L 22 R 1231/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 4 R 5241/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 1231/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02. Dezember 2010 geändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. September 2009 wird aufgehoben, soweit darin die Bewilligung eines Beitragszuschusses abgelehnt worden ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger ¼ seiner außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Beitragszuschüssen für die Zeit ab dem 01. August 2005.

Mit Bescheid vom 17. März 1999 bewilligte die Beklagte dem 1942 geborenen Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem Rentenbeginn am 01. Oktober 1998. Zugleich bewilligte sie Zuschüsse zur Krankenversicherung des Klägers und zur Pflegeversicherung. Nachdem der Kläger seinen Wohnsitz im Jahre 2005 nach T verlegt hatte und dort - nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der HUK Coburg - bei der BUPA H I (T) Ltd. krankenversichert ist, war von der Beklagten mit Bescheid vom 30. Juni 2005 der Bescheid über die Bewilligung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Wirkung für die Zukunft ab dem 01. August 2005 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben worden, mit weiterem Bescheid vom 08. Juni 2006 rückwirkend auch für die Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 31. Juli 2005. Gleichzeitig hatte die Beklagte vom Kläger die Erstattung von in der Zeit vom 01. Juli 2002 bis zum 31. Juli 2005 zu Unrecht erbrachter Zuschüsse in Höhe von 3.305,59 Euro zurückgefordert. Der Widerspruch des Klägers gegen diese Entscheidungen der Beklagten war mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 zurückgewiesen worden.

Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht Köln (S 6 R 198/06) ist durch Urteil dieses Gerichts vom 14. März 2008 abgewiesen worden. Das Urteil ist ausweislich der Zustellungsurkunde in den beigezogenen Akten des Sozialgerichts Köln am 28. März 2008 der Zustellungsbevollmächtigten des Klägers dessen Tochter A F in L zugestellt worden. Eine Berufung hiergegen ist nicht aktenkundig.

Mit sog. "Stundungsbescheid" vom 18. Juni 2009 stellte die Beklagte die Voraussetzungen für eine Stundung ihrer mit Bescheid vom 30. Juni 2005 festgestellten Überzahlung fest. Für die Zeit ab 01. August 2009 erklärte sie die laufende Aufrechnung. Sie werde die Überzahlung seiner Rente in Höhe von 2.643,46 Euro durch Einbehalt monatlicher Raten in Höhe von 50 EUR und einem einmaligen Betrag von 43,46 EUR mit der laufenden Rente tilgen. Die Forderung in Höhe von 2.643,46 Euro werde ab Bekanntgabe des Bescheides mit einem Zinssatz von 2 v. H. über dem zurzeit geltenden Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank bis zur vollständigen Tilgung der Forderung verzinst.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 06. Juli 2009 Widerspruch mit der Begründung, dass er seit 2005 bei einer amerikanisch/thailändischen Krankenversicherung versichert sei und die Beklagte ihm seit dem 01. August 2005 die Zahlung des gesetzlichen Zuschusses zur Krankenkasse verweigere. Diesen Betrag werde er mit einem Sozialgerichtsverfahren einklagen. Der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Köln mit dem Az.: S 6 R 198/06 sei nicht abgeschlossen. Die Unterstellung im Stundungsbescheid, dass bei ihm Sozialhilfebedürftigkeit nicht eintreten werde, sei eine grobfahrlässige Einschätzung der Beklagten, da bereits ein Teil seiner Rente gestundet werde und er mit dem ab der Stundung verbleibenden Rest nicht existieren könne. Mit weiterem Schreiben vom 16. Juli 2009 erklärte der Kläger, dass er erneut Klage beim Sozialgericht Köln (S 6 R 198/96) einreichen werde, da er gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 14. März 2008 keinen Widerspruch habe einlegen können. Das Urteil sei ihm trotz Benennung einer deutschen Kontaktadresse nicht zugestellt worden. Eventuell könne dieser Prozess wegen Verfahrensfehler wieder aufgenommen werden. Eine weitere Stundung seiner Rente sei unzulässig, da seine Rente bereits bis zur gesetzlich zugelassenen Obergrenze gepfändet sei und er bei einer weiteren Pfändung seine Familie nicht mehr ernähren könne. Darauf begründe sich auch sein Einspruch, dass er bei einer weiteren Pfändung seine Familie nicht mehr ernähren könne.

Am 24. Juli 2009 ging beim Sozialgericht Köln ein Schriftsatz des Klägers unter Angabe des Geschäftszeichens S 6 R 198/06 mit einer Kopie des Stundungsbescheides vom 18. Juni 2009 ein. Der Kläger bat um Unterrichtung vom Verlauf dieses Verfahrens. Seine Klage richte sich insbesondere dagegen, dass die Beklagte "die BUPA in Deutschland nicht anerkenne".

Nachdem das Sozialgericht Köln dem Kläger mitgeteilt hatte, dass das Verfahren S 6 R 198/06 durch Urteil ohne mündliche Verhandlung am 14. März 2008 beendet und das Urteil der damaligen Verfahrensbevollmächtigen des Klägers zugestellt worden sei und Gründe für ein Wideraufgreifen dieses Verfahrens nicht ersichtlich seien, und den Kläger gebeten hatte klarzustellen, ob er einen Antrag auf Wiederaufnahme stelle oder das neue Verfahren führen wolle, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18. August 2009 erklärt, dass er das neue Verfahren führen wolle.

Das Sozialgericht Köln hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18. September 2009, Az.: S 29 R 89/09, an das Sozialgericht Berlin (SG) verwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2009 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18. Juni 2009 zurückgewiesen. Soweit der Kläger mit dem Widerspruch die Bewilligung eines Beitragszuschusses und somit die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehre, könne diesem Begehren nicht entsprochen werden. Habe der Berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, so stehe ihm nach § 111 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ein Zuschuss für die Krankenversicherung nach § 106 SGB VI nicht zu. Daran ändere auch ein eventuell erfolgter vorheriger Bezug im Inland nichts. Die Zahlungssperre des § 111 Abs. 2 SGB VI entfalle nicht, da zwischen der Bundesrepublik Deutschland und T kein Sozialversicherungsabkommen bestehe.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit dem am 28. Oktober 2009 eingegangenen Schriftsatz "Widerspruch" eingelegt.

Mit Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2010 hat die Beklagte einen mit dem Bescheid vom 18. Juni 2009 annähernd identischen Inhalt erlassen. Im Unterschied zum Bescheid vom 18. Juni 2009 fehlt eine Entscheidung zur Verzinsung.

Mit Schriftsatz vom 17. November 2010 erhob der Kläger "wegen Nichtzahlung eines Zuschusses" beim Sozialgericht Berlin Klage, die dort unter dem Geschäftszeichen S1 R 6005/10 geführt wird.

Der Senat legt als sachdienlichen Antrag des Klägers zugrunde,

die Bescheide der Beklagten vom 18. Juni 2009 und 15. Juli 2010 sowie den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 30. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 zurück zu nehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch Gerichtsbescheid vom 02. Dezember 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Soweit die Klage nach dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren des Klägers auf Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2009 in der Fassung des Bescheides vom 15. Juli 2010 gerichtet sei, sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung in Höhe von 2.643,16 Euro mit dem gleichartigen Geldleistungsanspruch des Klägers auf Zahlung von Altersrente lägen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach vor. Nicht zu prüfen sei die Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 18. Juni 2006 geltend gemachten Rückforderung. Denn die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 sei bereits durch Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14. März 2008 rechtskräftig festgestellt worden. Einwendungen gegen diese Rückforderung könne der Kläger daher im Zusammenhang mit der Aufrechnung nicht mehr geltend machen. Bei einer Verrechnung in Höhe von monatlich 50,00 Euro sei nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage sein solle, in T seinen notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen. Im Übrigen bestünde gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung, dass bereits aufgrund des Auslandswohnsitzes des Klägers grundsätzlich keine Hilfebedürftigkeit nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) eintreten könne, seitens des Gerichts keine Bedenken.

Sofern der Kläger mit seiner Klage die Gewährung eines Beitragszuschusses zu seinen Aufwendungen für eine Krankenversicherung und eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten begehre, sei die hierauf gerichtete Klage bereits unzulässig. Denn ausgehend vom Regelungsgehalt des Bescheides vom 18. Juni 2009, der allein eine Entscheidung bezüglich einer Aufrechnung der monatlichen Rentenzahlung mit der aus dem Bescheid vom 08. Juni 2006 resultierenden Erstattungsforderung getroffen habe, sei vorliegend allein die Frage der monatlichen Aufrechnung zulässiger Streitgegenstand.

Gegen den dem Zustellungsbevollmächtigten des Klägers am 07. Dezember 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. Dezember 2010 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Er hat ausdrücklich mitgeteilt, dass er gegen die Beklagte "wegen Nichtgewährung von Beitragszuschüssen für die Zeit ab 01. August 2005" klage. Die Klage beziehe sich nicht auf den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2009.

Der Senat legt als Antrag des Klägers zugrunde,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02. Dezember 2010 sowie den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 30. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 insoweit zurück zu nehmen, als die ursprüngliche Bewilligung von Beitragszuschüssen nach § 106 SGB VI (Rentenbescheid vom 17. März 1999) für die Zeit ab 01. August 2005 aufgehoben worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakten (SG Köln, Az.: S 6 R 198/06, SG Berlin S 1 R 6005/10) sowie der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Az.: , 3 Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur teilweise begründet.

Im Berufungsverfahren sind die Bescheide vom 18. Juni 2009 und 15. Juli 2010 nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2011 zuletzt ausdrücklich erklärt, dass er gegen die Beklagte wegen der Nichtgewährung von Beitragszuschüssen ab dem 01. August 2005 klage und eine eventuelle Klage wegen des Stundungsbescheids vom 18. Juni 2009 mit dieser Klage absolut nichts zu tun habe. Dies habe er schon mehrmals deutlich gemacht, dies möge bitte zur Kenntnis genommen und der Stundungsbescheid "außen vor gelassen" werden. Damit wurde die unbeschränkt eingelegte Berufung beschränkt auf die Abweisung der Klage zum Anspruch auf Gewährung von Beitragszuschüssen.

Davon ausgehend sind Berufung und Klage insoweit begründet, als mit dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. September 2009 die Bewilligung eines Beitragszuschusses abgelehnt wird. Diesbezüglich ist der Widerspruchsbescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entsprechend waren das angefochtene Urteil und der Widerspruchsbescheid zu ändern.

Denn die Widerspruchsstelle der Beklagten war funktional und sachlich unzuständig, über das erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Begehren des Klägers zu entscheiden, ihm für die Zeit ab 01. August 2005 die Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen. Der Bescheid vom 18. Juni 2009 enthält hierzu keine Regelung. die Widerspruchsstelle hat hierüber erstmalig im Widerspruchsverfahren entschieden.

Gegenstand des Verfahrens ist der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. September 2009, auch wenn der Kläger erklärt hat, seine Klage richte sich dagegen nicht. Über die Ablehnung des Widerspruchs des Klägers gegen den Bescheid vom 18. Juni 2009 hinaus enthält der Widerspruchsbescheid eine (Erst-)Entscheidung der Widerspruchsstelle der Beklagten über einen Antrag des Klägers auf Bewilligung eines Beitragszuschusses. Diese Entscheidung beanstandet der Kläger durchaus.

Die Erstentscheidung der Widerspruchsstelle der Beklagten über einen Antrag des Klägers auf Bewilligung eines Beitragszuschusses ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem verfahrensrechtlichen Recht auf Entscheidung durch die funktionale und sachlich zuständige Behörde der Beklagten (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz i. V. m. § 42 Satz 1 SGB X). Denn nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Mai 2006 (Az.: B 4 RA 40/05 R, veröffentlicht in juris), dem der Senat folgt, ist eine Widerspruchsstelle eine solche ist auf Seiten der Beklagten hier bei Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2009 tätig gewesen funktionell und sachlich schlechthin nicht zuständig, anstelle der Ausgangsbehörde des Trägers über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu entscheiden. Dieser Verfahrensfehler ist im Sinne von § 62 2. Halbsatz, § 42 Satz 1 SGB X beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch.

Die Berufung ist unbegründet, soweit der Kläger die Gewährung von Beitragszuschüssen für die Zeit ab 01. August 2005 begehrt. Insoweit hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist insoweit unzulässig, wie das SG in seinen Entscheidungsgründen bereits ausgeführt hat.

Dem Anliegen des Klägers entspricht der sachdienliche Antrag, den Bescheid vom 30. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 insoweit zurückzunehmen, als die ursprüngliche Bewilligung von Beitragszuschüssen im Rentenbescheid vom 17. März 1999 für die Zeit ab 01. August 2005 aufgehoben wurde. Über einen solchen sachdienlichen Antrag wurde bisher nicht durch die funktionale und sachlich zuständige Behörde der Beklagten entschieden. Damit fehlt das Vorverfahren als Klagevoraussetzung.

Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen, § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Hieran fehlt es. Die Bescheide vom 18. Juni 2009 und 15. Juli 2010 enthalten insoweit keine Regelung zu einem Anspruch des Klägers auf Beitragszuschüsse.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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