L 7 SO 4790/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 2891/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4790/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht Reutlingen (SG) hat den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu Recht abgelehnt. Der Senat nimmt nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

In Ergänzung hierzu ist für den Senat - in Übereinstimmung mit der Ansicht des SG - nicht ersichtlich, dass sich aus dem Vergleich vom 15. April 2010, der im vor dem SG geführten Hauptsacheverfahren mit dem Aktenzeichen S 14 SO 515/09 geschlossen worden ist, weitere Ansprüche auf Leistungen der Hilfe zur Pflege (§ 61 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)) für die Zeit ab 1. Mai 2010 zu Gunsten der Antragstellerin ergeben könnten. Betrachtet man den Wortlaut des Vergleichs, fällt es schon schwer abzuleiten, dass der Antragsgegner ab 1. Mai 2010 überhaupt Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu übernehmen hat. Von dieser Verpflichtung gehen die Beteiligten allerdings aus. Der Antragsgegner hat mit dem Ausführungsbescheid vom 10. Mai 2010 auch die Übernahme der Arbeitgeberanteile bewilligt.

Noch weitergehende Ansprüche können dem Vergleich weder nach dem Wortlaut noch im Wege der Auslegung entnommen werden. Soweit die Antragstellerin meint, Lohnbestandteile für Entgeltfortzahlung und Urlaubsentgelt seien nicht Gegenstand des Vergleichs gewesen und müssten nun noch zusätzlich gewährt werden, ist dies für den Senat nicht nachzuvollziehen. Denn Streitgegenstand des vor dem SG unter dem Aktenzeichen S 14 SO 515/09 geführten Rechtsstreits war die Frage, in welcher Höhe der Antragstellerin Hilfe zur Pflege gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zustand. Dieser Rechtsstreit wurde durch den Vergleich vom 15. April 2010 erledigt und es wurden dabei Regelungen zur Höhe des Anspruchs für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 30. April 2010 bzw. für die Zeit ab 1. Mai 2010 getroffen. Einzelne Berechnungsbestandteile (Urlaubsentgelt, Entgeltfortzahlungsansprüche und die ergänzend von der Antragstellerin erwähnten vom Arbeitgeber zu zahlenden Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetzes (AAG) bzw. zur gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch) könnten dabei nur dann von der durch den Vergleich vom 15. April 2010 geschlossenen Vereinbarung ausgenommen gewesen sein, wenn dies ausdrücklich geregelt worden wäre. Ansonsten spricht angesichts des Streitgegenstandes (Höhe des Anspruchs auf Hilfe zur Pflege) alles dafür, dass sämtliche Berechnungsbestandteile von den Beteiligten des Prozesses in die Einigung einbezogen worden sind. Auch zeigt gerade die in Ziffer 1b des Vergleichs enthaltene Regelung, dass für Zuschläge zum Lohn eine Pauschale für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 30. April 2010 gewährt wird, dass die Beteiligten bewusst im Vergleich eine Regelung zu den Lohnbestandteilen, auch für den Zeitraum ab 1. Mai 2010, getroffen haben. Die Antragstellerin muss sich jedenfalls fragen lassen, weshalb sie einen Rechtsstreit mit dem beschriebenen Streitgegenstand durch Vergleich beilegt, wenn sie der Auffassung ist, dass noch nicht alle Berechnungsmodalitäten beachtet sind. Aus dem Prozessführungsverhalten der Antragstellerin und ihrem Vorbringen in der ersten Instanz ergibt sich jedenfalls eindeutig, dass der Antragstellerin die Problematik der nun erneut zur Disposition gestellten Berechnungsfaktoren bewusst war. So hat sie - neben dem Vortrag im Klageverfahren S 14 SO 515/09 selbst - in ihrem während des Klageverfahrens am 16. März 2009 gesondert anhängig gemachten Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz (S 14 SO 804/09 ER) ausdrücklich und umfassend zu diesen Berechnungsbestandteilen vorgetragen und deshalb bereits während des damaligen Klageverfahrens eine einstweilige Regelung zum Streitgegenstand begehrt.

Nachdem die Antragstellerin durch Vergleichsschluss mit dem Antragsgegner eine Einigung hinsichtlich der Höhe der ihr zustehenden Ansprüche erzielt hat, kann sie nicht mehr geltend machen, aus dem Gesetz (§ 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) ergebe sich ein höherer Anspruch. Insoweit ist ihr Justizgewährungsanspruch verbraucht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 101 Rdnr. 10; Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. August 2000 - L 17 U 157/98 -(juris)).

Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleichs sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf die mit Schreiben vom 19. Juli 2010 erklärte gegenüber dem Antragsgegner mit einem Inhaltsirrtum begründete Anfechtung des Vergleichs (Blatt 529f der Verwaltungsakte) ist die anwaltlich vertretene Antragstellerin zwar weder im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem SG noch im Beschwerdeverfahren vor dem Senat zurückgekommen. Vorsorglich weist der Senat aber darauf hin, dass eine solche Anfechtbarkeit des Vergleichs nach §§ 61 Satz 2, 54 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 119 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit der Folge der Nichtigkeit nach § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 142 Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommt, da es an einem Irrtum über den Inhalt der abgegebenen Erklärung fehlt (vgl. zu den Voraussetzungen eines Inhaltsirrtums Franzen in jurisPK-BGB, 5. Auflage, § 119 Rdnr. 17ff). Auch eine Nichtigkeit des Vergleichs gemäß § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 779 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben, weil ein Irrtum über den dem Vergleich zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vorliegt. § 779 Abs. 1 Hs. 2 BGB enthält die einzige Spezialvorschrift über Mängel eines Vergleichsvertrages. Die Vorschrift normiert einen Fall des gemeinsamen Motivirrtums (vgl. Bork in jurisPK-BGB, § 779 Rdnr. 14 m.w.N.). Die Parteien irren sich in einem derartigen Fall über Umstände, deren Kenntnis den Streit ausgeschlossen und damit den Vergleich erübrigt hätte. Vorliegend haben die Beteiligten nach dem Vortrag der Antragstellerin, der vom Antragsgegner bestritten wird, lediglich einen bzw. mehrere Berechnungsfaktor für die Höhe des Anspruchs unberücksichtigt und ungeregelt gelassen, was einen gemeinsamen Motivirrtum nicht begründen kann.

Der Senat hat darüber hinaus erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Dies bereits deshalb, weil den Arbeitnehmerinnen der Antragstellerin auch in der Vergangenheit bereits Urlaub gewährt worden sein muss, ohne dass ihr deswegen der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig erschien. Ferner hat die Antragstellerin aufgrund des AAG einen Anspruch gegen die Krankenkassen ihrer Arbeitnehmerinnen auf Erstattung des im Entgeltfortzahlungszeitraums gezahlten Arbeitsentgelts sowie der Arbeitgeberanteile (§ 1 Abs. 1 AAG), wobei - je nach Satzung der Krankenkasse - die Erstattung mindestens 40 vom Hundert beträgt (§ 9 Abs. 2 AAG). Dass die Antragstellerin offenbar keine Beiträge im Rahmen der Umlageverfahren zahlt, ändert weder etwas an ihrem Erstattungsanspruch noch an der Umlagepflicht (vgl. § 7 Abs. 1 AAG; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 2009 - L 16 (5) KR 211/08 - (juris)). Durch die Erstattungsmöglichkeit reduziert sich die Deckungslücke der Antragstellerin erheblich. Ferner darf nicht vergessen werden, dass der Antragsgegner der Antragstellerin zusätzlich zu den Leistungen im Arbeitgebermodell Pflegegeld in Höhe eines Drittels des Pflegegeldes nach Pflegestufe III gewährt, nämlich in Höhe von 228,33 Euro monatlich (§ 64 Abs. 3 i.V. m. §§ 65 Abs. 1, 66 Abs. 2 Satz 2 SGB XII). Auch diesen Betrag kann die Antragstellerin zur vorübergehenden Bedarfsdeckung bei Arbeitsunfähigkeit einer Arbeitnehmerin einsetzen. Schließlich hat die Antragstellerin über einen längeren Zeitraum vermutlich zu hohe Leistungen vom Antragsgegner erhalten, weil aufgrund der am 13. August 2010 erfolgten Eheschließung das Einkommen ihres Ehemannes rückwirkend anzurechnen ist. Der Antragsgegner hat insoweit erst im Juli 2011 Ermittlungen aufgenommen, die für die Vergangenheit noch nicht abgeschlossen sind. Für die Monate August 2011 und September 2011 kam es aufgrund der Einkommensanrechnung zu deutlichen Minderungen bei der Höhe des Anspruchs (Bescheide vom 1. September 2011 für den Monat August 2011 und vom 30. September 2011 für den Monat September 2011). Darüber hinaus sind die Einkünfte der Antragstellerin aus einer ab 1. Februar 2010 ausgeübten mehrmonatigen Tätigkeit als Marketingsachbearbeiterin noch nicht in die Berechnung der Ansprüche eingeflossen. Im Hinblick auf die in jüngerer Vergangenheit zugeflossenen Einkünfte, die noch nicht auf die Leistungen nach § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII angerechnet worden sind, müssten noch finanzielle Mittel vorhanden sein, die der Antragstellerin die Überbrückung der aus der Arbeitsunfähigkeit ihrer Angestellten resultierenden Belastung ermöglichen. Zum Verbrauch bzw. zum Verbleib dieser Mittel ist jedenfalls ein entsprechender Vortrag nicht erfolgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved