, denn diese Tätigkeit hat er zuletzt versicherungspflichtig ausgeübt; sie war zugleich die hochwertigste versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit in seinem Versicherungsleben. Dieses Berufsbild kann der Kläger - wie oben dargelegt - noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Er ist damit, ohne dass Verweisungstätigkeiten benannt werden müssten, nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 SGB VI. Der Senat kann daher im Ergebnis offen lassen, welcher Stufe der Beruf des Klägers im Rahmen des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts zuzuordnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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