Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 90/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 51/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Frage. ob "zwingende Gründe des Allgemeinwohls" eine Struktuenrtscheidung des Gesetzgebers
rechtfertigen, die möglicherweise mit höherrangigem Recht nicht im Einklang steht, ist letztlich politisch zu
beantworten und kann aus diesem Grunde nicht durch die Tatsachengerichte aufgrund eigener Ermittlungen
entschieden werden.
rechtfertigen, die möglicherweise mit höherrangigem Recht nicht im Einklang steht, ist letztlich politisch zu
beantworten und kann aus diesem Grunde nicht durch die Tatsachengerichte aufgrund eigener Ermittlungen
entschieden werden.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Entlassung aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Alleingesellschafterin ist Frau H R mit einer Stammeinlage in Höhe von 25.000 EUR. Geschäftsführer ist Herr F K , der als Metallbauer und Feinmechaniker in die Handwerksrolle eingetragen ist. Das Unternehmen wurde am 13.11.2003 gegründet, der Betrieb wurde zum 01.01.2004 aufgenommen und firmiert unter der Bezeichnung K Stahlbau GmbH, Stahl-, Treppen- und Balkonbau. Mit Bescheid vom 27.01.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft der für das Unternehmen zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sei. Das Unternehmen sei daher gemäß § 136 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter der Mitgliedsnummer 600212360 aufgenommen worden; Metallbauer, Klempner und Schmiede seien zu der Gefahrenklasse 8,8 (Gefahrtarifstelle 2323) zu veranlagen; kaufmännische und verwandte Berufe nach der Gefahrklasse 0,6 (Gefahrtarifstelle 2929). Mit Bescheid vom 28.12.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass weder Frau H R noch Herr F K pflichtversichert seien. Für beide gelte, dass sie eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben. Es bestehe aber die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern.
Bereits mit Schreiben vom 01.11.2004 hatte die Klägerin die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten zum Jahresende 2004 gekündigt. Es sei beabsichtigt, sich statt dessen privat gegen die bestehenden Risiken abzusichern. Mit Bescheid vom 15.11.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach den Bestimmungen des SGB VII sie der für das Unternehmen zuständige gesetzliche Unfallversicherungsträger sei. Ein Austritt aus der Versicherung bzw. eine Kündigung einer gesetzlichen Pflichtversicherung sei rechtlich nicht möglich. Eine Entlassung aus der Mitgliedschaft werde daher abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.04.2005 und mit Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 bestätigt.
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass ihre Zwangsmitgliedschaft bei der Beklagten gegen Gemeinschaftsrecht verstoße, sie sei in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt. Sie legt ein Angebot der A I A-S A 12 g, Deka 1256, K , D , des Inhalts vor, dass zu den jeweils gültigen Bedingungen der Beklagten die Klägerin auch bei dieser Gesellschaft nach deutschem Unfallversicherungsrecht gegen das Risiko von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Wegeunfällen versichert werde. Auch die Leistungen sollen sich streng nach dem Leistungskatalog der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung richten. Die Ausschließlichkeitsstellung der Beklagten verstoße gegen Art. 82, 86 EG, die Wettbewerbsbeschränkung sei nicht zu rechtfertigen. Entsprechendes gelte für die hieraus folgende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 ff. EG. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die eine Monopolstellung der Deutschen Unfallversicherungsträger in ihrem jeweiligen Bereich rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Mit Beschluss vom 24.07.2007 wurde der Rechtsstreit ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: - Handelt es sich bei der beklagten Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft um ein Unternehmen im Sinne der Art. 81 und 82 EG? - Verstößt die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften?
Auf Initiative der Klägerin wurden folgende Aufsätze zum Gegenstand des Parteivortrages gemacht: Giesen, Das BSG, der EG-Vertrag und das deutsche Unfallversicherungsmonopol, ZESAR 4/2004, S. 151 ff. Penner, Vereinbarkeit des Unfallversicherungsmonopols mit den Art. 81 ff. EG-Vertrag, NZS 2007, S. 521. Die Beklagte hat eine schriftliche Stellungnahme von Prof. P und ein Rechtsgutachten von Universitätsprofessor Dr. M F eingereicht. Außerdem haben die Bundesrepublik Deutschland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften jeweils eine Stellungnahme abgegeben. Der Generalanwalt beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat am 18. November 2008 Stellung genommen und vorgeschlagen, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten: 1. Der Begriff des Unternehmens im Sinne der Art. 81 EG und 82 EG umfasst keine Einrichtungen, die wie die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft mit der Durchführung eines auf dem Grundsatz der Solidarität beruhenden Systems der sozialen Sicherheit betraut sind, vorausgesetzt, dass alle in den vorliegenden Schlussanträgen dargestellten wesentlichen Elemente dieses Systems staatlicher Aufsicht unterliegen, wobei die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, Sache des vorlegenden Gerichts ist. 2. Die Art. 49 ff. EG, 82 EG und 86 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Pflichtmitgliedschaft eines Arbeitgebers wie der K Stahlbau GmbH bei einer Einrichtung wie der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft zum Zweck der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nicht entgegenstehen.
Mit Urteil vom 05.03.2009 hat die Dritte Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften wie folgt entschieden:
Tenor:
1. Die Art. 81 EG und 82 EG sind dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Berufsgenossenschaft, der die Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet einem bestimmten Gewerbezweig angehören, für die Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beitreten müssen, kein Unternehmen im Sinne dieser Vorschriften ist, sondern eine Aufgabe rein sozialer Natur wahrnimmt, soweit sie im Rahmen eines Systems tätig wird, mit dem der Grundsatz der Solidarität umgesetzt wird und das staatlicher Aufsicht unterliegt, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. 2. Die Art. 49 EG und 50 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, nach der die Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet einem bestimmten Gewerbezweig angehören, verpflichtet sind, einer Einrichtung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Berufsgenossenschaft beizutreten, soweit dieses System nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts eines Zweigs der sozialen Sicherheit erforderlich ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. In den Gründen ist ausgeführt, dass es keine Rolle spiele, wenn eine Berufsgenossenschaft wie die MMB im Gegensatz zu der Situation im Rahmen des italienischen Systems, das in der Rechtssache C in Rede gestanden habe, nicht die Verwaltung des betreffenden gesetzlichen Versicherungssystems gewährleiste, sondern unmittelbar selbst Versicherungsdienstleistungen erbringe. Das Gemeinschaftsrecht lasse die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt, daher könne der genannte Umstand als solcher nichts am rein sozialen Charakter der von einer derartigen Berufsgenossenschaft ausgeübten Tätigkeit ändern, da er weder den solidarischen Charakter des entsprechenden Systems noch die vom Staat darüber ausgeübte Aufsicht beeinträchtige. Andererseits hätten die Mitgliedstaaten zwar das Recht, die Voraussetzungen der Verpflichtung, sich bei einem System der sozialen Sicherheit zu versichern, selbst festzulegen, sie müssten bei der Ausübung dieser Befugnis gleichwohl das Gemeinschaftsrecht beachten. Es sei zu prüfen, ob durch das in Deutschland geltende gesetzliche Versicherungssystem die Möglichkeit von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Versicherungsgesellschaften beschränkt werde, auf dem deutschen Markt ihre Dienste hinsichtlich der Versicherung anzubieten, und zum anderen, ob dadurch die in Deutschland niedergelassenen Unternehmen als Dienstleistungsempfänger davon abgehalten werden, sich bei solchen Gesellschaften zu versichern. Der freie Dienstleistungsverkehr verlange nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden auf Grund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gälten –, sofern sie geeignet seien, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Eine solche Beschränkung könne nur aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein. Solche Gründe seien beispielsweise eine sonst drohende erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit.
Der Senat hat daraufhin bei Prof. Dr. F Sch -N , Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität K , zu folgenden Beweisfragen ein Gutachten in Auftrag gegeben:
1. Welche Auswirkungen auf das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung hätte folgendes Szenario 1. Private Versicherungsunternehmen werden zu den Bedingungen des SGB VII zugelassen a) mit Ausnahme der Vorschriften des 2., 3. und 4. Abschnitts des 4. Kapitels (§ 121 bis 149a SGB VII). Die privaten Versicherungsunternehmen sind also berechtigt, zu den im SGB VII im Einzelnen festgelegten Bedingungen Versicherungsdienstleistungen anzubieten, sie bleiben aber vollständig in das System von Umlage und Prävention der gesetzlichen Unfallversicherungsträger integriert. Sie werden also gewissermaßen als Subunternehmer tätig. Nach einem mit der gesetzlichen Unfallversicherung auszuhandelnden Schlüssel werden sie an den Einnahmen beteiligt, die Gefahrtarife für die an sich zuständigen Berufsgenossenschaft gelten, es besteht lediglich eine organisatorische Selbstständigkeit. Die Unternehmen werden im Prinzip wie bisher von Gesetzes wegen Mitglied der sachlich und örtlichen Berufsgenossenschaft; sie haben aber die Möglichkeit, zu einem privaten Versicherer zu wechseln, der im Auftrag der gesetzlichen Unfallversicherung die Versicherungsdienstleistungen im identischen Umfang erbringt, organisatorisch aber nicht in das System der gesetzlichen Unfallversicherung integriert ist.
b) Private bieten die Versicherungsdienstleistungen wie nach Buchstabe a in organisatorischer Selbstständigkeit an, sie setzen aber die Höhe der Beiträge nach versicherungsmathematischen Grundsätzen selber fest. Für sie gelten also die §§ 152 bis 186 SGB VII nicht. Es besteht also konkurrierend gewissermaßen neben dem Umlagesystem ein Versicherungssystem einschließlich Rückversicherung. Für die nach dem Verteilungsschlüssel (BG 1992, 325 bis 327) von den Berufsgenossenschaften aufzubringenden Lasten ist von dem privaten Versicherungsdienstleister an die gesetzliche Unfallversicherung ein Ausgleichsbetrag zu leisten, der sich nach dem Umfang seines Anteils an den Versicherungen nach dem SGB VII richtet. Im Übrigen werden bei dem privaten Versicherer entstehende langfristige oder außergewöhnlich hohe Leistungsverpflichtungen durch Rückversicherungen abgedeckt, wodurch ein mittelbarer Einfluss auf die Beitragshöhe in der Zukunft gegeben ist. Hinsichtlich der Prävention bleibt es bei der Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung; auch deswegen ist von den privaten Versicherern ein dementsprechender Beitrag an die gesetzliche Unfallversicherung zu leisten.
c) Auch die Prävention (§§ 14 bis 25) wird jeweils Sache des privaten Versicherungsunternehmens, mit anderen Worten, das private Versicherungsunternehmen setzt in seinen allgemeinen Versicherungsbedingungen bzw. im Versicherungsvertrag mit dem Unternehmen fest, welche Maßnahmen konkret zu treffen sind, und welche vertraglichen Sanktionen bei Nichtbeachtung erfolgen.
2. Stellen Sie in einem kurzen Abriss das bestehende System der gesetzlichen Unfallversicherung dem System der Pflichtversicherung (Kraftfahrzeugpflichtversicherung, Pflichtversicherung für Luftverkehrsunternehmen, für den Betrieb von Atomanlagen, für den Güterkraftverkehr; Berufshaftpflicht) gegenüber. Wie ist die Marktsituation in den genannten Feldern der Pflichtversicherung zu bezeichnen (atomisierte Marktstruktur, Oligopol, Monopol)? Besteht in den genannten Tätigkeitsfeldern ein finanzielles Gleichgewicht?
3. Lassen sich aus den Erfahrungen mit den anderen Zweigen der Sozialversicherung bzw. der Arbeitsvermittlung, was die Aufweichung von staatlichen Monopolen angeht, verwertbare Erkenntnisse für die Ausgangsfrage gewinnen, ob das bestehende System der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlich ist für die Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts in diesem Bereich?
II. Bitte gehen Sie auf den Gesichtspunkt der adversen Selektion ein und beantworten Sie vor allem unter diesem Gesichtspunkt die von der Klägerseite in dem Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 (LSG-Akte Bl. 406 – 410) gestellten Beweisfragen.
Die in Bezug genommenen Beweisfragen von der Klägerseite lauten wie folgt: 1. Zu Rdnr. 89 der Entscheidung des EuGH ("Was die Frage anbelangt, ob eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist, ergibt sich, wie bereits in Rdnr. 81 des vorliegenden Urteils festgestellt, aus den beim Gerichtshof eingereichten Unterlagen, dass das im Ausgangsverfahren streitige gesetzliche System eine Mindestabdeckung bietet, sodass es den ihr unterliegenden Unternehmen trotz der damit verbundenen Pflichtmitgliedschaft freisteht, diese Abdeckung dadurch zu ergänzen, dass sie zusätzliche Versicherungen abschließen, sofern diese auf dem Markt angeboten werden. Dieser Umstand stellt einen Faktor dar, der für die Verhältnismäßigkeit eines gesetzlichen Versicherungssystems wie des im Ausgangsverfahren streitigen spricht (vgl. in diesem Sinne Urteil Freskot, Rdnr. 70)" Wenn, wie der EuGH in Rdnr. 89 ausführt, das Bestehen der Möglichkeit für einen Unternehmer, eine Zusatzversicherung für die Risiken abzuschließen, die durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten für die Beschäftigten entstehen, tendenziell für die Verhältnismäßigkeit des bestehenden Systems spricht: Wie groß ist dann die tatsächliche Bedeutung solcher freiwilligen Zusatzversicherungen bei pflichtversicherten Beschäftigten? Mit anderen Worten: In wie vielen (Prozent oder absolut) Fällen sind unter den gesetzlichen Versicherungsschutz des SGB VII fallende Beschäftigte gegen die Risiken von a) Arbeitsunfällen und b) Berufskrankheiten durch eine freiwillige Zusatzversicherung ihres Arbeitgebers versichert? Welche Zusatzrisiken von a) Arbeitsunfällen (z. B. Aufstockung des in der Zukunft liegenden Verdienstausfalls neben der BG-Rente) und b) Berufskrankheiten (z. B. Absicherung von Krankheitsfolgen, die von der BG generell nicht oder im Einzelfall nicht als Berufskrankheit anerkannt sind) sind versichert? Zu Rdnr. 90 ("Was im Übrigen den Umfang der Abdeckung betrifft, wie sie dieses System vorsieht, lässt sich, wie die MMB in ihren Erklärungen ausführt, nicht ausschließen, dass sich Unternehmen, die beispielsweise ein junges und gesundes Personal mit ungefährlichen Tätigkeiten beschäftigen, bei privaten Versicherern um günstigere Versicherungsbedingungen bemühen würden, wenn die Versicherungspflicht auf bestimmte Leistungen, etwa die sich aus dem Ziel der Prävention ergebenden, zu beschränken wäre, wie es K als Möglichkeit in ihren Erklärungen andeutet. Das fortschreitende Ausscheiden dieser "guten" Risken könnte den Berufsgenossenschaften wie der MMB einen wachsenden Anteil von "schlechten" Risiken belassen, was zu einer Erhöhung der Kosten für die Leistungen, insbesondere für Unternehmen mit einem älteren, gefährliche Tätigkeiten ausübenden Personal, führen würde, denen die Berufsgenossenschaften zu annehmbaren Kosten keine Leistungen mehr anbieten könnten. Dies würde umso mehr gelten, wenn das betreffende gesetzliche Versicherungssystem, wie es im Ausgangsverfahren der Fall ist, in Umsetzung des Grundsatzes der Solidarität durch das Fehlen einer strengen Proportionalität zwischen den Beiträgen und den versicherten Risiken gekennzeichnet ist (vgl. entsprechend Urteil Albany, Rdnrn. 108 und 109).") 1. Was versteht man in der Versicherungswirtschaft generell unter einem "guten Risiko", was unter einem "schlechten Risiko"? 2. Existieren überhaupt – wie der EuGH erwägt – bei der Beklagten (oder anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften) "gute" und "schlechte" Risiken, wenn doch – wie es der Fall ist – durch den bestehenden Gefahrtarif der Beklagten (Gefahrtarif der Maschinenbau- und Metall-BG 2007) einerseits Gefahrklassen gebildet werden, errechnet aus dem Verhältnis der in den Jahren 2002 bis 2005 (Beobachtungszeitraum) gezahlten Entschädigungsleistungen für die seit dem 1. Januar 2002 eingetretenen Versicherungsfälle zu den Arbeitsentgelten und Versicherungssummen (Entgelte) des Beobachtungszeitraums, bezogen auf 1.000,00 EUR Entgelt, sodass in den so genannten Gefahrtarifstellen Unternehmenstypen mit vergleichbar hohen Risiken, z. B. in Tarifstelle 14: "Herstellung von Werkzeugen, Maschinen- und Präzisionswerkzeugen, Schneidwaren, Bestecken, Gesenkbau und Modellbau" zusammengefasst werden, andererseits der Gefahrtarif 2007 als weitere Stellschraube eine individuelle Erhöhung oder Ermäßigung der Beiträge um bis zu 30 % vorsieht (Gefahrtarif 2007, Teil II Ziffern 1 und 2), wenn sich in Einzelfällen ergibt, dass infolge einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise oder infolge der von der üblichen erheblich abweichenden Art der Betriebseinrichtungen geringere oder höhere Gefahren vorliegen als die, für welche die Gefahrklasse eines Unternehmenszweigs im Teil I berechnet ist? 3. Gibt es unter Berücksichtigung der nachfolgenden Einflussfaktoren: - schwankende Häufigkeit von Arbeitsunfälle (je 1.000 Arbeitsstunden im Unternehmen) und/oder angezeigten Berufskrankheiten über mehrere Versicherungsjahre; - frequentieller Anstieg des Wechsels des Arbeitgebers durch die Beschäftigten; - sich auf der Zeitschiene ändernde Zusammensetzung der Belegschaft nach den Faktoren: Alter, auszuübende Tätigkeit, Ausbildungsniveau, Sicherheit der Produktionsfaktoren, Änderung der Produktionsverhältnisse, zunehmende Verrechtlichung der Arbeitssicherheitsstandards; - Nebeneinander von tendenziell tätigkeitsunabhängigen Wegeunfallrisiken einerseits und tätigkeitsabhängigen Arbeitsunfall- und Berufskrankheitsrisiken andererseits, Unternehmen, die innerhalb der jeweiligen Gefahrtarifstellen als "gute Risiken" oder "schlechte Risiken" zu bezeichnen sind, obwohl sie nicht unter die Regelung in Teil II Nr. 2 des gültigen Gefahrtarifs fallen? 4. Soweit ein bei der Beklagten versichertes Unternehmen in einem Kalenderjahr durch eine besonders niedrige oder besonders hohe Unfalllast in ein außerhalb des Normalbereichs liegendes Verhältnis von Beiträgen zu erhaltenen Versicherungsleistungen gerät, greift das gesetzlich und satzungsmäßig (in § 28 der Satzung der Maschinenbau- und Metall-BG) geregelte Nachlass- und Zuschlagsverfahren. Wird durch dieses Nachlass- und Zuschlagsverfahren in den einzelnen Versicherungsperioden (Kalenderjahr) nicht ein temporärer risikoreicher oder risikoarmer Zustand innerhalb des Beitrags- und Leistungssystems neutralisiert? Welche Auswirkung hat dann dieses Nachlass- und Zuschlagsverfahren für die Bewertung eines "guten" oder "schlechten" Risikos? 5. Kann bei einer generellen Bewertung der versicherten Unternehmen in den einzelnen Gefahrtarifstellen der Beklagten davon gesprochen werden, dass trotz des Nachlass- und Zuschlagsverfahrens eine signifikante Anzahl von Unternehmen messbar von den anderen Beitragszahlern dieser Gefahrtarifstelle profitieren, weil sie (bzw. ihre Beschäftigten) selbst dauerhaft mehr Versicherungsleistungen erhalten als sie umgekehrt durch Versicherungsbeiträge aufbringen? Gibt es entsprechend benachteiligte Unternehmen, die als Beitragszahler dauerhaft mehr Versicherungsbeiträge an die BG zahlen müssen als sie (bzw. ihre Beschäftigten) umgekehrt bei einer langfristigen Betrachtung an Versicherungsleistungen erhalten? 6. Gesetzt den Fall, ein Unternehmen könnte sich ab einem bestimmten und in der Zukunft liegenden Stichtag X für die ab diesem Stichtag eintretenden Risken von a) Arbeitsunfällen und/oder b) Berufskrankheiten seiner Beschäftigten bei einem privaten Versicherungsunternehmen versichern, während die vor diesem Stichtag eingetretenen Risiken bei der BG versichert bleiben und verbeitragt werden müssen (auf Grund des Umlageverfahrens): a) Wie viele Unternehmen (prozentual und absolut) würden einen solchen Wechsel in jedem vornehmen (also unabhängig vom künftigen Preis der Dienstleistung)? b) Wie verteilen sich die in der vorstehenden Frage ermittelten Unternehmer auf die Gefahrtarifstellen der Beklagten? c) Wie viele Unternehmen (prozentual und absolut) würden einen Wechsel zu einem privaten Versicherungsunternehmen nur dann vollziehen, wenn dies mit einer Kosteneinsparung verbunden wäre? d) Wie hoch ist die subjektiv aus Sicht der Unternehmen erwartete Kosteneinsparung der vorstehend unter c) ermittelten Unternehmer? e) Welche anderen Gründe neben oder anstelle einer möglichen Kostenersparnis (offene Befragung) benennen Unternehmen für einen Wechsel von der BG zu einem privaten Versicherer, wenn dies rechtlich zulässig wäre? f) Welche Gründe nennen die befragten und wechselwilligen Unternehmen als vorherrschend für einen Wechsel von der BG zu einer privaten Versicherung? g) Lässt sich bei den wechselwilligen Unternehmen feststellen, dass – falls sie denn existieren – hierbei "gute Risiken" dominieren? Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen "schlechten Risiken", "Normalrisiken" und "guten Risiken" bei den wechselwilligen Unternehmen? Wie ist die Preissensibilität dieser drei Gruppen ausgeprägt, also die subjektiv erhoffte Kostenersparnis bei einem Wechsel von der BG zu einem privaten Versicherer?
Prof. Dr. Sch -N ist auf die zuletzt genannten Fragen in seinem Gutachten vom 30.11.2010 nicht explizit eingegangen. Er hat aber die Frage der Abwanderung so genannter guter Risiken eine zentrale Bedeutung beigemessen und die vom Gericht gestellten Beweisfragen I Ziffer 1 a) bis c) wie folgt beantwortet: a) Die gewerblichen Unternehmen würden in diesem Out-contracting-Szenarium nach wie vor Mitglied in der zuständigen Berufsgenossenschaft bleiben. Diese Unternehmen können aber zu einem Versicherungsunternehmen wechseln, das wiederum im Auftrag der Berufsgenossenschaft die Versicherungsdienstleistungen im identischen Umfang erbringt. Dieses Szenarium ist zunächst analog zur partiellen Aufgabenprivatisierung im Rechtskreis von SGB III und SGB II konstruiert. Es fragt sich, ob sich ein Unternehmen zu diesen Bedingungen finden ließe. Wenn das private Versicherungsunternehmen so weit eingegliedert bleibt, dass alle Bedingungen des SGB VII gelten, dann kann es quasi nur ein Non-profit-Geschäft sein. Die Einnahmen des privaten Versicherungsunternehmens müssten nach Teilnahme am solidarischen Lastenausgleich im überberufsgenossenschaftlichen Sinne berechnet sein. Das private Versicherungsunternehmen müsste sodann versicherungsmathematisch kalkulieren und sich rückversichern. Die Aufgabe lautet: Suche ein privates Versicherungsunternehmen, das Unternehmen versichert, wenn die Einnahmen bereits erheblich um eine Solidarabgabe im System der Berufsgenossenschaften geschmälert sind und das private Unternehmen auch ansonsten vollständig in das berufsgenossenschaftliche Regime des SGB VII eingegliedert bleibt. Die Auslagerung der Versicherungsleistung selbst erscheint daher nicht sehr plausibel. Im Fall der diskutierten Privatisierung der Arbeitsvermittlung handelte es sich um spezifische und darauf beschränkte Serviceleistungen. Das Out-contracting wirft erhebliche Transaktionskosten auf, da eine Beauftragung seitens der Berufsgenossenschaft erfolgen muss und damit eine neue Schnittstelle aufgemacht wird, die es organisatorisch zu managen gilt. Das Thema ist aus der Erforschung zu den Aufgabenprivatisierungen im Rechtskreis von SGB III und SGB II gut bekannt und es findet Parallelen in den Forschungsbefunden zu den Transaktions- und Regulationskosten von Betrauungsakten und Ausschreibungswettbewerben in anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Daher haben weder die Berufsgenossenschaften noch die Unternehmen einen Vorteil. Letztere nicht, da sich an der Beitragsberechnung nichts ändert. Auch die Herausforderungen der Präventionsaufgaben, die das berufsgenossenschaftliche System an die Unternehmen heranträgt, bleiben unangetastet. b) Das Szenarium b ähnelt zunächst dem Szenarium a, allerdings ist die Beitragsbildung für die gewerblichen Unternehmen anders. Das private Versicherungsunternehmen muss jetzt nicht nach vorgegebenen Einnahmen versicherungsmathematisch kalkulieren, sondern kalkuliert die Einnahmen selbst. Und die privaten Versicherungsunternehmen sind, wenn die §§ 176 ff. SGB VII nicht gelten sollen, nicht, wie im Szenarium a, verpflichtet zur Beteiligung an den solidarischen Lastenausgleich im überberufsgenossenschaftlichen Sinne, müssen jedoch die berufsgenossenschaftlichen Präventionen durch eine Abgabe mittragen.
Insgesamt betrachtet stellt sich die Frage, für welche gewerblichen Unternehmen das System günstig ist. Es kommt zu Selbstselektionen seitens der gewerblichen Unternehmen, die korrespondiert wird von der negativen Risikoselektion der privaten Versicherungsunternehmen. Damit tritt der dargelegte Mechanismus auf: Die finanzielle Gleichgewichtsstabilität des berufsgenossenschaftlichen Systems als Umlagefinanzierungsverfahren kippt. Denn schlechte Risiken sind privat nicht oder nur zu exklusiven Prämien versicherbar und die Berufsgenossenschaften haben diese schlechten Risiken zu sammeln. Das Ausscheren von gewerblichen Unternehmen, indem individuelle Wege der Versicherung im Markt privater Versicherungsunternehmen gegangen werden, zerstört das Umlageverfahren, in das die Risikogemeinschaft der Unternehmen eingebunden ist und die Basis wiederum abgibt für die darauf aufbauende überberufsgenossenschaftliche Solidarität, von der die privaten Versicherungsunternehmen nicht betroffen sind, wenn die §§ 176 ff. SGB VII nicht gelten sollen. Die im Verfahren Rs K letztendlich gestellten Fragen, ob es überhaupt Risiko- selektion gibt und ob diese im vorliegenden Fall relevant sind, müssen überraschen. Die gestellten konkretisierten Fragen sind zwar gutachterlich nicht detailliert zu beantworten, weil dazu empirische Studien sekundärstatistischer und primärempirischer Art notwendig sind, die nur im Rahmen eines umfangreicheren Forschungsvorhabens durchführbar sind. Die Fragen stellen auf ein Experiment ab, dessen Effekte man nur beobachten kann, wenn man es durchführen würde. Das ist real nicht der Fall.
Zum Teil sind die Fragen falsch gestellt. Es geht bei der auf das Gesamtsystem und seiner Nachhaltigkeit nicht um die Risikostruktur innerhalb einzelner Gefahrtarifsgemeinschaften, auch nicht um Volatilitäten in den Risikoereignissen einzelner Unternehmen etc. Selbstverständlich können z. B. gute Risiken im Laufe der Zeit zu schlechten Risiken werden. Das ist auch aus den Problemen privater Krankenversicherungen bekannt.
Die Erosion des finanziellen Gleichgewichts des berufsgenossenschaftlichen Sozialschutzsystems hängt an dem Vermeiden des Ausscherens guter Risiken. Diese Selektion ist aus der ökonomischen Theorie ebenso wie aus der einschlägigen Erfahrung im internationalen Vergleich evident. Die einschlägige Fachliteratur der Versicherungswirtschaft selbst zählt die Risikoselektion zu den traditionellen und gängigen Instrumenten renditeorientierter Praxis (Jähnchen, 2009; Radtke, 2008; Homburg, 2004). In einschlägigen sozialrechtlichen Schrifttum finden sich immer wieder Hinweise auf unversicherbare Unternehmen. Die Risikoeinstufungen streuen ja auch entsprechend des Gefahrtarifspektrums. In der Unfallversicherung nach dem UVG in der Schweiz (Burri, 2010) haben sich die Risikoselektionen sehr deutlich abzeichnet; und auch hier ist nachgewissen, dass die privaten Versicherungen höhere Verwaltungskosten (Hoffmann & Saier, 2002) aufweisen (vgl. auch Jäger, 2004). Die Debatte um die öffentliche Gebäudemonopolversicherung hat gezeigt, dass dieses Monopol effizienter ist als ein wettbewerbliches Marktsystem (Kirchgässer, 2001; Ungern-Sternberg, 2001; Ungern-Sternberg, 2004).
Und schon die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Situation der Berufsgenossenschaften (Ds. 15/1399) hat (Bt-Ds. 15/1462 vom 5.8.2003) mit Blick auf die internationalen Vergleichsbeispiele überaus deutlich machen können, dass dort die komplexen Leistungen der deutschen Berufsgenossenschaften von privaten Versicherungsmärkten nicht übernommen werden können. Es wurde dort deutlich, dass nur bestimmte Leistungen und nicht, an der deutschen Situation gemessen, im erwünschten sozialen Schutzumfang von privaten Anbietern gewährleistet werden. Einige Länder sind daher wiederum zu öffentlichen Arrangemenets zurück gekehrt. Länderanalysen sind den Artikeln von B. Pabst in "Die BG" zu entnehmen (vgl. etwa: 12/2005, 744–748; 07/2003, 292–296; 11/2002, 580–585; 04/2000, S. 232–233; vgl. auch Pontoppidan, 2003 zu Dänemark; vgl. Pabst, 2007, zu Tschechien).
Für wie dramatisch man diese Erfahrungen mit (Teil-)Privatisierungen hält, ist werturteilsabhängig. Vor allem hängt die Bewertung davon ab, ob der nationale Gesetzgeber als Repräsentant der gesellschaftlichen Willensbildung die Sozialschutzgewährleistung für die ArbeitnehmerInnen durch das Monopol effizient gesichert sieht und durch das synergetische Gesamtgebilde des berufsgenossenschaftlichen Monopols (alle Leistungsmodule gemäß SGB VII) im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Körperschaftskompetenzen sichergestellt sehen will.
Es wird aus sicht der ökonomischen Theorie der Institutionenbildung ("institutional/ constitutional choice") nur im transaktionskostenlosen Nirwana und nur im Fall nicht-kontradiktorischer Interessenssituationen erwartbar, Einstimmigkeit in der Gesellschaft zu erzielen. Dies spiegelt nochmals die weiter oben bereits dargelegte Notwendigkeit der Güterabwägung im Lichte der unternehmerischen Grundfreiheiten einerseits und des hoheitlichen Rechts auf Wahl eines insgesamt effizienten Steuerungsregimes zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben wider.
Anders formuliert: Soll ein insgesamt effizientes und das Sozialschutzziel effektiv bewirkendes System, das synergetisch aufgestellt ist, zugunsten einer partiellen Markteröffnung für private Versicherungsanbieter in Verbindung mit Angebotsselektionen und auf der Basis von Risikoselektion aufgegeben werden? Ökonomisch sprechen die dargelegten Argumentationen dagegen, eine funktionsfähige, realistische Lösungsoption, wie sie im SGB VII verfaßt ist, durch eine relativ schlechtere, insgesamt nicht funktionsfähige Lösung zu ersetzen. Paretianisch gesprochen: Einige Gesellschaftsmitglieder würden sich verbessern, indem und wobei sie dadurch andere Gesellschaftsmitglieder verschlechtern würden. Märkte bzw. Marktlösungen für definierte Probleme sind immer dann anderen institutionellen Arrangements relativ vorzugswürdig, wenn sie effizienter und effektiver sind. Das ist hier nach allen Erfahrungen, Plausibilitäten und theoretischen Einsichten in die Quasi-Sozialgesetzmäßigkeiten gewinngesteuerten Systeme nicht der Fall.
c) Szenarium c kann als Ergänzung zu b gelesen werden oder kann isoliert diskutiert werden, jedoch im Lichte einer Idee der partiellen Aufgabenprivatisierung.
Im ersten Fall handelt es sich um eine zusätzliche Aufgabenprivatisierung im Fall b. Alle Bedenken gegenüber Szenarium b gelten auch hier. Hinzukommt jedoch der auf die körperschaftsrechtliche Situation bezogene Befund, dass die Prävention bislang im Kontext der Berufsgenossenschaften gemäß SGB VII eingebettet waren in die Möglichkeiten untergesetzlicher Normierung bzw. Rechtssetzungstätigkeiten der Selbstverwaltung als staatsmittelbare Akteure. Im ersten Fall würde somit die Prävention zu einem Gegenstand des Kontrakmanagements zwischen privaten Versicherungsunternehmen und gewerblichen Unternehmen.
Hier ergeben sich eine Fülle von Folgefragen durch die Schnittstellen des Privat(vertrags)rechts und dem Sozialrecht. Dies wäre auch im zweiten Fall, also in der von Szenarium b losgelösten, isolierten Diskussion der Aufgabenprivatisierung, gegeben. Denn die Berufsgenossenschaften delegieren (übertragen) das Präventionsaufgabenfeld an private Akteure.
Im zweiten Fall kann sich ein dergestaltiges Out-contracting nur plausibilisieren lassen, wenn eine höhere Kosten-Effektivität erzielbar ist. Auch hierbei wären wiederum die erheblichen Transaktionskosten der neuen Schnittstelle zu beachten. Nun gibt es in der Tat Verbesserungspotenziale in der Präventionsarbeit (Wellmann & Lempert-Horstkötte, 2009).
Positiv ist auch die Dauerhaftigkeit des Versicherungsverhältnisses in der Berufsgenossenschaft zu betonen, denn dadurch werden Probleme der Situationseigenschaften öffentlicher Güter gelöst, die wirksam wären, wenn Unternehmen im Rahmen einer Versicherung Präventionsvorteile genossen haben, dann aber (mit verbesserter Risikostruktur) die Versicherung wechseln (Busch, 2005).
Der Vorteil der bisherigen berufsgenossenschaftlichen Organisation war aber die Synergie des gesamten Systems: Das System mischt eine Präventionswirkung der risikoäquivalenten Beitragsbildung im Umlageverfahren mit einer körperschaftsrechtlichen Ermöglichung der Rechtssetzung und der Normierung im Selbstverwaltungskontext.
Prof. Sch -N zieht das Resümee, dass ein sozialer Ausgleich von einem privaten System gewinnmaximierender Versicherungsanbieter nicht zu erwarten sei. Vielmehr sei von einem privaten System Risikoselektion zu erwarten, womit es dann zur Nichtversicherbarkeit schlechter Risiken käme. Öffentliche Systeme müssten die schlechten Risiken auffangen. Damit wären die "Rosinen" privatisiert worden und die "sozialen Kosten" vergesellschaftet. Das Resümee schließt mit dem Satz: "In rechtswissenschaftlicher Sicht ist das Gebot geprüfter Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Akzeptanz eines Unfallversicherungsmonopols des berufsgenossenschaftlichen Systems auch aus ökonomischer Sicht gegeben."
Prof. Dr. G H , Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität P und Prof. Dr. R G , Inhaber des Lehrstuhls für Sozialrecht, Arbeitsrecht und bürgerliches Recht an der Ludwig Maximilian Universität M , haben in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 11. März 2011 kritisch zu dem eingeholten Gutachten Position bezogen. Es wird kritisiert, dass implizit der Vorrang deutschen Rechts vor Europarecht angenommen worden sei: Nach Sch -N solle die Strukturentscheidung des deutschen Gesetzgebers für das Monopol dessen Erforderlichkeit begründen können. Dies sei ein logischer Zirkelschluss. Das Gutachten halte die Öffnung des Unfallversicherungsmarkts für möglich, missbillige sie aber, weil sie den Vorgaben des deutschen Rechts zuwiderlaufe.
In der gutachterlichen Stellungnahme wird dargelegt, dass nach der Systematik des SGB VII eine Differenzierung nach so genannten guten und schlechten Risiken nicht zu erwarten sei. H /G kommen zu dem Ergebnis, dass die Öffnung des Unfallversicherungsmarktes nach dem Modell a) des Beweisbeschlusses kaum attraktiv sei. Praktikabel und empfehlenswert sei allerdings das Modell b) des Beweisbeschlusses. Nach diesem Modell seien Gefahren für das finanzielle Gleichgewicht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu befürchten. Dieses "Gleichgewicht" sei überdies ein dynamisches Fließgleichgewicht, welches Ausdruck ständiger Optimierung sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2005 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin beim Nachweis einer Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu den Bedingungen des SGB VII bei einem anderen Versicherer berechtigt ist, aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten auszutreten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogene Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin aus ihrer Mitgliedschaft zu entlassen. Der angefochtene Bescheid vom 15.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2005 wurde zu Recht vom Sozialgericht bestätigt.
Ein Austritt aus der Berufsgenossenschaft bzw. eine Kündigung des Versicherungsverhältnisses ist nach den einfachgesetzlichen Vorschriften - insoweit dürfte Einigkeit zwischen den Beteiligten bestehen - nicht vorgesehen. Gemäß § 121 Sozialgesetzbuch (SGB) VII sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften für alle Unternehmen (Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen, Tätigkeiten) zuständig, soweit sich nicht aus weiteren Vorschriften des SGB eine Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften oder der Unfallversicherungsträger der Öffentlichen Hand ergibt. Die Vorschrift regelt also in erster Linie die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Abgrenzung zu den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und den Unfallversicherungsträgern der Öffentlichen Hand und damit die Frage, welcher Unfallversicherungsträger für welche Versicherten zuständig ist. Sie ist jedoch auch Grundlage für die "Monopol" genannte Sonderstellung der Berufsgenossenschaften auf dem Gebiet der Unfallversicherung.
Die erste Frage, also ob zu Recht die Beklagte (z. Zeitpunkt der Klageerhebung: "Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft", inzwischen: "Berufsgenossenschaft Holz und Metall") ihre fachliche Zuständigkeit für die Klägerin - einen Metallfachbetrieb - angenommen hat, ist nicht direkt streitgegenständlich (im Falle einer unrichtigen Zuordnung käme ebenfalls keine Kündigung in Betracht, sondern das Überweisungsverfahren nach § 136 SGB VII), aber unproblematisch zu bejahen. Die zweite Frage betrifft die von der Klägerin begehrte Möglichkeit, ihrer Pflicht, gegen die im SGB VII aufgeführten Risiken versichert zu sein, dadurch nachzukommen, dass ein dieses regelnder Vertrag mit einem privaten Versicherungsunternehmen geschlossen wird.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass eine andere Organisation der gesetzlichen Unfallversicherung denkbar wäre.
In dem Gutachten H /G wird plausibel dargelegt, dass das Monopol der Berufsgenossenschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht "erforderlich" sei. Die Vorhaltung des gesetzlich vorgesehenen Schutzes aller Versicherten sei im gleichen Maße wie bisher auch bei eröffnetem Wettbewerb möglich.
Streitgegenständlich ist aber vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses und der EuGH-Entscheidung nur die Frage der Europarechtskonformität.
Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob man a) die Frage der Europarechtskonformität offen lässt, denn jedenfalls könnte in Anlehnung an die Entscheidung des BSG vom 20.03.2007(B 2 U 9/06 R) und die in dem Gutachten aufgeworfenen Probleme nicht ad hoc durch eine Gerichtsentscheidung das soziale Sicherungssystem außer Kraft gesetzt werden. oder b) die Europarechtskonformität der nationalen Regelungen bejaht, und auch damit zur Anwendung der nationalen Regelungen gelangt, denn in beiden Fällen läuft es auf die Beitragspflicht der Klägerin zur Beklagten hinaus.
Dass eine monopolistisch organisierte staatliche Unfallversicherung europarechtskonform ist, steht seit dem Urteil in der Sache Cisal (C-218/00) fest. Dort heißt es (Rdnr. 36), dass der soziale Zweck dadurch erreicht wird, dass Leistungen auch gewährt werden, wenn die fälligen Beiträge nicht entrichtet wurden. Dies schließe allerdings eine wirtschaftliche Tätigkeit noch nicht aus, da die Beiträge aber nicht streng proportional zum versicherten Risiko seien (Rdnr. 39), werde der Grundsatz der Solidarität umgesetzt (Rdnr. 42). Schließlich ergebe sich aus den Akten, dass die Tätigkeit des INAIL staatlicher Aufsicht unterworfen sei und dass die Höhe der Leistung sowie der Beiträge letztlich staatlich festgesetzt würde. Tarife seien zu genehmigen (Rdnr. 43.) Auf Grund dieser recht schmalen tatsächlichen Ausgangsbasis wurde dann aber definitiv festgestellt, dass einer Einrichtung, die wie das INAIL durch Gesetz mit der Verwaltung eines Systems der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten betraut sei, nicht unter den Begriff des Unternehmens im Sinne der Art. 85 und 86 EG-Vertrag falle (Rdnr. 46).
Käme es allein auf diese dargestellten Umstände an, die nicht nur bei dem INAIL, sondern auch bei den deutschen Unfallversicherungsträgern wie auch bei vielen privaten Versicherungen gegeben sind, so wäre die im Vorlagebeschluss unter II a) gestellte Frage ohne Weiteres zu bejahen bzw. gar nicht erst zu stellen gewesen.
Der EuGH hat allerdings im Beschluss vom 05.03.2009 gegenüber der INAIL-Entscheidung eine wesentliche Einschränkung gemacht. Während in der Rechtssache Cisal (C-218/00) verbindlich festgestellt wird, dass der INAIL eine Aufgabe rein sozialer Natur wahrnehme und seine Tätigkeit daher keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts und er selbst somit kein Unternehmen im Sinne der Art. 85 und 86 EG-Vertrag (aF) sei, wird im Urteil vom 05.03.2009 ein Vorbehalt ausgesprochen: Dies sei nur dann der Fall, soweit die Berufsgenossenschaft im Rahmen eines Systems tätig werde, mit dem der Grundsatz der Solidarität umgesetzt werde und welches staatlicher Aufsicht unterliege, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sei. An sich war dem EuGH unterbreitet worden, dass die anwendbaren Rechtsvorschriften den Mindest- und Höchstentgeltbetrag festlegen, der bei der Berechnung der Beiträge bzw. der Leistung zu berücksichtigen sei, wobei nur der Höchstbetrag gegebenenfalls in der Satzung der Berufsgenossenschaften heraufgesetzt werden könne. Ferner ergab sich auch aus dem Akteninhalt, dass die Berufsgenossenschaften "offensichtlich" (vgl. Rdnr. 64 des Urteils) im Bezug auf die Ausarbeitung ihrer Satzung und insbesondere die Festsetzung der Höhe der Beiträge und der Leistungen im Rahmen des gesetzlichen Systems der Kontrolle der Bundesrepublik unterliegen, die insoweit nach den Vorschriften des SGB VII als Aufsichtsbehörde tätig wird. Es werde also mit der Höhe der Beiträge und dem Wert der Leistungen der Grundsatz der Solidarität umgesetzt, der impliziere, dass die erbrachten Leistungen nicht streng proportional zu den gezahlten Beiträgen sind. Es wird dann im Weiteren ausgeführt, dass dieser Schluss nicht durch den Umstand infrage gestellt werde, dass die Berufsgenossenschaft im Gegensatz zu der Situation im italienischen System nicht die Verwaltung des gesetzlichen Versicherungssystems gewährleiste, sondern unmittelbar Versicherungsdienstleistungen erbringe. Allein dieser Umstand könne als solcher nichts am rein sozialen Charakter der von einer derartigen Berufsgenossenschaft ausgeübten Tätigkeit ändern (Rdnr. 67 der Entscheidung vom 05.03.2009).
Vor diesem Hintergrund könnte der dem Senat gestellte Prüfungsauftrag in dem Sinne verstanden werden, dass vom nationalen Gericht, dem die Auslegung des nationalen Rechts obliegt, lediglich eine Affirmation der ohnehin bereits als "offensichtlich" bezeichneten Tatsachen verlangt wird. Dieser Auffassung ist augenscheinlich die Beigeladene, die im Schreiben vom 26.10.2009 erklärt hat, die "Sinnhaftigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens (sei) nicht erkennbar". Die Beigeladene hat die Auffassung geäußert, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruhe auf einer Überinterpretation des Begriffs "Prüfung". Dies mag für die erste Vorlagefrage gelten, da auf Grund der Festlegungen im Urteilstext vom 05.03.2009 praktisch kein Raum mehr für eine inhaltliche Überprüfung verbleibt.
Dies gilt allerdings nicht für die zweite Vorlagefrage, zu der der Europäische Gerichtshof anders als die Kommission und die deutsche Regierung die Auffassung vertritt, dass die Einrichtung einer Pflichtmitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit durchaus vom Anwendungsbereich der Art. 49 EG und 50 EG erfasst werden könne. Es sei zwar in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung Sache des Rechts jedes Mitgliedstaats, insbesondere die Voraussetzung der Verpflichtung, sich bei einem System der sozialen Sicherheit zu versichern, und damit auch die Art der Finanzierung dieses Systems festzulegen; dabei müssten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis gleichwohl das Gemeinschaftsrecht beachten. Die entsprechende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten sei also nicht unbegrenzt. Insbesondere die Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr seien also nicht auszuschließen. Der EuGH hat eindeutig in diesem Zusammenhang ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr festgestellt (Rdnr. 83) und ausgeführt, dass eine solche Beschränkung gerechtfertigt sein könne, wenn sie "zwingenden Gründen des Allgemeinwohls" entspreche, geeignet sei, die Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks zu gewährleisten und nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Rdnr. 84 des Urteils vom 05.03.2009). Eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit könne einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertige (Rdnr. 85 a. a. O.). Der hierauf gerichtete Prüfungsauftrag lässt sich nun allerdings beim besten Willen nicht mehr als rein juristische Subsumtion unter einen unbestimmten Rechtsbegriff fassen; die Frage, wodurch eine Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit eintritt, ist eine sehr ins Empirische gehende Frage und der Begriff des "Gemeinwohls" wird bekanntlich gemeinhin politisch unterschiedlich interpretiert.
Es verwundert daher nicht, dass die Gutachten Sch -N und H /G zu konträren Ergebnissen gelangen.
Es ist nicht Aufgabe des Senats, diese politische Streitfrage zu entscheiden.
Der EuGH hat in einer Entscheidung vom 03.03.2011 (C-134/10) ausgeführt, dass "Kulturpolitik" einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigt (a. a. O., Rdnr. 44 m. w. N.). Diese Bezugnahme auf einen offenen, dem politischen Streit zugänglichen Begriff macht deutlich, dass die an sich sehr rigide erscheinende Ausnahmeregel ("zwingende Gründe des Allgemeinwohls") letztlich dann doch durch politische "Einschätzungen" aufgeweicht wird. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt letztendlich die Frage, ob "zwingende Gründe des Allgemeinwohls gegeben sind, in das Ermessen der zuständigen Behörde" (Begrenzung der Notarstellen, Entscheidung vom 29.03.2006 – 1 BvR 133/06). Auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung subsumiert unter diesem Begriff recht allgemein: Wenn durch das Wasserhaushaltsgesetz das Recht des Grundstückseigentümers auf Wasserförderung gegenüber dem ehemaligen preußischen Recht eingeschränkt werde, sei dies durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gedeckt, denn das natürliche Angebot an Wasser sei nach Menge und Qualität für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Erhaltung des Lebens überhaupt von entscheidender Bedeutung (OVG Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 20. August 1971 – XI A 740/70 –, bestätigt durch Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 13.12.1974 – IV C 74/71 –). Letztendlich unterbleibt also immer – entweder mit oder ohne ausdrücklichen Hinweis auf eine Entscheidungsfreiheit des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers oder der entscheidenden Behörde eine genaue Prüfung, ob konkret denn wirklich ein "zwingender Grund" des Allgemeinwohls gegeben ist.
Auch das Bundessozialgericht neigt zu einer gewissen tautologischen Interpretation dieses Begriffs, wenn es ohne eigene Prüfung, ob zwingende Gründe des Allgemeinwohls die Durchführung im EU-Ausland zulässiger medizinischer Maßnahmen, die im Inland nicht von der Krankenkasse erstattet werden (ambulante Radiojodtherapie – B 1 KR 26/99 R –, heterologe In-vitro-Fertilisation – B 1 KR 33/00 R, jeweils Entscheidung vom 09.10.2001) lediglich mit dem Hinweis auf die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für europarechtskonform erklärt. Es besteht bei diesen Begriffen, die an sich den Gesetzgeber in die Darlegungspflicht drängen, warum er sich in einer notwehrähnlichen Ausnahmesituation über höherrangiges Recht hinwegsetzen durfte, die Tendenz, die Feststellung der Quasinotwehrsituation dem Gesetzgeber selbst zu überlassen, indem man ihm einen diesbezüglichen Einschätzungsspielraum zubilligt (so ausdrücklich: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 08.06.2001, 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 zum Begriff des "überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes").
Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest passend, wenn man unter dem Gesichtspunkt der bei Prognoseentscheidungen generell zugebilligten Einschätzungsprärogative die Funktionsaufteilung zwischen Judikative und Legislative in der Weise vornimmt, dass eine Entscheidung zwischen den konträren gutachterlichen Positionen nicht vom Gericht, sondern vom Gesetzgeber zu treffen ist.
In diese Richtung zielt auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.03.2007 – B 2 U 9/06 R, wonach es in ein soziales Sicherungssystem eingebundenen Personen explizit verwehrt ist, sich in einem Beitragsstreitverfahren auf die Rechtswidrigkeit der das Versicherungs- oder Mitgliedschaftsverhältnis begründenden statusbildenden Norm zu berufen und damit die rechtlichen Grundlagen des Sicherungssystems als solchen infrage zu stellen. Wenn es dann weiter heißt, dass ein umlagefinanziertes Versicherungssystem wie die gesetzliche Unfallversicherung, auch wenn es in seiner Ausgestaltung ganz oder teilweise übergeordneten Rechtsgrundsätzen widersprechen sollte, nicht ad hoc durch eine Gerichtsentscheidung außer Kraft gesetzt werden, sondern nur vom Gesetzgeber mit einer ausreichend langen Übergangsfrist unter Wahrung bereits entstandener Ansprüche in ein anderes, verfassungs- und europarechtskonformes System überführt werden könne, so ist dies zweifellos richtig; mit der anhängigen Klage der Firma K GmbH wird jedoch nicht die Außerkraftsetzung eines Systems begehrt, sondern zunächst nur die Feststellung, dass die Klägerin nicht kraft Gesetzes Mitglied bei der Beklagten, die sich im Übrigen im Laufe des Verfahrens verändert hat, ist. Der Ausfall der Klägerin als Beitragszahlerin würde die Beklagte zweifelsohne nicht in finanzielle Schwierigkeiten bringen; selbst wenn man mangels einer anderen gesetzlichen Regelung wohl davon ausgehen müsste, dass der Arbeitnehmer weiterhin kraft Gesetzes gemäß § 2 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VII bei der Beklagten versichert sei, könnte man die Auffassung vertreten, dass die Beklagte wegen eventueller Leistungsansprüche analog § 110 Abs. 1a SGB VII bei der Klägerin Regress nehmen könnte, die dann ihrerseits diese Kosten an ihren dänischen Versicherer weitergeben könnte. Gleichwohl hätte natürlich die Beklagte einen Beitragsausfall, der das "solidarische" Element betrifft. Darüber hinaus wären freilich Mitnahmeeffekte und insoweit mittelbar dann doch eine Erschütterung des bestehenden Systems zu befürchten.
Die konträren Gutachten stehen im Grunde für zwei Selbstverständlichkeiten: - Ein privates System wäre denkbar und würde auch – wie die ausländischen Beispiele zeigen – funktionieren. - Das bestehende System in seiner konkreten Ausgestaltung würde natürlich durch die Zulassung privater Versicherer verändert, also in seinem bestehenden Gleichgewicht gestört. Davon zu trennen ist die Frage, ob sich mit mehr oder weniger Aufwand ein neues Gleichgewicht, welches unter Umständen sogar für alle Beteiligten günstiger wäre, herstellen ließe.
Der Senat entscheidet sich bei der Auslegung des Begriffs "finanzielles Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit" im Sinne des oben Gesagten für die tautologische Methode. Das herrschende System, wie es der Gesetzgeber nun einmal gewollt hat, geräte ins Rutschen, also aus dem Gleichgewicht, wenn private Wettbewerber für den "Markt" der Versicherung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zugelassen würden. Insofern ist also der im Grunde berechtigten Kritik von H /G an den Gutachten von Sch -N , es werde implizit der Vorrang des deutschen Rechts vor dem Europarecht angenommen, zu entgegnen: Das deutsche einfachgesetzliche Recht ist ebenso wie die Tradition in hohem Maße strukturbildend. Die Denkbarkeit anderer Strukturen, die auch ein Gleichgewicht versprechen könnten, ändert nichts daran, dass ein Umbau des bestehenden Systems, vor allem wenn er gewissermaßen rücksichtslos und plötzlich durch eine Gerichtsentscheidung vorgenommen würde, eben dieses System aus dem Gleichgewicht brächte und mangels eines zur Verfügung stehenden alternativen Systems dann zwangsläufig zu einer Störung eines gesamten Zweigs der Sozialversicherung führen müsste, die schon alleine in den von Prof. Sch -N genannten schlagartig auftretenden und ohne Zeitverzug zu lösenden, aber nicht ebenso unverzüglich lösbaren Folgefragen durch Schnittstellen bestehen könnte.
Eine Entscheidung in der Art, dass dem Gesetzgeber eine Frist gesetzt wird, innerhalb derer ein eventuell als europarechtswidrig angesehener Zustand zu beseitigen wäre, steht dem Senat nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO i. V. m. § 197a SGG.
Gründe bei der Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG, da der Senat nicht von der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2007 B 2 U 9/06 R) abweicht.
Strahn Dr. Scholz Stampa
II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Entlassung aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten. Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Alleingesellschafterin ist Frau H R mit einer Stammeinlage in Höhe von 25.000 EUR. Geschäftsführer ist Herr F K , der als Metallbauer und Feinmechaniker in die Handwerksrolle eingetragen ist. Das Unternehmen wurde am 13.11.2003 gegründet, der Betrieb wurde zum 01.01.2004 aufgenommen und firmiert unter der Bezeichnung K Stahlbau GmbH, Stahl-, Treppen- und Balkonbau. Mit Bescheid vom 27.01.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft der für das Unternehmen zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sei. Das Unternehmen sei daher gemäß § 136 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter der Mitgliedsnummer 600212360 aufgenommen worden; Metallbauer, Klempner und Schmiede seien zu der Gefahrenklasse 8,8 (Gefahrtarifstelle 2323) zu veranlagen; kaufmännische und verwandte Berufe nach der Gefahrklasse 0,6 (Gefahrtarifstelle 2929). Mit Bescheid vom 28.12.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass weder Frau H R noch Herr F K pflichtversichert seien. Für beide gelte, dass sie eine beherrschende Stellung im Unternehmen haben. Es bestehe aber die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern.
Bereits mit Schreiben vom 01.11.2004 hatte die Klägerin die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten zum Jahresende 2004 gekündigt. Es sei beabsichtigt, sich statt dessen privat gegen die bestehenden Risiken abzusichern. Mit Bescheid vom 15.11.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach den Bestimmungen des SGB VII sie der für das Unternehmen zuständige gesetzliche Unfallversicherungsträger sei. Ein Austritt aus der Versicherung bzw. eine Kündigung einer gesetzlichen Pflichtversicherung sei rechtlich nicht möglich. Eine Entlassung aus der Mitgliedschaft werde daher abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.04.2005 und mit Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 bestätigt.
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass ihre Zwangsmitgliedschaft bei der Beklagten gegen Gemeinschaftsrecht verstoße, sie sei in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt. Sie legt ein Angebot der A I A-S A 12 g, Deka 1256, K , D , des Inhalts vor, dass zu den jeweils gültigen Bedingungen der Beklagten die Klägerin auch bei dieser Gesellschaft nach deutschem Unfallversicherungsrecht gegen das Risiko von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Wegeunfällen versichert werde. Auch die Leistungen sollen sich streng nach dem Leistungskatalog der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung richten. Die Ausschließlichkeitsstellung der Beklagten verstoße gegen Art. 82, 86 EG, die Wettbewerbsbeschränkung sei nicht zu rechtfertigen. Entsprechendes gelte für die hieraus folgende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 ff. EG. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die eine Monopolstellung der Deutschen Unfallversicherungsträger in ihrem jeweiligen Bereich rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Mit Beschluss vom 24.07.2007 wurde der Rechtsstreit ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: - Handelt es sich bei der beklagten Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft um ein Unternehmen im Sinne der Art. 81 und 82 EG? - Verstößt die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften?
Auf Initiative der Klägerin wurden folgende Aufsätze zum Gegenstand des Parteivortrages gemacht: Giesen, Das BSG, der EG-Vertrag und das deutsche Unfallversicherungsmonopol, ZESAR 4/2004, S. 151 ff. Penner, Vereinbarkeit des Unfallversicherungsmonopols mit den Art. 81 ff. EG-Vertrag, NZS 2007, S. 521. Die Beklagte hat eine schriftliche Stellungnahme von Prof. P und ein Rechtsgutachten von Universitätsprofessor Dr. M F eingereicht. Außerdem haben die Bundesrepublik Deutschland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften jeweils eine Stellungnahme abgegeben. Der Generalanwalt beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat am 18. November 2008 Stellung genommen und vorgeschlagen, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten: 1. Der Begriff des Unternehmens im Sinne der Art. 81 EG und 82 EG umfasst keine Einrichtungen, die wie die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft mit der Durchführung eines auf dem Grundsatz der Solidarität beruhenden Systems der sozialen Sicherheit betraut sind, vorausgesetzt, dass alle in den vorliegenden Schlussanträgen dargestellten wesentlichen Elemente dieses Systems staatlicher Aufsicht unterliegen, wobei die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, Sache des vorlegenden Gerichts ist. 2. Die Art. 49 ff. EG, 82 EG und 86 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Pflichtmitgliedschaft eines Arbeitgebers wie der K Stahlbau GmbH bei einer Einrichtung wie der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft zum Zweck der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nicht entgegenstehen.
Mit Urteil vom 05.03.2009 hat die Dritte Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften wie folgt entschieden:
Tenor:
1. Die Art. 81 EG und 82 EG sind dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Berufsgenossenschaft, der die Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet einem bestimmten Gewerbezweig angehören, für die Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beitreten müssen, kein Unternehmen im Sinne dieser Vorschriften ist, sondern eine Aufgabe rein sozialer Natur wahrnimmt, soweit sie im Rahmen eines Systems tätig wird, mit dem der Grundsatz der Solidarität umgesetzt wird und das staatlicher Aufsicht unterliegt, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. 2. Die Art. 49 EG und 50 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, nach der die Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet einem bestimmten Gewerbezweig angehören, verpflichtet sind, einer Einrichtung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Berufsgenossenschaft beizutreten, soweit dieses System nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts eines Zweigs der sozialen Sicherheit erforderlich ist, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. In den Gründen ist ausgeführt, dass es keine Rolle spiele, wenn eine Berufsgenossenschaft wie die MMB im Gegensatz zu der Situation im Rahmen des italienischen Systems, das in der Rechtssache C in Rede gestanden habe, nicht die Verwaltung des betreffenden gesetzlichen Versicherungssystems gewährleiste, sondern unmittelbar selbst Versicherungsdienstleistungen erbringe. Das Gemeinschaftsrecht lasse die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt, daher könne der genannte Umstand als solcher nichts am rein sozialen Charakter der von einer derartigen Berufsgenossenschaft ausgeübten Tätigkeit ändern, da er weder den solidarischen Charakter des entsprechenden Systems noch die vom Staat darüber ausgeübte Aufsicht beeinträchtige. Andererseits hätten die Mitgliedstaaten zwar das Recht, die Voraussetzungen der Verpflichtung, sich bei einem System der sozialen Sicherheit zu versichern, selbst festzulegen, sie müssten bei der Ausübung dieser Befugnis gleichwohl das Gemeinschaftsrecht beachten. Es sei zu prüfen, ob durch das in Deutschland geltende gesetzliche Versicherungssystem die Möglichkeit von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Versicherungsgesellschaften beschränkt werde, auf dem deutschen Markt ihre Dienste hinsichtlich der Versicherung anzubieten, und zum anderen, ob dadurch die in Deutschland niedergelassenen Unternehmen als Dienstleistungsempfänger davon abgehalten werden, sich bei solchen Gesellschaften zu versichern. Der freie Dienstleistungsverkehr verlange nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden auf Grund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gälten –, sofern sie geeignet seien, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Eine solche Beschränkung könne nur aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein. Solche Gründe seien beispielsweise eine sonst drohende erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit.
Der Senat hat daraufhin bei Prof. Dr. F Sch -N , Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität K , zu folgenden Beweisfragen ein Gutachten in Auftrag gegeben:
1. Welche Auswirkungen auf das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung hätte folgendes Szenario 1. Private Versicherungsunternehmen werden zu den Bedingungen des SGB VII zugelassen a) mit Ausnahme der Vorschriften des 2., 3. und 4. Abschnitts des 4. Kapitels (§ 121 bis 149a SGB VII). Die privaten Versicherungsunternehmen sind also berechtigt, zu den im SGB VII im Einzelnen festgelegten Bedingungen Versicherungsdienstleistungen anzubieten, sie bleiben aber vollständig in das System von Umlage und Prävention der gesetzlichen Unfallversicherungsträger integriert. Sie werden also gewissermaßen als Subunternehmer tätig. Nach einem mit der gesetzlichen Unfallversicherung auszuhandelnden Schlüssel werden sie an den Einnahmen beteiligt, die Gefahrtarife für die an sich zuständigen Berufsgenossenschaft gelten, es besteht lediglich eine organisatorische Selbstständigkeit. Die Unternehmen werden im Prinzip wie bisher von Gesetzes wegen Mitglied der sachlich und örtlichen Berufsgenossenschaft; sie haben aber die Möglichkeit, zu einem privaten Versicherer zu wechseln, der im Auftrag der gesetzlichen Unfallversicherung die Versicherungsdienstleistungen im identischen Umfang erbringt, organisatorisch aber nicht in das System der gesetzlichen Unfallversicherung integriert ist.
b) Private bieten die Versicherungsdienstleistungen wie nach Buchstabe a in organisatorischer Selbstständigkeit an, sie setzen aber die Höhe der Beiträge nach versicherungsmathematischen Grundsätzen selber fest. Für sie gelten also die §§ 152 bis 186 SGB VII nicht. Es besteht also konkurrierend gewissermaßen neben dem Umlagesystem ein Versicherungssystem einschließlich Rückversicherung. Für die nach dem Verteilungsschlüssel (BG 1992, 325 bis 327) von den Berufsgenossenschaften aufzubringenden Lasten ist von dem privaten Versicherungsdienstleister an die gesetzliche Unfallversicherung ein Ausgleichsbetrag zu leisten, der sich nach dem Umfang seines Anteils an den Versicherungen nach dem SGB VII richtet. Im Übrigen werden bei dem privaten Versicherer entstehende langfristige oder außergewöhnlich hohe Leistungsverpflichtungen durch Rückversicherungen abgedeckt, wodurch ein mittelbarer Einfluss auf die Beitragshöhe in der Zukunft gegeben ist. Hinsichtlich der Prävention bleibt es bei der Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung; auch deswegen ist von den privaten Versicherern ein dementsprechender Beitrag an die gesetzliche Unfallversicherung zu leisten.
c) Auch die Prävention (§§ 14 bis 25) wird jeweils Sache des privaten Versicherungsunternehmens, mit anderen Worten, das private Versicherungsunternehmen setzt in seinen allgemeinen Versicherungsbedingungen bzw. im Versicherungsvertrag mit dem Unternehmen fest, welche Maßnahmen konkret zu treffen sind, und welche vertraglichen Sanktionen bei Nichtbeachtung erfolgen.
2. Stellen Sie in einem kurzen Abriss das bestehende System der gesetzlichen Unfallversicherung dem System der Pflichtversicherung (Kraftfahrzeugpflichtversicherung, Pflichtversicherung für Luftverkehrsunternehmen, für den Betrieb von Atomanlagen, für den Güterkraftverkehr; Berufshaftpflicht) gegenüber. Wie ist die Marktsituation in den genannten Feldern der Pflichtversicherung zu bezeichnen (atomisierte Marktstruktur, Oligopol, Monopol)? Besteht in den genannten Tätigkeitsfeldern ein finanzielles Gleichgewicht?
3. Lassen sich aus den Erfahrungen mit den anderen Zweigen der Sozialversicherung bzw. der Arbeitsvermittlung, was die Aufweichung von staatlichen Monopolen angeht, verwertbare Erkenntnisse für die Ausgangsfrage gewinnen, ob das bestehende System der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlich ist für die Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts in diesem Bereich?
II. Bitte gehen Sie auf den Gesichtspunkt der adversen Selektion ein und beantworten Sie vor allem unter diesem Gesichtspunkt die von der Klägerseite in dem Schriftsatz vom 22. Oktober 2009 (LSG-Akte Bl. 406 – 410) gestellten Beweisfragen.
Die in Bezug genommenen Beweisfragen von der Klägerseite lauten wie folgt: 1. Zu Rdnr. 89 der Entscheidung des EuGH ("Was die Frage anbelangt, ob eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist, ergibt sich, wie bereits in Rdnr. 81 des vorliegenden Urteils festgestellt, aus den beim Gerichtshof eingereichten Unterlagen, dass das im Ausgangsverfahren streitige gesetzliche System eine Mindestabdeckung bietet, sodass es den ihr unterliegenden Unternehmen trotz der damit verbundenen Pflichtmitgliedschaft freisteht, diese Abdeckung dadurch zu ergänzen, dass sie zusätzliche Versicherungen abschließen, sofern diese auf dem Markt angeboten werden. Dieser Umstand stellt einen Faktor dar, der für die Verhältnismäßigkeit eines gesetzlichen Versicherungssystems wie des im Ausgangsverfahren streitigen spricht (vgl. in diesem Sinne Urteil Freskot, Rdnr. 70)" Wenn, wie der EuGH in Rdnr. 89 ausführt, das Bestehen der Möglichkeit für einen Unternehmer, eine Zusatzversicherung für die Risiken abzuschließen, die durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten für die Beschäftigten entstehen, tendenziell für die Verhältnismäßigkeit des bestehenden Systems spricht: Wie groß ist dann die tatsächliche Bedeutung solcher freiwilligen Zusatzversicherungen bei pflichtversicherten Beschäftigten? Mit anderen Worten: In wie vielen (Prozent oder absolut) Fällen sind unter den gesetzlichen Versicherungsschutz des SGB VII fallende Beschäftigte gegen die Risiken von a) Arbeitsunfällen und b) Berufskrankheiten durch eine freiwillige Zusatzversicherung ihres Arbeitgebers versichert? Welche Zusatzrisiken von a) Arbeitsunfällen (z. B. Aufstockung des in der Zukunft liegenden Verdienstausfalls neben der BG-Rente) und b) Berufskrankheiten (z. B. Absicherung von Krankheitsfolgen, die von der BG generell nicht oder im Einzelfall nicht als Berufskrankheit anerkannt sind) sind versichert? Zu Rdnr. 90 ("Was im Übrigen den Umfang der Abdeckung betrifft, wie sie dieses System vorsieht, lässt sich, wie die MMB in ihren Erklärungen ausführt, nicht ausschließen, dass sich Unternehmen, die beispielsweise ein junges und gesundes Personal mit ungefährlichen Tätigkeiten beschäftigen, bei privaten Versicherern um günstigere Versicherungsbedingungen bemühen würden, wenn die Versicherungspflicht auf bestimmte Leistungen, etwa die sich aus dem Ziel der Prävention ergebenden, zu beschränken wäre, wie es K als Möglichkeit in ihren Erklärungen andeutet. Das fortschreitende Ausscheiden dieser "guten" Risken könnte den Berufsgenossenschaften wie der MMB einen wachsenden Anteil von "schlechten" Risiken belassen, was zu einer Erhöhung der Kosten für die Leistungen, insbesondere für Unternehmen mit einem älteren, gefährliche Tätigkeiten ausübenden Personal, führen würde, denen die Berufsgenossenschaften zu annehmbaren Kosten keine Leistungen mehr anbieten könnten. Dies würde umso mehr gelten, wenn das betreffende gesetzliche Versicherungssystem, wie es im Ausgangsverfahren der Fall ist, in Umsetzung des Grundsatzes der Solidarität durch das Fehlen einer strengen Proportionalität zwischen den Beiträgen und den versicherten Risiken gekennzeichnet ist (vgl. entsprechend Urteil Albany, Rdnrn. 108 und 109).") 1. Was versteht man in der Versicherungswirtschaft generell unter einem "guten Risiko", was unter einem "schlechten Risiko"? 2. Existieren überhaupt – wie der EuGH erwägt – bei der Beklagten (oder anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften) "gute" und "schlechte" Risiken, wenn doch – wie es der Fall ist – durch den bestehenden Gefahrtarif der Beklagten (Gefahrtarif der Maschinenbau- und Metall-BG 2007) einerseits Gefahrklassen gebildet werden, errechnet aus dem Verhältnis der in den Jahren 2002 bis 2005 (Beobachtungszeitraum) gezahlten Entschädigungsleistungen für die seit dem 1. Januar 2002 eingetretenen Versicherungsfälle zu den Arbeitsentgelten und Versicherungssummen (Entgelte) des Beobachtungszeitraums, bezogen auf 1.000,00 EUR Entgelt, sodass in den so genannten Gefahrtarifstellen Unternehmenstypen mit vergleichbar hohen Risiken, z. B. in Tarifstelle 14: "Herstellung von Werkzeugen, Maschinen- und Präzisionswerkzeugen, Schneidwaren, Bestecken, Gesenkbau und Modellbau" zusammengefasst werden, andererseits der Gefahrtarif 2007 als weitere Stellschraube eine individuelle Erhöhung oder Ermäßigung der Beiträge um bis zu 30 % vorsieht (Gefahrtarif 2007, Teil II Ziffern 1 und 2), wenn sich in Einzelfällen ergibt, dass infolge einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise oder infolge der von der üblichen erheblich abweichenden Art der Betriebseinrichtungen geringere oder höhere Gefahren vorliegen als die, für welche die Gefahrklasse eines Unternehmenszweigs im Teil I berechnet ist? 3. Gibt es unter Berücksichtigung der nachfolgenden Einflussfaktoren: - schwankende Häufigkeit von Arbeitsunfälle (je 1.000 Arbeitsstunden im Unternehmen) und/oder angezeigten Berufskrankheiten über mehrere Versicherungsjahre; - frequentieller Anstieg des Wechsels des Arbeitgebers durch die Beschäftigten; - sich auf der Zeitschiene ändernde Zusammensetzung der Belegschaft nach den Faktoren: Alter, auszuübende Tätigkeit, Ausbildungsniveau, Sicherheit der Produktionsfaktoren, Änderung der Produktionsverhältnisse, zunehmende Verrechtlichung der Arbeitssicherheitsstandards; - Nebeneinander von tendenziell tätigkeitsunabhängigen Wegeunfallrisiken einerseits und tätigkeitsabhängigen Arbeitsunfall- und Berufskrankheitsrisiken andererseits, Unternehmen, die innerhalb der jeweiligen Gefahrtarifstellen als "gute Risiken" oder "schlechte Risiken" zu bezeichnen sind, obwohl sie nicht unter die Regelung in Teil II Nr. 2 des gültigen Gefahrtarifs fallen? 4. Soweit ein bei der Beklagten versichertes Unternehmen in einem Kalenderjahr durch eine besonders niedrige oder besonders hohe Unfalllast in ein außerhalb des Normalbereichs liegendes Verhältnis von Beiträgen zu erhaltenen Versicherungsleistungen gerät, greift das gesetzlich und satzungsmäßig (in § 28 der Satzung der Maschinenbau- und Metall-BG) geregelte Nachlass- und Zuschlagsverfahren. Wird durch dieses Nachlass- und Zuschlagsverfahren in den einzelnen Versicherungsperioden (Kalenderjahr) nicht ein temporärer risikoreicher oder risikoarmer Zustand innerhalb des Beitrags- und Leistungssystems neutralisiert? Welche Auswirkung hat dann dieses Nachlass- und Zuschlagsverfahren für die Bewertung eines "guten" oder "schlechten" Risikos? 5. Kann bei einer generellen Bewertung der versicherten Unternehmen in den einzelnen Gefahrtarifstellen der Beklagten davon gesprochen werden, dass trotz des Nachlass- und Zuschlagsverfahrens eine signifikante Anzahl von Unternehmen messbar von den anderen Beitragszahlern dieser Gefahrtarifstelle profitieren, weil sie (bzw. ihre Beschäftigten) selbst dauerhaft mehr Versicherungsleistungen erhalten als sie umgekehrt durch Versicherungsbeiträge aufbringen? Gibt es entsprechend benachteiligte Unternehmen, die als Beitragszahler dauerhaft mehr Versicherungsbeiträge an die BG zahlen müssen als sie (bzw. ihre Beschäftigten) umgekehrt bei einer langfristigen Betrachtung an Versicherungsleistungen erhalten? 6. Gesetzt den Fall, ein Unternehmen könnte sich ab einem bestimmten und in der Zukunft liegenden Stichtag X für die ab diesem Stichtag eintretenden Risken von a) Arbeitsunfällen und/oder b) Berufskrankheiten seiner Beschäftigten bei einem privaten Versicherungsunternehmen versichern, während die vor diesem Stichtag eingetretenen Risiken bei der BG versichert bleiben und verbeitragt werden müssen (auf Grund des Umlageverfahrens): a) Wie viele Unternehmen (prozentual und absolut) würden einen solchen Wechsel in jedem vornehmen (also unabhängig vom künftigen Preis der Dienstleistung)? b) Wie verteilen sich die in der vorstehenden Frage ermittelten Unternehmer auf die Gefahrtarifstellen der Beklagten? c) Wie viele Unternehmen (prozentual und absolut) würden einen Wechsel zu einem privaten Versicherungsunternehmen nur dann vollziehen, wenn dies mit einer Kosteneinsparung verbunden wäre? d) Wie hoch ist die subjektiv aus Sicht der Unternehmen erwartete Kosteneinsparung der vorstehend unter c) ermittelten Unternehmer? e) Welche anderen Gründe neben oder anstelle einer möglichen Kostenersparnis (offene Befragung) benennen Unternehmen für einen Wechsel von der BG zu einem privaten Versicherer, wenn dies rechtlich zulässig wäre? f) Welche Gründe nennen die befragten und wechselwilligen Unternehmen als vorherrschend für einen Wechsel von der BG zu einer privaten Versicherung? g) Lässt sich bei den wechselwilligen Unternehmen feststellen, dass – falls sie denn existieren – hierbei "gute Risiken" dominieren? Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen "schlechten Risiken", "Normalrisiken" und "guten Risiken" bei den wechselwilligen Unternehmen? Wie ist die Preissensibilität dieser drei Gruppen ausgeprägt, also die subjektiv erhoffte Kostenersparnis bei einem Wechsel von der BG zu einem privaten Versicherer?
Prof. Dr. Sch -N ist auf die zuletzt genannten Fragen in seinem Gutachten vom 30.11.2010 nicht explizit eingegangen. Er hat aber die Frage der Abwanderung so genannter guter Risiken eine zentrale Bedeutung beigemessen und die vom Gericht gestellten Beweisfragen I Ziffer 1 a) bis c) wie folgt beantwortet: a) Die gewerblichen Unternehmen würden in diesem Out-contracting-Szenarium nach wie vor Mitglied in der zuständigen Berufsgenossenschaft bleiben. Diese Unternehmen können aber zu einem Versicherungsunternehmen wechseln, das wiederum im Auftrag der Berufsgenossenschaft die Versicherungsdienstleistungen im identischen Umfang erbringt. Dieses Szenarium ist zunächst analog zur partiellen Aufgabenprivatisierung im Rechtskreis von SGB III und SGB II konstruiert. Es fragt sich, ob sich ein Unternehmen zu diesen Bedingungen finden ließe. Wenn das private Versicherungsunternehmen so weit eingegliedert bleibt, dass alle Bedingungen des SGB VII gelten, dann kann es quasi nur ein Non-profit-Geschäft sein. Die Einnahmen des privaten Versicherungsunternehmens müssten nach Teilnahme am solidarischen Lastenausgleich im überberufsgenossenschaftlichen Sinne berechnet sein. Das private Versicherungsunternehmen müsste sodann versicherungsmathematisch kalkulieren und sich rückversichern. Die Aufgabe lautet: Suche ein privates Versicherungsunternehmen, das Unternehmen versichert, wenn die Einnahmen bereits erheblich um eine Solidarabgabe im System der Berufsgenossenschaften geschmälert sind und das private Unternehmen auch ansonsten vollständig in das berufsgenossenschaftliche Regime des SGB VII eingegliedert bleibt. Die Auslagerung der Versicherungsleistung selbst erscheint daher nicht sehr plausibel. Im Fall der diskutierten Privatisierung der Arbeitsvermittlung handelte es sich um spezifische und darauf beschränkte Serviceleistungen. Das Out-contracting wirft erhebliche Transaktionskosten auf, da eine Beauftragung seitens der Berufsgenossenschaft erfolgen muss und damit eine neue Schnittstelle aufgemacht wird, die es organisatorisch zu managen gilt. Das Thema ist aus der Erforschung zu den Aufgabenprivatisierungen im Rechtskreis von SGB III und SGB II gut bekannt und es findet Parallelen in den Forschungsbefunden zu den Transaktions- und Regulationskosten von Betrauungsakten und Ausschreibungswettbewerben in anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Daher haben weder die Berufsgenossenschaften noch die Unternehmen einen Vorteil. Letztere nicht, da sich an der Beitragsberechnung nichts ändert. Auch die Herausforderungen der Präventionsaufgaben, die das berufsgenossenschaftliche System an die Unternehmen heranträgt, bleiben unangetastet. b) Das Szenarium b ähnelt zunächst dem Szenarium a, allerdings ist die Beitragsbildung für die gewerblichen Unternehmen anders. Das private Versicherungsunternehmen muss jetzt nicht nach vorgegebenen Einnahmen versicherungsmathematisch kalkulieren, sondern kalkuliert die Einnahmen selbst. Und die privaten Versicherungsunternehmen sind, wenn die §§ 176 ff. SGB VII nicht gelten sollen, nicht, wie im Szenarium a, verpflichtet zur Beteiligung an den solidarischen Lastenausgleich im überberufsgenossenschaftlichen Sinne, müssen jedoch die berufsgenossenschaftlichen Präventionen durch eine Abgabe mittragen.
Insgesamt betrachtet stellt sich die Frage, für welche gewerblichen Unternehmen das System günstig ist. Es kommt zu Selbstselektionen seitens der gewerblichen Unternehmen, die korrespondiert wird von der negativen Risikoselektion der privaten Versicherungsunternehmen. Damit tritt der dargelegte Mechanismus auf: Die finanzielle Gleichgewichtsstabilität des berufsgenossenschaftlichen Systems als Umlagefinanzierungsverfahren kippt. Denn schlechte Risiken sind privat nicht oder nur zu exklusiven Prämien versicherbar und die Berufsgenossenschaften haben diese schlechten Risiken zu sammeln. Das Ausscheren von gewerblichen Unternehmen, indem individuelle Wege der Versicherung im Markt privater Versicherungsunternehmen gegangen werden, zerstört das Umlageverfahren, in das die Risikogemeinschaft der Unternehmen eingebunden ist und die Basis wiederum abgibt für die darauf aufbauende überberufsgenossenschaftliche Solidarität, von der die privaten Versicherungsunternehmen nicht betroffen sind, wenn die §§ 176 ff. SGB VII nicht gelten sollen. Die im Verfahren Rs K letztendlich gestellten Fragen, ob es überhaupt Risiko- selektion gibt und ob diese im vorliegenden Fall relevant sind, müssen überraschen. Die gestellten konkretisierten Fragen sind zwar gutachterlich nicht detailliert zu beantworten, weil dazu empirische Studien sekundärstatistischer und primärempirischer Art notwendig sind, die nur im Rahmen eines umfangreicheren Forschungsvorhabens durchführbar sind. Die Fragen stellen auf ein Experiment ab, dessen Effekte man nur beobachten kann, wenn man es durchführen würde. Das ist real nicht der Fall.
Zum Teil sind die Fragen falsch gestellt. Es geht bei der auf das Gesamtsystem und seiner Nachhaltigkeit nicht um die Risikostruktur innerhalb einzelner Gefahrtarifsgemeinschaften, auch nicht um Volatilitäten in den Risikoereignissen einzelner Unternehmen etc. Selbstverständlich können z. B. gute Risiken im Laufe der Zeit zu schlechten Risiken werden. Das ist auch aus den Problemen privater Krankenversicherungen bekannt.
Die Erosion des finanziellen Gleichgewichts des berufsgenossenschaftlichen Sozialschutzsystems hängt an dem Vermeiden des Ausscherens guter Risiken. Diese Selektion ist aus der ökonomischen Theorie ebenso wie aus der einschlägigen Erfahrung im internationalen Vergleich evident. Die einschlägige Fachliteratur der Versicherungswirtschaft selbst zählt die Risikoselektion zu den traditionellen und gängigen Instrumenten renditeorientierter Praxis (Jähnchen, 2009; Radtke, 2008; Homburg, 2004). In einschlägigen sozialrechtlichen Schrifttum finden sich immer wieder Hinweise auf unversicherbare Unternehmen. Die Risikoeinstufungen streuen ja auch entsprechend des Gefahrtarifspektrums. In der Unfallversicherung nach dem UVG in der Schweiz (Burri, 2010) haben sich die Risikoselektionen sehr deutlich abzeichnet; und auch hier ist nachgewissen, dass die privaten Versicherungen höhere Verwaltungskosten (Hoffmann & Saier, 2002) aufweisen (vgl. auch Jäger, 2004). Die Debatte um die öffentliche Gebäudemonopolversicherung hat gezeigt, dass dieses Monopol effizienter ist als ein wettbewerbliches Marktsystem (Kirchgässer, 2001; Ungern-Sternberg, 2001; Ungern-Sternberg, 2004).
Und schon die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Situation der Berufsgenossenschaften (Ds. 15/1399) hat (Bt-Ds. 15/1462 vom 5.8.2003) mit Blick auf die internationalen Vergleichsbeispiele überaus deutlich machen können, dass dort die komplexen Leistungen der deutschen Berufsgenossenschaften von privaten Versicherungsmärkten nicht übernommen werden können. Es wurde dort deutlich, dass nur bestimmte Leistungen und nicht, an der deutschen Situation gemessen, im erwünschten sozialen Schutzumfang von privaten Anbietern gewährleistet werden. Einige Länder sind daher wiederum zu öffentlichen Arrangemenets zurück gekehrt. Länderanalysen sind den Artikeln von B. Pabst in "Die BG" zu entnehmen (vgl. etwa: 12/2005, 744–748; 07/2003, 292–296; 11/2002, 580–585; 04/2000, S. 232–233; vgl. auch Pontoppidan, 2003 zu Dänemark; vgl. Pabst, 2007, zu Tschechien).
Für wie dramatisch man diese Erfahrungen mit (Teil-)Privatisierungen hält, ist werturteilsabhängig. Vor allem hängt die Bewertung davon ab, ob der nationale Gesetzgeber als Repräsentant der gesellschaftlichen Willensbildung die Sozialschutzgewährleistung für die ArbeitnehmerInnen durch das Monopol effizient gesichert sieht und durch das synergetische Gesamtgebilde des berufsgenossenschaftlichen Monopols (alle Leistungsmodule gemäß SGB VII) im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Körperschaftskompetenzen sichergestellt sehen will.
Es wird aus sicht der ökonomischen Theorie der Institutionenbildung ("institutional/ constitutional choice") nur im transaktionskostenlosen Nirwana und nur im Fall nicht-kontradiktorischer Interessenssituationen erwartbar, Einstimmigkeit in der Gesellschaft zu erzielen. Dies spiegelt nochmals die weiter oben bereits dargelegte Notwendigkeit der Güterabwägung im Lichte der unternehmerischen Grundfreiheiten einerseits und des hoheitlichen Rechts auf Wahl eines insgesamt effizienten Steuerungsregimes zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben wider.
Anders formuliert: Soll ein insgesamt effizientes und das Sozialschutzziel effektiv bewirkendes System, das synergetisch aufgestellt ist, zugunsten einer partiellen Markteröffnung für private Versicherungsanbieter in Verbindung mit Angebotsselektionen und auf der Basis von Risikoselektion aufgegeben werden? Ökonomisch sprechen die dargelegten Argumentationen dagegen, eine funktionsfähige, realistische Lösungsoption, wie sie im SGB VII verfaßt ist, durch eine relativ schlechtere, insgesamt nicht funktionsfähige Lösung zu ersetzen. Paretianisch gesprochen: Einige Gesellschaftsmitglieder würden sich verbessern, indem und wobei sie dadurch andere Gesellschaftsmitglieder verschlechtern würden. Märkte bzw. Marktlösungen für definierte Probleme sind immer dann anderen institutionellen Arrangements relativ vorzugswürdig, wenn sie effizienter und effektiver sind. Das ist hier nach allen Erfahrungen, Plausibilitäten und theoretischen Einsichten in die Quasi-Sozialgesetzmäßigkeiten gewinngesteuerten Systeme nicht der Fall.
c) Szenarium c kann als Ergänzung zu b gelesen werden oder kann isoliert diskutiert werden, jedoch im Lichte einer Idee der partiellen Aufgabenprivatisierung.
Im ersten Fall handelt es sich um eine zusätzliche Aufgabenprivatisierung im Fall b. Alle Bedenken gegenüber Szenarium b gelten auch hier. Hinzukommt jedoch der auf die körperschaftsrechtliche Situation bezogene Befund, dass die Prävention bislang im Kontext der Berufsgenossenschaften gemäß SGB VII eingebettet waren in die Möglichkeiten untergesetzlicher Normierung bzw. Rechtssetzungstätigkeiten der Selbstverwaltung als staatsmittelbare Akteure. Im ersten Fall würde somit die Prävention zu einem Gegenstand des Kontrakmanagements zwischen privaten Versicherungsunternehmen und gewerblichen Unternehmen.
Hier ergeben sich eine Fülle von Folgefragen durch die Schnittstellen des Privat(vertrags)rechts und dem Sozialrecht. Dies wäre auch im zweiten Fall, also in der von Szenarium b losgelösten, isolierten Diskussion der Aufgabenprivatisierung, gegeben. Denn die Berufsgenossenschaften delegieren (übertragen) das Präventionsaufgabenfeld an private Akteure.
Im zweiten Fall kann sich ein dergestaltiges Out-contracting nur plausibilisieren lassen, wenn eine höhere Kosten-Effektivität erzielbar ist. Auch hierbei wären wiederum die erheblichen Transaktionskosten der neuen Schnittstelle zu beachten. Nun gibt es in der Tat Verbesserungspotenziale in der Präventionsarbeit (Wellmann & Lempert-Horstkötte, 2009).
Positiv ist auch die Dauerhaftigkeit des Versicherungsverhältnisses in der Berufsgenossenschaft zu betonen, denn dadurch werden Probleme der Situationseigenschaften öffentlicher Güter gelöst, die wirksam wären, wenn Unternehmen im Rahmen einer Versicherung Präventionsvorteile genossen haben, dann aber (mit verbesserter Risikostruktur) die Versicherung wechseln (Busch, 2005).
Der Vorteil der bisherigen berufsgenossenschaftlichen Organisation war aber die Synergie des gesamten Systems: Das System mischt eine Präventionswirkung der risikoäquivalenten Beitragsbildung im Umlageverfahren mit einer körperschaftsrechtlichen Ermöglichung der Rechtssetzung und der Normierung im Selbstverwaltungskontext.
Prof. Sch -N zieht das Resümee, dass ein sozialer Ausgleich von einem privaten System gewinnmaximierender Versicherungsanbieter nicht zu erwarten sei. Vielmehr sei von einem privaten System Risikoselektion zu erwarten, womit es dann zur Nichtversicherbarkeit schlechter Risiken käme. Öffentliche Systeme müssten die schlechten Risiken auffangen. Damit wären die "Rosinen" privatisiert worden und die "sozialen Kosten" vergesellschaftet. Das Resümee schließt mit dem Satz: "In rechtswissenschaftlicher Sicht ist das Gebot geprüfter Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Akzeptanz eines Unfallversicherungsmonopols des berufsgenossenschaftlichen Systems auch aus ökonomischer Sicht gegeben."
Prof. Dr. G H , Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität P und Prof. Dr. R G , Inhaber des Lehrstuhls für Sozialrecht, Arbeitsrecht und bürgerliches Recht an der Ludwig Maximilian Universität M , haben in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 11. März 2011 kritisch zu dem eingeholten Gutachten Position bezogen. Es wird kritisiert, dass implizit der Vorrang deutschen Rechts vor Europarecht angenommen worden sei: Nach Sch -N solle die Strukturentscheidung des deutschen Gesetzgebers für das Monopol dessen Erforderlichkeit begründen können. Dies sei ein logischer Zirkelschluss. Das Gutachten halte die Öffnung des Unfallversicherungsmarkts für möglich, missbillige sie aber, weil sie den Vorgaben des deutschen Rechts zuwiderlaufe.
In der gutachterlichen Stellungnahme wird dargelegt, dass nach der Systematik des SGB VII eine Differenzierung nach so genannten guten und schlechten Risiken nicht zu erwarten sei. H /G kommen zu dem Ergebnis, dass die Öffnung des Unfallversicherungsmarktes nach dem Modell a) des Beweisbeschlusses kaum attraktiv sei. Praktikabel und empfehlenswert sei allerdings das Modell b) des Beweisbeschlusses. Nach diesem Modell seien Gefahren für das finanzielle Gleichgewicht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu befürchten. Dieses "Gleichgewicht" sei überdies ein dynamisches Fließgleichgewicht, welches Ausdruck ständiger Optimierung sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.11.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2005 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin beim Nachweis einer Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu den Bedingungen des SGB VII bei einem anderen Versicherer berechtigt ist, aus der Mitgliedschaft bei der Beklagten auszutreten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogene Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin aus ihrer Mitgliedschaft zu entlassen. Der angefochtene Bescheid vom 15.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2005 wurde zu Recht vom Sozialgericht bestätigt.
Ein Austritt aus der Berufsgenossenschaft bzw. eine Kündigung des Versicherungsverhältnisses ist nach den einfachgesetzlichen Vorschriften - insoweit dürfte Einigkeit zwischen den Beteiligten bestehen - nicht vorgesehen. Gemäß § 121 Sozialgesetzbuch (SGB) VII sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften für alle Unternehmen (Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen, Tätigkeiten) zuständig, soweit sich nicht aus weiteren Vorschriften des SGB eine Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften oder der Unfallversicherungsträger der Öffentlichen Hand ergibt. Die Vorschrift regelt also in erster Linie die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Abgrenzung zu den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und den Unfallversicherungsträgern der Öffentlichen Hand und damit die Frage, welcher Unfallversicherungsträger für welche Versicherten zuständig ist. Sie ist jedoch auch Grundlage für die "Monopol" genannte Sonderstellung der Berufsgenossenschaften auf dem Gebiet der Unfallversicherung.
Die erste Frage, also ob zu Recht die Beklagte (z. Zeitpunkt der Klageerhebung: "Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft", inzwischen: "Berufsgenossenschaft Holz und Metall") ihre fachliche Zuständigkeit für die Klägerin - einen Metallfachbetrieb - angenommen hat, ist nicht direkt streitgegenständlich (im Falle einer unrichtigen Zuordnung käme ebenfalls keine Kündigung in Betracht, sondern das Überweisungsverfahren nach § 136 SGB VII), aber unproblematisch zu bejahen. Die zweite Frage betrifft die von der Klägerin begehrte Möglichkeit, ihrer Pflicht, gegen die im SGB VII aufgeführten Risiken versichert zu sein, dadurch nachzukommen, dass ein dieses regelnder Vertrag mit einem privaten Versicherungsunternehmen geschlossen wird.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass eine andere Organisation der gesetzlichen Unfallversicherung denkbar wäre.
In dem Gutachten H /G wird plausibel dargelegt, dass das Monopol der Berufsgenossenschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht "erforderlich" sei. Die Vorhaltung des gesetzlich vorgesehenen Schutzes aller Versicherten sei im gleichen Maße wie bisher auch bei eröffnetem Wettbewerb möglich.
Streitgegenständlich ist aber vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses und der EuGH-Entscheidung nur die Frage der Europarechtskonformität.
Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob man a) die Frage der Europarechtskonformität offen lässt, denn jedenfalls könnte in Anlehnung an die Entscheidung des BSG vom 20.03.2007(B 2 U 9/06 R) und die in dem Gutachten aufgeworfenen Probleme nicht ad hoc durch eine Gerichtsentscheidung das soziale Sicherungssystem außer Kraft gesetzt werden. oder b) die Europarechtskonformität der nationalen Regelungen bejaht, und auch damit zur Anwendung der nationalen Regelungen gelangt, denn in beiden Fällen läuft es auf die Beitragspflicht der Klägerin zur Beklagten hinaus.
Dass eine monopolistisch organisierte staatliche Unfallversicherung europarechtskonform ist, steht seit dem Urteil in der Sache Cisal (C-218/00) fest. Dort heißt es (Rdnr. 36), dass der soziale Zweck dadurch erreicht wird, dass Leistungen auch gewährt werden, wenn die fälligen Beiträge nicht entrichtet wurden. Dies schließe allerdings eine wirtschaftliche Tätigkeit noch nicht aus, da die Beiträge aber nicht streng proportional zum versicherten Risiko seien (Rdnr. 39), werde der Grundsatz der Solidarität umgesetzt (Rdnr. 42). Schließlich ergebe sich aus den Akten, dass die Tätigkeit des INAIL staatlicher Aufsicht unterworfen sei und dass die Höhe der Leistung sowie der Beiträge letztlich staatlich festgesetzt würde. Tarife seien zu genehmigen (Rdnr. 43.) Auf Grund dieser recht schmalen tatsächlichen Ausgangsbasis wurde dann aber definitiv festgestellt, dass einer Einrichtung, die wie das INAIL durch Gesetz mit der Verwaltung eines Systems der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten betraut sei, nicht unter den Begriff des Unternehmens im Sinne der Art. 85 und 86 EG-Vertrag falle (Rdnr. 46).
Käme es allein auf diese dargestellten Umstände an, die nicht nur bei dem INAIL, sondern auch bei den deutschen Unfallversicherungsträgern wie auch bei vielen privaten Versicherungen gegeben sind, so wäre die im Vorlagebeschluss unter II a) gestellte Frage ohne Weiteres zu bejahen bzw. gar nicht erst zu stellen gewesen.
Der EuGH hat allerdings im Beschluss vom 05.03.2009 gegenüber der INAIL-Entscheidung eine wesentliche Einschränkung gemacht. Während in der Rechtssache Cisal (C-218/00) verbindlich festgestellt wird, dass der INAIL eine Aufgabe rein sozialer Natur wahrnehme und seine Tätigkeit daher keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts und er selbst somit kein Unternehmen im Sinne der Art. 85 und 86 EG-Vertrag (aF) sei, wird im Urteil vom 05.03.2009 ein Vorbehalt ausgesprochen: Dies sei nur dann der Fall, soweit die Berufsgenossenschaft im Rahmen eines Systems tätig werde, mit dem der Grundsatz der Solidarität umgesetzt werde und welches staatlicher Aufsicht unterliege, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sei. An sich war dem EuGH unterbreitet worden, dass die anwendbaren Rechtsvorschriften den Mindest- und Höchstentgeltbetrag festlegen, der bei der Berechnung der Beiträge bzw. der Leistung zu berücksichtigen sei, wobei nur der Höchstbetrag gegebenenfalls in der Satzung der Berufsgenossenschaften heraufgesetzt werden könne. Ferner ergab sich auch aus dem Akteninhalt, dass die Berufsgenossenschaften "offensichtlich" (vgl. Rdnr. 64 des Urteils) im Bezug auf die Ausarbeitung ihrer Satzung und insbesondere die Festsetzung der Höhe der Beiträge und der Leistungen im Rahmen des gesetzlichen Systems der Kontrolle der Bundesrepublik unterliegen, die insoweit nach den Vorschriften des SGB VII als Aufsichtsbehörde tätig wird. Es werde also mit der Höhe der Beiträge und dem Wert der Leistungen der Grundsatz der Solidarität umgesetzt, der impliziere, dass die erbrachten Leistungen nicht streng proportional zu den gezahlten Beiträgen sind. Es wird dann im Weiteren ausgeführt, dass dieser Schluss nicht durch den Umstand infrage gestellt werde, dass die Berufsgenossenschaft im Gegensatz zu der Situation im italienischen System nicht die Verwaltung des gesetzlichen Versicherungssystems gewährleiste, sondern unmittelbar Versicherungsdienstleistungen erbringe. Allein dieser Umstand könne als solcher nichts am rein sozialen Charakter der von einer derartigen Berufsgenossenschaft ausgeübten Tätigkeit ändern (Rdnr. 67 der Entscheidung vom 05.03.2009).
Vor diesem Hintergrund könnte der dem Senat gestellte Prüfungsauftrag in dem Sinne verstanden werden, dass vom nationalen Gericht, dem die Auslegung des nationalen Rechts obliegt, lediglich eine Affirmation der ohnehin bereits als "offensichtlich" bezeichneten Tatsachen verlangt wird. Dieser Auffassung ist augenscheinlich die Beigeladene, die im Schreiben vom 26.10.2009 erklärt hat, die "Sinnhaftigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens (sei) nicht erkennbar". Die Beigeladene hat die Auffassung geäußert, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruhe auf einer Überinterpretation des Begriffs "Prüfung". Dies mag für die erste Vorlagefrage gelten, da auf Grund der Festlegungen im Urteilstext vom 05.03.2009 praktisch kein Raum mehr für eine inhaltliche Überprüfung verbleibt.
Dies gilt allerdings nicht für die zweite Vorlagefrage, zu der der Europäische Gerichtshof anders als die Kommission und die deutsche Regierung die Auffassung vertritt, dass die Einrichtung einer Pflichtmitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit durchaus vom Anwendungsbereich der Art. 49 EG und 50 EG erfasst werden könne. Es sei zwar in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung Sache des Rechts jedes Mitgliedstaats, insbesondere die Voraussetzung der Verpflichtung, sich bei einem System der sozialen Sicherheit zu versichern, und damit auch die Art der Finanzierung dieses Systems festzulegen; dabei müssten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis gleichwohl das Gemeinschaftsrecht beachten. Die entsprechende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten sei also nicht unbegrenzt. Insbesondere die Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr seien also nicht auszuschließen. Der EuGH hat eindeutig in diesem Zusammenhang ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr festgestellt (Rdnr. 83) und ausgeführt, dass eine solche Beschränkung gerechtfertigt sein könne, wenn sie "zwingenden Gründen des Allgemeinwohls" entspreche, geeignet sei, die Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks zu gewährleisten und nicht über das hinausgehe, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Rdnr. 84 des Urteils vom 05.03.2009). Eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit könne einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertige (Rdnr. 85 a. a. O.). Der hierauf gerichtete Prüfungsauftrag lässt sich nun allerdings beim besten Willen nicht mehr als rein juristische Subsumtion unter einen unbestimmten Rechtsbegriff fassen; die Frage, wodurch eine Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit eintritt, ist eine sehr ins Empirische gehende Frage und der Begriff des "Gemeinwohls" wird bekanntlich gemeinhin politisch unterschiedlich interpretiert.
Es verwundert daher nicht, dass die Gutachten Sch -N und H /G zu konträren Ergebnissen gelangen.
Es ist nicht Aufgabe des Senats, diese politische Streitfrage zu entscheiden.
Der EuGH hat in einer Entscheidung vom 03.03.2011 (C-134/10) ausgeführt, dass "Kulturpolitik" einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigt (a. a. O., Rdnr. 44 m. w. N.). Diese Bezugnahme auf einen offenen, dem politischen Streit zugänglichen Begriff macht deutlich, dass die an sich sehr rigide erscheinende Ausnahmeregel ("zwingende Gründe des Allgemeinwohls") letztlich dann doch durch politische "Einschätzungen" aufgeweicht wird. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt letztendlich die Frage, ob "zwingende Gründe des Allgemeinwohls gegeben sind, in das Ermessen der zuständigen Behörde" (Begrenzung der Notarstellen, Entscheidung vom 29.03.2006 – 1 BvR 133/06). Auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung subsumiert unter diesem Begriff recht allgemein: Wenn durch das Wasserhaushaltsgesetz das Recht des Grundstückseigentümers auf Wasserförderung gegenüber dem ehemaligen preußischen Recht eingeschränkt werde, sei dies durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gedeckt, denn das natürliche Angebot an Wasser sei nach Menge und Qualität für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Erhaltung des Lebens überhaupt von entscheidender Bedeutung (OVG Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 20. August 1971 – XI A 740/70 –, bestätigt durch Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 13.12.1974 – IV C 74/71 –). Letztendlich unterbleibt also immer – entweder mit oder ohne ausdrücklichen Hinweis auf eine Entscheidungsfreiheit des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers oder der entscheidenden Behörde eine genaue Prüfung, ob konkret denn wirklich ein "zwingender Grund" des Allgemeinwohls gegeben ist.
Auch das Bundessozialgericht neigt zu einer gewissen tautologischen Interpretation dieses Begriffs, wenn es ohne eigene Prüfung, ob zwingende Gründe des Allgemeinwohls die Durchführung im EU-Ausland zulässiger medizinischer Maßnahmen, die im Inland nicht von der Krankenkasse erstattet werden (ambulante Radiojodtherapie – B 1 KR 26/99 R –, heterologe In-vitro-Fertilisation – B 1 KR 33/00 R, jeweils Entscheidung vom 09.10.2001) lediglich mit dem Hinweis auf die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für europarechtskonform erklärt. Es besteht bei diesen Begriffen, die an sich den Gesetzgeber in die Darlegungspflicht drängen, warum er sich in einer notwehrähnlichen Ausnahmesituation über höherrangiges Recht hinwegsetzen durfte, die Tendenz, die Feststellung der Quasinotwehrsituation dem Gesetzgeber selbst zu überlassen, indem man ihm einen diesbezüglichen Einschätzungsspielraum zubilligt (so ausdrücklich: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 08.06.2001, 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 zum Begriff des "überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes").
Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest passend, wenn man unter dem Gesichtspunkt der bei Prognoseentscheidungen generell zugebilligten Einschätzungsprärogative die Funktionsaufteilung zwischen Judikative und Legislative in der Weise vornimmt, dass eine Entscheidung zwischen den konträren gutachterlichen Positionen nicht vom Gericht, sondern vom Gesetzgeber zu treffen ist.
In diese Richtung zielt auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.03.2007 – B 2 U 9/06 R, wonach es in ein soziales Sicherungssystem eingebundenen Personen explizit verwehrt ist, sich in einem Beitragsstreitverfahren auf die Rechtswidrigkeit der das Versicherungs- oder Mitgliedschaftsverhältnis begründenden statusbildenden Norm zu berufen und damit die rechtlichen Grundlagen des Sicherungssystems als solchen infrage zu stellen. Wenn es dann weiter heißt, dass ein umlagefinanziertes Versicherungssystem wie die gesetzliche Unfallversicherung, auch wenn es in seiner Ausgestaltung ganz oder teilweise übergeordneten Rechtsgrundsätzen widersprechen sollte, nicht ad hoc durch eine Gerichtsentscheidung außer Kraft gesetzt werden, sondern nur vom Gesetzgeber mit einer ausreichend langen Übergangsfrist unter Wahrung bereits entstandener Ansprüche in ein anderes, verfassungs- und europarechtskonformes System überführt werden könne, so ist dies zweifellos richtig; mit der anhängigen Klage der Firma K GmbH wird jedoch nicht die Außerkraftsetzung eines Systems begehrt, sondern zunächst nur die Feststellung, dass die Klägerin nicht kraft Gesetzes Mitglied bei der Beklagten, die sich im Übrigen im Laufe des Verfahrens verändert hat, ist. Der Ausfall der Klägerin als Beitragszahlerin würde die Beklagte zweifelsohne nicht in finanzielle Schwierigkeiten bringen; selbst wenn man mangels einer anderen gesetzlichen Regelung wohl davon ausgehen müsste, dass der Arbeitnehmer weiterhin kraft Gesetzes gemäß § 2 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VII bei der Beklagten versichert sei, könnte man die Auffassung vertreten, dass die Beklagte wegen eventueller Leistungsansprüche analog § 110 Abs. 1a SGB VII bei der Klägerin Regress nehmen könnte, die dann ihrerseits diese Kosten an ihren dänischen Versicherer weitergeben könnte. Gleichwohl hätte natürlich die Beklagte einen Beitragsausfall, der das "solidarische" Element betrifft. Darüber hinaus wären freilich Mitnahmeeffekte und insoweit mittelbar dann doch eine Erschütterung des bestehenden Systems zu befürchten.
Die konträren Gutachten stehen im Grunde für zwei Selbstverständlichkeiten: - Ein privates System wäre denkbar und würde auch – wie die ausländischen Beispiele zeigen – funktionieren. - Das bestehende System in seiner konkreten Ausgestaltung würde natürlich durch die Zulassung privater Versicherer verändert, also in seinem bestehenden Gleichgewicht gestört. Davon zu trennen ist die Frage, ob sich mit mehr oder weniger Aufwand ein neues Gleichgewicht, welches unter Umständen sogar für alle Beteiligten günstiger wäre, herstellen ließe.
Der Senat entscheidet sich bei der Auslegung des Begriffs "finanzielles Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit" im Sinne des oben Gesagten für die tautologische Methode. Das herrschende System, wie es der Gesetzgeber nun einmal gewollt hat, geräte ins Rutschen, also aus dem Gleichgewicht, wenn private Wettbewerber für den "Markt" der Versicherung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zugelassen würden. Insofern ist also der im Grunde berechtigten Kritik von H /G an den Gutachten von Sch -N , es werde implizit der Vorrang des deutschen Rechts vor dem Europarecht angenommen, zu entgegnen: Das deutsche einfachgesetzliche Recht ist ebenso wie die Tradition in hohem Maße strukturbildend. Die Denkbarkeit anderer Strukturen, die auch ein Gleichgewicht versprechen könnten, ändert nichts daran, dass ein Umbau des bestehenden Systems, vor allem wenn er gewissermaßen rücksichtslos und plötzlich durch eine Gerichtsentscheidung vorgenommen würde, eben dieses System aus dem Gleichgewicht brächte und mangels eines zur Verfügung stehenden alternativen Systems dann zwangsläufig zu einer Störung eines gesamten Zweigs der Sozialversicherung führen müsste, die schon alleine in den von Prof. Sch -N genannten schlagartig auftretenden und ohne Zeitverzug zu lösenden, aber nicht ebenso unverzüglich lösbaren Folgefragen durch Schnittstellen bestehen könnte.
Eine Entscheidung in der Art, dass dem Gesetzgeber eine Frist gesetzt wird, innerhalb derer ein eventuell als europarechtswidrig angesehener Zustand zu beseitigen wäre, steht dem Senat nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO i. V. m. § 197a SGG.
Gründe bei der Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG, da der Senat nicht von der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2007 B 2 U 9/06 R) abweicht.
Strahn Dr. Scholz Stampa
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