Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 U 173/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 76/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass ein chronisch wiederkehrendes Schmerzsyndrom der Klägerin bei Veränderungen am Lendenwirbel-Kreuzbeinübergang vom 1. November 2004 an eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Verfahren beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS).
Die 1953 geborene Klägerin erlernte vom 20. August 1970 bis 12. September 1973 den Beruf der Krankenschwester und war vom 22. Januar 1974 bis Anfang Januar 2004 als Altenpflegerin tätig, anschließend arbeitsunfähig erkrankt und gab Mitte Oktober 2004 ihre Tätigkeit als Altenpflegerin auf.
Am 24. November 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als berufsbedingte Erkrankung. Sie überließ der Beklagten den Befund des Arztes für Diagnostische Radiologie Dr. D. der Radiologie S. über das am 23. Oktober 2003 gefertigte Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS. Danach liege bei ihr eine deutliche Steilfehlstellung des thoracolumbalen Übergangs ohne primäre spinale Enge vor. In dem Segment der LWS L2/3 bestehe eine flache Protrusion ohne höhergradige spinale oder neuroforaminale Enge und eine Chondrose ohne wesentlich höhengeminderte Bandscheibe. Im Segment L5/S1 lägen ein flacher Prolaps und eine Chondrose bei höhengeminderter Bandscheibe ohne Nachweis einer zusätzlichen neuroforaminalen Enge vor.
Ferner überließ die Klägerin der Beklagten eine Aufstellung vom 23. Februar 2004, aus der die jeweiligen Hebevorgänge, getrennt nach Früh-, Spät- und Nachschicht, hervorgehen, die sie während ihrer Tätigkeiten seit dem 22. Januar 1974 erbracht hat.
Die Beklagte holte Befundberichte ein: Unter dem 24. Februar 2004 berichtete der Facharzt für Orthopädie Dr. F., er habe die Klägerin erstmals am 14. Oktober 2003 mit Wirbelsäulenbeschwerden behandelt. Die Beschwerden seien von der Belastung abhängig und durch körperlich schwere Arbeit und Fehlhaltung der Wirbelsäule entstanden. Die Anteflexion der LWS sei deutlich eingeschränkt. Die Röntgenbilder der LWS vom 14. Oktober 2003 hätten eine Osteochondrose bei L5/S1, eine Steilstellung und eine Spondylarthrose gezeigt. In dem Befundbericht vom 21. März 2004 führte der Facharzt für Orthopädie Dr. W. aus, die Klägerin sei erstmals am 21. Januar 2003 mit Beschwerden an der LWS erschienen. Die Klägerin habe "sagenhafte Schmerzen" während der Arbeit angegeben. Im Segment L3/4 bestehe ein Druckschmerz. Der Röntgenbefund vom selben Tag habe eine Spondylose bei L5/S1 und L2/3 mit Verschmälerung gezeigt.
Unter dem 26. April 2004 hielt die Gewerbeärztin Schneider die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 nicht für erfüllt, weil ein das altersübliche Maß deutlich überschreitendes Verschleißleiden der Wirbelsäule nicht vorliege.
Mit Bescheid vom 10. Juni 2004 lehnte es die Beklagte ab, die Erkrankung der Klägerin an der LWS als BK nach Nr. 2108 anzuerkennen und Leistungen zu erbringen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2004 zurück.
Mit der am 21. Oktober 2004 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung ihrer Erkrankung an der LWS als Berufskrankheit weiter verfolgt und den Entlassungsbericht der M Klinik K. vom 9. Februar 2004 vorgelegt. Darin führte der Chefarzt und Facharzt für Orthopädie Dr. D. aus, die Klägerin habe über Beschwerden im LWS-Bereich mit Schmerzausstrahlung in die untere BWS geklagt, die besonders bei einseitiger Körperbelastung, langem Stehen sowie Heben und Tragen aufgetreten seien. Die Beweglichkeit der LWS sei deutlich eingeschränkt. In der unteren LWS bestehe ein geringer Druckschmerz ohne Radikulärsymptomatik. Die Tätigkeit als Altenpflegerin mit häufigem Heben und Tragen sei geeignet, die Beschwerden erneut zu verstärken.
Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt: Dr. F. hat unter dem 1. Juni 2005 mitgeteilt, er habe bei der Klägerin ein Lumbalsyndrom, ein Cervikalsyndrom, eine Osteochondrose bei L5/S1, eine Spondylarthrose der LWS, eine Bandscheibenprotrusion bei L2/3 und einen Bandscheibenprolaps bei L5/S1 diagnostiziert. Kopien der Röntgenaufnahmen der LWS vom 14. Oktober 2003 waren beigefügt. Die Fachärztin für Orthopädie P. hat unter dem 5. Juni 2005 mitgeteilt, sie habe die Klägerin zwischen dem 21. November 2000 und 28. August 2002 behandelt. Am 21. November 2000 habe sie einen Klopfschmerz im Kreuzbein festgestellt und ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostiziert. Die Röntgenbilder vom 21. November 2000 hätten eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes bei L2/3, eine Spondylose bei L2/3 und L5 und einen fast aufgehobenen Zwischenwirbelraum bei L5/S1 gezeigt.
Das Sozialgericht hat den Facharzt für Chirurgie MR Dr. M. vom Medizinischen Gutachteninstitut D. mit der Erstattung des Gutachtens vom 27. Juni 2006 nach Untersuchung der Klägerin am 22. Juni 2006 und der Stellungnahme vom 7. September 2006 beauftragt. MR Dr. M. hat ausgeführt, die Röntgenbilder der Halswirbelsäule (HWS) vom 14. Oktober 2003 zeigten eine umformende Verschleißerkrankung zwischen dem Segment C5 und dem Segment C7. Die Röntgenbilder der LWS vom 21. November 2000 und 14. Oktober 2003 bildeten eine vorauseilende Osteochondrose des Segmentes L5/S1 mit deutlicher Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes sowie am 2. und 3. Lendenwirbel spondylotische Anbauten an den Vorderkanten ab. Oberhalb von L5 lägen normal weite Zwischenwirbelräume ohne erkennbare Degenerationszeichen der dazugehörigen Bandscheiben vor. Die LWS sei insgesamt normal gekrümmt. Aus dem MRT vom 23. Oktober 2003 ergäben sich eine Degeneration der Bandscheibe der Segmente L2/3 und L5/S1, bei L5/S1 mit geringem Prolapsanteil. Beschwerden und Befunde stimmten überein. Es handle es sich um eine Erkrankung der Bandscheiben. Die Gesundheitsstörungen gingen nicht über das altersentsprechende Maß hinaus. Ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der Hamburger Formel liege nicht vor. Bei L3/4 und L4/5 finde sich eine Chondrose I. Grades, bei L5/S1 III. Grades. Der Chondrosegrad I sei im Sinne der Konsensempfehlungen nicht altersuntypisch.
Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Arzt für Chirurgie Dr. S. vom Institut für Medizinische Begutachtung M. mit der Erstattung des Gutachtens vom 7. April 2007 nach Untersuchung der Klägerin am 21. Februar 2007 beauftragt, der am 24. Juli 2007 ergänzend Stellung genommen hat. Dr. S. hat ausgeführt, das Beklopfen der Dornfortsätze der Lendenwirbelsäule werde als sehr schmerzhaft angegeben; auch bestehe ein deutlicher Wirbelsäulenstauchschmerz. Es bestehe ein chronisches rückfälliges Schmerzsyndrom im Bereich der LWS. Bei den Veränderungen im Lenden-Kreuzbeinübergangssegment L5/S1 handle es sich ausweislich der mehrfach übereinstimmend erhobenen bildtechnischen Befunde (MRT aus den Jahren 2003 und 2004) um einen Bandscheibenvorfall und damit um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. Bei den dezenten Veränderungen im Segment L2/3 handle es sich dagegen nicht um einen dem Alter der Versicherten vorauseilenden Befund und um keinen Befund von sicherem Krankheitswert. Spondylotische Veränderungen seien allein in dem vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment L5/S1 nachweisbar, so dass eine Begleitspondylose nicht bestehe. Bandscheibenbedingte Veränderungen an der Halswirbelsäule seien den Röntgenaufnahmen nicht zu entnehmen. Im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule finde sich in einem Segment eine Osteochondrose eines Bandscheibenfaches ohne klinische Auswirkungen. Damit liege bei der Klägerin die Konstellation B 3 der Konsensempfehlungen vor. Es fehle damit an einem belastungskonformen Schadensbild.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Präventionsabteilung der Beklagten die Gesamtbelastungsdosis der Klägerin vom 22. Januar 1974 bis 30. Oktober 2004 ermittelt. Dabei ist sie von den Maximalwerten der in der Aufstellung der Klägerin vom 23. Februar 2004 angegeben Hebevorgänge ausgegangen und hat für den Zeitraum vom 22. Januar 1974 bis 30. Oktober 2004 eine Gesamtbelastungsdosis von 34,75 MNh und für den Zeitraum vom 22. Januar 1974 bis 21. November 2000 eine solche von 30,3 MNh errechnet (laufende Nr. 1 bis 12 Blatt 154 bis 156 der Gerichtsakte). Die jeweilige auf L5/S1 wirkende Druckkraft lag danach bei sechs berücksichtigten Tätigkeiten in der Frühschicht, fünf in der Spätschicht und vier in der Nachtschicht über 4,5 kN. Zu der Berechnung der Gesamtbelastungsdosis hat die Präventionsabteilung ergänzend ausgeführt, die Betriebsleiterin habe die Angaben der Klägerin im Wesentlichen bestätigt; es hätten jedoch von vier Personen drei geduscht und eine gebadet (betrifft laufende Nr. 5), hilflose Personen seien zwei pro Woche aufgehoben (laufende Nr. 8) und bei höchstens 20 Personen seien nachts die Pampers gewechselt worden. Schließlich sei das Tragen von Wäsche- und Müllsäcken eher die Ausnahme gewesen (laufende Nr. 12).
Unter dem 22. August 2008 hat der Beratungsarzt der Beklagten, der Facharzt für Chirurgie Dr. L., ausgeführt, bildtechnisch sei ein noch nicht unter dem hinteren Längsband liegender, die Nervenwurzel nicht bedrängender Bandscheibenvorfall bei L5/S1 gesichert. Nerval bedingte Beschwerden habe die Klägerin nicht angegeben. Damit sei eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nicht nachgewiesen. Dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung nicht vorliege, zeige auch der Krankheitsverlauf. Die Klägerin habe angegeben, seit ca. Anfang der 90er Jahre Rückenschmerzen zu haben, die durch bandscheibenbedingte Veränderungen nicht zu erklären seien. Die Klägerin leide laut Entlassungsbericht der M. Klinik unter Depressionen, die als Ursache der Beschwerden in Betracht kämen, weil Rückenschmerzen weit verbreitet psychisch bedingt bzw. überlagert seien. Auch wenn man eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS unterstelle, sei die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen nicht erfüllt. Die Klägerin sei keiner besonders intensiven Belastung innerhalb von 10 Jahren ausgesetzt gewesen. Im Übrigen hätten sich bei der Dauer der Belastung in jedem Falle Begleitspondylosen und weitere Höhenminderungen ausgebildet, die bei der Klägerin jedoch nicht vorgelegen hätten.
Das Sozialgericht hat Dr. S. unter Beifügung des Ermittlungsergebnisses der Präventionsabteilung der Beklagten und der Stellungnahme von Dr. L. zur Stellungnahme vom 9. April 2008 veranlasst. Dr. S. hat hierzu ausgeführt, ein besonderes Gefährdungspotential der Klägerin durch kurzzeitige hohe Belastungsspitzen sei nicht herzuleiten. Vielmehr ergebe sich die Gesamtbelastungsdosis aus einer weitgehend kontinuierlichen, über Jahre hinweg summierten Belastung. Auch nach Auswertung der Ermittlungen der Präventionsabteilung sei von der Konstellation B3 auszugehen.
Mit Urteil vom 12. Juni 2008 hat das Sozialgericht Magdeburg unter Verweis auf die Ausführungen der Sachverständigen die Klage abgewiesen.
Gegen das ihr am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Juli 2008 Berufung eingelegt und ihren bisherigen Vortrag vertieft. Ein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand zu bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS sei derzeit nicht vorhanden. Die Fassung der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV entspreche daher nicht dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Daher sei die Theorie der wesentlichen Bedingung strikt anzuwenden und die berufliche Belastung mit einer sehr hohen Belastungsdosis über 30 Jahre als wesentliche Ursache der Erkrankung anzusehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 aufzuheben und
festzustellen, dass ihr chronisch wiederkehrendes Schmerzsyndrom bei Veränderungen am Lendenwirbel-Kreuzbeinübergang vom 1. November 2004 an eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. und hält die Konsensempfehlungen mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für anwendbar.
Die Verwaltungsakte der Beklagten mit dem Aktenzeichen hat als Ablichtung vorgelegen und war Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil sie vom 1. November 2004 an einen Anspruch auf die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV hat.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 6 SGB VII. Voraussetzung für die Anerkennung der hier strittigen BK 2108 ist nach deren Tatbestand das Vorliegen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Danach müssen für die Feststellung einer BK 2108 folgende Kriterien erfüllt sein: Die Versicherte muss aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit langjährig schwere Lasten gehoben oder getragen bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verrichtet haben, bei ihr muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch diese beruflichen Einwirkungen entstanden ist, diese Erkrankung muss zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben und die Versicherte darf eine solche Tätigkeit tatsächlich nicht mehr ausüben (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R – SozR 4-2700 § 9 Nr. 7).
Ausgehend hiervon war die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit als Altenpflegerin vom 22. Januar 1974 bis zu ihrem Ausscheiden im Oktober 2004 im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigte in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Sie war auch während der Ausübung ihrer Tätigkeit gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 durch schweres Heben und Tragen von Patienten in ausreichendem Maße ausgesetzt. Dies ergibt sich aus den Angaben der Klägerin zu ihren Tätigkeiten und den Ermittlungen der Präventionsabteilung der Beklagten.
Daneben liegt bei der Klägerin auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108 vor. Hiervon geht der Senat nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. unter Berücksichtigung der bildgebenden Befunde aus den Jahren 2003 und 2004 und unter Heranziehung der "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Konsensempfehlungen; veröffentlicht in Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) aus. Diese Konsensempfehlungen entsprechen dem aktuellen Erkenntnisstand medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrungssätze zur Beurteilung der BK 2108, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden (siehe aktuell Schröter, Begutachtung der BK 2108 in Anwendung der Konsenskriterien, Med Sach 2011, 107; im Übrigen BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 – B 2 U 16/08 R – zitiert nach juris; Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R – SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Das Krankheitsbild der Klägerin entspricht klinisch und bildgebend dem lokalen Lumbalsyndrom, welches in den Konsensempfehlungen als Typ 1 der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS bezeichnet wird. Danach sollen folgende Kriterien erfüllt sein: altersuntypische Höhenminderung einer oder mehrerer Bandscheiben, Schmerz durch Bewegung, Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz, Entfaltungsstörung der LWS, erhöhter Tonus der Muskulatur (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216). Das MRT vom 23. Oktober 2003 zeigt im Segment L5/S1 neben einem Prolaps eine Chondrose III. Grades. Dies hat der Radiologe Dr. D. in seinem Befundbericht beschrieben. Die Sachverständigen MR Dr. M. und Dr. S. haben diese Feststellung bestätigt. Chondrosen ab dem II. Grad sind in jedem Fall, unabhängig vom Alter der Betroffenen, altersuntypisch (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 214). Die Beschwerden der Klägerin stimmen auch mit diesem Befund überein. Die Orthopädin P. hat im November 2000 einen Klopfschmerz im Kreuzbein beschrieben und ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostiziert. Auch bei späteren Untersuchungen fanden sich, Schmerzen im Bereich der LWS (Dr. F. am 14. Oktober 2003) bzw. in der unteren LWS (Dr. D. am 9. Februar 2004). Gegenüber Dr. S. hat die Klägerin beim Beklopfen der Dornfortsätze der LWS Schmerzen angegeben. Dr. S. hat dementsprechend auch ein chronisches rückfälliges Schmerzsyndrom im Bereich der LWS bei Veränderungen im Lenden-Kreuzbeinübergangssegment diagnostiziert. Auch MR Dr. M. hält die Beschwerden und die Befunde für übereinstimmend. Zudem hat die Klägerin wiederholt über Bewegungsschmerzen in der LWS geklagt, so am 21. Januar 2003 gegenüber Dr. W. ("sagenhafte anhaltende Schmerzen" während der Arbeit), am 14. Oktober 2003 gegenüber Dr. F. (belastungsabhängige Schmerzen) und während des Aufenthaltes in der M.-Klinik vom 7. Januar 2004 bis 4. Februar 2004 (Beschwerden im LWS-Bereich mit Schmerzausstrahlung in die untere BWS, u. a. beim Heben und Tragen). Bei der Klägerin hat schließlich eine Entfaltungsstörung der LWS vorgelegen. Dr. F. hat die Anteflexion der LWS als deutlich eingeschränkt beschrieben. Eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit der LWS hat auch Dr. D. bei der Aufnahme der Klägerin in die M. Klinik am 7. Januar 2004 als vermerkt. Damit liegt die Mehrzahl der Kriterien des Typ 1 der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS vor. Der Senat folgt daher den Ausführungen der Sachverständigen Dres. M. und S., die die Erkrankung der Klägerin als bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS eingestuft haben. Demgegenüber überzeugt Dr. L. nicht. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK 2108 setzt nicht notwendig eine Reizung der Nervenwurzel voraus. Dies mag für das lumbale Wurzelsyndrom als Typ 2 der bandscheibenbedingten Erkrankungen zutreffend sein, wird aber bei Typ 1 gerade nicht gefordert (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216).
Diese bandscheibenbedingte Erkrankung hat die Klägerin auch objektiv gezwungen, die belastende Tätigkeit zu unterlassen. Hier folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen von Dr. D. in seinem Entlassungsbericht, die Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegerin mit häufigem Heben und Tragen sei geeignet, die Beschwerden erneut zu verstärken. Um eine Verschlimmerung der bandscheibenbedingten Erkrankung zu vermeiden, bleibt der Klägerin daher nur die Aufgabe dieser Tätigkeiten. Dies hat im Übrigen keiner der Sachverständigen in Abrede gestellt. Diese wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten hat die Klägerin auch tatsächlich im Oktober 2004 aufgegeben. Dabei kommt es für die Anerkennung der BK 2108 nicht entscheidend darauf an, dass die Klägerin die Tätigkeit erst nach dem Erlass des angefochtenen Bescheides aufgegeben hat. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der vorliegenden kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, 9. Auflage, § 55 SGG, RdNr. 21).
Die Einwirkungen, denen die Klägerin während ihres Berufslebens ausgesetzt war, sind auch nach Überzeugung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentliche (Mit)-Ursache des LWS-Leidens der Klägerin.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den geltend gemachten Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht. Dabei muss die versicherte Einwirkung nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden "Theorie der wesentlichen Bedingung" an der Verursachung der geltend gemachten Erkrankung wesentlich mitgewirkt haben. Gesichtspunkte zur Beurteilung der Wesentlichkeit sind neben möglichen konkurrierenden Ursachen und der Krankheitsgeschichte insbesondere auch die Art und das Ausmaß der versicherten Einwirkung sowie ergänzend auch der Schutzzweck der Norm, wobei insgesamt die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).
Danach liegt eine ernste Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass zwischen der Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegerin und der von ihr als BK geltend gemachten Erkrankung ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht.
Mit dem Sachverständigen Dr. S. geht der Senat davon aus, dass das Krankheitsbild der Klägerin in die Fallgruppe B einzustufen ist. Dem hat auch Dr. L. für den Fall des Vorliegens einer bandscheibenbedingten Erkrankung zugestimmt. In die Fallgruppe B der Konsensempfehlungen werden bandscheibenbedingte Erkrankungen eingeordnet, die die Segmente L5/S1 und/oder L4/5 betreffen und die die Ausprägung eines Prolapses oder einer Chondrose Grad II haben. Diese Voraussetzung ist bei der Klägerin mit dem am 23. Oktober 2003 festgestellten Prolaps im Segment L5/S1 mit einer Chondrose III. Grades erfüllt.
Für die Einstufung des Krankheitsbildes der Klägerin kommen innerhalb der Fallgruppe B lediglich die Konstellationen B2 bis B6 in Betracht. Denn zum einen fehlt es an wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren, die zu der Erkrankung geführt haben können (Fallgruppen B9, B10). Welche anlagebedingte Faktoren konkurrierende Ursachen sind, ist in den Konsensempfehlungen im Einzelnen aufgeführt (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 250 f.). Keiner der dort genannten Faktoren liegt nach den Befunden bei der Klägerin vor. Insbesondere wird die von Dr. F. festgestellte Steilfehlstellung des thoracolumbalen Übergangs in den Konsensempfehlungen nicht als konkurrierende Ursache erwähnt. Zum anderen fehlt es an einer Begleitspondylose (Fallgruppen B1, B7, B8). Spondylosen sind nach den Konsensempfehlungen vordere und seitliche Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 215). Als Begleitspondylose wird
"eine Spondylose, in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) sowie in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist",
definiert. Diese Begleitspondylose muss über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216 f.). Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Dr. F. hat zwar eine Spondylose in den Segmenten L5/S1 und L2/3 beschrieben. Entsprechendes hat auch die Orthopädin Petz festgestellt. Demgegenüber hat der Sachverständige MR Dr. M. lediglich spondylotische Anbauten an den Vorderkanten des Segmentes L2/3 beschrieben, während der Sachverständige Dr. S. lediglich im Segment L5/S1 eine Spondylose für nachgewiesen hält. Diese unterschiedlichen Befunde sprechen dafür, dass es sich nur um Spondylosen eines minimalen Grades handeln kann, denn bei deutlich ausgeprägten Spondylosen wäre eine übereinstimmende Befundung der Ärzte und Sachverständigen in Auswertung der Röntgenaufnahmen der Jahre 2000 und 2003 zu erwarten gewesen. Minimale Spondylosen (Grad I) sind aber nicht altersuntypisch (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 214, Übersicht 4).
Aber auch wenn man zu Gunsten der Klägerin von altersuntypischen Spondylosen in den Segmenten L2/3 und L5/S1 ausgeht, fehlt es an der weiteren Voraussetzung der Begleitspondylose, des Befalls zweier Segmente. Denn die Spondylose im Segment L5/S1 ist infolge des dort aufgetretenen Prolapses bei der Bewertung nicht zu berücksichtigen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Spondylose vor der Wirbelsäulenerkrankung nachgewiesen wäre. Entsprechende Befunde hat aber keiner der Ärzte oder Sachverständigen erhoben. Die Klägerin war erstmals mit Wirbelsäulenbeschwerden bei der Orthopädin P. in am 21. November 2000 in Behandlung (siehe auch Befundbericht Dr. F.). Diese hat in ihrem Befundbericht hierzu neben Spondylosen in den Segmenten L2/3 und L5/S1 einen fast aufgehobenen Zwischenwirbelraum bei L5/S1 beschrieben. Dabei handelt es sich bereits um eine Lendenwirbelsäulenerkrankung im Sinne der BK 2108 (mindestens Chondrose II. Grades). Dass die von der Orthopädin beschriebenen Spondylosen bereits zuvor bestanden haben, ist nicht ersichtlich.
Im Übrigen kommt es für die Entscheidung des Senats auf das Fehlen der Begleitspondylose nicht entscheidend an, weil bei deren Vorhandensein die BK nach Fallgruppe B1 der Konsensempfehlungen gerade ohne Weiteres anzuerkennen wäre.
Die Erkrankung der Klägerin ist auch nicht den Fallgruppen B4 bis B6 zuzuordnen. Insoweit fehlt es an einem Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS. Zwar hat MR Dr. M. zwischen den Segmenten C5 und C7 eine umformende Verschleißerkrankung beschrieben. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine bandscheibenbedingte Erkrankung, denn diese hat Dr. S. nach Auswertung der Röntgenaufnahmen der HWS ausgeschlossen.
Die Erkrankung der Klägerin gehört – entgegen der Ausführungen von Dr. S. und Dr. L. – auch nicht in die Fallgruppe B3, weil bei der Klägerin eines der zusätzlichen Kriterien der Fallgruppe B2 vorliegt. Die zusätzlichen Kriterien lauten wie folgt:
Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im MRT in mindestens zwei Segmenten
Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.
Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 ½ kN; Männer ab 6 kN).
Bei der Klägerin hat sich ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen verwirklicht. Belastungsspitzen liegen bei Druckkräften ab 4,5 kN vor und ein besonderes Gefährdungspotenzial verwirklicht sich, wenn die Druckkräfte der Belastungsspitzen mindestens die Hälfte der nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (Jäger u.a., Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, 1999, 112 ff.) aufgestellten Tagesdosis (für Frauen mit 3,5 kNH) erreichen. Dies war bei der Klägerin während der Ausübung sämtlicher Schichten der Fall. Nach den Ermittlungen der Präventionsabteilung der Beklagten unter Berücksichtigung der Einwände der Betriebsleiterin gegen die Darstellung der Klägerin war die Klägerin während der Frühschicht Druckkräften über 4,5 kN mindestens wie folgt ausgesetzt:
Laufende Nr. 2: 10 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer pro Schicht von 0,021 Stunden (h). Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 444.360 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 3: 14 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 5.700 N und einer Dauer von 0,029 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 942.210 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 4: 10 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,021 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 444.360 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 6: 8 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,017 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 359.720 Nh zu vervielfältigen.
Aus den Zwischengrößen ist die Summe von 2.190.650 Nh zu bilden. Diese ist durch die tägliche Arbeitsstundenzahl 8 zu teilen und daraus die Wurzel zu ziehen, ergibt 523,289 N. Dieses Ergebnis ist wiederum mit 8 Stunden auf 4186,31 Nh = 4,2 kNh als Tagesdosis zu vervielfältigen.
Für die Spätschicht gilt entsprechend Folgendes:
Laufende Nr. 2: 12 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer pro Schicht von 0,025 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 529.000 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 3: 12 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 5.700 N und einer Dauer von 0,025 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 812.250 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 4: 10 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,021 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 444.360 Nh zu vervielfältigen.
Aus den Zwischengrößen ist die Summe von 1.785.610 Nh zu bilden. Diese ist durch die tägliche Arbeitsstundenzahl 8 zu teilen und daraus die Wurzel zu ziehen, ergibt 472,442 N. Dieses Ergebnis ist wiederum mit 8 Stunden auf 3.779,54 Nh = 3,8 kNh als Tagesdosis zu vervielfältigen.
Für die Nachtschicht ist mindestens Nachfolgendes zu berücksichtigen:
Laufende Nr. 2: 6 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer pro Schicht von 0,013 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 275.080 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 3: 6 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 5.700 N und einer Dauer von 0,013 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 422.370 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 4: 6 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,013 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 275.080 Nh zu vervielfältigen.
Aus den Zwischengrößen ist die Summe von 972.530 Nh zu bilden. Diese ist durch die tägliche Arbeitsstundenzahl 8 zu teilen und daraus die Wurzel zu ziehen, ergibt 348,664 N. Dieses Ergebnis ist wiederum mit 8 Stunden auf 2.789,31 Nh = 2,8 kNh als Tagesdosis zu vervielfältigen.
Danach hat die Klägerin durch Belastungsspitzen über 4,5 kN arbeitstäglich mindestens die Hälfte der Tagesdosis von 3,5 kNh überschritten. Das besondere Gefährdungspotential ist als zusätzliches Kriterium der Fallgruppe B2 auch nach der Modifikation des Mainz-Dortmunder-Dosismodells durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R – (SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5) noch anzuwenden, soweit die in dem Kriterium genannten Mindestwerte erreicht oder überschritten werden. Denn die hierin vorgenommene Modifikation des MDD lässt ausschließlich unter Verminderung der Anforderungen schon geringere Druckkräfte ohne Beschränkung auf Tagesdosen zur Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen ausreichen. Werden die in den Konsensempfehlungen ausgewiesenen Werte – wie vorliegend – überschritten, ist eine Verursachung der Erkrankung durch berufliche Einwirkungen danach erst Recht hinreichend wahrscheinlich. Dementsprechend kommt auch der Einschätzung zu Fallgruppe B2 der "Konsensempfehlungen", wonach das Erreichen der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes ein "Anhaltspunkt" für hohe Belastungsspitzen sei, vorliegend keine einschränkende Bedeutung zu, weil die Klägerin die maßgebliche Belastung zu deutlich überschritten hat. Sie hat im Durchschnitt der Schichten nämlich sogar die volle Tagesdosis allein durch Belastungsspitzen überschritten.
Die von Dr. L. unter Bezugnahme auf die Ausführungen von S. und G. im Anhang 1 zur Fallgruppe B3 (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 219 f.) vertretene Auffassung, bei einer dreißigjährigen gleichbleibenden Belastung hätte eine Begleitspondylose auftreten müssen, entspricht nicht der Mehrheitsmeinung der Arbeitsgruppe zur Erstellung der Konsensempfehlungen. Während sich gegen die Auffassung von G. und S. im Anhang 2 S. und B.-A. gewandt haben (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 221 f.), wird mehrheitlich unter Ziffer 1.4 der Empfehlungen ausgeführt, dass bei beruflichen Belastungen, bei denen sich die Gefährdung hauptsächlich aus wiederholten Spitzenbelastungen – wie im vorliegenden Fall – ergibt, das Fehlen einer Begleitspondylose keine negative Indizwirkung hat (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 217).
Der Senat vermag aus den genannten Gründen der Einstufung der Erkrankung der Klägerin in die Fallgruppe B3, wie sie Dres. S. und L. vorgenommen haben, nicht zu folgen. Soweit diese ein besonderes Gefährdungspotential nicht festgestellt haben, steht ihren Ausführungen das eindeutige Ergebnis aus den Ermittlungen der Präventionsabteilung entgegen.
Da die Feststellung von Belastungsspitzen nicht der medizinischen Einschätzung unterliegt, war der Senat nicht gehalten, ein weiteres Gutachten hierzu einzuholen.
Nach der Fallgruppe B2 ist nach den hier einschlägigen Konsensempfehlungen ein Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und Lendenwirbelschaden wahrscheinlich. Die Berufung der Klägerin hatte daher Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Verfahren beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS).
Die 1953 geborene Klägerin erlernte vom 20. August 1970 bis 12. September 1973 den Beruf der Krankenschwester und war vom 22. Januar 1974 bis Anfang Januar 2004 als Altenpflegerin tätig, anschließend arbeitsunfähig erkrankt und gab Mitte Oktober 2004 ihre Tätigkeit als Altenpflegerin auf.
Am 24. November 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als berufsbedingte Erkrankung. Sie überließ der Beklagten den Befund des Arztes für Diagnostische Radiologie Dr. D. der Radiologie S. über das am 23. Oktober 2003 gefertigte Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS. Danach liege bei ihr eine deutliche Steilfehlstellung des thoracolumbalen Übergangs ohne primäre spinale Enge vor. In dem Segment der LWS L2/3 bestehe eine flache Protrusion ohne höhergradige spinale oder neuroforaminale Enge und eine Chondrose ohne wesentlich höhengeminderte Bandscheibe. Im Segment L5/S1 lägen ein flacher Prolaps und eine Chondrose bei höhengeminderter Bandscheibe ohne Nachweis einer zusätzlichen neuroforaminalen Enge vor.
Ferner überließ die Klägerin der Beklagten eine Aufstellung vom 23. Februar 2004, aus der die jeweiligen Hebevorgänge, getrennt nach Früh-, Spät- und Nachschicht, hervorgehen, die sie während ihrer Tätigkeiten seit dem 22. Januar 1974 erbracht hat.
Die Beklagte holte Befundberichte ein: Unter dem 24. Februar 2004 berichtete der Facharzt für Orthopädie Dr. F., er habe die Klägerin erstmals am 14. Oktober 2003 mit Wirbelsäulenbeschwerden behandelt. Die Beschwerden seien von der Belastung abhängig und durch körperlich schwere Arbeit und Fehlhaltung der Wirbelsäule entstanden. Die Anteflexion der LWS sei deutlich eingeschränkt. Die Röntgenbilder der LWS vom 14. Oktober 2003 hätten eine Osteochondrose bei L5/S1, eine Steilstellung und eine Spondylarthrose gezeigt. In dem Befundbericht vom 21. März 2004 führte der Facharzt für Orthopädie Dr. W. aus, die Klägerin sei erstmals am 21. Januar 2003 mit Beschwerden an der LWS erschienen. Die Klägerin habe "sagenhafte Schmerzen" während der Arbeit angegeben. Im Segment L3/4 bestehe ein Druckschmerz. Der Röntgenbefund vom selben Tag habe eine Spondylose bei L5/S1 und L2/3 mit Verschmälerung gezeigt.
Unter dem 26. April 2004 hielt die Gewerbeärztin Schneider die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 nicht für erfüllt, weil ein das altersübliche Maß deutlich überschreitendes Verschleißleiden der Wirbelsäule nicht vorliege.
Mit Bescheid vom 10. Juni 2004 lehnte es die Beklagte ab, die Erkrankung der Klägerin an der LWS als BK nach Nr. 2108 anzuerkennen und Leistungen zu erbringen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2004 zurück.
Mit der am 21. Oktober 2004 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung ihrer Erkrankung an der LWS als Berufskrankheit weiter verfolgt und den Entlassungsbericht der M Klinik K. vom 9. Februar 2004 vorgelegt. Darin führte der Chefarzt und Facharzt für Orthopädie Dr. D. aus, die Klägerin habe über Beschwerden im LWS-Bereich mit Schmerzausstrahlung in die untere BWS geklagt, die besonders bei einseitiger Körperbelastung, langem Stehen sowie Heben und Tragen aufgetreten seien. Die Beweglichkeit der LWS sei deutlich eingeschränkt. In der unteren LWS bestehe ein geringer Druckschmerz ohne Radikulärsymptomatik. Die Tätigkeit als Altenpflegerin mit häufigem Heben und Tragen sei geeignet, die Beschwerden erneut zu verstärken.
Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt: Dr. F. hat unter dem 1. Juni 2005 mitgeteilt, er habe bei der Klägerin ein Lumbalsyndrom, ein Cervikalsyndrom, eine Osteochondrose bei L5/S1, eine Spondylarthrose der LWS, eine Bandscheibenprotrusion bei L2/3 und einen Bandscheibenprolaps bei L5/S1 diagnostiziert. Kopien der Röntgenaufnahmen der LWS vom 14. Oktober 2003 waren beigefügt. Die Fachärztin für Orthopädie P. hat unter dem 5. Juni 2005 mitgeteilt, sie habe die Klägerin zwischen dem 21. November 2000 und 28. August 2002 behandelt. Am 21. November 2000 habe sie einen Klopfschmerz im Kreuzbein festgestellt und ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostiziert. Die Röntgenbilder vom 21. November 2000 hätten eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes bei L2/3, eine Spondylose bei L2/3 und L5 und einen fast aufgehobenen Zwischenwirbelraum bei L5/S1 gezeigt.
Das Sozialgericht hat den Facharzt für Chirurgie MR Dr. M. vom Medizinischen Gutachteninstitut D. mit der Erstattung des Gutachtens vom 27. Juni 2006 nach Untersuchung der Klägerin am 22. Juni 2006 und der Stellungnahme vom 7. September 2006 beauftragt. MR Dr. M. hat ausgeführt, die Röntgenbilder der Halswirbelsäule (HWS) vom 14. Oktober 2003 zeigten eine umformende Verschleißerkrankung zwischen dem Segment C5 und dem Segment C7. Die Röntgenbilder der LWS vom 21. November 2000 und 14. Oktober 2003 bildeten eine vorauseilende Osteochondrose des Segmentes L5/S1 mit deutlicher Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes sowie am 2. und 3. Lendenwirbel spondylotische Anbauten an den Vorderkanten ab. Oberhalb von L5 lägen normal weite Zwischenwirbelräume ohne erkennbare Degenerationszeichen der dazugehörigen Bandscheiben vor. Die LWS sei insgesamt normal gekrümmt. Aus dem MRT vom 23. Oktober 2003 ergäben sich eine Degeneration der Bandscheibe der Segmente L2/3 und L5/S1, bei L5/S1 mit geringem Prolapsanteil. Beschwerden und Befunde stimmten überein. Es handle es sich um eine Erkrankung der Bandscheiben. Die Gesundheitsstörungen gingen nicht über das altersentsprechende Maß hinaus. Ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der Hamburger Formel liege nicht vor. Bei L3/4 und L4/5 finde sich eine Chondrose I. Grades, bei L5/S1 III. Grades. Der Chondrosegrad I sei im Sinne der Konsensempfehlungen nicht altersuntypisch.
Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Arzt für Chirurgie Dr. S. vom Institut für Medizinische Begutachtung M. mit der Erstattung des Gutachtens vom 7. April 2007 nach Untersuchung der Klägerin am 21. Februar 2007 beauftragt, der am 24. Juli 2007 ergänzend Stellung genommen hat. Dr. S. hat ausgeführt, das Beklopfen der Dornfortsätze der Lendenwirbelsäule werde als sehr schmerzhaft angegeben; auch bestehe ein deutlicher Wirbelsäulenstauchschmerz. Es bestehe ein chronisches rückfälliges Schmerzsyndrom im Bereich der LWS. Bei den Veränderungen im Lenden-Kreuzbeinübergangssegment L5/S1 handle es sich ausweislich der mehrfach übereinstimmend erhobenen bildtechnischen Befunde (MRT aus den Jahren 2003 und 2004) um einen Bandscheibenvorfall und damit um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. Bei den dezenten Veränderungen im Segment L2/3 handle es sich dagegen nicht um einen dem Alter der Versicherten vorauseilenden Befund und um keinen Befund von sicherem Krankheitswert. Spondylotische Veränderungen seien allein in dem vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment L5/S1 nachweisbar, so dass eine Begleitspondylose nicht bestehe. Bandscheibenbedingte Veränderungen an der Halswirbelsäule seien den Röntgenaufnahmen nicht zu entnehmen. Im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule finde sich in einem Segment eine Osteochondrose eines Bandscheibenfaches ohne klinische Auswirkungen. Damit liege bei der Klägerin die Konstellation B 3 der Konsensempfehlungen vor. Es fehle damit an einem belastungskonformen Schadensbild.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Präventionsabteilung der Beklagten die Gesamtbelastungsdosis der Klägerin vom 22. Januar 1974 bis 30. Oktober 2004 ermittelt. Dabei ist sie von den Maximalwerten der in der Aufstellung der Klägerin vom 23. Februar 2004 angegeben Hebevorgänge ausgegangen und hat für den Zeitraum vom 22. Januar 1974 bis 30. Oktober 2004 eine Gesamtbelastungsdosis von 34,75 MNh und für den Zeitraum vom 22. Januar 1974 bis 21. November 2000 eine solche von 30,3 MNh errechnet (laufende Nr. 1 bis 12 Blatt 154 bis 156 der Gerichtsakte). Die jeweilige auf L5/S1 wirkende Druckkraft lag danach bei sechs berücksichtigten Tätigkeiten in der Frühschicht, fünf in der Spätschicht und vier in der Nachtschicht über 4,5 kN. Zu der Berechnung der Gesamtbelastungsdosis hat die Präventionsabteilung ergänzend ausgeführt, die Betriebsleiterin habe die Angaben der Klägerin im Wesentlichen bestätigt; es hätten jedoch von vier Personen drei geduscht und eine gebadet (betrifft laufende Nr. 5), hilflose Personen seien zwei pro Woche aufgehoben (laufende Nr. 8) und bei höchstens 20 Personen seien nachts die Pampers gewechselt worden. Schließlich sei das Tragen von Wäsche- und Müllsäcken eher die Ausnahme gewesen (laufende Nr. 12).
Unter dem 22. August 2008 hat der Beratungsarzt der Beklagten, der Facharzt für Chirurgie Dr. L., ausgeführt, bildtechnisch sei ein noch nicht unter dem hinteren Längsband liegender, die Nervenwurzel nicht bedrängender Bandscheibenvorfall bei L5/S1 gesichert. Nerval bedingte Beschwerden habe die Klägerin nicht angegeben. Damit sei eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nicht nachgewiesen. Dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung nicht vorliege, zeige auch der Krankheitsverlauf. Die Klägerin habe angegeben, seit ca. Anfang der 90er Jahre Rückenschmerzen zu haben, die durch bandscheibenbedingte Veränderungen nicht zu erklären seien. Die Klägerin leide laut Entlassungsbericht der M. Klinik unter Depressionen, die als Ursache der Beschwerden in Betracht kämen, weil Rückenschmerzen weit verbreitet psychisch bedingt bzw. überlagert seien. Auch wenn man eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS unterstelle, sei die Konstellation B2 der Konsensempfehlungen nicht erfüllt. Die Klägerin sei keiner besonders intensiven Belastung innerhalb von 10 Jahren ausgesetzt gewesen. Im Übrigen hätten sich bei der Dauer der Belastung in jedem Falle Begleitspondylosen und weitere Höhenminderungen ausgebildet, die bei der Klägerin jedoch nicht vorgelegen hätten.
Das Sozialgericht hat Dr. S. unter Beifügung des Ermittlungsergebnisses der Präventionsabteilung der Beklagten und der Stellungnahme von Dr. L. zur Stellungnahme vom 9. April 2008 veranlasst. Dr. S. hat hierzu ausgeführt, ein besonderes Gefährdungspotential der Klägerin durch kurzzeitige hohe Belastungsspitzen sei nicht herzuleiten. Vielmehr ergebe sich die Gesamtbelastungsdosis aus einer weitgehend kontinuierlichen, über Jahre hinweg summierten Belastung. Auch nach Auswertung der Ermittlungen der Präventionsabteilung sei von der Konstellation B3 auszugehen.
Mit Urteil vom 12. Juni 2008 hat das Sozialgericht Magdeburg unter Verweis auf die Ausführungen der Sachverständigen die Klage abgewiesen.
Gegen das ihr am 25. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Juli 2008 Berufung eingelegt und ihren bisherigen Vortrag vertieft. Ein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand zu bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS sei derzeit nicht vorhanden. Die Fassung der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV entspreche daher nicht dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Daher sei die Theorie der wesentlichen Bedingung strikt anzuwenden und die berufliche Belastung mit einer sehr hohen Belastungsdosis über 30 Jahre als wesentliche Ursache der Erkrankung anzusehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Juni 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 aufzuheben und
festzustellen, dass ihr chronisch wiederkehrendes Schmerzsyndrom bei Veränderungen am Lendenwirbel-Kreuzbeinübergang vom 1. November 2004 an eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. und hält die Konsensempfehlungen mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für anwendbar.
Die Verwaltungsakte der Beklagten mit dem Aktenzeichen hat als Ablichtung vorgelegen und war Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2004 beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil sie vom 1. November 2004 an einen Anspruch auf die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV hat.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 6 SGB VII. Voraussetzung für die Anerkennung der hier strittigen BK 2108 ist nach deren Tatbestand das Vorliegen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Danach müssen für die Feststellung einer BK 2108 folgende Kriterien erfüllt sein: Die Versicherte muss aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit langjährig schwere Lasten gehoben oder getragen bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verrichtet haben, bei ihr muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch diese beruflichen Einwirkungen entstanden ist, diese Erkrankung muss zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben und die Versicherte darf eine solche Tätigkeit tatsächlich nicht mehr ausüben (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R – SozR 4-2700 § 9 Nr. 7).
Ausgehend hiervon war die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit als Altenpflegerin vom 22. Januar 1974 bis zu ihrem Ausscheiden im Oktober 2004 im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigte in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Sie war auch während der Ausübung ihrer Tätigkeit gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 durch schweres Heben und Tragen von Patienten in ausreichendem Maße ausgesetzt. Dies ergibt sich aus den Angaben der Klägerin zu ihren Tätigkeiten und den Ermittlungen der Präventionsabteilung der Beklagten.
Daneben liegt bei der Klägerin auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108 vor. Hiervon geht der Senat nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. unter Berücksichtigung der bildgebenden Befunde aus den Jahren 2003 und 2004 und unter Heranziehung der "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Konsensempfehlungen; veröffentlicht in Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) aus. Diese Konsensempfehlungen entsprechen dem aktuellen Erkenntnisstand medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrungssätze zur Beurteilung der BK 2108, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden (siehe aktuell Schröter, Begutachtung der BK 2108 in Anwendung der Konsenskriterien, Med Sach 2011, 107; im Übrigen BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 – B 2 U 16/08 R – zitiert nach juris; Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R – SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Das Krankheitsbild der Klägerin entspricht klinisch und bildgebend dem lokalen Lumbalsyndrom, welches in den Konsensempfehlungen als Typ 1 der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS bezeichnet wird. Danach sollen folgende Kriterien erfüllt sein: altersuntypische Höhenminderung einer oder mehrerer Bandscheiben, Schmerz durch Bewegung, Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz, Entfaltungsstörung der LWS, erhöhter Tonus der Muskulatur (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216). Das MRT vom 23. Oktober 2003 zeigt im Segment L5/S1 neben einem Prolaps eine Chondrose III. Grades. Dies hat der Radiologe Dr. D. in seinem Befundbericht beschrieben. Die Sachverständigen MR Dr. M. und Dr. S. haben diese Feststellung bestätigt. Chondrosen ab dem II. Grad sind in jedem Fall, unabhängig vom Alter der Betroffenen, altersuntypisch (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 214). Die Beschwerden der Klägerin stimmen auch mit diesem Befund überein. Die Orthopädin P. hat im November 2000 einen Klopfschmerz im Kreuzbein beschrieben und ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostiziert. Auch bei späteren Untersuchungen fanden sich, Schmerzen im Bereich der LWS (Dr. F. am 14. Oktober 2003) bzw. in der unteren LWS (Dr. D. am 9. Februar 2004). Gegenüber Dr. S. hat die Klägerin beim Beklopfen der Dornfortsätze der LWS Schmerzen angegeben. Dr. S. hat dementsprechend auch ein chronisches rückfälliges Schmerzsyndrom im Bereich der LWS bei Veränderungen im Lenden-Kreuzbeinübergangssegment diagnostiziert. Auch MR Dr. M. hält die Beschwerden und die Befunde für übereinstimmend. Zudem hat die Klägerin wiederholt über Bewegungsschmerzen in der LWS geklagt, so am 21. Januar 2003 gegenüber Dr. W. ("sagenhafte anhaltende Schmerzen" während der Arbeit), am 14. Oktober 2003 gegenüber Dr. F. (belastungsabhängige Schmerzen) und während des Aufenthaltes in der M.-Klinik vom 7. Januar 2004 bis 4. Februar 2004 (Beschwerden im LWS-Bereich mit Schmerzausstrahlung in die untere BWS, u. a. beim Heben und Tragen). Bei der Klägerin hat schließlich eine Entfaltungsstörung der LWS vorgelegen. Dr. F. hat die Anteflexion der LWS als deutlich eingeschränkt beschrieben. Eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit der LWS hat auch Dr. D. bei der Aufnahme der Klägerin in die M. Klinik am 7. Januar 2004 als vermerkt. Damit liegt die Mehrzahl der Kriterien des Typ 1 der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS vor. Der Senat folgt daher den Ausführungen der Sachverständigen Dres. M. und S., die die Erkrankung der Klägerin als bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS eingestuft haben. Demgegenüber überzeugt Dr. L. nicht. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK 2108 setzt nicht notwendig eine Reizung der Nervenwurzel voraus. Dies mag für das lumbale Wurzelsyndrom als Typ 2 der bandscheibenbedingten Erkrankungen zutreffend sein, wird aber bei Typ 1 gerade nicht gefordert (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216).
Diese bandscheibenbedingte Erkrankung hat die Klägerin auch objektiv gezwungen, die belastende Tätigkeit zu unterlassen. Hier folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen von Dr. D. in seinem Entlassungsbericht, die Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegerin mit häufigem Heben und Tragen sei geeignet, die Beschwerden erneut zu verstärken. Um eine Verschlimmerung der bandscheibenbedingten Erkrankung zu vermeiden, bleibt der Klägerin daher nur die Aufgabe dieser Tätigkeiten. Dies hat im Übrigen keiner der Sachverständigen in Abrede gestellt. Diese wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten hat die Klägerin auch tatsächlich im Oktober 2004 aufgegeben. Dabei kommt es für die Anerkennung der BK 2108 nicht entscheidend darauf an, dass die Klägerin die Tätigkeit erst nach dem Erlass des angefochtenen Bescheides aufgegeben hat. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der vorliegenden kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, 9. Auflage, § 55 SGG, RdNr. 21).
Die Einwirkungen, denen die Klägerin während ihres Berufslebens ausgesetzt war, sind auch nach Überzeugung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentliche (Mit)-Ursache des LWS-Leidens der Klägerin.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den geltend gemachten Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht. Dabei muss die versicherte Einwirkung nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden "Theorie der wesentlichen Bedingung" an der Verursachung der geltend gemachten Erkrankung wesentlich mitgewirkt haben. Gesichtspunkte zur Beurteilung der Wesentlichkeit sind neben möglichen konkurrierenden Ursachen und der Krankheitsgeschichte insbesondere auch die Art und das Ausmaß der versicherten Einwirkung sowie ergänzend auch der Schutzzweck der Norm, wobei insgesamt die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).
Danach liegt eine ernste Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass zwischen der Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegerin und der von ihr als BK geltend gemachten Erkrankung ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht.
Mit dem Sachverständigen Dr. S. geht der Senat davon aus, dass das Krankheitsbild der Klägerin in die Fallgruppe B einzustufen ist. Dem hat auch Dr. L. für den Fall des Vorliegens einer bandscheibenbedingten Erkrankung zugestimmt. In die Fallgruppe B der Konsensempfehlungen werden bandscheibenbedingte Erkrankungen eingeordnet, die die Segmente L5/S1 und/oder L4/5 betreffen und die die Ausprägung eines Prolapses oder einer Chondrose Grad II haben. Diese Voraussetzung ist bei der Klägerin mit dem am 23. Oktober 2003 festgestellten Prolaps im Segment L5/S1 mit einer Chondrose III. Grades erfüllt.
Für die Einstufung des Krankheitsbildes der Klägerin kommen innerhalb der Fallgruppe B lediglich die Konstellationen B2 bis B6 in Betracht. Denn zum einen fehlt es an wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren, die zu der Erkrankung geführt haben können (Fallgruppen B9, B10). Welche anlagebedingte Faktoren konkurrierende Ursachen sind, ist in den Konsensempfehlungen im Einzelnen aufgeführt (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 250 f.). Keiner der dort genannten Faktoren liegt nach den Befunden bei der Klägerin vor. Insbesondere wird die von Dr. F. festgestellte Steilfehlstellung des thoracolumbalen Übergangs in den Konsensempfehlungen nicht als konkurrierende Ursache erwähnt. Zum anderen fehlt es an einer Begleitspondylose (Fallgruppen B1, B7, B8). Spondylosen sind nach den Konsensempfehlungen vordere und seitliche Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 215). Als Begleitspondylose wird
"eine Spondylose, in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) sowie in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist",
definiert. Diese Begleitspondylose muss über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 216 f.). Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Dr. F. hat zwar eine Spondylose in den Segmenten L5/S1 und L2/3 beschrieben. Entsprechendes hat auch die Orthopädin Petz festgestellt. Demgegenüber hat der Sachverständige MR Dr. M. lediglich spondylotische Anbauten an den Vorderkanten des Segmentes L2/3 beschrieben, während der Sachverständige Dr. S. lediglich im Segment L5/S1 eine Spondylose für nachgewiesen hält. Diese unterschiedlichen Befunde sprechen dafür, dass es sich nur um Spondylosen eines minimalen Grades handeln kann, denn bei deutlich ausgeprägten Spondylosen wäre eine übereinstimmende Befundung der Ärzte und Sachverständigen in Auswertung der Röntgenaufnahmen der Jahre 2000 und 2003 zu erwarten gewesen. Minimale Spondylosen (Grad I) sind aber nicht altersuntypisch (siehe Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 214, Übersicht 4).
Aber auch wenn man zu Gunsten der Klägerin von altersuntypischen Spondylosen in den Segmenten L2/3 und L5/S1 ausgeht, fehlt es an der weiteren Voraussetzung der Begleitspondylose, des Befalls zweier Segmente. Denn die Spondylose im Segment L5/S1 ist infolge des dort aufgetretenen Prolapses bei der Bewertung nicht zu berücksichtigen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Spondylose vor der Wirbelsäulenerkrankung nachgewiesen wäre. Entsprechende Befunde hat aber keiner der Ärzte oder Sachverständigen erhoben. Die Klägerin war erstmals mit Wirbelsäulenbeschwerden bei der Orthopädin P. in am 21. November 2000 in Behandlung (siehe auch Befundbericht Dr. F.). Diese hat in ihrem Befundbericht hierzu neben Spondylosen in den Segmenten L2/3 und L5/S1 einen fast aufgehobenen Zwischenwirbelraum bei L5/S1 beschrieben. Dabei handelt es sich bereits um eine Lendenwirbelsäulenerkrankung im Sinne der BK 2108 (mindestens Chondrose II. Grades). Dass die von der Orthopädin beschriebenen Spondylosen bereits zuvor bestanden haben, ist nicht ersichtlich.
Im Übrigen kommt es für die Entscheidung des Senats auf das Fehlen der Begleitspondylose nicht entscheidend an, weil bei deren Vorhandensein die BK nach Fallgruppe B1 der Konsensempfehlungen gerade ohne Weiteres anzuerkennen wäre.
Die Erkrankung der Klägerin ist auch nicht den Fallgruppen B4 bis B6 zuzuordnen. Insoweit fehlt es an einem Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS. Zwar hat MR Dr. M. zwischen den Segmenten C5 und C7 eine umformende Verschleißerkrankung beschrieben. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine bandscheibenbedingte Erkrankung, denn diese hat Dr. S. nach Auswertung der Röntgenaufnahmen der HWS ausgeschlossen.
Die Erkrankung der Klägerin gehört – entgegen der Ausführungen von Dr. S. und Dr. L. – auch nicht in die Fallgruppe B3, weil bei der Klägerin eines der zusätzlichen Kriterien der Fallgruppe B2 vorliegt. Die zusätzlichen Kriterien lauten wie folgt:
Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im MRT in mindestens zwei Segmenten
Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.
Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 ½ kN; Männer ab 6 kN).
Bei der Klägerin hat sich ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen verwirklicht. Belastungsspitzen liegen bei Druckkräften ab 4,5 kN vor und ein besonderes Gefährdungspotenzial verwirklicht sich, wenn die Druckkräfte der Belastungsspitzen mindestens die Hälfte der nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (Jäger u.a., Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin, 1999, 112 ff.) aufgestellten Tagesdosis (für Frauen mit 3,5 kNH) erreichen. Dies war bei der Klägerin während der Ausübung sämtlicher Schichten der Fall. Nach den Ermittlungen der Präventionsabteilung der Beklagten unter Berücksichtigung der Einwände der Betriebsleiterin gegen die Darstellung der Klägerin war die Klägerin während der Frühschicht Druckkräften über 4,5 kN mindestens wie folgt ausgesetzt:
Laufende Nr. 2: 10 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer pro Schicht von 0,021 Stunden (h). Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 444.360 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 3: 14 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 5.700 N und einer Dauer von 0,029 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 942.210 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 4: 10 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,021 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 444.360 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 6: 8 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,017 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 359.720 Nh zu vervielfältigen.
Aus den Zwischengrößen ist die Summe von 2.190.650 Nh zu bilden. Diese ist durch die tägliche Arbeitsstundenzahl 8 zu teilen und daraus die Wurzel zu ziehen, ergibt 523,289 N. Dieses Ergebnis ist wiederum mit 8 Stunden auf 4186,31 Nh = 4,2 kNh als Tagesdosis zu vervielfältigen.
Für die Spätschicht gilt entsprechend Folgendes:
Laufende Nr. 2: 12 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer pro Schicht von 0,025 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 529.000 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 3: 12 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 5.700 N und einer Dauer von 0,025 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 812.250 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 4: 10 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,021 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 444.360 Nh zu vervielfältigen.
Aus den Zwischengrößen ist die Summe von 1.785.610 Nh zu bilden. Diese ist durch die tägliche Arbeitsstundenzahl 8 zu teilen und daraus die Wurzel zu ziehen, ergibt 472,442 N. Dieses Ergebnis ist wiederum mit 8 Stunden auf 3.779,54 Nh = 3,8 kNh als Tagesdosis zu vervielfältigen.
Für die Nachtschicht ist mindestens Nachfolgendes zu berücksichtigen:
Laufende Nr. 2: 6 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer pro Schicht von 0,013 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 275.080 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 3: 6 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 5.700 N und einer Dauer von 0,013 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 422.370 Nh zu vervielfältigen.
Laufende Nr. 4: 6 Hebe- oder Tragevorgänge bei einer Druckkraft von 4.600 N und einer Dauer von 0,013 h. Das Quadrat der Druckkraft ist mit der Einwirkungszeit pro Schicht zu einer Zwischengröße von 275.080 Nh zu vervielfältigen.
Aus den Zwischengrößen ist die Summe von 972.530 Nh zu bilden. Diese ist durch die tägliche Arbeitsstundenzahl 8 zu teilen und daraus die Wurzel zu ziehen, ergibt 348,664 N. Dieses Ergebnis ist wiederum mit 8 Stunden auf 2.789,31 Nh = 2,8 kNh als Tagesdosis zu vervielfältigen.
Danach hat die Klägerin durch Belastungsspitzen über 4,5 kN arbeitstäglich mindestens die Hälfte der Tagesdosis von 3,5 kNh überschritten. Das besondere Gefährdungspotential ist als zusätzliches Kriterium der Fallgruppe B2 auch nach der Modifikation des Mainz-Dortmunder-Dosismodells durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R – (SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5) noch anzuwenden, soweit die in dem Kriterium genannten Mindestwerte erreicht oder überschritten werden. Denn die hierin vorgenommene Modifikation des MDD lässt ausschließlich unter Verminderung der Anforderungen schon geringere Druckkräfte ohne Beschränkung auf Tagesdosen zur Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen ausreichen. Werden die in den Konsensempfehlungen ausgewiesenen Werte – wie vorliegend – überschritten, ist eine Verursachung der Erkrankung durch berufliche Einwirkungen danach erst Recht hinreichend wahrscheinlich. Dementsprechend kommt auch der Einschätzung zu Fallgruppe B2 der "Konsensempfehlungen", wonach das Erreichen der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes ein "Anhaltspunkt" für hohe Belastungsspitzen sei, vorliegend keine einschränkende Bedeutung zu, weil die Klägerin die maßgebliche Belastung zu deutlich überschritten hat. Sie hat im Durchschnitt der Schichten nämlich sogar die volle Tagesdosis allein durch Belastungsspitzen überschritten.
Die von Dr. L. unter Bezugnahme auf die Ausführungen von S. und G. im Anhang 1 zur Fallgruppe B3 (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 219 f.) vertretene Auffassung, bei einer dreißigjährigen gleichbleibenden Belastung hätte eine Begleitspondylose auftreten müssen, entspricht nicht der Mehrheitsmeinung der Arbeitsgruppe zur Erstellung der Konsensempfehlungen. Während sich gegen die Auffassung von G. und S. im Anhang 2 S. und B.-A. gewandt haben (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 221 f.), wird mehrheitlich unter Ziffer 1.4 der Empfehlungen ausgeführt, dass bei beruflichen Belastungen, bei denen sich die Gefährdung hauptsächlich aus wiederholten Spitzenbelastungen – wie im vorliegenden Fall – ergibt, das Fehlen einer Begleitspondylose keine negative Indizwirkung hat (Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 217).
Der Senat vermag aus den genannten Gründen der Einstufung der Erkrankung der Klägerin in die Fallgruppe B3, wie sie Dres. S. und L. vorgenommen haben, nicht zu folgen. Soweit diese ein besonderes Gefährdungspotential nicht festgestellt haben, steht ihren Ausführungen das eindeutige Ergebnis aus den Ermittlungen der Präventionsabteilung entgegen.
Da die Feststellung von Belastungsspitzen nicht der medizinischen Einschätzung unterliegt, war der Senat nicht gehalten, ein weiteres Gutachten hierzu einzuholen.
Nach der Fallgruppe B2 ist nach den hier einschlägigen Konsensempfehlungen ein Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und Lendenwirbelschaden wahrscheinlich. Die Berufung der Klägerin hatte daher Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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