L 8 SF 100/12 AB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SF 100/12 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Befangenheitsantrag des Klägers im Verfahren S 7 U 3804/11 gegen den Richter J. wird abgelehnt.

Gründe:

Der Senat ist für die Entscheidung über das am 12.12.2011 beim SG eingegangene Ablehnungsgesuch des Klägers vom 12.12.2011 zuständig. Dem steht nicht entgegen, dass § 60 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - durch Art. 8 Ziffer 4 b) des Vierten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl I 3057) mit Wirkung zum 01.01.2012 (Art. 23) aufgehoben wurde (vgl. hierzu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2012 - L 11 SF 430/11 AB -, veröffentlicht im Internet: sozialgerichtsbarkeit.de, dem sich der Senat anschließt).

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Richter J. vom Sozialgericht ... (im Folgenden: J.) - beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen am 09.01.2012 - ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit von einem Prozessbeteiligten abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 60 Rdziff. 7). Dies ist dann der Fall, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann; es muss ein objektiver vernünftiger Grund vorliegen, der geeignet ist, den Antragsteller von seinem Standpunkt aus befürchten zu lassen, der abgelehnte Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. m.w.N.). Danach ist eine Besorgnis der Befangenheit nur dann begründet, wenn das prozessuale Vorgehen eines Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für den betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt. Insbesondere vermag ein Verfahrensfehler des Gerichts für sich allein noch nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Allerdings kann eine Häufung prozessualer Fehler stets zum Nachteil einer Partei auch bei einem besonnenen und vernünftigen Beteiligten den Eindruck einer unsachlichen Einstellung oder willkürlichen Verhaltens des Richters erwecken. Eine sachliche Meinungsäußerung über die Aussichten der Klage oder die Rechtslage rechtfertigt keine Besorgnis der Befangenheit (Bundesverwaltungsgericht NJW 79, 1316). Nicht ausreichend ist auch die Äußerung einer unrichtigen Rechtsauffassung, soweit sie nicht auf unsachlicher Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O., Rdziff. 8g, 8j). Ebenso wenig ist ausreichend, dass der Richter andere Klagen des Klägers abgewiesen hat (vgl. Bundesfinanzhof, NVwZ 98,663) oder als Richter in einem früheren Verfahren mitgewirkt hat, selbst wenn dieses eine gleichliegende Sache betraf (Mayer-Ladewig, a.a.O., Rdziff. 8r). Die Richterablehnung ist rechtsmissbräuchlich, wenn sie nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt und z.B. nur dazu dient, für unliebsam gehaltene Richter auszuschalten (Meyer-Ladewig a.a.O. Rdziff. 10c); denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass durch die Stattgabe des Ablehnungsgesuchs ein anderer als der gesetzlich vorgesehene Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) ohne oder sogar gegen den Willen des anderen Beteiligten zur Entscheidung berufen wird.

Auf der Grundlage dieser Beurteilungskriterien liegt eine begründete Besorgnis der Befangenheit bei J. nicht vor.

In dem beim Sozialgericht vom Kläger geführten Klageverfahren wendet er sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 23.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2011, mit dem nach durchgeführten Ermittlungen der Beklagten die Gewährung von Leistungen wegen eines vom Kläger geltend gemachten Arbeitsunfalls vom 16.06.2009 abgelehnt wurden, da die Angaben nicht ausreichten, um eine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses mit der erforderlichen Gewissheit nachzuweisen. Anlass des Befangenheitsantrages ist ein Schreiben des J. an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30.11.2011, in dem Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalles geäußert wurden, Hinweise im Falle einer Beweisaufnahme und einer sich gegebenenfalls ergebenden Strafbarkeit gegeben sowie gebeten wurde, mitzuteilen, ob die Klage zurückgenommen wird, oder zu den gerichtlichen Zweifeln qualifiziert Stellung zu nehmen.

Dieses Schreiben vom 30.11.2011 ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des J. zu rechtfertigen. Die im Schreiben vom 30.11.2011 geäußerte Ansicht, dass erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalles bestünden, wie er vom Kläger geschildert werde, die in den deutlichen Widersprüchlichkeiten begründet seien, entspricht vom Beklagten gefertigten Vermerken in der Verwaltungsakte, die den Akteninhalt im Wesentlichen zutreffend wiedergeben und die von J. geäußerten Zweifel nicht willkürlich erscheinen lassen. Diese Vermerke müssen nach Aktenlage dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund gewährter Akteneinsicht in die Verwaltungsakten (Schreiben der Beklagten vom 01.04.2011) bekannt sein, wovon J. in seinem Schreiben vom 30.11.2011 ersichtlich ausgeht. Dafür, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers diese Vermerke bekannt sind, spricht auch der Inhalt der Klagebegründung, in der auf die vom Beklagten in den Vermerken geäußerten Zweifel reagiert wird. Auf Widersprüchlichkeiten bei der Schilderung des Unfallhergangs in der Klagebegründung lässt sich der Hinweis erheblicher Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalles durch J. - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht beziehen. Unter diesen Umständen ist es nicht unsachlich, dass J. von einer Darstellung der die Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalles begründenden Widersprüchlichkeiten abgesehen hat. Hierauf lässt sich eine begründete Besorgnis der Befangenheit nicht stützen. Vielmehr liegt es im eigenen Interesse des Klägers, darüber in Kenntnis gesetzt zu werden, dass auch aus der Sicht des Gerichtes (erhebliche) Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalles bestehen. Dass J. in einer vorgefertigten Meinung befangen ist, kann dem Schreiben vom 30.11.2011 nicht entnommen werden. Vielmehr wird darin von einer (gegebenenfalls) durchzuführenden Beweisaufnahme ausgegangen. Die im Hinblick auf eine durchzuführende Beweisaufnahme und eine mögliche Strafrechtsrelevanz des Vorbringens des Klägers gemachten Hinweise lassen ebenfalls keine die Besorgnis der Befangenheit begründenden Äußerungen erkennen, sondern entsprechen vielmehr einer richterlichen Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger. Entsprechendes gilt für den Hinweis des J., der Vortrag des Klägers wirke ziemlich konstruiert. Dieser Hinweis hält sich im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung und damit der richterlichen Unabhängigkeit, der keine unsachliche Einstellung des J. oder gar Willkür zum Ausdruck bringt. Eine Wertung dahin, wie sie der Kläger vornimmt, J. halte den klägerischen Vortrag für eine Lüge und ihm werde Betrugsabsicht unterstellt, lässt sich aus diesem Hinweis nicht begründet ableiten. Ebenso wenig, dass die Hinweise des J. von ihrer Zielrichtung den Kläger einschüchtern sollen.

Insgesamt erscheinen die von J. im Schreiben vom 30.11.2011 gemachten Hinweise der Aktenlage entsprechend und inhaltlich angemessen. Auch sonst lässt sich der Gerichtsakte des SG nichts entnehmen, das auf eine begründete Besorgnis der Befangenheit von J. schließen ließe.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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