L 5 AS 187/11 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 20 AS 1926/10 -P
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 187/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts Dessau-Roßlau. In der Sache begehrt er in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren die Gewährung von Einstiegsgeld durch den Beklagten.

Der Kläger lebt zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen im Jahr 2007 geborenen Kind. Am 12. März 2010 hat er telefonisch und am 15. März 2010 schriftlich beim Beklagten einen Antrag auf Bewilligung eines Einstiegsgeldes nach § 16b des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II zur Aufnahme einer unbefristeten versicherungspflichtigen Tätigkeit gestellt. Er habe am 11. März 2010 eine Tätigkeit als Netzwerk-/Systemadministrator beim Arbeitgeber Y. T. in M. aufgenommen. Der Stundenlohn betrug ausweislich des Arbeitsvertrages 10,10 EUR brutto bei einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 173,34 Stunden.

Mit Bescheid vom 15. April 2010 lehnte der Beklagte die Gewährung von Einstiegsgeld ab. Bei der Bewilligung sei unter anderem der Lohnabstand zu nicht geförderten Arbeitnehmern zu beachten. Die Gewährung von Einstiegsgeld würde eine Besserstellung des Klägers im Vergleich zu geförderten Arbeitnehmern darstellen. Da es sich bei der Gewährung von Einstiegsgeld um eine "Kann-Leistung" handele und bei der Leistungsgewährung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 SGB II zusätzlich die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu berücksichtigen und Mitnahmeeffekte zu vermeiden seien, sei der Antrag abzulehnen. Den vom Kläger unter Verweis auf die hohen monatlichen Fahrtkosten (460 EUR) gegen den Ablehnungsbescheid eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die vom Kläger erzielte Entlohnung falle nicht in den Niedriglohnsektor in Sachsen-Anhalt. Das Einstiegsgeld diene jedoch als Anreiz zur Aufnahme einer niedrig bezahlten Beschäftigung.

Am 14. Juni 2010 hat der Kläger gegen die Ablehnung der Gewährung des Einstiegsgeldes Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt. Ohne die Gewährung des Einstiegsgeldes sei die Aufnahme der Tätigkeit aufgrund der hohen Fahrtkosten unwirtschaftlich. Er habe sich bereits am 11. März 2010 vor der Fahrt nach M. beim Beklagten telefonisch erkundigt, ob er Einstiegsgeld erhalten könne. Nachdem dies grundsätzlich bejaht worden sei, habe er geäußert, dieses zu beantragen.

Mit Beschluss vom 4. April 2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16b Abs. 1 Satz 1 SGB II seien nicht erfüllt. Hierzu gehöre insbesondere, dass die Erbringung des Einstiegsgeldes zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sei. Dabei gehe die Kammer davon aus, dass eine Erforderlichkeit im Sinne einer notwendigen Bedingung zu verstehen sei und Einstiegsgeld nur gewährt werden dürfe, wenn eine Eingliederung anders nicht erreicht werden könne. Dabei sei unerheblich, ob die entstehenden Fahrtkosten die Arbeitsaufnahme für den Kläger unwirtschaftlich erscheinen ließen oder ob dies über die absetzbaren Beträge bei der Einkommensanrechnung im SGB II abgefedert werden könnte. Vorliegend habe sich der Kläger verpflichtet, bereits am 11. März 2010 seine Arbeitsleistung zu erbringen. Erst nach Abschluss des Arbeitsvertrags und Antritt der Beschäftigung habe er beim Beklagten die Gewährung von Einstiegsgeld beantragt. Allein aus dieser zeitlichen Abfolge sei erkennbar, dass die Gewährung von Einstiegsgeld keine conditio sine qua non für die tatsächliche Arbeitsaufnahme dargestellt habe. Durch den zeitlichen Ablauf habe der Kläger auch bei Arbeitsaufnahme nicht darauf vertrauen können, dass der Beklagte das Einstiegsgeld gewähren werde.

Gegen den ihm am 8. April 2011 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 9. Mai 2011 (einem Montag) Beschwerde eingelegt. Einstiegsgeld könne auch dann gewährt werden, wenn die Hilfebedürftigkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit entfalle. Mit der gewählten Formulierung "Das Einstiegsgeld kann auch erbracht werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt" sei deutlich der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen, dem Berechtigten auch die Möglichkeit von Beantragung von Einstiegsgeld nach Aufnahme der Tätigkeit zu eröffnen. Er habe die Tätigkeit wegen der damit verbundenen erheblichen Fahrtkosten von seinem Wohnort in D. nach M. nur in der berechtigten Annahme aufgenommen, er würde hierfür Unterstützung durch die Gewährung von Einstiegsgeld erhalten. Er habe auch tatsächlich keine Möglichkeit gehabt, vor Abschluss des Arbeitsvertrages noch einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ihm sei bei dem Bewerbungsgespräch überraschend angetragen worden, sofort vor Ort den Arbeitsvertrag abzuschließen. Hätte er auf die Notwendigkeit verwiesen, zuvor Einstiegsgeld beantragen zu müssen und dementsprechend erst später den Arbeitsvertrag abschließen können, wäre ein anderer Bewerber mit sofortiger Verfügbarkeit bevorzugt worden. Insbesondere könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Förderung auch Existenzgründern bei der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit offenstehe, bei der gegebenenfalls erheblich höhere Einnahmen durch den Betroffenen erzielt werden könnten. Er habe hier einen Anspruch auf Gleichbehandlung.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

ihm unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 4. April 2011 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zur Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass das Antragserfordernis ausdrücklich in § 37 SGB II geregelt sei. Im Übrigen habe er sich nicht auf einen verspäteten Antragseingang berufen. Er bezieht sich im Wesentlichen auf seine bisherigen Argumente.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze des Beteiligten nebst Anlagen, auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft nach § 73a, 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Streitgegenstand der Klage übersteigt den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgeblichen Wert von 750 EUR. Der Kläger begehrt die Bewilligung eines Einstiegsgeldes nach § 16b SGB II. In welcher Höhe und für welchen Zeitraum er eine monatliche Förderung anstrebt, hat er nicht vorgetragen. In der Praxis beträgt jedoch das laufende Einstieggeld grundsätzlich 50% der Regelleistung desjenigen, der die Erwerbstätigkeit aufnimmt, hier mithin 161,50 EUR (vgl. LPK, 3. Aufl. § 16b, Rn. 14). Bei einer möglichen Förderungshöchstdauer von 24 Monaten ist mithin der Berufungswert überschritten. Das Sozialgericht hat die Ablehnung der Prozesskostenhilfe zudem auf die mangelnde Erfolgsaussicht der Klage gestützt.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei hat der Kläger gemäß § 115 ZPO für die Prozessführung sein Einkommen und Vermögen einzusetzen, soweit ihm dies nicht aufgrund der dort genannten Tatbestände unzumutbar ist.

Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. März 1990,1 BvR 94/88, NJW 1991, S. 413 f.). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 1998, B 13 RJ 83/97 R, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden.

Nach § 16b Abs. 1 SGB II kann zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Das Einstiegsgeld kann auch erbracht werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt.

Zu Recht hat das Sozialgericht entgegen der Ansicht des Klägers und des Beklagten darauf abgestellt, dass bereits die Tatbestandsvoraussetzungen der Regelung nicht erfüllt sind. Das Einstiegsgeld soll dem Hilfebedürftigen einen Anreiz für die Aufnahme einer unselbstständigen oder selbstständigen Tätigkeit bieten (BT-Drucks 15/1516 S. 59) und setzt mithin voraus, dass das Einstiegsgeld und die Aufnahme der Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Eine Bewilligung scheidet insoweit grundsätzlich aus, wenn - wie hier - die Förderung einer bereits ausgeübten Erwerbstätigkeit beantragt wird, ohne dass gleichzeitig Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Beschäftigung bestehen, beispielsweise von einer geringfügigen zu einer vollen Erwerbstätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006, B 11b AS 3/05 R, Rn. 16 zum gleichlautenden, bis 31. Dezember 2008 geltenden § 29 SGB II). Der vom Kläger zitierte Wortlaut der Vorschrift ( durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit ) bezieht sich mithin allein auf den Zeitpunkt des Wegfalls der Hilfsbedürftigkeit, nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung. Zudem lag am 12. März 2010 keine Arbeitslosigkeit des Klägers mehr vor. Er hatte bereits am 11. März 2010 die Beschäftigung aufgenommen. Auf die Umstände des Abschlusses des Arbeitsvertrages kommt es deshalb nicht an.

Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass der Kläger nach seinem eigenen, allerdings widersprüchlichen Vortrag bereits am 11. März 2010 noch vor Aufnahme der Tätigkeit einen telefonischen Antrag auf Bewilligung von Einstiegsgeld gestellt haben sollte, hätte die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Bei der Entscheidung des Beklagten, ob, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe er Einstiegsgeld gewährt, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Besonderheit einer Ermessensleistung ist es, dass das Gesetz der Verwaltung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise trotz Erfüllung der notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall eine bestimmte Rechtsfolge nicht vorgibt. Sie kann die begehrte Rechtsfolge verfügen, muss es aber nicht. Der Kläger hat in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I), nicht auf eine bestimmte Leistung.

Eine fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich des begehrten Einstiegsgeldes liegt hier nicht mit Wahrscheinlichkeit vor. Der Beklagte hat sein Ermessen bei der Entscheidung unter Berücksichtigung der vorliegenden Kenntnisse pflichtgemäß in einer dem Zweck der Ermächtigung des § 16b SGB II entsprechenden Weise ausgeübt, ohne die Grenzen des Ermessens zu überschreiten (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I).

Der Beklagte hat sich in seiner Entscheidung ausführlich damit auseinandergesetzt, welchen Zweck die Gewährung des Einstiegsgeldes hat und ob es für den Kläger erforderlich ist. Insbesondere förderungspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen hat er in seine Ermessensentscheidung einfließen lassen. Dass der Beklagte die Höhe der Fahrtkosten außer Acht gelassen hat, stellt keinen Ermessensfehler dar. Diese kann der Kläger beispielsweise steuerlich geltend machen. Sie beeinflussen jedenfalls nicht den vom Beklagten herangezogenen Umstand, dass die Entlohnung des Klägers bei der Firma Y. T. nicht in den Niedriglohnsektor fällt. In Ostdeutschland lag im Jahr 2010 die Niedriglohnschwelle bei 1.379 EUR brutto/Monat (vgl. www.lvz-online.de/nachrichten/mitteldeutschland/trend-zur-niedriglohn-gesellschaft-hat-sich-beschleunigt-rund-jeder-fuenfte-betroffen/r-mitteldeutschland-a-111665.html).

Dem Kläger ist zuzugeben, dass in den Fällen, in denen Einstiegsgeld an Hilfebedürftige gezahlt wird, um sich selbstständig zu machen, diese als Selbstständige höhere monatliche Einnahmen erzielen können. Dies aber stellt im Hinblick auf den Kläger entgegen seiner Ansicht keine gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) verstoßende Förderung dar. Die Förderung Selbstständiger unterliegt zusätzlichen gesonderten Tatbestandsvoraussetzungen (§ 16c SGB II), da der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass diese nicht über das notwendige Eigenkapital verfügen, um gerade zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit erforderliche Investitionen tätigen zu können. Zudem hat der Selbstständige in der Regel monatliche Ausgaben zum Betrieb seines Gewerbes und ungewisse Einnahmen, sodass es einer monatlichen Unterstützung bedürfen kann. Der Arbeitnehmer, der eine versicherungspflichtige Tätigkeit beginnt, ist durch das Arbeitsentgelt, das er monatlich erhält, insoweit abgesichert, dass er verlässlich zumindest einen Teil seines Lebensunterhaltes decken kann.

Die Beschwerde unterlag mithin der Zurückweisung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved