L 3 AS 537/09

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 2 AS 749/08
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 AS 537/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für die Frage, ob ein ursprünglicher Bescheid auch ohne dessen ausdrückliche Aufhebung ersetzt wurde und sich gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat, kommt es nur auf die von dem ersetzenden Bescheid selbst ausgehende Wirkung an.
2. Ein missbräuchliches Sichverschließen vor der Kenntnis ist der Kenntnis nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X gleichzusetzen.
1. Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 09.09.2009 und die Bescheide des Beklagten vom 13.08.2008 in Gestalt der Wi-derspruchsbescheide vom 13.08.2008, modifiziert durch die Bescheide vom 21.10.2011, aufgehoben.
2. Der Beklagte hat den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Rücknahme- und Erstattungsbescheiden.
Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am 1988 geborenen Klägerin zu 3). Bis einschließlich 05.05.2006 bezog der Kläger zu 1) Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit Neuwied. Mit Bescheid vom 11.05.2006 bewilligte der Beklagte den Klägern und zwei weiteren Kindern H und K der Kläger zu 1) und zu 2) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 in monatlich unterschiedlicher Höhe. Im Mai 2006 beliefen sich die Leistungen auf 1.267,08 Euro, im Juni und Juli 2006 auf 1.453,28 Euro, im August 2006 auf 1.347,65 Euro, im September 2006 auf 1.331,38 Euro und im Oktober 2006 auf 1.359,38 Euro. Im Zusatzblatt 2.1 "Einkommenserklärung/Selbsteinschätzung", das der Kläger zu 1) dem von ihm am 25.04.2006 unterschriebenen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beigefügt hatte, gab er an, dass er über ein Einkommen als Taxifahrer verfügt. Nach der von der Firma T F GmbH, W , beigefügten Einkommensbescheinigung verdiente der Kläger dort monatlich gleichbleibend 150,00 Euro; die Auszahlung dieses Be-trages erfolgte jeweils am Ende des laufenden Monats. Nach Abzug der Freibe-träge in Höhe von 110,00 EUR rechnete der Beklagte 40,00 EUR monatlich als Einkommen des Klägers zu 1) aus seiner Tätigkeit für die Firma T F GmbH an.
Mit Schreiben vom 04.07.2007 teilte das Hauptzollamt K dem Beklagten mit, dass gegen den Kläger zu 1) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Leistungsbetruges nach § 263 Strafgesetzbuch eingeleitet worden sei. Dem Schreiben waren Unterlagen beigefügt, die das Hauptzollamt K im Rahmen eines anderweitigen Ermittlungsverfahrens gegen den Taxiunternehmer B A sichergestellt hatte. Daraus ergibt sich, dass der Kläger zu 1) bei der Firma A GmbH in der Zeit von Oktober 1999 bis einschließlich 2007 in einem Beschäfti-gungsverhältnis als Taxifahrer gestanden hat. Das Hauptzollamt K hatte die am 08.03.2007 bei der Firma F GmbH sichergestellten Unterlagen bezüglich der einzelnen Arbeitnehmer ausgewertet. Es hat Tabellen erstellt, aus denen sich die täglichen Arbeitszeiten des Klägers zu 1) und der jeweilige Lohn ergaben. So soll der Kläger zu 1) im Mai 2006 250 Stunden, im Juni 2006 268,5 Stunden, im Juli 2006 181 Stunden, im August 2006 241,5 Stunden, im September 2006 109,5 Stunden und im Oktober 2006 153,5 Stunden als Taxifahrer gearbeitet haben. Im Mai 2006 soll er 1.275,00 Euro, im Juni 2006 1.369,35 Euro, im Juli 2006 923,10 Euro, im August 2006 1.231,65 Euro, im September 2006 1.415,25 Euro und im Oktober 2006 782,85 Euro verdient haben (insgesamt im Jahr 2006 14.359,65 Euro).
Am 26.09.2006 nahm der Kläger zu 1) bei der Fa. Firma M GmbH ein bis zum 31.12.2006 befristetes Arbeitsverhältnis auf. Dies teilte er dem Beklagten einen Tag später unter Vorlage eines Auszugs seines Arbeitsvertrages mit. In dem am selben Tag erstellten Vermerk des für den Kläger zu 1) zuständigen Mitarbeiters des Beklagten ist ausgeführt, dass der Kläger zu 1) aus der "AV" abgemeldet wurde. Handschriftlich ist ergänzt: "1. EK-Zufluss 11/06". Am 28.06.2009 gingen bei dem Beklagten eine vom Kläger zu 1) ausgefüllte und unterschriebene Veränderungsmitteilung sowie eine Kopie des vollständigen Arbeitsvertrages ein. Im September 2006 erzielte er ein Einkommen in Höhe von 283,23 Euro netto. Nach der Verdienstabrechnung der Firma M GmbH erfolgte eine "Auszahlung letz-te Abrechnung" in Höhe von 236,56 EUR, die Nachzahlung in Höhe von 46,67 EUR sollte mit dem Gehalt im Oktober 2006 verrechnet werden.
Nach Auswertung der vom Hauptzollamt übermittelten Unterlagen erstellte ein Mitarbeiter des Beklagten am 08.08.2007 Horizontalübersichten über die den Klägern nach Anrechnung des vom Hauptzollamt ermittelten Einkommens des Klägers zu 1) zustehenden Leistungen.
Ohne Anhörung der Kläger hob der Beklagte mit separaten Bescheiden vom 15.08.2007 die ihnen jeweils für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 gewähren Leistungen gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung, § 330 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i.V.m. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) teilweise auf, weil der Kläger zu 1) in diesem Zeitraum monatlich ein weitaus höheres Einkommen bei der Firma B A erzielt habe als bei Antragstellung angegeben. Der Kläger zu 1) sei da-her zur Erstattung eines Betrages von 1.649,83 Euro, die Klägerin zu 2) in Höhe von 1.649,81 Euro und die Klägerin zu 3) in Höhe von 468,91 Euro verpflichtet. Auf die Kinder H und K der Kläger zu 1) und 2) entfiel jeweils ein Erstattungsbetrag von 725,22 Euro bzw. 714,80 Euro. Die sofortige Vollziehung der Entscheidungen wurde angeordnet. Die Kläger erhoben gegen diese Bescheide Widerspruch und beantragten "die Aussetzung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides". Diese Anträge wurden jeweils abgelehnt.
Am 24.07.2008 legte die Firma M GmbH auf Anforderung des Beklagten die Verdienstabrechnung des Klägers zu 1) bzgl. des Monats September 2006 vor. Mit Schreiben vom 28.07.2008 wandte sich der Beklagte jeweils gesondert an die Kläger und führte aus, dass er den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.08.2007 geprüft und festgestellt habe, dass der Bescheid Begründungsmängel enthalte und darüber hinaus im Monat Oktober 2006 weiteres Einkommen des Klägers zu 1) aus einer Beschäftigung bei der Firma M GmbH geflossen sei, das ebenfalls anzurechnen sei. Es sei daher beabsichtigt, einen im Entwurf beigefügten Änderungsbescheid zu erlassen. Die Kläger erhielten Gelegenheit, sich hierzu bis spätestens 11.08.2008 zu äußern.
Mit Bescheiden vom 13.08.2008 nahm der Beklagte die den Klägern in der Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 bewilligten Leistungen teilweise in Höhe von 5.453,69 Euro zurück, weil der Kläger zu 1) bei Antragstellung wahrheitswidrig angegeben habe, aus seiner Beschäftigung bei dem Taxibetrieb B A GmbH lediglich ein gleichbleibendes monatliches Arbeitsentgelt von 150,00 Euro zu erzielen. Die Ermittlungen des Hauptzollamtes K hätten ergeben, dass er bereits vor Antragstellung und auch während der Dauer des Leistungsbezuges bis zum 31.10.2006 ein weit höheres Arbeitsentgelt erhalten habe. Zudem habe der Kläger zu 1) es pflichtwidrig unterlassen, das ihm im Monat Oktober 2006 aus seiner Vollzeitbeschäftigung bei der Firma M GmbH zugeflossene Arbeitsentgelt für September in Höhe von 283,23 Euro anzuzeigen. Auch dieses Einkommen sei anzurechnen.
Seine Entscheidung sei teilweise auf § 45 SGB X und teilweise auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. dem § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. dem § 330 Abs. 2, Abs. 3 SGB III zu stützen. Dem Kläger zu 1) sei ein vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen, da er bei seiner Antragstellung wissentlich wahrheitswidrige Angaben gemacht habe. Das Verschulden des Klägers zu 1) sei den Klägerinnen zu 2) und 3) aufgrund der unwiderlegten Bevollmächtigungsvermutung des § 38 SGB II zuzurechnen. Zudem ergebe sich eine Anrechnung des Verschuldens gegenüber der Klägerin zu 3) aus den §§ 1629, 164, 166 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Kläger zu 1) sei zur Erstattung eines Betrages in Höhe von 1.732,48 Euro, die Klägerin zu 2) in Höhe von 1.732,47 Euro und die Klägerin zu 3) in Höhe von 468,90 Euro verpflichtet. Auf die minderjährigen Kinder H und K fiele ein Erstattungsbetrag in Höhe von 767,58 Euro sowie 752,26 Euro. In den Bescheiden ist jeweils ausgeführt, dass diese gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden.
Mit separaten Widerspruchsbescheiden vom selben Tag, also 13.08.2008, wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger als unbegründet zurück. Die Anhörungen seien am 28.07.2008 erfolgt, so dass die Änderungsbescheide am 13.08.2008 erlassen worden seien. Bezüglich der Begründung werde daher auf diese Änderungsbescheide verwiesen.
Am 21.08.2008 haben die Kläger getrennte Klagen beim Sozialgericht Koblenz erhoben. Das die Klägerin zu 2) betreffende Klageverfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 2 AS 750/08 und das die Klägerin zu 3) betreffende Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 2 AS 751/08 geführt. Durch Verbindungsbeschluss vom 27.05.2009 hat das Sozialgericht alle drei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und sie unter dem den Kläger zu 1) betreffenden Verfahren mit dem Aktenzeichen S 2 AS 749/08 fortgeführt.
Durch rechtskräftiges Urteil vom 27.11.2008 hat das Amtsgericht B den Kläger zu 1) wegen Betrugs in zwei rechtlich selbständigen Fällen für schuldig gesprochen und ihn zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Der Kläger zu 1) habe in der Zeit vom 01.09.2002 bis zum 05.05.2006 zu Unrecht von der Agentur für Arbeit in N , Geschäftsstel-le A , Arbeitslosengeld in einer Höhe von 22.372,72 Euro und von dem Beklagten in der Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 5.208,57 Euro bezogen. Er habe eingeräumt, dass er seinen tatsächlichen Verdienst aus einer Beschäftigung bei der Firma T F GmbH nicht richtig angegeben habe.
Durch Urteil vom 09.09.2009 hat das Sozialgericht Koblenz "die Klage" abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die tatbestandlichen Vor-aussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X seien erfüllt. Der Kläger zu 1) habe zumindest grob fahrlässig und in wesentlicher Beziehung unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht, so dass sie verpflichtet seien, die von dem Beklagten festgestellten und zu Unrecht bezogenen Leistungen zurück zu erstatten. Es sei weder erkennbar noch vorgetragen, dass die Klägerinnen zu 2) und 3) von der Nebentätigkeit des Klägers zu 1) nicht in Kenntnis gesetzt gewesen seien. Bei der Prüfung der Bewilligungsbescheide hätten sie in jedem Fall merken müssen, dass der Beklagte während des gesamten streitigen Bewilligungszeitraums von niedrigeren Einnahmen ausgegangen sei. Der Einwand der Kläger, der Beklagte habe sich nicht auf die Auswertung der vom Hauptzollamt übermittelten Unterlagen stützen dürfen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Es reiche nicht aus, pauschal die Richtigkeit dieser Aufzeichnungen zu bestreiten, zumal die Kläger selbst eingeräumt hätten, nicht über Aufzeichnungen zu verfügen, aus denen sich die tatsächlichen Arbeitszeiten des Klägers zu 1) und seine tatsächlichen Verdienste ergeben würden. Im Übrigen habe der Kläger zu 1) im Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht B ausdrücklich eingeräumt, im streitigen Zeitraum Einkünfte gehabt zu haben, die die zunächst angegebenen 150,00 Euro monatlich deutlich überstiegen hätten.
Gegen das ihnen am 08.10.2009 zugestellte Urteil haben die Kläger am Montag, dem 09.11.2009, Berufung eingelegt.
Der Beklagte hat am 21.10.2011 separate Änderungsbescheide erlassen und den Erstattungsbetrag auf 5.213,69 EUR reduziert; auf den Kläger zu 1) entfiel ein Betrag in Höhe von 1.656,43 EUR, auf die Klägerin zu 2) in Höhe von 1.656,38 EUR, auf die Klägerin zu 3) in Höhe von 447,80 EUR und die Kinder H und K in Höhe von 733,80 EUR bzw. 719,28 EUR. Zur Begründung hat der Beklagte ausgeführt, es sei festgestellt worden, dass das Einkommen des Klägers zu 1) aus seiner Tätigkeit als Taxifahrer zu hoch angesetzt worden sei, weil auch nach Anrechnung des tatsächlich erzielten und vom Hauptzollamt ermittelten Einkommens nach wie vor der zunächst angesetzte und um die Freibeträge reduzierte Betrag von monatlich 40,00 EUR berücksichtigt worden sei. Der Beklagte hat den Bescheiden Berechnungsbögen hinsichtlich des für die einzelnen Monate zustehenden Einkommens, Bögen zur Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens im Sinne des SGB II sowie Aufstellungen der Berechnung des "Aufhebungs- und Erstattungsbetrages vom 10.05 bis 31.10.2006" beigefügt.
Zur Begründung tragen die Kläger unter Benennung von Zeugen im Wesentlichen vor:
Der ehemalige Arbeitgeber des Klägers zu 1), B A , habe im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens zwar eingeräumt, Sozialversicherungsbeiträge von mehr als 600.000 Euro nicht abgeführt zu haben, aber über Einzelheiten sei in diesem Verfahren nicht gesprochen worden. B A habe wiederholt erklärt, dass die in den beschlagnahmten Ordnern enthaltenen Einzelheiten zum Umfang der Fahrten, zum Zeitpunkt, zur Identität der Fahrer usw. nicht der Realität entsprochen hätten, sondern beliebig zusammengestellt worden seien. Er habe sein Geständnis im Ermittlungsverfahren widerrufen und dargelegt, dass weitere Angaben im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zum Inhalt der beschlagnahmten Ordner und der detailliert gefahrenen Kilometer nicht der Wahrheit entsprochen hätten. Aufgrund der Aussagen des Zeugen B A und weiterer Aussagen von Zeugen, die bestätigt hätten, dass eine Anzahl von Fahrten tatsächlich erfunden worden sei, habe das Amtsgericht B nach rechtskräftiger Verurteilung von B A auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Taxifahrer vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Es könne also nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die den Kläger zu1) betreffenden Auswertungen des Hauptzollamtes zutreffend seien. Vielmehr müsse im Einzelnen durch Vernehmung der Zeugen ermittelt werden, an welchen Tagen und in welchem Umfang er im streitigen Zeitraum gearbeitet habe. Er könne beweisen, dass die ihm zugerechneten Fahrten nachweislich nicht von ihm durchgeführt worden seien. An bestimmten Tagen habe er sich gar nicht in Deutschland aufgehalten. Im Übrigen habe seine gesundheitliche Situation eine Tätigkeit in dem behaupteten zeitlichen Umfang gar nicht zugelassen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 09.09.2009 und die Bescheide des Beklagten vom 13.08.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.08.2008, modifiziert durch die Bescheide vom 21.10.2011, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er ist der Ansicht, dass die Bescheide jedenfalls nach Erlass der Änderungsbescheide rechtmäßig, sie insbesondere hinreichend bestimmt und innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erlassen worden sind.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte, der Gerichtsakten S 2 AS 750/08 und S 2 AS 751/08 sowie der die Kläger betreffenden Verwaltungsakte Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht "die Klage" abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 15.08.2007, ersetzt durch die Bescheide vom 13.08.2008, in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.08.2008, in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.10.2011, sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.
Der Beklagte konnte seine Rücknahmeentscheidung nicht auf § 45 SGB X stützen. Aus diesem Grund sind die Kläger auch nicht nach § 50 Abs. 1 SGB X zur Erstattung der im Zeitraum 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 nach Ansicht des Beklagten zu Unrecht bezogenen und mit den Bescheiden vom 21.10.2011 genannten Leistungen verpflichtet.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. § 45 SGB X findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären (BSG, Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R), um die objektiven Verhältnisse festzustellen. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits zum Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben (BSG a.a.O.).
Der Leistungsbescheid vom 11.05.2006, mit dem der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für die streitgegenständliche Zeit bewilligt hatte, war bereits bei seinem Erlass rechtswidrig. Dies allein deshalb, weil der Beklagte zu niedriges Einkommen des Klägers zu 1) berücksichtigt hat. Im Mai 2006 hat er Arbeitslosengeld des Klägers zu 1) in Höhe von 186,30 Euro und Einkommen aus seiner Tätigkeit als Taxifahrer in Höhe von 40,00 Euro und in den Monaten Juni bis Oktober 2006 ebenfalls nur ein Einkommen in Höhe von monatlich 40,00 Euro angerechnet. Tatsächlich hatte der Kläger zu 1) jedoch nach seinem Geständnis vor dem Amtsgericht B deutlich mehr als die monatlich angegebenen 150,00 Euro bei der Firma F GmbH verdient, so dass auch nach Abzug der entsprechenden Freibeträge ein höheres Einkommen als 40,00 Euro zu berücksichtigen war. Für die Rechtswidrigkeit dieses Bewilligungsbescheides ist es insoweit unerheblich, in welcher tatsächlichen Höhe monatlich Einkommen erzielt wurde. Entscheidend ist insoweit lediglich, dass dem Kläger zu 1) auch nach seinem Vortrag in jedem Fall monatlich höheres Einkommen als 150 Euro, die der Berechnung zugrunde gelegt worden sind, zugeflossen ist.
Ohne Belang für die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ist es ebenfalls, dass der Kläger zu 1) im September 2006 zusätzliches Einkommen bei der Fa. M GmbH erzielt hat. Deshalb kann es auch dahinstehen, ob dieses Einkommen, das dem Kläger zu 1) nach der Verdienstabrechnung der Firma mit dem Gehalt im Oktober 2006 verrechnet werden sollte, tatsächlich im Monat Oktober 2006 in Höhe von 283,23 Euro zugeflossen ist. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, führt dies bezüglich der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides vom 11.05.2006 zu keiner anderen Bewertung, so dass er auch nicht teilweise - wie vom Beklagten angenommen - gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben ist.
Mit seinen Bescheiden vom 13.08.2008 hat der Beklagte seine Bescheide vom 15.08.2007 auch ohne ausdrückliche Aufhebung dieser Bescheide ersetzt. Diese ursprünglichen Bescheide haben sich dadurch gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt und mussten daher nicht aufgehoben werden. Gegen eine Erledigung spricht nicht, dass der Beklagte die Bescheide vom 13.08.2008 jeweils mit "Änderung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 15.08.2007" überschrieben hat, er also formal Änderungsbescheide am 13.08.2008 erlassen wollte. Maßgebend ist nur die von den Bescheiden selbst ausgehende Wirkung (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 64/05 R).
Wie sich aus den Schreiben des Beklagten vom 28.07.2008 ergibt, wollte der Beklagte die in diesen Schreiben den Klägern mitgeteilten "Unrichtigkeiten" mit den neuen Bescheiden vom 13.08.2008 "ausräumen". Grund hierfür war, dass er im Widerspruchsverfahren zur Kenntnis genommen hatte, dass der Kläger zu 1) Arbeitseinkommen aus seiner Tätigkeit bei der Firma M GmbH für den Monat September 2006 erzielt hatte und dieses Einkommen nach Auffassung des Beklagten im Monat Oktober 2006 als weiteres Einkommen anzurechnen ist und des weiteren, dass die Ausgangsbescheide vom 15.08.2007 "Begründungsmängel" enthielten. Aus dieser Begründung geht hervor, dass der Beklagte im Ergebnis die seiner Meinung nach rechtswidrigen Bescheide vom 15.08.2007 durch neue, rechtmäßige Bescheide ersetzen wollte, diese neuen Bescheide vom 13.08.2008 also ganz an die Stelle der alten Bescheide vom 15.08.2007 treten sollten (vgl. hierzu Leitherer in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz 9. Auflage 2008, § 96 Randziffer 4). Anderenfalls hätte der Beklagte in seinem Schreiben vom 28.07.2008 nicht ausgeführt, dass die Bescheide vom 15.08.2007 (generelle) "Begründungsmängel" enthielten, sondern hätte diesen "Begründungsmangel", falls er die Bescheide lediglich bezüglich des Monats Oktober 2006 hätte ändern wollen, insoweit abgeändert.
Zudem ging der Beklagte selbst davon aus, dass er in den Bescheiden vom 15.08.2007 eine falsche Ermächtigungsgrundlage, nämlich ausschließlich § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, genannt hatte, so dass die neue Begründung entsprechend der zutreffenden Ermächtigungsgrundlage des § 45 SGB X angepasst werden musste. Da die Bescheide nach Anrechnung des vom Kläger zu 1) bei der Firma M GmbH im September 2006 erzielten Einkommens zudem einen höheren Erstattungsbetrag fordern und sich bezüglich der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft höhere Einzelbeträge ergeben, handelte es sich auch nicht um eine wiederholende Verfügung ohne eigene Regelung.
Diese neuen Bescheide vom 13.08.2008 sind automatisch Gegenstand der gegen die (ersetzten) Bescheide vom 15.08.2007 eingeleiteten Widerspruchsverfahren geworden und sind an den gesetzlichen Vorgaben der §§ 45 SGB X, 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II a.F. und 330 Abs. Abs. 2 und 3 SGB III zu messen.
Der teilweisen Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 11.05.2006 mit den Bescheiden vom 13.08.2008, modifiziert durch die Bescheide vom 21.10.2011, steht bereits die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen. Danach muss die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, dieses innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Weil nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt nur in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 des § 45 SGB X bzw. nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, müssen nach ständiger Rechtsprechung des BSG folglich auch diejenigen Tatsachen bekannt sein, die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X bzw. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X für die Aufhebung vorausgesetzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R). Bei einer Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bzw. Kenntnis der Rechtswidrigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist mithin dann zu laufen, wenn der Beklagte Kenntnis davon hatte, dass die Kläger die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannten oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannten. Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Klägers hatte.
Die Frage, wann die Behörde die Tatsachen, die eine abschließende Prüfung der Rücknahmevoraussetzungen erlauben, kennt, ist weder ausschließlich anhand objektiver Kriterien noch allein aufgrund der subjektiven Einschätzung der Behörde zu beantworten. In dem einen Fall hätte es die Behörde in der Hand, den Eintritt der erforderlichen Kenntnis durch Aufrechterhalten unbegründeter Zweifel beliebig hinauszuzögern, in dem anderen Fall würde die Jahresfrist immer dann nicht zu laufen beginnen, wenn es die Behörde aufgrund einer irrtümlichen Einschätzung der Sach- oder Rechtslage unterlässt, sich Kenntnis von Tatsachen zu ver-schaffen, welche die Rücknahmeentscheidung rechtfertigen könne. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es sachgerecht, sowohl hinsichtlich der ausreichenden Gewissheit als auch hinsichtlich Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde abzustellen, es sei denn, es liegt bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei objektiver Betrachtung eine sichere Kenntnis der Behörde von allen erforderlichen Tatsachen vor (so BSG, Urteil vom 08.02.1996 - 13 RI 35/94 = SozR 3 - 1300 § 45 Nr. 27; vgl. dazu auch BSGE 74, 20, 26 F = SozR 3 - 1300 § 48 Nr. 32; BSG SozR 4100 § 103 Nr. 42 Seite 104 f), also wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSGE 74, 20, 26 f).
Hier ist hinsichtlich der erforderlichen Gewissheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde, und zwar des für die Rücknahmeentscheidung zuständigen Sachbearbeiters, abzustellen, es sei denn, deren sichere Kenntnis liegt bei objektiver Betrachtung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt in jedem Fall schon dann, wenn die Behörde der Ansicht ist, dass die ihr vorliegenden Tatsachen für eine Rücknahme bzw. Aufhebung genügen. Im Regelfall beginnt die Frist erst zu laufen, wenn die Aufhebung bzw. Rücknahme der begünstigenden Entscheidung keine weiteren Ermittlungen mehr erfordert. Erst dann darf der Leistungsempfänger davon ausgehen, dass die Behörde den rechtsfehlerhaften Bescheid innerhalb eines Jahres nicht mehr revidiert. Dies ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB X durchgeführten Anhörung des Betroffenen (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 880/99 R), spätestens aber zu dem Zeitpunkt der Fall, an dem die Bewilligung erstmals aufgehoben wurde (so BSG, Urteil vom 06.04.2006 - B 7a AL 64/05 R). Dass sich dieser Aufhebungsbescheid durch Erlass eines neuen Rücknahmebescheides später erledigt hat, ändert daran nichts (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2006, a.a.O.).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze begann vorliegend die Jahresfrist am 08.08.2007 zu laufen. Der Beklagte hat die Kläger vor Erlass dieser Bescheide nicht nach § 24 SGB X angehört, so dass eine abgeschlossene Anhörung als regelmäßiger Beginn der Jahresfrist nicht in Betracht kommt. Nach Eingang des Schreibens des Hauptzollamtes K vom 04.07.2007 hat der zuständige Sachbearbeiter die den Kläger zu 1) betreffenden Auswertungen geprüft und am 08.08.2007 Horizontalübersichten bezüglich der den Klägern nach Anrechnung des vom Kläger zu 1) im streitigen Zeitraum nach den Ermittlungen des Hauptzollamtes K erzielten Arbeitsentgelts erstellt. Dies bedeutet, dass der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten seiner Ansicht nach zu diesem Zeitpunkt Kenntnis über alle erforderlichen Tatsachen - insbesondere also auch über ein vorsätzliches Verhalten des Klägers zu 1) - hatte, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides vom 11.05.2006 für die Vergangenheit, rechtfertigten. Die neuen Bescheide vom 13.08.2008, die die Bescheide vom 15.08.2007 vollständig ersetzen, sind aber nicht innerhalb eines Jahres, d.h. bis zum 08.08.2008, sondern erst danach erlassen worden.
Die Bescheide sind auch nicht insoweit rechtmäßig, als der Beklagte das vom Kläger zu 1) im September 2009 bei der Firma M GmbH erzielte Einkommen in Höhe von 283,23 Euro netto auf die der Bedarfsgemeinschaft im Monat Oktober 2006 zustehenden Leistungen angerechnet hat und seinen Bewilligungsbescheid vom 11.05.2006 bzgl. des Monats Oktober 2006 auch insoweit teilweise zurückgenommen hat. Entgegen der Ansicht des Beklagten steht unter Berücksichtigung der Verdienstabrechnung des Klägers zu 1) bereits nicht fest, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe ihm im Monat Oktober 2006 tatsächlich ein im September erzieltes Einkommen zugeflossen ist. Nach der Verdienstabrechnung der Firma M GmbH erfolgte eine "Auszahlung letzte Abrechnung" in Höhe von 236,56 EUR, die Nachzahlung in Höhe von 46,67 EUR sollte erst mit dem Gehalt im Oktober 2006 verrechnet werden. Letztlich kann dies aber dahinstehen, denn die Bescheide sind auch "insoweit", ungeachtet der Tatsache, dass der Beklagte erstmals die Verdienstabrechnung des Klägers zu 1) am 24.07.2008 erhalten und von der Höhe seines im September 2006 erzielten Lohns erfahren hat, nicht innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGBX erlassen worden.
Wie bereits oben ausgeführt (vgl. auch BSG, Urteil vom 25.01.1994 - 7 RAr 14/93 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32 sowie vom 27.07.1989 - 11/7 RAr 115/87= = SozR 1300 § 45 Nr 45), dient die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, damit auch die des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X, der Rechtssicherheit (BSGE 66, 204, 209 = SozR 3-1300 § 45 Nr 1). Unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger überhaupt Vertrauensschutz genießt, verliert die Verwaltung ein Jahr nach Kenntniserlangung das Recht, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen bzw aufzuheben. Wenn also der Rechtsverlust alleine schon aufgrund Zeitablaufs eintritt, kann die Jahresfrist erst zu laufen beginnen, wenn eine Rücknahme oder Aufhebung keine weiteren Ermittlungen mehr erfordert; ansonsten wäre die Behörde gezwungen, gewissermaßen vorsorglich einen Bescheid zu erlassen. Dass dies rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht genügte, bedarf keiner besonderen Begründung. Ein Leistungsempfänger kann sich andererseits erst dann darauf einstellen, dass die Behörde innerhalb eines Jahres reagieren wird, wenn diese objektiv in die Lage versetzt ist, frühere Bescheide zu revidieren (so BSG, Urteil vom 25.01.1994, a.a.O.).
In seiner Entscheidung vom 21.03.1990 (7 RAr 112/88 = SozR 3 – 1300 § 45 Nr. 2) hat das BSG ausgeführt, dass es für den Fristbeginn nicht ausreiche, wenn sich die Behörde die eine Rücknahme rechtfertigende Kenntnis früher hätte verschaffen können. In seiner späteren Entscheidung vom 25.01.1994 hat das BSG allerdings die Frage, ob und wann im Rahmen des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen dem Gesetzeswortlaut bloßes Kennenmüssen für den Fristbeginn ausreicht, wenn die Verschaffung positiver Kenntnis im beschriebenen Sinne schuldhaft unterbleibt, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 29.04.1992 (7 RAr 4/91) ausdrücklich offen gelassen, weil in dem zu entscheidenden Fall keine Umstände für den Vorwurf ersichtlich waren, die Beklagte habe sich positive Kenntnis der Tatsachen, die die Aufhebung der Leistungen rechtfertigten, schuldhaft nicht verschafft.
Der Senat folgt der Entscheidung des BSG vom 21.03.1990, a.a.O., grundsätzlich.
Eine Einschränkung des grundsätzliches Erfordernisse einer positiven Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen muss aber unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Norm, Rechtssicherheit zu schaffen, dann gelten, wenn sich die Behörde geradezu rechtsmissbräuchlich vor der erforderlichen Kenntnis verschließt. In einem solchen Fall muss das missbräuchliche Sichverschließen vor der Kenntnis der Kenntnis gleichgestellt werden (so auch Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 70. EL 2011, § 45 SGB X Rz. 29). Andernfalls würde der Betroffene, der sich darauf verlassen darf, dass sich die Behörde nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) gesetzesgemäß verhält und entsprechend ihrer sich aus § 20 Abs. 1 SGB X ergebenden Verpflichtung handelt, unzumutbar benachteiligt werden. Der Eintritt von Rechtssicherheit würde in einem solchen Fall allein von einer Willensentscheidung der Behörde, nämlich sich Kenntnis über die ihrer Ansicht nach noch erforderlichen Tatsachen zu verschaffen, abhängen. Allein die Behörde hätte es in der Hand, den Beginn der Jahresfrist auf eine unbestimmte – und allein von ihr abhängende – Zeit zu verschieben.
Vorliegend hat sich der Beklagte der Kenntnis über das vom Kläger zu 1) im September 2006 erzielte Einkommen in diesem Sinne missbräuchlich verschlossen. Der Kläger zu 1) hat am 27.09.2006, also einen Tag nach seiner Arbeitsaufnahme bei der Firma M GmbH, bei dem Beklagten vorgesprochen und ihm eine Ko-pie seines befristeten Arbeitsvertrages vorgelegt und damit seiner Mitteilungspflicht genügt. Nach dem am selben Tag von dem zuständigen Sachbearbeiter erstellten Vermerk hat er ihn daraufhin aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet. Er hat den Kläger zu 1) nicht aufgefordert, seine Verdienstabrechnung (zu einem bestimmten Zeitpunkt) vorzulegen. Der Beklagte hielt zu diesem Zeitpunkt eine Vorlage der Verdienstabrechnung nicht für erforderlich, weil er - dies ergibt sich aus dem handschriftlichen Vermerk - davon ausging, dass dem Kläger zu 1) das erste Einkommen aus der Tätigkeit bei der Firma M GmbH erst im November 2006 zufließen wird.
Nachdem der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt offensichtlich anderer Auffassung war, hätte er spätestens am 08.08.2007 eine Verdienstabrechnung des Klägers zu 1) für September 2006 anfordern müssen. An dem Tag hatte er die Horizontalübersichten erstellt, weil er beabsichtigte, die Leistungsbewilligung vom 11.05.2006 bezüglich des Zeitraums 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 teilweise "aufzuheben". Für die beabsichtigte Entscheidung war seine Kenntnis über die Höhe eines ggf. im Oktober zugeflossenen Einkommens erforderlich. Dass er sich diese Kenntnis trotz des konkreten Sachverhalts nicht verschafft hat, ist als ein missbräuchliches Sichverschließen vor der positiven Kenntniserlangung zu werten: Der Beklagte wusste zu diesem Zeitpunkt, dass der Kläger zu 1) nicht nur aus seiner Tätigkeit als Taxifahrer für die Firma Taxi F GmbH, (höheres) Einkommen im Monat Oktober 2006, sondern darüber hinaus auch aus seiner Be-schäftigung bei der Firma M GmbH Einkommen erzielt hat. Für die beabsichtigte – und ein paar Tage später auch erfolgte – Entscheidung war es erforderlich, sich sowohl bezüglich der Höhe des Einkommens des Klägers zu 1) als auch des Zeitpunkts des Zuflusses Kenntnis zu verschaffen. Der Beklagte hat sich dieser Tatsache jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen verschlossen und hat sich erst ein Jahr später, nämlich am 24.07.2008, die September 2006 betreffende Verdienstabrechnung vorlegen lassen.
Dahinstehen kann es daher, ob diese Rücknahme- und Erstattungsbescheide zudem rechtswidrig sind, weil es ihnen ggf. nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 30.03.2010 - L 3 AS L 3 AS 138/08) auch unter Berücksichtigung der Änderungsbescheide vom 21.10.2011 an der notwendigen Bestimmtheit iSd § 33 SGB X fehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Frage, ob unter Berücksichtigung der konkreten Umstände von einem missbräuchlichen Sichverschließen des Beklagten auszugehen ist, ist eine Einzelfallbewertung.
Rechtskraft
Aus
Saved