Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 3835/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 5670/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Dezember 2011 aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig sowie unter dem Vorbehalt der Rückforderung vom 15. November 2011 bis 31. März 2012, jedoch längstens bis zur Bestandskraft des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2011, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Höhe von 364,00 Euro monatlich, ab 1. Januar 2012 in Höhe von 374,00 Euro monatlich zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die im September 1940 geborene Antragstellerin ist deutsche Staatsbürgerin und als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie als erheblich gehbehindert (Merkzeichen G) anerkannt. Sie ist mit einem Iraker verheiratet und lebte seit 1977 mit ihrem Ehemann und ihrer 1966 geborenen Tochter bis kurz vor Beginn des Irakkrieges in Bagdad. Im März 2003 kam sie mit ihrer Tochter in die Bundesrepublik und wurde zusammen mit dieser in eine städtischen Wohnung (Notunterkunft) eingewiesen (Bescheid der Beklagten vom 14. April 2003). Der Ehemann blieb im Irak. Der Sohn der Antragstellerin lebte bereits vorher in Heidelberg. Zu diesem besteht nach ihren Angaben kein Kontakt mehr. Die Antragstellerin war und ist seit ihrem Zuzug nach Deutschland nicht krankenversichert. Einen Anspruch auf Regelaltersrente hat sie nicht, weil sie sich ihre Rentenversicherungsbeiträge vor der Übersiedlung in den Irak hatte erstatten lassen. Ihre Tochter ist nach Abschluss einer nach der Rückkehr nach Deutschland durchgeführten Ausbildung als Altenpflegerin berufstätig.
Zum 1. November 2010 zog die Antragstellerin mit ihrer Tochter aus der Notunterkunft aus und in eine Wohnung in den Lindenweg in Heidelberg ein (Kaltmiete 190,00 Euro monatlich zzgl. Nebenkosten von 38,65 Euro monatlich). Für Strom waren monatliche Abschläge von 50,00 Euro und für Gas von 44,80 Euro zu zahlen.
Die Antragstellerin erhielt vom 21. März 2003 bis 31. Januar 2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Leistungen wurden später zurückgefordert, nachdem die Antragstellerin aus dem Vermögen ihres Ehemannes über ihren Sohn im Februar 2004 einen Betrag von mehr als 54.000,- Euro erhalten hatte. Nach eigenen Angaben handelte es sich bei dieser Zahlung nicht um Unterhalt, sondern um eine eigene Forderung des Ehemannes gegenüber dem Sohn, die mit anwaltlicher Hilfe durchgesetzt worden sei. In der Folgezeit erstattete die Antragstellerin die nach dem BSHG gezahlten Leistungen und nahm einen späteren Weitergewährungsantrag zurück.
Im April 2006 und im September 2009 gestellte Neuanträge, in deren Rahmen sich die Antragstellerin darauf berief, das Vermögen sei aufgebraucht, lehnte die Antragsgegnerin wegen unzureichender Mitwirkung der Antragstellerin jeweils bindend ab.
Am 20. Januar 2011 stellte die Antragstellerin erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen. Die Antragsgegnerin führte Ermittlungen zur Frage des Vorliegens von Vermögen und Einkommen durch. Dabei ergaben sich zunächst keine Vermögenswerte oder Einkünfte der Antragstellerin. Einen Hausbesuch ließ die Antragstellerin nicht zu. Ein Kontenabrufersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern ergab im Oktober 2011 die Existenz weiterer teilweise aufgelöster bisher nicht bekannter Konten. Aktuell fehlen noch Kontoauszüge für vier ehemalige Konten bei der Postbank (Schriftsatz vom 19. Januar 2012).
Die Tochter der Antragstellerin verfügt über einen Anlagebetrag von rund 240.000 Euro (Stand 18. März 2011, vgl. Bl. 349 der Verwaltungsakte). Hierzu gab sie gegenüber der Antragsgegnerin in einer eidesstattlichen Versicherung vom 8. März 2011 an, dass sie diesen Betrag vor der Flucht aus dem Irak von Dritten erhalten und für diese angelegt habe. Sie selbst habe keinerlei Zugriffsrecht und keine Gelder entnommen.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2011 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Grundsicherungsleistungen wegen fehlender Mitwirkung ab. Die Antragstellerin habe die zur Bearbeitung notwendigen Unterlagen nicht vorgelegt und auch keinen Termin mit dem Außendienstmitarbeiter für einen Hausbesuch vereinbart. Über den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.
Am 15. November 2011 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 2. Dezember 2011 abgelehnt. Die Antragstellerin habe trotz Aufforderung vom 24. November 2011 ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht näher dargelegt und auch die geforderte eidesstattliche Versicherung nicht abgegeben.
Gegen diesen ihr am 5. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 23. Dezember 2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt. Ihre akute Notlage ergebe sich bereits daraus, dass sie keine Krankenkasse habe. Sie habe bereits nachgewiesen, dass auf ihren Konten kein Vermögen vorhanden sei. Sie versichere, dass sie kein Vermögen habe (eidesstattliche Versicherung). Ihre Tochter könne sie nicht unterstützen. Ihr Gehalt als Altenpflegerin reiche nur für eine Person. Die Konten seien schon seit Jahren aufgelöst. Das Recherchieren dauere längere Zeit und koste Geld. Einem Hausbesuch werde nur zugestimmt, wenn jemand vom Gericht dabei sei. Bereits in der alten Wohnung am B. sei ein Außendienstmitarbeiter gewesen, habe sie schikaniert und keine Rücksicht auf ihre Sehbehinderung genommen. Die in einem alten Haus gelegene jetzige Wohnung sei ein Büro gewesen, daher müsse noch einiges gemacht werden. Die Wohnung sei Privatsache. Es werde versichert, dass in der Wohnung kein Vermögen sei.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Dezember 2011 aufzu- heben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vor- läufig zu verpflichten, ihr ab 20. Januar 2011 Leistungen der Grundsiche- rung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin bestreite seit Anfang 2004 ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Stadt Heidelberg. Bei der erneuten Antragstellung im Januar 2011 sei es unbedingt notwendig gewesen, dass alle Unterlagen über bestehende Vermögenswerte aktuell und für die Vergangenheit vollständig vorgelegt würden, insbesondere um prüfen zu können, ob Vermögenswerte auf andere Personen oder Konten übertragen worden seien. Die Antragstellerin habe Verfügungsberechtigungen über verschiedene Konten der Tochter.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senates war.
II.
Die gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Neben der Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bedarf es weiter der Anordnungsvoraussetzungen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 - und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164); eine einstweilige Anordnung darf demnach nur erlassen werden, wenn sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Denn die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 28. März 2007 - L 7 AS 121/07 ER-B - und vom 2. September 2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B - (beide juris)). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind deshalb bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen nicht nur summarisch, sondern mit Blick auf das sich aus Art. 1 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie den grundrechtlich geschützten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) abschließend zu prüfen. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).
Der Versagungsbescheid der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2011 steht einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG nicht entgegen. Da der fristgerecht erhobene Widerspruch der Antragstellerin gegen diesen Bescheid aufschiebende Wirkung hat (§ 86a Abs. 1 Satz1 SGG), ist die Regelungswirkung dieses Bescheides suspendiert. Einer deklaratorischen Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (vgl. hierzu Beschluss des Senates vom 8. April 2010 - L 7 AS 304/10 ER-B - (juris)) bedarf es nicht, weil die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht bestreitet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen im Umfang des Beschlusstenors mit den dort ausgesprochenen Maßgaben vor; soweit die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde mehr erreichen möchte, nämlich im Hinblick auf das Vorliegens des Merkzeichens G die Gewährung eines Mehrbedarfes sowie von Leistungen für Unterkunft und Heizung, ist ihr der Erfolg zu versagen. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrages beim SG am 15. November 2011 abgelaufene Zeiträume erhebt. Insoweit ist bereits die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung zu verneinen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O.; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 259 (alle m.w.N.)), weil das Instrument der einstweiligen Regelungsanordnung nur der Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dient. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris); ferner Krodel, NZS 2007, 20, 21 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Einen derartigen Nachholbedarf hat die Antragstellerin hier jedoch weder glaubhaft gemacht noch ist ein solcher aus den vorliegenden Unterlagen zu erkennen.
Die Antragstellerin erfüllt die persönliche Leistungsvoraussetzung des § 41 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Sie ist vor dem 1. Januar 1947 geboren, nämlich 1940, und hat damit bereits im Jahr 2005 die maßgebliche Altersgrenze erreicht (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 2 SGB XII).
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 43 SGB XII) ist nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nur den Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können.
Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass die summarische Prüfung aller Angaben, Unterlagen und Beweismittel eine Reihe von gewichtigen Anhaltspunkten für das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin aufgrund fehlenden Einkommens und Vermögens ergibt.
Ein regelmäßiges Einkommen der im 72. Lebensjahr stehenden schwerbehinderten Antragstellerin ist nicht ersichtlich. Ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht nicht, weil die Beiträge vor der 1977 erfolgten Übersiedlung in den Irak erstattet worden sind. Anhaltspunkte für sonstige Altersbezüge liegen nicht vor.
Die Antragstellerin selbst trägt vor (und hat dies mit Schreiben vom 29. Dezember 2011 eidesstattlich bekräftigt), nicht über Vermögenswerte zu verfügen. Die bisher vorgelegten Kontounterlagen weisen auch keine nennenswerten Guthaben aus. Auf den aufgelösten Konten, für die die Antragsgegnerin weitere Informationen fordert, können aktuell keine Vermögenswerte mehr sein. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 26. April 2011 ausführlich zum Verbrauch des ihr im Februar 2004 zugewandten Vermögens vorgetragen (Bl. 369ff der Verwaltungsakte). Die dortigen Angaben erscheinen mit Blick auf den Zeitraum zwischen Februar 2004 und der Neuantragstellung im Januar 2011 sowie die geringen Einkünfte der Tochter der Antragstellerin zunächst aus der dreijährigen Ausbildung zur Altenpflegerin nachvollziehbar. Die Tochter der Antragstellerin behauptet hinsichtlich des ihrer Verfügungsberechtigung unterliegenden Vermögens in Höhe von rund 240.000,- Euro ein Treuhandverhältnis (eidesstattliche Versicherung vom 8. März 2011 - Bl. 317 der Verwaltungsakte-). Da auch auf Konten, für die die Antragstellerin verfügungsberechtigt war, Gelder aus diesem Vermögen angelegt waren (vgl. Erklärung der Antragstellerin vom 4. Februar 2011 - Bl. 291 der Verwaltungsakte -) und daher eine Zuordnung zur Antragstellerin nicht auszuschließen ist, muss das Vorliegen eines echten Treuhandverhältnisses weiter aufgeklärt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7aAL 10/06 R - (juris)). Für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Antragstellerin und ihrer Tochter sprechen die offenkundig bescheidenen Lebensverhältnisse, unter denen die Antragstellerin mit ihrer Tochter seit 2003 gelebt hat. So wurde noch bis November 2010 die städtische Notunterkunft bewohnt. Die neue Wohnung ist nach der Beschreibung im Schriftsatz der Antragstellerin vom 25. Januar 2012 ein früheres Büro in einem alten Haus. Die Kaltmiete ist mit 190,- Euro monatlich sehr niedrig. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin den von der Antragsgegnerin gewünschten Hausbesuch aus Scham vermeiden möchte. Ferner verfügt die Antragstellerin nicht über Krankenversicherungsschutz und hat caritative Leistungen (Tafel Heidelberg) in Anspruch genommen (vgl. Bl. 323ff der Verwaltungsakte).
Andererseits geben insbesondere die Vermögensverschiebungen zwischen der Antragstellerin und ihrer Tochter, das behauptete Treuhandverhältnis und der Umstand, dass die Antragstellerin seit 2004 ohne Grundsicherungsleistungen lebt und dabei mehrfach die Ablehnung von Leistungsanträgen akzeptiert hat, Grund für Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin. Dies gilt auch für die Verweigerung eines Hausbesuches, mit dem sich die persönlichen Lebensverhältnisse wesentlich besser feststellen ließen als durch Schriftverkehr. Es kann ferner nicht ausgeschlossen werden, dass sich aus Umsätzen auf den aufgelösten Konten Hinweise auf (verschobene) Vermögenswerte ergeben. Insgesamt besteht wegen der genannten Punkte - auch wenn vieles für einen Leistungsanspruch der Antragstellerin spricht - noch durchaus erheblicher Aufklärungsbedarf.
Dem vorstehend beschriebenen Aufklärungsbedarf kann der Senat im vorliegenden Eilverfahren nicht nachkommen. Es ist deshalb eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, die hier im Wesentlichen zu Gunsten der Antragstellerin den Ausschlag gibt. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Hauptsacherechtsbehelf aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsacherechtsbehelf dagegen erfolglos bliebe (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (juris)) und vom 25. Juni 2010 - L 7 SO 2034/10 ER-B -). Im Rahmen dieser Abwägung vorrangig zu berücksichtigen ist, dass mit den Grundsicherungsleistungen das grundgesetzlich garantierte menschenwürdige Dasein sichergestellt werden soll. Es ist nach derzeitiger Sachlage immerhin möglich, dass die Antragstellerin ohne Zuerkennung der vorläufigen Leistung ihren Lebensunterhalt nicht (vollständig) bestreiten kann. Insoweit kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass eine Rechtsverletzung nur in Randbereichen drohe. Würde die einstweilige Anordnung dagegen erlassen, während der Hauptsacherechtsbehelf erfolglos bliebe, hätte die Antragstellerin zwar Leistungen erhalten, die ihr nicht zustünden. Der Nachteil bestünde für die Antragsgegnerin ggf. darin, dass die Antragstellerin ihrer Rückzahlungsverpflichtung nicht nachkommen könnte und die Forderung damit uneinbringlich wäre. Diese eventuell zu befürchtenden Folgen haben indes angesichts der hier tangierten grundrechtlichen Belange der Antragstellerin zurückzustehen und fallen deshalb weniger ins Gewicht.
Die Frage der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites. Insoweit muss die Antragstellerin ein - ggf. gerichtliches - eigenständiges Verfahren gegen die Krankenkasse betreiben. Weshalb die Antragsgegnerin meint, die nicht festgestellte Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Indiz gegen das Bestehen des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen (Schriftsatz vom 19. Januar 2012), erschließt sich für den Senat nicht.
Der Senat hat die Höhe der vorläufigen Leistung auf den Regelbedarf (§ 27a SGB XII) begrenzt. Insoweit liegt auch ein Anordnungsgrund vor, weil - wie bereits erwähnt - nicht auszuschließen ist, dass die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt nicht vollständig bestreiten kann und dies auch der Grund ist, caritative Angebote zu beanspruchen. Für das darüber hinausgehende Begehren der Antragstellerin (Mehrbedarf, Leistungen für Unterkunft und Heizung) fehlt es aber an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin wurde seit Jahren durch ihre Tochter unterstützt. Die Inanspruchnahme dieser Unterstützung ist ihr nach derzeitigem Stand bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiterhin zuzumuten. Die Tochter der Antragstellerin hat auch die weitere Unterstützung nicht etwa mit sofortiger Wirkung aufgekündigt, sondern lediglich erklärt, es wäre schön, wenn sich die Antragstellerin zur Hälfte an der Miete beteiligen und ihren Lebensunterhalt selbst sicherstellen könne, da ihr eigenes Einkommen nicht ausreichend sei (Erklärung vom 10. März 2011 - Bl. 319 der Verwaltungsakte -)
Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war deshalb im tenorierten Umfang stattzugeben. Allerdings hat der Senat von dem ihm nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO zustehenden freien Ermessen dahingehend Gebrauch gemacht, dass er den Zeitraum der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zum 31. März 2012, jedoch längstens bis zur Bestandskraft des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2011, begrenzt hat. Bis dahin dürfte zwischen den Beteiligten eine weitere Sachaufklärung erfolgt sein. Der Antragstellerin wird insoweit im eigenen Interesse empfohlen, der Antragsgegnerin - ggf. unter Hinzuziehung eines neutralen Dritten - einen Hausbesuch zu ermöglichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6). Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass das Begehren der Antragstellerin nur zum Teil Erfolg hatte.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die im September 1940 geborene Antragstellerin ist deutsche Staatsbürgerin und als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie als erheblich gehbehindert (Merkzeichen G) anerkannt. Sie ist mit einem Iraker verheiratet und lebte seit 1977 mit ihrem Ehemann und ihrer 1966 geborenen Tochter bis kurz vor Beginn des Irakkrieges in Bagdad. Im März 2003 kam sie mit ihrer Tochter in die Bundesrepublik und wurde zusammen mit dieser in eine städtischen Wohnung (Notunterkunft) eingewiesen (Bescheid der Beklagten vom 14. April 2003). Der Ehemann blieb im Irak. Der Sohn der Antragstellerin lebte bereits vorher in Heidelberg. Zu diesem besteht nach ihren Angaben kein Kontakt mehr. Die Antragstellerin war und ist seit ihrem Zuzug nach Deutschland nicht krankenversichert. Einen Anspruch auf Regelaltersrente hat sie nicht, weil sie sich ihre Rentenversicherungsbeiträge vor der Übersiedlung in den Irak hatte erstatten lassen. Ihre Tochter ist nach Abschluss einer nach der Rückkehr nach Deutschland durchgeführten Ausbildung als Altenpflegerin berufstätig.
Zum 1. November 2010 zog die Antragstellerin mit ihrer Tochter aus der Notunterkunft aus und in eine Wohnung in den Lindenweg in Heidelberg ein (Kaltmiete 190,00 Euro monatlich zzgl. Nebenkosten von 38,65 Euro monatlich). Für Strom waren monatliche Abschläge von 50,00 Euro und für Gas von 44,80 Euro zu zahlen.
Die Antragstellerin erhielt vom 21. März 2003 bis 31. Januar 2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Leistungen wurden später zurückgefordert, nachdem die Antragstellerin aus dem Vermögen ihres Ehemannes über ihren Sohn im Februar 2004 einen Betrag von mehr als 54.000,- Euro erhalten hatte. Nach eigenen Angaben handelte es sich bei dieser Zahlung nicht um Unterhalt, sondern um eine eigene Forderung des Ehemannes gegenüber dem Sohn, die mit anwaltlicher Hilfe durchgesetzt worden sei. In der Folgezeit erstattete die Antragstellerin die nach dem BSHG gezahlten Leistungen und nahm einen späteren Weitergewährungsantrag zurück.
Im April 2006 und im September 2009 gestellte Neuanträge, in deren Rahmen sich die Antragstellerin darauf berief, das Vermögen sei aufgebraucht, lehnte die Antragsgegnerin wegen unzureichender Mitwirkung der Antragstellerin jeweils bindend ab.
Am 20. Januar 2011 stellte die Antragstellerin erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen. Die Antragsgegnerin führte Ermittlungen zur Frage des Vorliegens von Vermögen und Einkommen durch. Dabei ergaben sich zunächst keine Vermögenswerte oder Einkünfte der Antragstellerin. Einen Hausbesuch ließ die Antragstellerin nicht zu. Ein Kontenabrufersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern ergab im Oktober 2011 die Existenz weiterer teilweise aufgelöster bisher nicht bekannter Konten. Aktuell fehlen noch Kontoauszüge für vier ehemalige Konten bei der Postbank (Schriftsatz vom 19. Januar 2012).
Die Tochter der Antragstellerin verfügt über einen Anlagebetrag von rund 240.000 Euro (Stand 18. März 2011, vgl. Bl. 349 der Verwaltungsakte). Hierzu gab sie gegenüber der Antragsgegnerin in einer eidesstattlichen Versicherung vom 8. März 2011 an, dass sie diesen Betrag vor der Flucht aus dem Irak von Dritten erhalten und für diese angelegt habe. Sie selbst habe keinerlei Zugriffsrecht und keine Gelder entnommen.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2011 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Grundsicherungsleistungen wegen fehlender Mitwirkung ab. Die Antragstellerin habe die zur Bearbeitung notwendigen Unterlagen nicht vorgelegt und auch keinen Termin mit dem Außendienstmitarbeiter für einen Hausbesuch vereinbart. Über den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.
Am 15. November 2011 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 2. Dezember 2011 abgelehnt. Die Antragstellerin habe trotz Aufforderung vom 24. November 2011 ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht näher dargelegt und auch die geforderte eidesstattliche Versicherung nicht abgegeben.
Gegen diesen ihr am 5. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 23. Dezember 2011 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt. Ihre akute Notlage ergebe sich bereits daraus, dass sie keine Krankenkasse habe. Sie habe bereits nachgewiesen, dass auf ihren Konten kein Vermögen vorhanden sei. Sie versichere, dass sie kein Vermögen habe (eidesstattliche Versicherung). Ihre Tochter könne sie nicht unterstützen. Ihr Gehalt als Altenpflegerin reiche nur für eine Person. Die Konten seien schon seit Jahren aufgelöst. Das Recherchieren dauere längere Zeit und koste Geld. Einem Hausbesuch werde nur zugestimmt, wenn jemand vom Gericht dabei sei. Bereits in der alten Wohnung am B. sei ein Außendienstmitarbeiter gewesen, habe sie schikaniert und keine Rücksicht auf ihre Sehbehinderung genommen. Die in einem alten Haus gelegene jetzige Wohnung sei ein Büro gewesen, daher müsse noch einiges gemacht werden. Die Wohnung sei Privatsache. Es werde versichert, dass in der Wohnung kein Vermögen sei.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Dezember 2011 aufzu- heben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vor- läufig zu verpflichten, ihr ab 20. Januar 2011 Leistungen der Grundsiche- rung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin bestreite seit Anfang 2004 ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Stadt Heidelberg. Bei der erneuten Antragstellung im Januar 2011 sei es unbedingt notwendig gewesen, dass alle Unterlagen über bestehende Vermögenswerte aktuell und für die Vergangenheit vollständig vorgelegt würden, insbesondere um prüfen zu können, ob Vermögenswerte auf andere Personen oder Konten übertragen worden seien. Die Antragstellerin habe Verfügungsberechtigungen über verschiedene Konten der Tochter.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senates war.
II.
Die gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Neben der Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bedarf es weiter der Anordnungsvoraussetzungen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 - und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164); eine einstweilige Anordnung darf demnach nur erlassen werden, wenn sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Denn die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 28. März 2007 - L 7 AS 121/07 ER-B - und vom 2. September 2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B - (beide juris)). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind deshalb bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen nicht nur summarisch, sondern mit Blick auf das sich aus Art. 1 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie den grundrechtlich geschützten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) abschließend zu prüfen. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).
Der Versagungsbescheid der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2011 steht einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG nicht entgegen. Da der fristgerecht erhobene Widerspruch der Antragstellerin gegen diesen Bescheid aufschiebende Wirkung hat (§ 86a Abs. 1 Satz1 SGG), ist die Regelungswirkung dieses Bescheides suspendiert. Einer deklaratorischen Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (vgl. hierzu Beschluss des Senates vom 8. April 2010 - L 7 AS 304/10 ER-B - (juris)) bedarf es nicht, weil die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht bestreitet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen im Umfang des Beschlusstenors mit den dort ausgesprochenen Maßgaben vor; soweit die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde mehr erreichen möchte, nämlich im Hinblick auf das Vorliegens des Merkzeichens G die Gewährung eines Mehrbedarfes sowie von Leistungen für Unterkunft und Heizung, ist ihr der Erfolg zu versagen. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrages beim SG am 15. November 2011 abgelaufene Zeiträume erhebt. Insoweit ist bereits die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung zu verneinen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O.; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 259 (alle m.w.N.)), weil das Instrument der einstweiligen Regelungsanordnung nur der Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dient. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris); ferner Krodel, NZS 2007, 20, 21 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Einen derartigen Nachholbedarf hat die Antragstellerin hier jedoch weder glaubhaft gemacht noch ist ein solcher aus den vorliegenden Unterlagen zu erkennen.
Die Antragstellerin erfüllt die persönliche Leistungsvoraussetzung des § 41 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Sie ist vor dem 1. Januar 1947 geboren, nämlich 1940, und hat damit bereits im Jahr 2005 die maßgebliche Altersgrenze erreicht (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 2 SGB XII).
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 43 SGB XII) ist nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nur den Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können.
Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass die summarische Prüfung aller Angaben, Unterlagen und Beweismittel eine Reihe von gewichtigen Anhaltspunkten für das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin aufgrund fehlenden Einkommens und Vermögens ergibt.
Ein regelmäßiges Einkommen der im 72. Lebensjahr stehenden schwerbehinderten Antragstellerin ist nicht ersichtlich. Ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht nicht, weil die Beiträge vor der 1977 erfolgten Übersiedlung in den Irak erstattet worden sind. Anhaltspunkte für sonstige Altersbezüge liegen nicht vor.
Die Antragstellerin selbst trägt vor (und hat dies mit Schreiben vom 29. Dezember 2011 eidesstattlich bekräftigt), nicht über Vermögenswerte zu verfügen. Die bisher vorgelegten Kontounterlagen weisen auch keine nennenswerten Guthaben aus. Auf den aufgelösten Konten, für die die Antragsgegnerin weitere Informationen fordert, können aktuell keine Vermögenswerte mehr sein. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 26. April 2011 ausführlich zum Verbrauch des ihr im Februar 2004 zugewandten Vermögens vorgetragen (Bl. 369ff der Verwaltungsakte). Die dortigen Angaben erscheinen mit Blick auf den Zeitraum zwischen Februar 2004 und der Neuantragstellung im Januar 2011 sowie die geringen Einkünfte der Tochter der Antragstellerin zunächst aus der dreijährigen Ausbildung zur Altenpflegerin nachvollziehbar. Die Tochter der Antragstellerin behauptet hinsichtlich des ihrer Verfügungsberechtigung unterliegenden Vermögens in Höhe von rund 240.000,- Euro ein Treuhandverhältnis (eidesstattliche Versicherung vom 8. März 2011 - Bl. 317 der Verwaltungsakte-). Da auch auf Konten, für die die Antragstellerin verfügungsberechtigt war, Gelder aus diesem Vermögen angelegt waren (vgl. Erklärung der Antragstellerin vom 4. Februar 2011 - Bl. 291 der Verwaltungsakte -) und daher eine Zuordnung zur Antragstellerin nicht auszuschließen ist, muss das Vorliegen eines echten Treuhandverhältnisses weiter aufgeklärt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7aAL 10/06 R - (juris)). Für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Antragstellerin und ihrer Tochter sprechen die offenkundig bescheidenen Lebensverhältnisse, unter denen die Antragstellerin mit ihrer Tochter seit 2003 gelebt hat. So wurde noch bis November 2010 die städtische Notunterkunft bewohnt. Die neue Wohnung ist nach der Beschreibung im Schriftsatz der Antragstellerin vom 25. Januar 2012 ein früheres Büro in einem alten Haus. Die Kaltmiete ist mit 190,- Euro monatlich sehr niedrig. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin den von der Antragsgegnerin gewünschten Hausbesuch aus Scham vermeiden möchte. Ferner verfügt die Antragstellerin nicht über Krankenversicherungsschutz und hat caritative Leistungen (Tafel Heidelberg) in Anspruch genommen (vgl. Bl. 323ff der Verwaltungsakte).
Andererseits geben insbesondere die Vermögensverschiebungen zwischen der Antragstellerin und ihrer Tochter, das behauptete Treuhandverhältnis und der Umstand, dass die Antragstellerin seit 2004 ohne Grundsicherungsleistungen lebt und dabei mehrfach die Ablehnung von Leistungsanträgen akzeptiert hat, Grund für Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin. Dies gilt auch für die Verweigerung eines Hausbesuches, mit dem sich die persönlichen Lebensverhältnisse wesentlich besser feststellen ließen als durch Schriftverkehr. Es kann ferner nicht ausgeschlossen werden, dass sich aus Umsätzen auf den aufgelösten Konten Hinweise auf (verschobene) Vermögenswerte ergeben. Insgesamt besteht wegen der genannten Punkte - auch wenn vieles für einen Leistungsanspruch der Antragstellerin spricht - noch durchaus erheblicher Aufklärungsbedarf.
Dem vorstehend beschriebenen Aufklärungsbedarf kann der Senat im vorliegenden Eilverfahren nicht nachkommen. Es ist deshalb eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, die hier im Wesentlichen zu Gunsten der Antragstellerin den Ausschlag gibt. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Hauptsacherechtsbehelf aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsacherechtsbehelf dagegen erfolglos bliebe (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (juris)) und vom 25. Juni 2010 - L 7 SO 2034/10 ER-B -). Im Rahmen dieser Abwägung vorrangig zu berücksichtigen ist, dass mit den Grundsicherungsleistungen das grundgesetzlich garantierte menschenwürdige Dasein sichergestellt werden soll. Es ist nach derzeitiger Sachlage immerhin möglich, dass die Antragstellerin ohne Zuerkennung der vorläufigen Leistung ihren Lebensunterhalt nicht (vollständig) bestreiten kann. Insoweit kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass eine Rechtsverletzung nur in Randbereichen drohe. Würde die einstweilige Anordnung dagegen erlassen, während der Hauptsacherechtsbehelf erfolglos bliebe, hätte die Antragstellerin zwar Leistungen erhalten, die ihr nicht zustünden. Der Nachteil bestünde für die Antragsgegnerin ggf. darin, dass die Antragstellerin ihrer Rückzahlungsverpflichtung nicht nachkommen könnte und die Forderung damit uneinbringlich wäre. Diese eventuell zu befürchtenden Folgen haben indes angesichts der hier tangierten grundrechtlichen Belange der Antragstellerin zurückzustehen und fallen deshalb weniger ins Gewicht.
Die Frage der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites. Insoweit muss die Antragstellerin ein - ggf. gerichtliches - eigenständiges Verfahren gegen die Krankenkasse betreiben. Weshalb die Antragsgegnerin meint, die nicht festgestellte Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Indiz gegen das Bestehen des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen (Schriftsatz vom 19. Januar 2012), erschließt sich für den Senat nicht.
Der Senat hat die Höhe der vorläufigen Leistung auf den Regelbedarf (§ 27a SGB XII) begrenzt. Insoweit liegt auch ein Anordnungsgrund vor, weil - wie bereits erwähnt - nicht auszuschließen ist, dass die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt nicht vollständig bestreiten kann und dies auch der Grund ist, caritative Angebote zu beanspruchen. Für das darüber hinausgehende Begehren der Antragstellerin (Mehrbedarf, Leistungen für Unterkunft und Heizung) fehlt es aber an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin wurde seit Jahren durch ihre Tochter unterstützt. Die Inanspruchnahme dieser Unterstützung ist ihr nach derzeitigem Stand bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiterhin zuzumuten. Die Tochter der Antragstellerin hat auch die weitere Unterstützung nicht etwa mit sofortiger Wirkung aufgekündigt, sondern lediglich erklärt, es wäre schön, wenn sich die Antragstellerin zur Hälfte an der Miete beteiligen und ihren Lebensunterhalt selbst sicherstellen könne, da ihr eigenes Einkommen nicht ausreichend sei (Erklärung vom 10. März 2011 - Bl. 319 der Verwaltungsakte -)
Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war deshalb im tenorierten Umfang stattzugeben. Allerdings hat der Senat von dem ihm nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO zustehenden freien Ermessen dahingehend Gebrauch gemacht, dass er den Zeitraum der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zum 31. März 2012, jedoch längstens bis zur Bestandskraft des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2011, begrenzt hat. Bis dahin dürfte zwischen den Beteiligten eine weitere Sachaufklärung erfolgt sein. Der Antragstellerin wird insoweit im eigenen Interesse empfohlen, der Antragsgegnerin - ggf. unter Hinzuziehung eines neutralen Dritten - einen Hausbesuch zu ermöglichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6). Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass das Begehren der Antragstellerin nur zum Teil Erfolg hatte.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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