L 17 U 195/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 87/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 195/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der zumindest wesentlich teilursächlichen, durch eine als Berufskrankheit anerkannte Silikose entstandene Folgeerkrankung (hier: Wegner´sche Granulomatose), die zum Tod des Versicherten geführt hat.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2008 wird aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 12.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2005 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Klägerin ist Witwe und Rechtsnachfolgerin des 1936 geborenen und 2004 verstorbenen Versicherten H. A. (V). Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen und - als Voraussetzung hierfür - über die Frage, ob die beim verstorbenen V festgestellte Wegener`sche Granulomatose (WG) durch eine als Berufskrankheit nach Nummer 4101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannte Silikose wesentlich verursacht wurde und diese den Tod des Versicherten wesentlich herbeigeführt hat.

V war von 1955 bis ca. 1965 im Steinkohlebergbau tätig und sodann nach kurzzeitigen Tätigkeiten als ungelernter Arbeiter beziehungsweise als Bauarbeiter vom Januar 1968 bis März 1997 in einem Tiefbauunternehmen im Rohrleitungsbau. Seit August 1996 bezog er eine Berufsunfähigkeitsrente.

Nach Einholung eines Gutachtens des Internisten und Lungenfacharztes Dr. F. erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 05.02.1998 eine Silikose des V als Berufskrankheit nach Nummer 4101 der Anlage zur BKV an. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens des Lungenfacharztes Dr. F. vom 07.12.1999 gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 14.09.2001 dem V eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH ab 08.12.1999. Als Berufskrankheitsfolgen wurden damals unter anderem festgestellt: Quarzstaub-Veränderungen der Lungen und dadurch bedingte Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf.

Nach Durchführung von stationären Aufenthalten im D. im August 2002 sowie zwei Aufenthalten anschließend im E. wurde bei V erstmals die Diagnose des dringenden Verdachts auf WG mit Lungen- und Nierenbeteiligung gestellt. Bei späteren stationären Aufenthalten wurde die WG klinisch und serologisch gesichert.

Am 09.02.2004 ließ die Beklagte V gutachtlich im Klinikum O. untersuchen. In seinem Gutachten vom 26.02.2004 stellte Dr. H. fest, dass es zu einer deutlichen Verschlechterung der respiratorischen Situation gekommen sei und dies auf eine WG zurückzuführen sei. Inwieweit diese eine Folgeerkrankung der Silikose sei, sei derzeit unklar, da dies eine seltene Lungenkrankheit darstelle. Er empfahl, die WG als Folge der Berufskrankheit anzuerkennen und bewertete die MdE ab 17.04.2002 mit 100 vH sowie ab 01.08.2003 mit 40 vH.

Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. R. vom 30.04.2004 ein, die zu dem Ergebnis kommt, dass keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen Ursachenzusammenhang des Auftretens einer WG bei gleichzeitiger Silikose gegeben seien.

V verstarb sodann am 20.10.2004 im Rahmen eines stationären Aufenthalts im E. durch zentrales Regulationsversagen bei multiplen großen zentralen Raumforderungen. Es wurde eine Obduktion durchgeführt, die das Vorliegen einer WG mit ausgedehntem Pansinusitis, Lungen- und Nierenbeteiligung sowie einer Lungensilikose ergab.

Dr. R. kam in einer weiteren Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die als Berufskrankheit anerkannte Silikose nicht die wesentliche Ursache für den Tod des V gewesen sei.

Mit Bescheid vom 12.08.2005 (Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005) lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab.

Am 09.01.2006 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage mit Beschluss vom 17.03.2006 an das Sozialgericht Würzburg (SG) verwiesen.

Das SG hat ein Gutachten des Internisten, Lungenfacharztes, Facharztes für Arbeitsmedizin, Allergologie und Umweltmedizin Professor Dr. M. vom 05.06.2007 eingeholt, das zu dem Ergebnis kommt, der Versicherte sei an den Folgen einer WG verstorben. Eine Assoziation zwischen der beim Versicherten als Berufskrankheit anerkannten Silikose und der WG sei nicht anerkannte Lehrmeinung.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das SG sodann ein Gutachten des Dr. H. vom 17.12.2007 eingeholt, das zu dem Ergebnis kommt, die bei V festgestellte Granulomatose beruhe wahrscheinlich auf der zu Grunde liegenden Silikose.

Das SG hat die Beklagte daraufhin mit Urteil vom 27.03.2008 unter Abänderung des Bescheides vom 12.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 verurteilt, Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Das Urteil wurde der Beklagten am 11.04.2008 zugestellt.

Am 24.04.2008 hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Senat hat ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin, Internist/Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin Professor Dr. C. vom 22.10.2010 eingeholt, das zu dem Ergebnis kommt, die vorliegenden Befunde aus dem E. könnten eine MdE von 100 vH für den Zeitraum vom 17.04.2002 bis 31.07.2003 nicht hinreichend begründen. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum Dr. H. die Rückstufung der MdE von 100 vH100 auf 40 vH vorschlage. Die alleinige klinische Verschlechterung vor Einleitung der Immunsuppression rechtfertige die MdE 100 vH nicht. Würde man der Ansicht folgen, dass die WG als Berufskrankheitenfolge anzusehen sei, so wäre eine MdE -Erhöhung auf 40 vH ab dem 01.08.2003 bei vorher gleich bleibender MdE von 20 vH nachzuvollziehen gewesen. Die Diagnose der WG werde nicht angezweifelt. Der Beginn könne bei V auf den Monat August 2002 datiert werden, verstorben sei er nach einer Krankheitsdauer von 26 Monaten. Die Symptomatik der WG sei sehr uneinheitlich. Die im vorliegenden Fall nachgewiesene zentralnervöse Manifestation in Form von Veränderungen, die an Rundherde denken lasse, sei selten und liege bei 4 -8 % der Patienten vor. Ein eindeutig wissenschaftlich gesicherter Zusammenhang zwischen Silikonstaubexposition und der WG könne derzeit nicht belegt werden. Die WG könne nicht als Berufskrankheit infolge der anerkannten Berufskrankheit gewertet werden. Der Tod des V sei ausschließlich durch den systemischen Befall der WG herbeigeführt worden. Eine Anerkennung der WG nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sei anhand der jetzigen wissenschaftlichen Datenlage nicht zu rechtfertigen. Die mit Bescheid vom 05.02.1998 anerkannte Silikose und die daraus resultierenden Folgen haben weder den Tod zusammen mit einem von ihr unabhängigen Leiden gemeinsam herbeigeführt noch sei die Silikose gleichwertige Ursache für den Tod gewesen. Sie habe auch ein bestehendes Leiden nicht so verschlimmert, dass der Eintritt des Todes um wenigstens ein Jahr beschleunigt worden sei.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.09.2011 hat Prof. Dr. C. ausgeführt, die silikogene Staubbelastung als entscheidender teilursächlicher Zusammenhang mit der Genese der WG lasse sich auch unter Heranziehung der Literaturstellen, die Dr. H. zitiert habe, nicht belegen. Auch Prof. Dr. M. habe in Übereinstimmung mit dem Gutachter darauf hingewiesen, dass zwar Hinweise zwischen der WG und einer beruflichen Exposition zunehmen würde, dass aber ein multifaktorielles Geschehen entscheidend sei und somit ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Exposition, den Quarzstäuben und dem Auftreten der WG nicht gesichert werden könne. Die vorliegenden Ergebnisse seien derart widersprüchlich in der internationalen Literatur, dass auch unter der Maßgabe der Seltenheit des Krankheitsbildes hierdurch keine Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs abgeleitet werden könne. Es werde weder teilursächlich noch ursächlich ein Zusammenhang zwischen der silikogenen Staubbelastung und der WG gesehen. Auch die aktuelle Literatur habe kein signifikant erhöhtes berufliches Risiko bei der Entwicklung einer WG festgestellt. Es habe sich keine Literaturstelle gefunden, wodurch sich ein ursächlicher bzw. teilursächlicher Zusammenhang zwischen silikogener Staubbelastung und WG als wahrscheinlich ergeben würde.

Die Beklagte hat ausgeführt, vorliegend greife die Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 S. 1 SGB VII nicht ein. Die Anerkennung der WG als Folgeerkrankung der anerkannten Silikose scheitere an der mangelnden Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der als Berufskrankheit anerkannten Silikose und der als Folgeerkrankung geltend gemachten WG könne nicht mit dem erforderlichen Grad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Dr. R. habe ausgeführt, dass die Anerkennung der WG als Folgeerkrankung der Silikose lediglich auf wissenschaftlichen Spekulationen basiere. Nur Dr. H. sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die WG als Folgeerkrankung der Silikose zu werten sei. Er habe im Gutachten vom 26.02.2004 eingeräumt, dass derzeit unklar sei, inwiefern die WG möglicherweise Folgekrankheit einer Silikose sein könne. Er habe ferner ausgeführt, dass mögliche Mechanismen die generell immunologischen Wirkungen von Silikaten zu sein scheinen. Nach den Beweisanforderungen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung genüge die bloße Möglichkeit nicht, um die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Berufskrankheit und Berufskrankheitenfolgen nachzuweisen. Die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungszusammenhänge müsse vielmehr auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand könne ein Ursachenzusammenhang zwischen der Silikose und der WG nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Prof. Dr. C. habe auch nicht verkannt, dass für die Annahme des geforderten ursächlichen Zusammenhangs die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreiche.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des SG Würzburg vom 27.03.2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2008 zurückzuweisen.

Sie führt aus, es reiche für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Silikose und der WG eine hinreichende Wahrscheinlichkeit aus. Auch sei zu klären, ob der eingetretene Tod mit Wahrscheinlichkeit auf die Silikose zurückzuführen sei. Dies impliziere auch die Frage, ob die anerkannte Berufskrankheit allein oder auch als Teil eines Ursachenbündels die in Rede stehende WG wesentlich mitverursacht habe. Dabei sei der Begriff wesentlich nicht identisch mit den Begriffen überwiegend, gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Vielmehr könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern eine rein rechnerisch zu wertende Bedingung für den Erfolg rechtlich wesentlich sein. Ein mitwirkender Faktor sei nur dann rechtlich unwesentlich, wenn der von der einen oder anderen Mitursache ganz in den Hintergrund gedrängt werde. Die im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität geforderte Wahrscheinlichkeit bedeute regelmäßig, dass nach geltender ärztlich wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Einwirkung sprechen müsse. Keinesfalls werde ein eindeutig gesicherter Zusammenhang gefordert. Der Sachverständige Prof. Dr. C. gehe also von unzutreffenden rechtlichen Vorgaben aus. Im vorliegenden Streitfall sei das SG aufgrund der überzeugenden gutachterlichen Ausführungen von Dr. H. unter Berücksichtigung des Gutachtens Dr. M. mit hinreichenden Erwägungen zu der Erkenntnis gelangt, dass der Tod des Versicherten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die als BK anerkannte Silikose sowie die hieraus als mittelbare BK-Folge resultierende WG verursacht worden sei. Es reiche deshalb zur Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs die Feststellung der gerichtsärztlichen Sachverständigen Professor Dr. M. und Dr. H. aus, dass bei Silikosepatienten ein signifikant erhöhtes Risiko anzunehmen sei, an einer WG zu erkranken. Auch Professor Dr. C. habe in seinem Gutachten dargelegt, dass in der neuesten wissenschaftlichen Literatur darauf hingewiesen werde, dass die Evidenz eines Zusammenhangs zwischen dem Auftreten einer WG und Exposition gegenüber silikogenen Stäuben in den letzten Jahren weiter zunehme. Auch würden silikogene Stäube eine Immunantwort hervorrufen. Hinsichtlich eines etwaigen multifaktoriellen Zusammenspiels sei in rechtlicher Hinsicht die oben erläuterte Frage entscheidend, ob dem beruflichen Faktor mit Wahrscheinlichkeit die Bedeutung einer Teilursache zu kommen. Ein derartiger Stellenwert müsse nach den obigen Ausführungen unter Beachtung der BSG-Rechtsprechung bei seltenen Erkrankungen bejaht werden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist aber unbegründet.
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Hinterbliebenenleistungen, insbesondere einer Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Sie macht diesen Anspruch im Wege der statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend (§ 54 Abs. 4 SGG).
Die Klage ist unbegründet. Denn die Beklagte hat den geltend gemachten Anspruch zu Recht verneint.
Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene u.a. Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Eine vorliegend allein in Betracht kommende Berufskrankheit (BK) als Ursache für den Tod des V ist hier nicht gegeben.
Bei BKen ist nach § 9 SGB VII zwischen "Listen-BKen" und "Wie-BKen" zu unterscheiden. Eine Listen-BK nach § 9 Abs 1 SGB VII setzt voraus, dass die Krankheit als BK in einem Tatbestand der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für ihre Bezeichnung als BK in der Anlage zur BKV durch den Verordnungsgeber gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII vorliegen. Das Gesetz definiert für die BK also zwei Arten von Versicherungsfällen (BSG vom 25.7.2001 - B 8 KN 1/00 U R - BSGE 88, 226 = SozR 3-2700 § 63 Nr 1 - juris RdNr 15; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15). Jeder dieser Versicherungsfälle kann im Sinne des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII zum Tod des Versicherten führen und Leistungen an Hinterbliebene auslösen.
Hinterbliebene machen ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Träger geltend (vgl. BSG, Urteil vom 15.01.2010, B 2 U 5/08 R). Nach § 63 Abs 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts (§§ 64 bis 71 SGB VII), dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, z.B. eine bestimmte BK oder Wie-BK habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall, Listen-BK, Wie-BK) vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht. Hingegen ist er schon mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Die Beklagte hat unter Beachtung dieser Grundsätze festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.
Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist.
Nach Würdigung der sich in den Akten befindlichen medizinischen Gutachten und Stellungnahmen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Tod des V nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit infolge eines Versicherungsfalls nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 4101 der Anlage zur BKV eingetreten ist. Zwar steht aufgrund der übereinstimmenden Äußerungen der von der Beklagten, dem SG und dem Senat gehörten Sachverständigen zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass die Erkrankung WG zum Tod des V führte. Diese zum Tode führende Erkrankung WG ist aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mindestens wesentlich teilursächlich durch die als BK anerkannte Silikose verursacht worden.

Was die hinreichende Wahrscheinlichkeit betrifft, sind die diesbezüglichen Anforderungen grundsätzlich höher als diejenigen an die Glaubhaftmachung (BSG vom 08.08.2001, B 9 U 23/01 R, juris Rn 4), wobei unter Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes nach - soweit ersichtlich - allgemeiner Auffassung der Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verstanden wird (BSG vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, juris Rn 5; zum BVG BSG vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, juris Rn 116, BSGE 45, 1, 9 f; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Auflage 2009, § 86b Rn 16 b; zur VwGO Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6.Aufl. 2011, Rn 316 mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 123 Rn 23. Zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003, IX ZB 37/03 juris Rn 8 = BGHZ 156, 139; vom 15.06.1994, IV ZB 6/94 = NJW 1994, 2898). Glaubhaftmachung bedeutet also überwiegende Wahrscheinlichkeit, d.h. die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges muss dagegen absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen (BSG vom 08.08.2001, B 9 U 23/01 R, juris Rn 4). Um hinreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen, muss sich also unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG vom 08.08.2001, B 9 23/01 R, juris Rn 4mwN). Der sog. Vollbeweis ist dagegen erst erfüllt, wenn eine Tatsache in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung, die eben bei an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben ist (vgl. BSG vom 29.03.1963, 2 RU 75/61 = BSGE 19, 52; BSG vom 22.09.1977, 10 RV 15/77 = BSGE 45, 1: vom 01.08.1978, 7 Rar 37/77; vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R = Breithaupt 2000, 390f; BSG vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B = Breithaupt 2001, 967 und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 128 Rn 3b mwN), zu begründen (BSG vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B 4; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, § 118, § 128 Rn 3b mwN; Bender/Nack, Vom Umgang der Juristen mit der Wahrscheinlichkeit, in: Festschrift aus Anlass des 10-jährigen Bestehens der deutschen Richterakademie in Trier, 1983, S 263).

Eine im dargestellten Sinne mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegende wesentliche Teilursächlichkeit reicht auch in den Fällen aus, in denen ein Folgeschaden durch die BK und daneben auch durch andere mögliche Ursachenketten herbeigeführt worden ist. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die anerkannte Silikose - eine naturphilosophische Teilursache einer Krankheit bzw. des Todes ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des "Erfolgs" durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils Rn 13 f mwN; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - juris Rn 12).

Dies zugrunde gelegt steht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass die zum Tod des V führende WG Folge der anerkannten BK Silikose ist. Zwar ist entgegen der Auffassung der Beklagten und auch entgegen der von den Gutachtern Prof. Dr. M. und Prof. Dr. C. teilweise vertretenen (rechtlichen) Meinung für die Annahme, dass der V infolge der anerkannten Berufskrankheit verstorben ist, nicht erforderlich, dass eindeutige wissenschaftliche Belege für den Zusammenhang zwischen einer die Silikose verursachenden Quarzstaubexposition und der WG angeführt werden können. Insbesondere sind auch nicht die im Rahmen des § 9 Abs. 2 SGB VII zu fordernden neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft im Sinne gesicherter Erkenntnisse zu fordern. Der von den gerichtlich bestellten Gutachtern M., H. und C. ausführlich dargestellte und im wesentlichen übereinstimmende medizinische Erkenntnisstand reicht indes nicht aus, um die notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit der (Mit-) Verursachung der WG durch die Silikose in dem Sinne zu erreichen, dass nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Einwirkung spricht.

Nach den Aussagen der medizinischen Sachverständigen ist die WG eine multifaktorielle Autoimmunerkrankung, bei der genetische Faktoren und Umweltfaktoren ursächlich beteiligt sind. Alle drei gerichtlichen Gutachter berichten von Studien, die auf eine Assoziation zwischen Quarzstaubexpositionen und Autoimmunerkrankungen, insbesondere WG, hindeuten. Dr. H. hat auf eine Studie verwiesen, die ein 7-fach erhöhtes Risiko für eine Erkrankung an WG bei Quarzstaubexposition ergeben hat. Prof. Dr. C. spricht davon, dass sich die Hinweise "mehren" würden, die auf einen solchen Zusammenhang hindeuten. Insbesondere nennt er Studien die belegen, dass in 22 - 46% der WG-Erkrankungen früher eine Exposition gegenüber silikogenen Stäuben bestanden habe. Prof. M. weist auf "plausible Vorstellungen" hin, dass ein Zusammenhang bestehe. Allerdings hat Prof. Dr. C. sowohl auf eine Studie von 1999 ("Parks et al.") hingewiesen, bei der bei Probanden, die silikogenen Stäuben ausgesetzt gewesen seien, kein höheres Erkrankungsrisiko festgestellt wurde, als auch auf eine schwedische Studie von 2010 ("Knight et al."), bei der trotz eingehender Arbeitsanamnesen kein statistisch signifikant erhöhtes berufliches Risiko bei der Entwicklung einer Granumolatose festgestellt worden ist. Auch in einer weiteren Studie von 2011 ("Makoll et al.") wurde bei 1022 bestätigten Silikosen zwar verschiedenste weitere Erkrankungen, aber keine WG festgestellt. Prof. Dr. C. hat hieraus zu Recht den Schluss gezogen, dass die internationale Literatur widersprüchlich ist und daher bei der WG stets das multifaktorielle Geschehen in den Mittelpunkt der Verursachungsüberlegungen zu rücken ist. Damit ist entgegen der Ansicht der Klägerin bei Silikosepatienten kein signifikant erhöhtes Risiko anzunehmen, an einer WG zu erkranken. Auch unter Berücksichtigung der Seltenheit der WG (3-14 Erkrankungen jährlich pro 1 Million Menschen) und der daraus folgenden fehlenden statistischen Aussagekraft der Fallstudien aufgrund der kleinen Fallzahlen kann eine Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs zwischen den silikogenen Stäuben und der WG nicht als "herrschende" wissenschaftlich-ärztliche Lehrmeinung angesehen werden. Dem stimmt letztlich auch Dr. H. zu, wenn er darauf hinweist, dass ein zwingender epidemiologischer Zusammenhang zwischen Silikose und WG wohl auch in der Zukunft wegen der geringen Fallzahlen nicht zu führen sein wird, auch wenn, wie Dr. H. ausführt, die WG am Anfang höchst unspezifische Symptome hervorruft und oft nicht diagnostiziert wird, so dass das Vorkommen unterschätzt wird.

Im Rahmen der Beweiswürdigung ist die "herrschende" medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung, andererseits aber auch zu berücksichtigen, ob wegen der Seltenheit einer Erkrankung gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt erhoben werden können (vgl auch BSG, Urteil vom 14.11.1996, 2 RU 9/96, juris-RdNr. 20 zu einer "wie-BK" iSd § 551 Abs. 2 RVO, heute § 9 Abs. 2 SGB VII). Hieraus kann aber für den vorliegenden Fall einer WG nicht der Schluss gezogen werden, dass die vorliegenden und von den gerichtlichen Sachverständigen dokumentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichen würden, den Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs der Silikose mit der Erkrankung an WG und damit mit dem Tod des V auszufüllen. Vielmehr ist abzustellen auf die von Prof. Dr. C. und auch den anderen Gutachtern festgestellte multifaktorielle Verursachung der WG bei gleichzeitig nicht nachgewiesener, sondern allenfalls vermuteter Beteiligung silikogener Stäube. Deshalb scheidet auch eine Anerkennung der WG "wie" eine BK nach § 9 Abs 2 SGB VII aus.

Schließlich greift zu Gunsten der Klägerin auch die Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 S. 1 SGB VII nicht ein. Nach dieser Vorschrift steht dem Tod infolge eines Versicherungsfalls der Tod des Versicherten gleich, dessen Erwerbsfähigkeit infolge einer Berufskrankheit nach den Ziffern 4101 bis 4104 der Anlage zur BKV um 50 vH gemindert war. Wie Prof. Dr. C. in seinem Gutachten vom 22.02.2010 zu Recht ausgeführt hat, können die vorliegenden Befunde aus dem E. eine MdE von 100 vH für den Zeitraum vom 17.04.2002 bis 31.07.2003 ebenso wenig begründen wie eine Rückstufung der MdE auf 40 vH im darauf folgenden Zeitraum. In den im Februar bzw. Mai 2002 durchgeführten Funktionsuntersuchungen zeigten sich, wie der Gutachter ausführt, in der Lungenfunktionsprüfung keine Obstruktion und keine Restriktion. Auch zeigte sich kein Befundwandel, woraus Prof. Dr. C. zu Recht den Schluss zieht, dass die MdE durch die anerkannte Berufskrankheit weiterhin mit 20 vH zu bewerten war. Auch in weiteren Arztberichten vom August/September 2002, als der Verdacht einer WG bereits gestellt war, zeigten sich nach den Feststellungen des Gutachters noch keine relevante Änderung der Lungenfunktion. Nur dann, wenn man der Ansicht folgen würde, dass die WG als Berufskrankheitenfolge anzusehen sei, wäre nach den zutreffenden Feststellungen des Gutachters aufgrund des klinischen Bildes und der Funktionsuntersuchungen allenfalls eine MdE -Erhöhung auf 40 vH ab dem 01.08.2003 bei vorher gleich bleibender MdE von 20 vH nachzuvollziehen gewesen. Damit wird aber die von § 63 Abs. 2 S. 1 SGB VII geforderte MdE von 50 vH jedenfalls nicht erreicht.

Nach alldem ist auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Würzburg vom 27.03.2008 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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