L 5 R 794/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 1573/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 794/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16.12.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) a. F. über den 31.5.2007 hinaus bzw. die Gewährung von Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI n. F. auf Grund eines (neuen) Versicherungsfalls vom März 2010.

Die 1954 in der ehemaligen DDR geborene Klägerin hat den Beruf der Industriemechanikerin (Zerspanungsfacharbeiter) erlernt. Nach einigen Jahren im erlernten Beruf (bis 1976) wechselte sie nicht aus gesundheitlichen Gründen zu einer Beschäftigung bei der Post. Dort war sie (auch nach der Übersiedlung nach B.-W.) zuletzt (bis 1997) als Zustellerin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1998 bezieht die Klägerin eine Rente der Post (2002: 1.246,81 EUR monatlich).

Im Versicherungsverlauf der Klägerin ist für die Zeit ab 1993 Folgendes gespeichert:

1993 bis 24.11.1997 Pflichtbeiträge (Beschäftigung bei der D. P. A.) 25.11.1997 bis 30.6.1998 Krankengeldbezug sodann geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung bzw. ab 1.8.1999 Rentenbezug 1.7.2007 - 31.7.2008 Pflichtbeitragszeit/Bezug von Arbeitslosengeld II sodann wieder versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung

Unter dem 10.3.1994 beantragte die Klägerin erstmals Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Rentenantrag wurde mit Bescheid der L. Württemberg (Rechtsvorgängerin der Beklagten) vom 4.8.1994 abgelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8.6.1995).

Im (Ablehnungs-)Bescheid vom 4.8.1994 ist (u.a.) ausgeführt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung - drei Jahre Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren i. S. d § 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI a. F.bzw. Entrichtung von Beiträgen gem. § 241 Abs. 2 SGB VI - seien zum 9.3.1994 erfüllt, Sofern eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit beendet oder nicht ausgeübt werde, werde empfohlen, sich wegen der weiteren Erhaltung der Anspruchsvoraussetzungen bei den Auskunfts- und Beratungsstellen und den Ortsbehörden für die Arbeiter- und Angestelltenversicherung zu informieren. Weitere Informationen enthalte der beiliegende Hinweis zur Aufrechterhaltung des weiteren Versicherungsschutzes. Wegen weiterer Beitragsleistung zur Rentenversicherung (Pflicht - oder freiwillige Versicherung) erteilten die genannten Stellen nähere Auskunft; im Übrigen werde auf das beiliegende Merkblatt verwiesen. In dem Merkblatt mit der Überschrift "wichtiger Hinweis zur Aufrechterhaltung Ihres weiteren Versicherungsschutzes" ist (u.a.) darauf hingewiesen, dass bei Nichtausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung die (fettgedruckt) lückenlose Entrichtung freiwilliger Beiträge erforderlich ist. Jeder Kalendermonat ab 1.1.1984 müsse dann bis zum Ende des Kalendermonats vor Eintritt des erneuten Leistungsfalles der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten (u.a. Pflichtbeiträge, freiwillige Beiträge) belegt sein. Die Entrichtung freiwilliger Beiträge für ein Kalenderjahr sei immer bis zum 31. März des folgenden Jahres möglich. Zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes genüge die Zahlung des (freiwilligen) Mindestbeitrags.

Vom 23.1. bis 27.2.1996 absolvierte die Klägerin (nach Rehabilitationsbehandlungen 1990 und 1991) eine (orthopädische) stationäre Rehabilitationsbehandlung in der P., Bad R., aus der sie vollschichtig arbeitsfähig für die Tätigkeit als Briefzustellerin und für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts entlassen wurde (Entlassungsbericht vom 12.3.1996). Eine weitere Rehabilitationsbehandlung fand vom 5. bis 26.3.1998 in der Reha-Klinik O., Bad M., statt (Diagnosen: u.a. Cervixcarcinom in situ, Erstdiagnose Oktober 1997, Z.n. Laminektomie L5/S1 1991 bei NPP L5/S1, rechtsseitige Cervicobrachialgie, Verdacht auf Somatisierungsstörung mit hypochondrischen Tendenzen); die Klägerin wurde für vollschichtig leistungsfähig hinsichtlich mittelschwerer Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts befunden (Entlassungsbericht vom 5.5.1998).

Am 4.5.1998 stellte die Klägerin erneut einen Rentenantrag. Im Juni 1998 unterzeichnete sie eine Erklärung. Darin heißt es, als Bezugsberechtigte von Leistungen der Versorgungsanstalt der D. B. hänge der Anspruch auf Versorgungsrente von den gesetzlichen Renten ab. Ein Verlust der Anwartschaft auf Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente habe grds. die Nichtzahlung der Versorgungsrente zur Folge, sofern der Versorgungsrentenempfänger das zu vertreten habe. Deshalb erkläre sie sich bereit, zur notwendigen Aufrechterhaltung ihrer Anwartschaft (§§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 1 i. V. m. §§ 240 Abs. 2 und 241 Abs. 2 SGB VI) die erforderlichen freiwilligen Beiträge zu zahlen.

Mit Bescheid vom 7.10.1998 wurde der Rentenantrag abgelehnt; der Bescheid enthält zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft auf Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente entsprechende Ausführungen wie der Bescheid vom 4.8.1994.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin erhob die L. Württemberg das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. E. vom 12.4.1999. Diese fand bei der sich als Mobbing-Opfer fühlenden Klägerin keine depressive Stimmungslage und eher gesteigerten Antrieb. Diagnostiziert wurden eine somatoforme Störung, ein depressives Syndrom und ein Z.n. Laminektomie L5/S1 1991. Die Darstellung der Beschwerden und das Untersuchungsergebnis stünden in Widerspruch zueinander, eine gewisse Ausgestaltung sei wahrscheinlich. Ein Heilverfahren sei empfehlenswert; danach solle eine abschließende Leistungseinschätzung vorgenommen werden.

Mit Schreiben vom 21.9.1999 wurde der Klägerin mitgeteilt, man habe bei der Überprüfung ihres Kontos folgende Lücken festgestellt: 1.7.1998 bis laufend. Sie werde gebeten, mit beiliegender Rückantwort (u.a.) etwaige Beitrags- oder Beschäftigungszeiten im genannten Zeitraum mitzuteilen. Die Klägerin teilte hierauf telefonisch mit, sie beziehe derzeit lediglich Betriebsrente.

Mit Bescheid vom 27.9.1999 (Senatsakte S. 178) wurde der Klägerin Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bis zum Ablauf des Januar 2001 gewährt. Dem Bescheid war ein Merkblatt "Hinweise und Erläuterungen" beigefügt. Darin ist unter Nr. 5 "Hinweis für Bezieher einer Erwerbsminderungsrente auf Zeit" ausgeführt, bei Wegfall der Zeitrente wegen Erwerbsminderung könnte ein zukünftiger Rentenanspruch wegen Erwerbsminderung nur aufrechterhalten werden, wenn die Monate nach dem Rentenwegfall mit Beitrags- oder Beitragserhaltungszeiten belegt sei. Es werde gebeten, sich wegen weiterer Auskünfte ggf. an die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg zu wenden.

Am 10.10.2000 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den Januar 2001 hinaus, worauf das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 15.3.2001 erhoben wurde. Dieser fand eine deutliche Diskrepanz zwischen dem äußeren Erscheinungsbild und der Schilderung von multiplen schweren körperlichen und psychischen Beschwerden. Die Klägerin schildere einerseits schwerwiegende depressive Symptome, zeige aber andererseits keinen wesentlichen Leidensdruck. Die emotionale Schwingungsfähigkeit sei nicht eingeengt, eine stationäre Behandlung werde abgelehnt. Die Klägerin zähle eine Vielzahl körperlicher Beschwerden auf, ohne dass sich ein entsprechendes organisches Korrelat finde. Lediglich als Restfolge eines 1991 operierten Bandscheibenvorfalls könnten Zeichen einer S1-Wurzelläsion rechts ohne funktionelle Beeinträchtigung festgestellt werden. Die Intervalle der Psychotherapie seien inzwischen auf durchschnittlich eine Sitzung im Monat verlängert worden. Auch bei der jetzigen Untersuchung sei der Eindruck einer Ausgestaltung der Beschwerden entstanden. Die Klägerin könne zwischen drei und sechs Stunden täglich arbeiten, wobei mit einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit zu rechnen sei; eine Rehabilitationsmaßnahme werde empfohlen.

Mit Bescheid vom 10.4.2001 lehnte die L. Baden-Württemberg den Weitergewährungsantrag (nach Einholung der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 26.3.2001: Leistungseinschätzung des Dr. H. nicht nachvollziehbar) ab. Dieser Bescheid enthält wie die zuvor ergangenen Bescheide vom 4.8.1994 und 7.10.1998 Hinweise zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wurde das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 2.11.2001 erhoben. Die Gutachterin fand bei ausgeglichener Stimmung keine Hinweise für ein depressives Geschehen. Die affektive Modulationsbreite sei gut erhalten, der Antrieb sei unauffällig. Ein wesentlicher Leidensdruck sei nicht spürbar geworden. Unübersehbar sei eine neurotische Anspruchshaltung mit jetzt gewissen passiven Versorgungswünschen. Diagnostiziert wurden eine neurotische Persönlichkeit und Neurasthenie. Eine Depression oder Angststörung schloss die Gutachterin aus. Eine konsequente psychiatrische ambulante oder stationäre Behandlung habe nicht stattgefunden. Zwischen dem Beschwerdevortrag und der bisher erfolgten ärztlichen, therapeutischen oder pharmakologischen Hilfe bestehe eine erhebliche Diskrepanz; die Behandlung müsse als großmaschig bezeichnet werden. Die Klägerin scheine sich mit dem Leben im Ruhestand ganz gut arrangiert zu haben. Das psychosoziale Funktionsniveau im Alltag sei erhalten. Die Klägerin versorge sich selbst, auch ihre Wohnung, fahre einen eigenen Pkw und brauche keine Unterstützung von außen. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne sie vollschichtig verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2001 wurde der Widerspruch zurückgewiesen, worauf die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz erhob (Verfahren S 2 RJ 257/02). Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob die Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 19.12.2002 und der Neurologin und Psychiaterin Dr. M. vom 26.2.2003 (mit ergänzender Stellungnahme vom 14.5.2003).

Dr. K. fand die Klägerin in sehr gutem Allgemeinzustand und keine Verdeutlichungstendenzen. Der Gutachter diagnostizierte ein chronisch rezidivierendes cervikales, thoracales und lumbales Wirbelsäulensyndrom bei Chondrose C6/7 und Osteochondrose L5/S1, einen Z.n. operativ behandeltem lumbalem Bandscheibenvorfall L5/S1 sowie Chondropathia patellae links und Z.n. nach Operation des rechten Kniegelenks. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig verrichten.

Dr. M. führte nach eingehender Exploration der Klägerin aus, eine depressive Stimmungslage werde nicht erkennbar, wohl aber ein vermindertes Selbstvertrauen. Diagnostiziert wurden (u.a.) eine schwergradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Essverhaltensstörung mit Adipositas. Die Klägerin könne aus psychiatrischer Sicht anfänglich täglich vier Stunden am Tag arbeiten, wobei eine kontinuierliche Steigerung anzustreben und wahrscheinlich auch erreichbar wäre. Voraussetzung sei, dass die Klägerin den erforderlichen Genesungs- und Arbeitswillen aufbringe, worum sie sich nach eigenen Angaben bemühen wolle. Bei entsprechender Willensanstrengung sei zu erwarten, dass die Klägerin im Laufe eines Jahres (möglicherweise, wenngleich wenig wahrscheinlich, auch früher – ergänzende Stellungnahme vom 14.5.2003) vollschichtiges Leistungsvermögen wiedererlangen werde. Die Schilderung der Beschwerden wirke allerdings neurotisch und könne auch nur in Zusammenhang mit einem Rentenbegehren, einer Rentenneurose, gesehen werden.

Unter dem 3.7.2003 gab die L. Baden-Württemberg (auf der Grundlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. G. vom 2.6.2003) ein Anerkenntnis ab; der Klägerin wurde Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit über den 31.1.2001 hinaus bis 31.5.2004 weiterbewilligt.

Am 13.1.2004 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den 31.5.2004 hinaus. Die L. Baden-Württemberg erhob daraufhin die Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 31.5.2004 und des Orthopäden Dr. Z. vom 23.9.2004.

Dr. B. führte zum Gutachten von Dr. M. vom 26.2.2003 aus, die Gutachterin habe die Sichtweisen der Klägerin dargestellt, während objektive Befunde im psychischen Bereich fehlten. Der psychische Befund des Gutachtens subsumiere eine Fülle von Interpretationen der subjektiven Klagen und erfolglosen Behandlungen, weniger die objektiven Beobachtungen. Ein psychiatrischer Aufenthalt sei bisher, auch nach der Begutachtung durch Dr. M., nicht notwendig geworden. Der behandelnde Arzt der Klägerin Dr. N. habe ihr gesagt, sie habe Fibromyalgie; jetzt komme sie mit den Schmerzen besser zurecht. Schmerzmittel, Beruhigungsmittel oder Psychopharmaka würden aber nicht eingenommen. Von Dr. M. empfohlene Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben hätten nicht stattgefunden; die Klägerin habe das nicht in Angriff genommen, da sie nach eigenen Angaben bereits ein Jahr zuvor schlechte Erfahrungen gemacht habe.

Dr. B. fand (wie in der Vorbegutachtung im Jahr 2001) wiederum keinen Hinweis auf ein depressives Geschehen. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, die affektive Modulationsbreite sei gut erhalten, der Antrieb zeige keine Störungen. Hinweise auf Erschöpfungssymptome hätten sich nicht ergeben. Insgesamt habe eine große Diskrepanz zwischen den vorgetragenen Schmerzen, den fehlenden körperlichen Symptomen und der Art und Weise, wie sich die Klägerin in ihrem Leben eingerichtet habe, ergeben. Ein stärkerer Leidensdruck liege nicht vor. Die Gutachterin diagnostizierte eine neurotische Persönlichkeitsstörung, diffuse chronische Schmerzen des Stütz- und Bewegungsapparates ohne neurologische Defizite. Eine Depression oder Angststörung wurde ausgeschlossen. Der nachhaltige Wille, den Lebensalltag durch Arbeitseinsatz wieder zu verdienen, werde bei der Klägerin nicht deutlich und sichtbar. Die subjektiv vorgebrachten Beschwerden seien weder im psychischen Befund noch körperlich neurologisch oder anhand der Medikation objektivierbar. Die Klägerin gebe auch Allergien an, die im Allergiepass nicht vermerkt seien. Auch ein verordnetes Tensgerät werde am Untersuchungstag nicht getragen; die Angaben zu dessen Verwendung seien sehr vage. Die im Klageverfahren erstrittene Weitergewährung der Rente sei wenig nachvollziehbar. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) mehr als sechs Stunden täglich verrichten.

Dr. Z. diagnostizierte (auf seinem Fachgebiet) ein statisch-myalgisches Wirbelsäulensyndrom bei Z.n. Bandscheibenoperation L5/S1 1991, einen Verdacht auf Carpaltunnelsyndrom beidseits, ein Syndrom der muskulären Dysbalance, intermittierende Epicondylitis humeri radialis, rechts stärker als links, einen Z.n. Tuberositas tibiae Versetzung rechts sowie eine Somatisierungsstörung. Insgesamt bestehe eine sehr gute muskuläre Kompensierung, was sich auch in einer kaum eingeschränkten Beweglichkeit sowohl in den Achsenorganabschnitten wie in den Extremitätengelenken zeige. Aktuell anstehende Störungen der peripheren Nerven (Carpaltunnelsyndrom) seien relativ einfach zu therapieren und stellten kein grundsätzliches Hindernis für eine Erwerbstätigkeit dar. Die Verarbeitung der bestehenden körperlichen Störungen sei durch die Somatisierungsstörung sehr ungünstig. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden täglich und mehr verrichten.

Der Klägerin wurde Erwerbsunfähigkeitsrente bis 31.5.2007 weitergewährt; dem lag eine - insoweit nicht begründete - beratungsärztliche Stellungnahme vom 30.9.2004 (Dr. W.: Gutachten Dr. B. sei nicht überzeugend) zu Grunde.

Am 5.12.2006 stellte die Klägerin erneut einen Weitergewährungsantrag. Seit Januar 2007 war sie bei der Taxizentrale M. für eine Bruttoarbeitsentgelt von 325 EUR monatlich als Taxifahrerin beschäftigt. Sie holt offenbar (u.a.) Kunden vom Flughafen ab und fährt sie nach Hause.

Die Beklagte erhob das Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. R. vom 28.2.2007. Dieser untersuchte die Klägerin am 27.2.2007, zog das im Schwerbehindertenverfahren des SG Konstanz S 9 SB 2833/05 erhobene Gutachten des Dr. O. vom 22.6.2006 (GdB 70) bei und führte aus, nach Angaben der Klägerin leide sie unter den gleichen Beschwerden wie schon vor 10 Jahren. Das Problem seien die Schmerzen. Diese seien sofort nach der Unterleibsoperation aufgetreten und im Laufe der Jahre heftiger geworden. Der Gutachter fand eine seitengleich normal kräftig ausgebildete Muskulatur und flott und flüssig mit physiologischem Muster ausgeführte Bewegungen; beim Aufstehen, Hinsetzen und Hinlegen sei keine Abstützreaktion erfolgt. Die Spontanaffektivität sei bei unbeeinträchtigter Schwingungsfähigkeit, unbeeinträchtigtem Vitalgefühl und ausgeglichener Stimmungslage regelrecht. Die Psychomotorik sei unauffällig.

Dr. R. diagnostizierte ein durch Konisation, später Hysterektomie behandeltes und als geheilt zu betrachtendes Carcinom in situ der Cervix, einen Bandscheibenvorfall L5/S1, Operation 1991, ohne bedeutsame neurologische Ausfälle sowie eine vorbeschriebene Depression, somatoforme Störung, neurotische Persönlichkeit, jetzt remittiert bzw. ohne Funktionsbeeinträchtigungen. Zeichen für einen floriden Bandscheibenvorfall gebe es nicht. Sekundärveränderungen an der Muskulatur, wie sie bei ausgeprägten oder langwährenden Krankheitsprozessen hervorgerufen werden könnten, fehlten. Gravierende Störungen, wie Lähmungen, lägen nicht vor. Der Gang sei völlig unauffällig. Bei der körperlich-klinischen Untersuchung seien keine Veränderungen festzustellen, die im Rahmen chronischer Schmerzen oder als Schmerzreaktion hervorgerufen werden könnten. Auch unmittelbare Zeichen von Schmerz fehlten. Es gebe keinerlei Hinweise für eine Schmerzkrankheit. Die Klägerin bedürfe auch keinerlei Pharmakotherapie zur Behandlung von Schmerzen. Wesentliche psychische Veränderungen lägen jetzt ebenfalls nicht vor. Dementsprechend sei auch eine entsprechende Behandlung auf diesem Gebiet nicht erforderlich. Weder finde eine hochfrequente Psychotherapie statt noch erfolge eine Behandlung mit psychisch wirksamen Pharmazeutika. Das Carcinom in situ sei mit der Operation geheilt worden. Eine nennenswerte Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule nach der Bandscheibenoperation bestehe nicht; bedeutsame neurologische Ausfälle lägen nicht vor. Die Klägerin könne mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden täglich und mehr, d.h. vollschichtig nach § 44 SGB VI a.F., verrichten.

Mit Bescheid vom 16.3.2007 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung u.a. eine Fibromyalgieerkrankung geltend gemacht worden war, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.7.2007 zurück. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.3.2007 hatte Dr. R. u.a. ausgeführt, das Carcinom in situ sei seit der Operation 1997 als geheilt und bedeutungslos anzusehen; der Bandscheibenvorfall sei zumindest seit 1998 ebenfalls bedeutungslos. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin (versehentlich) erst mit Schreiben vom 27.5.2008 bekannt gegeben.

Am 2.6.2008 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz. Sie legte das im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg L 6 SB 5578/07 erstattete Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. G. vom 4.11.2008 vor. Dieser hatte u.a. testpsychologische Untersuchungen in Selbstbeurteilungsverfahren durchgeführt und angenommen, die extreme Ausprägung der Beschwerdeangaben bei testpsychologischen Untersuchungen weise auf eine doch relevante Aggravation hin; außerdem liege eine erhebliche histrionische Komponente vor. Dr. G. befürwortete einen Gesamt-GdB von 70, wobei er hinsichtlich psychischer Erkrankungen neben einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer Neurasthenie auch eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, annahm.

Das Sozialgericht befragte zunächst behandelnde Ärzte. Der Neurologe und Psychiater Dr. R. verwies im Wesentlichen auf das Gutachten der Dr. M. und hielt die Klägerin für außer Stande, eine Berufstätigkeit auszuüben. Das Zustandsbild habe sich seit 2006 nicht gebessert (Bericht vom 2.9.2008). Dr. N. teilt im Bericht vom 12.5.2009 Diagnosen mit (u.a. Verdacht auf Fibromyalgie, chronisches Schmerzsyndrom, anhaltende somatoforme Schmerzstörung); die Klägerin könne leichte Tätigkeiten mindestens vier Stunden täglich verrichten.

Das Sozialgericht erhob sodann das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 30.10.2009. Dieser führte eine eingehende Exploration durch, eruierte den Tagesablauf der Klägerin (Aufstehen 6.30 Uhr, Bereiten des Frühstücks, Versorgen des Haushalts, Einkaufen, Mittagkochen, am Nachmittag Spaziergang, einige Freundinnen und Bekannte, am Abend Fernsehen, einmal wöchentlich zum Sohn und Hilfe für die Schwiegertochter) und führte aus, die Klägerin suche nach eigenen Angaben (neben dem Hausarzt und dem Orthopäden) den Nervenarzt Dr. R. in größeren Abständen und einmal im Monat eine psychologische Psychotherapeutin zu Gesprächen auf. Schmerzmittel würden nicht eingenommen. Die Klägerin fahre Auto und sei auch mit dem Auto zur Untersuchung gekommen.

Der Gutachter untersuchte die Klägerin am 30.10.2009. Er fand die Klägerin affektiv durchaus schwingungsfähig; so könne sie sich an ihren Enkeln erfreuen. Hinweise auf Interessenverlust oder Freudlosigkeit gebe es nicht. Eine Antriebsstörung liege nicht vor. Insgesamt sei die Klägerin leicht depressiv herabgestimmt; das Ausmaß einer mittelschweren oder einer schweren depressiven Episode werde nicht erreicht. Bei der Schmerz-Simulations-Skala hätten sich Hinweise auf ein nicht authentisches Verhalten gezeigt. Angesichts der körperlich nicht vollständig begründbaren Beschwerden komme der Beurteilung der durchgeführten Therapie besondere Bedeutung zu. Insoweit würden Antidepressiva eingenommen, jedoch keine Schmerzmittel, und die psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Kontakte seien äußerst niederfrequent (einmal monatlich ein Gespräch). Im Schwerbehindertenverfahren habe der Psychiater Dr. G., mit dessen Diagnostik volle Übereinstimmung bestehe, überhaupt keine Depression mehr gefunden, gleichwohl aber hierfür einen Teil-GdB von 40 angesetzt.

Dr. H. diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, Neurasthenie, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, sowie eine Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden mit geringer Restsymptomatik einer Irritation der Wurzel S1 rechts. Der Gesundheitszustand habe sich (ungeachtet der Rentengewährung in der Vergangenheit) im Grunde nicht geändert. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig (acht Stunden täglich) verrichten. Sie sei auch wegefähig. Die funktionellen Leistungseinschränkungen bestünden seit rund 10 Jahren. Seit 2006 habe sich hinsichtlich der beruflichen Leistungsfähigkeit keine Änderung ergeben.

Nachdem die Klägerin Einwendungen gegen die Begutachtung durch Dr. H. erhoben hatte, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 16.12.2009 ab. Zur Begründung führte es aus, die Rente falle im Hinblick auf deren Befristung zum 31.5.2007 weg; ein Besserungsnachweis sei deswegen nicht notwendig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Weitergewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente gem. § 44 SGB VI a.F. über den 31.5.2007 hinaus, da sie nicht mehr erwerbsunfähig sei. Sie könne nämlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig verrichten. Das gehe aus dem Gutachten des Dr. H. überzeugend hervor. Die Einwendungen der Klägerin gegen die Begutachtung seien unbegründet, insbesondere habe sie ausreichend Gelegenheit zur Schilderung ihrer Beschwerden gehabt. Das im Schwerbehindertenverfahren erstattete Gutachten des Dr. G. enthalte im Kern die gleichen Diagnosen wie das Gutachten des Dr. H.; davon abgesehen könne aus dem schwerbehindertenrechtlichen GdB auf Erwerbsunfähigkeit nicht geschlossen werden. Das Verwaltungsgutachten des Dr. R. stütze die Erkenntnisse des Dr. H. zusätzlich. Demgegenüber könnten abweichende Leistungseinschätzungen behandelnder Ärzte nicht überzeugen. Berufsunfähigkeitsrente (§ 43 SGB VI a.F.) stehe der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bereit verweisbaren Klägerin ebenfalls nicht zu.

Auf das ihr am 18.1.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.2.2010 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, das Sozialgericht habe sich in erster Linie auf das Gutachten des Dr. H. gestützt. Aus den Berichten des sie seit 10 Jahren behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 2.9.2008 bzw. vom 18.02.2008 gehe hervor, dass sich ihr Gesundheitszustand seit 2006 nicht gebessert habe. Dr. R. halte sie nicht für fähig, eine Berufstätigkeit auszuüben. Dieser Auffassung sei im Wesentlichen auch der Orthopäde Dr. N ... Er habe in seinem Bericht vom 12.05.2009 bestätigt, dass seit 2006 keine Besserung eingetreten sei und sie nur für vier Stunden täglich leistungsfähig erachtet. Dr. G. habe im Schwerbehindertengutachten vom 4.11.2008 eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes seit mindestens 2007 angenommen und auf die Problematik der Kombination aus körperlicher Beeinträchtigung und somatoformer Störung sowie Dysthymie und Depression hingewiesen. Seit 2008 übe sie eine Beschäftigung im Rahmen eines Minijobs aus, um keine Grundsicherungsleistungen beantragen zu müssen; sie fahre Dialyse- und Krebspatienten zu ihren Behandlungsorten und hole sie wieder ab. Diese Tätigkeit verrichte sie offiziell 15 Stunden wöchentlich, aus gesundheitlichen Gründen bringe sie es jedoch oft auf nicht mehr als 10 Wochenstunden (Jahresverdienst bei 4000,00 EUR).

Die Klägerin hat zur weiteren Begründung der Berufung den Bericht der Psychotherapeutin Sch.-H. vom 10.3.2010 vorgelegt. Darin heißt es bei den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom und anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die Klägerin befinde sich seit April 2007 in niedrigfrequenter, stützender psychotherapeutischer Behandlung. Die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente werde befürwortet.

Die Beklagte hat dazu die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. B. vom 27.4.2010 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, die Diagnose einer gegenwärtig mittelgradigen Episode sei nicht nachvollziehbar, da sowohl Dr. H. als auch Dr. G. eine Remission der depressiven Störung festgestellt hätten. Die Ausführungen der Psychotherapeutin Sch.-H. seien auch in sich widersprüchlich. Eine mittelgradige Episode mache eine deutlich intensivere Behandlung als eine niedrigfrequente Psychotherapie erforderlich. In der weiteren Stellungnahme vom 22.4.2010 hat Dr. B. dargelegt, Dr. H. habe sich auch eingehend mit dem psychiatrischen Gutachten des Dr. G. vom 4.11.2008 auseinandergesetzt. Dr. G. habe (im Schwerbehindertenverfahren) eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, sowie eine Neurasthenie diagnostiziert. Diagnostisch bestehe damit weitestgehende Übereinstimmung mit Dr. H ... Zum rentenrechtlichen Leistungsvermögen habe Dr. G. naturgemäß keine Angaben gemacht.

Der Senat hat sodann auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Nervenarztes Dr. K. vom 20.1.2011 (mit testpsychologischem Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5.5.2010, Untersuchung am 24.8.2010) erhoben. Der Gutachter hat die Klägerin (unter Eruierung des Tagesablaufs) nach ihren Beschwerden befragt und am 16.8.2010 untersucht; u.a. leide sie nach eigenen Angaben seit 1997 unter Depressionen, die jahrelang andauerten. Seit April 2007 werde die Klägerin wieder bei der Psychotherapeutin Sch.-H. behandelt. Dr. K. hat keine unmittelbar auffallenden umschriebenen oder generalisierten Atrophien im Bereich der Skelettmuskulatur gefunden. Die spontane Körperhaltung sei aufrecht, die Bewegungsabläufe seien altersentsprechend flüssig und ausreichend schnell gewesen. Hinsichtlich des psychischen Befunds hätten Gedächtnis, Konzentration und Merkfähigkeit deutlich beeinträchtigt gewirkt, wie das testpsychologische Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. bestätigt habe. Die Stimmungslage sei gedrückt. Störungen der zirkadianen Rhythmik mit morgendlichem Stimmungstief hätten aber nicht eruiert werden können. Es bestünden Versagensängste, ein mangelndes Selbstvertrauen und Durchschlafstörungen mit Tagesmüdigkeit und Antriebsstörungen. Aggravations- oder Dissimulationstendenzen lägen nicht vor. Die geklagten Schmerzen bestünden nach Angaben der Klägerin in ihrer heutigen Stärke und Ausprägung seit zwölf Jahren und seien in Charakter, Häufigkeit und Intensität unverändert.

Der Gutachter hat auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt: Rezidivierende depressive Störungen leichten bis mittleren Grades, somatoforme Schmerzstörung, psychogene Essstörung, Angst- und Panikattacken gemischt, chronisches Müdigkeitssyndrom, Cervikobrachialsyndrom beidseits, Lumbalsyndrom bei Zustand nach Operation eines Bandscheibenvorfalles in Höhe L5/S1 1991 mit Wurzelreizsyndrom in Höhe S 1, Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und anankastischen Zügen, somatoforme Störung im Bereich der Kreislauforgane, des Bewegungsapparates, des Gastrointestinaltraktes und des Hautorganes (Quincke-Ödem), Tinnitus und (leichte - S. 24,36 des Gutachtens) kognitive Leistungsstörung (insoweit Verschlimmerung seit der Begutachtung durch Dr. H.); letzteres schließe Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an Konzentration, Aufmerksamkeit und Reaktion aus. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) nur drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten. In den Jahren 1999 bzw. 2001 sei es durch die rezidivierende depressive Störung bzw. durch die Angst- und Panikattacken gemischt sowie die dann gesicherte Persönlichkeitsstörung und den Tinnitus zu einer deutlichen Verschlimmerung gekommen. Weitere Verschlechterungen hätten sich durch das Hinzutreten der psychogenen Essstörungen 2003 und der somatoformen Schmerzstörung 2004 ergeben, ebenso durch die 2010 deutlich gewordene kognitive Leistungsstörung, wobei die festgestellte Leistungseinschränkung ab Januar 2010 für gegeben erachtet werde. Man habe bislang zu Recht auf Versorgungswünsche der Klägerin Bezug genommen, die u.a. als Rentenbegehren interpretiert worden seien. Die inzwischen erreichte gesundheitliche und soziale Situation der Klägerin lasse ihre Versorgungswünsche als realistisch und nicht als Ausdruck einer Neurose deutlich werden. 2007 sei keine Besserung eingetreten und die Voraussetzungen für den Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente hätten vorgelegen. Eine weitere Verschlechterung sei im Januar 2010 hinzugetreten, wie durch die (bei der Begutachtung) durchgeführten psychometrischen Untersuchungen zu belegen sei. Dr. H. habe die psychogene Essstörung, die Angst- und Panikattacken, das chronische Müdigkeitssyndrom, das Cervicobrachialsyndrom beidseits, den Tinnitus und die kognitive Leistungsstörung diagnostisch nicht erfasst und sei deswegen zu anderen Untersuchungsergebnissen gekommen.

Im Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5.5.2010 ist ausgeführt, bei der testpsychologischen Untersuchung am 24.8.2010 hätten von 3 geplanten Tests nur einer (Persönlichkeitsinventar) durchgeführt werden können, da die Klägerin, die angegeben habe, in den letzten Jahren verstärkt unter Wortfindungsstörungen zu leiden, nicht mehr habe leisten können. Deswegen könne über mögliche Defizite in den einzelnen Bereichen der geistigen Leistungsfähigkeit keine Aussage getroffen werden. Das Persönlichkeitsinventar habe eine pathogene Persönlichkeitsakzentuierung im Sinne einer starken Introvertiertheit sowie einer hohen Verträglichkeit, emotionalen Kontrolle und Gewissenhaftigkeit gezeigt. Die Klägerin neige stark dazu, den eigenen Erwartungen und den von anderen entsprechen zu wollen und diese Erwartungen mit großem Leistungswillen und Perfektionismus zu erfüllen, was über einen längeren Zeitraum mit zur vorliegenden Erschöpfungssymptomatik beigetragen haben mag. Insgesamt erscheine sie auf psychischer Ebene nicht stabil und nicht belastbar, vor allem nicht auf regelmäßiger Basis.

Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 11.5.2011 anerkannt, dass die Klägerin seit März 2010 erneut erwerbsgemindert ist. Als Leistungsfall habe man die zeitliche Mitte zwischen der Begutachtung durch Dr. H. am 30.10.2009 und durch Dr. K. am 16.8.2010 festgesetzt; offensichtlich habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin in diesem Zeitfenster progredient verschlechtert. Allerdings seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung im März 2010 nicht mehr erfüllt. Im Zeitraum vom 1.10.1996 bis 22.3.2010 habe die Klägerin nur 34 Monate mit Pflichtbeiträgen aufzuweisen. Ein früherer Leistungsfall sei nicht nachgewiesen.

Die Beklagte hat hierfür beratungsärztliche Stellungnahmen vorgelegt. Unter dem 5.4.2011 hat Dr. B. ausgeführt, die Leistungsbeurteilung im Gutachten des Dr. K. werde gut nachvollziehbar begründet, ebenso die Verschlechterung gegenüber der Begutachtung durch Dr. H ... Zum Leistungsfall habe Dr. K. keine genauen Angaben gemacht; vorgeschlagen werde für den Leistungsfall die zeitliche Mitte zwischen den Begutachtungen durch Dr. H. und Dr. K ... Ergänzend heißt es in der Stellungnahme vom 5.5.2011, ein früherer Leistungsfall lasse sich nicht begründen. Die Leistungseinschätzung des Dr. K. sei nach § 44 SGB VI a. F. als zweistündig bis unter halbschichtig zu interpretieren.

Die Klägerin hat eingewandt, im Hinblick auf die von Dr. K. für Januar 2010 angenommene kognitive Leistungseinschränkung sei von einem Leistungsfall im Januar 2010 auszugehen.

Dr. B. hat hierzu in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.5.2011 dargelegt, es sei nicht nachvollziehbar, wie Dr. K. zu der Annahme komme, dass es im Januar 2010 zu einer testpsychologisch belegten kognitiven Leistungsstörung gekommen sei, nachdem die dieser Annahme zugrunde liegende testpsychologische Untersuchung im August 2010 (nicht im Januar 2010) durchgeführt worden sei. Davon abgesehen stelle die Diagnose einer kognitiven Leistungsstörung eine Einzeldiagnose unter den anderen Diagnosen dar und sei für das zeitliche Leistungsvermögen nicht relevant. Bei der Untersuchung durch Dr. H. im Oktober 2009 hätten sich im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine kognitive Leistungsstörung ergeben. Es müsse daher beim bisher angenommenen Leistungsfall bleiben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16.12.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.7.2007 zu verurteilen, ihr Erwerbsunfähigkeitsrente gem. § 44 SGB VI a. F. über den 31.5.2007 hinaus weiter zu gewähren,

hilfsweise,

ihr auf Grund eines im März 2010 eingetretenen (neuen) Versicherungsfalls Rente wegen voller Erwerbsminderung gem. § 43 SGB VI n. F. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und auch einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI n. F. nicht für gegeben.

Am 3.8.2011 hat eine erste mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden; der Beklagten wurde aufgegeben, das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung für einen Leistungsfall im März 2010 zu prüfen.

Die Beklagte hat hierzu mitgeteilt, ausgehend von einem am 20.3.2010 eingetretenen Leistungsfall und einem Rentenbeginn 1.10.2010 wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung erfüllt, wenn im Zeitraum vom 1.10.1996 bis 19.3.2010 mindestens 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt wären. Dabei sei der Verlängerungstatbestand des § 43 Abs. 4 SGB VI bereits berücksichtigt. Im genannten Zeitraum habe die Klägerin nur 34 Monate mit Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären auch erfüllt wenn die Klägerin am 1.1.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt hätte und danach jeder Monat mit Anwartschaftserhaltungszeiten gem. § 241 Abs. 2 SGB VI belegt wäre. Im Versicherungskonto der Klägerin bestehe ab 1.7.1998 jedoch eine Lücke; bis 31.7.1999 seien rentenrechtliche Zeiten nicht zurückgelegt worden. Die Nachzahlung von Beiträgen sei nicht mehr möglich (§ 197 Abs. 2 SGB VI). Da das derzeitige Rentenverfahren erst seit dem Rentenantrag vom 5.12.2006 anhängig sei, könne sich die Klägerin auf die Vorschrift des § 198 SGB VI über die Unterbrechung der Zahlungsfrist nicht berufen; Beiträge für 1997 und 1998 könnten nicht mehr nachentrichtet werden.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie beziehe auf Grund eines Rentenantrags von 1998 seit 1999 Erwerbsunfähigkeitsrente. Man hätte ihr seinerzeit ermöglichen müssen, die Beitragslücken für 1998 und 1999 im Hinblick auf einen späteren Versicherungsfall zu schließen. Das sei unterblieben, weshalb sie nach Maßgabe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs noch Beiträge nachzahlen dürfe. Dazu sei sie bereit.

Die Beklagte hat eingewandt, zum Rentenbeginn 1.8.1999 sowie bei der damaligen Bescheiderteilung seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung erfüllt gewesen. Dass dies später bei einem anderen Leistungsfall nicht mehr der Fall sein könnte, sei nicht absehbar oder erkennbar gewesen. Eine Beratungspflicht habe daher nicht bestanden. Die Klägerin sei in dem dem Bescheid vom 27.9.1999 beigefügten Beiblatt darauf hingewiesen worden, sich wegen weiterer Auskünfte zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes für einen künftigen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente an sie, die Beklagte, zu wenden.

Die Klägerin hat abschließend geltend gemacht, eine Beratungspflicht des Sozialleistungsträgers bestehe immer dann, wenn eine konkrete Einzelfallbearbeitung durchgeführt werde; das sei seinerzeit der Fall gewesen. Da nur eine Zeitrente bewilligt worden sei, sei es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass die Frage der Belegung der in Rede stehenden Lücke (Juli 1998 bis Juli 1999) mit Anwartschaftserhaltungszeiten zukünftig bedeutsam werden könnte. Daraus folge eine konkrete Beratungspflicht. Hätte man sie 1999 entsprechend beraten, hätte sie freiwillige Beiträge noch zahlen und die Lücke im Versicherungsverlauf schließen können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig. Sie richtet sich auf die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente gem. § 44 SGB VI a. F. über den 31.5.2007 hinaus bzw. (jedenfalls) auf die Gewährung von Erwerbsminderungsrente gem. § 43 SGB VI n. F. wegen eines (von Dr. K. während des Berufungsverfahrens festgestellten) neuen Leistungsfalls im Jahr 2010. Dass über letzteres ein gesondertes Verwaltungsverfahren nicht stattgefunden hat, ist unschädlich; der Senat muss hierüber gleichwohl entscheiden. Die Berufung ist aber nicht begründet. Die Beklagte hat die Weitergewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente zu Recht abgelehnt. Der Klägerin steht auch Erwerbsminderungsrente gem. § 43 SGB VI n. F. nicht zu.

I. Erwerbsunfähigkeitsrente gem. § 44 SGB VI a. F. kann die Klägerin nicht mehr beanspruchen, wenngleich diese Vorschrift auf den am 5.12.2006 gestellten Weitergewährungsantrag noch anzuwenden ist. Erwerbsunfähigkeit liegt über den 31.5.2007 hinaus nämlich nicht mehr vor.

1.) Welche rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung bzw. deren Weitergewährung maßgeblich sind, wenn die einschlägigen Vorschriften während des Rentensachverhalts geändert wurden, richtet sich nach dem Übergangsrecht der §§ 300 ff. SGB VI. Nach der Grundregel des § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Abweichungen von dieser Grundregel (der Anwendung des aktuell geltenden Rechts) enthalten die Bestimmungen in § 300 Abs. 2 und § 302b SGB VI. Gem. § 300 Abs. 2 SGB VI sind aufgehobene Vorschriften des SGB VI auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. § 302b Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI sieht vor, dass ein am 31.12.2000 gegebener Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (nach §§ 43, 44 SGB VI a.F.) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres weiter besteht, solange die Voraussetzungen vorliegen, die für die Bewilligung der Leistung maßgeblich waren; bei befristeten Renten gilt dies auch für einen Anspruch nach Ablauf der Frist.

§ 302b Abs. 1 SGB VI erhielt seinen jetzigen Inhalt durch Art. 1 Nr. 55 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (BGBl. 2000 I S. 1827). Die Vorschrift dient der Besitzstandswahrung für Bestandsrenten und soll sicherstellen, dass Ansprüche auf Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (nach §§ 43, 44 SGB VI a.F.) mit einem Rentenbeginn vor Inkrafttreten der genannten Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zum 1.1.2001 auch künftig nach dem bisherigen Recht (und nicht nach § 43 SGB VI n.F.) einschließlich der zum alten Recht ergangenen Rechtsprechung zu beurteilen sind (vgl. BT-Drs. 14/4230 S. 30). Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, dass nur die Fortzahlung einer bereits vor dem 1.1.2001 nach altem Recht bewilligten Rente gewährleistet sein soll (vgl. auch etwa BSG, Urt. v. 29.11.2007, - B 13 R 18/07 R -; Urt. v. 8.9.2005, - B 13 RJ 10/04 R - sowie Senatsurteil vom 15.12.2010, - L 5 R 4591/08 -).

Hier wurde der Klägerin Erwerbsunfähigkeitsrente erstmals im Jahr 1999, also unter Geltung des § 44 SGB VI a.F., bewilligt. Die Rente wurde als Zeitrente befristet zum 31.1.2001 gewährt und in der Folgezeit mehrfach (nahtlos) verlängert, zunächst auf Grund des im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Konstanz S 2 RJ 257/02 abgegebenen Anerkenntnisses der Beklagten bis 31.5.2004, sodann bis 31.5.2007. Damit handelt es sich um eine Bestandsrente i. S. d. § 302b Abs. 1 SGB VI. Der Rentenanspruch bestand am 31.12.2000; sein Fortbestehen richtet sich also nach altem Recht (§ 44 SGB VI a.F.).

2.) Der Klägerin ist über den 31.5.2007 hinaus nicht erwerbsunfähig. Deswegen kann ihr Erwerbsunfähigkeitsrente nicht weitergewährt werden. Dafür ist ohne Belang, ob zu einem späteren Zeitpunkt - im Jahr 2010 - Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI n. F. oder ggf. auch Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI (wieder) bestanden haben sollte. Der zum 31.5.2007 erloschene Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente gem. § 44 SGB VI a.F. kann dadurch nicht wieder aufleben. Unter Geltung des § 43 SGB VI n. F. käme allenfalls ein (neuer) Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in Betracht, der der Klägerin (wie noch darzulegen sein wird) allerdings nicht zusteht.

Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. hatten Versicherte (bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie erwerbsunfähig waren. Erwerbsunfähig waren gem. § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande waren, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße (bzw. zuletzt monatlich 630 DM) überstieg. Erwerbsunfähig war gem. § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F. nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Von einem i. S. d. § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F. vollschichtigen Leistungsvermögen war auszugehen, wenn der Versicherte in der Lage war, werktäglich acht Stunden zu arbeiten.

Die Klägerin war ab 31.5.2007 (wieder) imstande, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig - acht Stunden täglich - zu verrichten. Das geht aus den vorliegenden Rentengutachten der Dres. R. und H. überzeugend hervor, wobei der Senat nicht darüber zu befinden braucht, ob vollschichtiges Leistungsvermögen in diesem Sinne nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hatte.

Dr. R. untersuchte die Klägerin am 27.2.2007 zeitnah vor dem hier maßgeblichen Endtermin der Erwerbsunfähigkeitsrente (31.5.2007) und fand in seinem Gutachten vom 28.2.2007 ungeachtet geklagter - nach Angaben der Klägerin letztendlich seit 10 unverändert bestehender (Schmerz-)Beschwerden - eine seitengleich normal kräftig ausgebildete Muskulatur und flott und flüssig mit physiologischem Muster ausgeführte Bewegungen, wobei auch beim Aufstehen, Hinsetzen und Hinlegen Abstützreaktion nicht erforderlich waren. Sekundärveränderungen an der Muskulatur, wie sie bei ausgeprägten oder langwährenden Krankheitsprozessen hervorgerufen werden können, fehlten ebenso wie sonstige Veränderungen als Folge chronischer Schmerzen oder von Schmerzreaktionen. Auch unmittelbare Zeichen von Schmerz konnte Dr. R. nicht feststellen. Demzufolge ergaben sich keinerlei Hinweise für eine Schmerzkrankheit. Dies wird unterstrichen durch das Unterbleiben einer adäquaten Schmerzbehandlung. Damit ist für eine zu rentenrechtlich beachtlichen (zeitlichen) Leistungseinschränkungen führende Schmerzkrankheit nichts ersichtlich. Entsprechendes gilt für psychische Erkrankungen, namentlich des depressiven Formenkreises; auch insoweit fand eine bei hinreichend gewichtigen Störungsbildern zu erwartende, adäquate Therapie nicht statt. Spontanaffektivität, affektive Schwingungsfähigkeit, Vitalgefühl und Stimmungslage erwiesen sich als unauffällig, wobei Dr. R. das Vorliegen einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur in seine Leistungseinschätzung einbezog. Nennenswerte Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule nach der Bandscheibenoperation bestanden ebenso wenig wie bedeutsame neurologische Ausfälle. Die Leistungseinschätzung des Dr. R., der die Klägerin für fähig hielt, jedenfalls leichte (wenn nicht mittelschwere) Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig i. S. d. § 44 SGB VI a.F. zu verrichten, ist nach alledem überzeugend.

Die Auffassung des Dr. R. wurde im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht mit der Begutachtung durch Dr. H. bestätigt und untermauert. Auch Dr. H. fand die Klägerin bei der Untersuchung am 30.10.2009 affektiv schwingungsfähig ohne Hinweise auf Interessenverlust oder Freudlosigkeit. Eine Antriebsstörung war bei leichter depressiver Herabstimmung ebenfalls nicht festzustellen. Dr. H. verneinte deswegen schlüssig eine mittelschwere oder gar schwere Depressionserkrankung. Dem entspricht es, dass (nach wie vor) eine adäquate Depressionsbehandlung (ersichtlich mangels Notwendigkeit) nicht stattfand. Hierfür genügen die Konsultation eines Nervenarztes in größeren Abständen bzw. einmal monatliche Gespräche bei einer Psychotherapeutin nicht. Auch eine bei höhergradigen Schmerzerkrankungen indizierte Schmerztherapie wurde nicht durchgeführt, Schmerzmittel wurden nicht angewendet. Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass sich bei der Schmerz-Simulations-Skala Hinweise auf ein nicht authentisches Verhalten der Klägerin ergaben, was zusammen mit den schon von Dr. R. festgestellten und gegen eine Schmerzkrankheit sprechenden Befunden und einem von Dr. M. (Gutachten vom 26.2.2003) angeführten möglichen Rentenbegehren erhebliche Zweifel am (damaligen) Beschwerdevorbringen der Klägerin begründen muss. Insgesamt ist auch die Leistungseinschätzung des Dr. H. - leichte Tätigkeiten unter qualitativen Einschränkungen acht Stunden täglich möglich - schlüssig und überzeugend.

Vor den Erkenntnissen der Rentengutachter haben die nicht weiter begründeten abweichenden Auffassungen der behandelnden Ärzte Dr. R. und Dr. N. keinen Bestand. Auf das Gutachten des Dr. G. vom 4.11.2008 kann die Klägerin ihr Rentenbegehren ebenfalls nicht stützen. Dieses Gutachten ist einem Schwerbehindertenverfahren und damit unter einer hier nicht maßgeblichen sozialmedizinischen Fragestellung erstattet worden; zum rentenrechtlich beachtlichen Leistungsvermögen der Klägerin trifft es – bei im Kern gleicher Diagnostik wie Dr. H. (so auch Dr. B. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.4.2010) - keine Aussagen. Dr. G. hat insbesondere die Depressionserkrankung für remittiert erachtet und im Übrigen bei der Schmerzangabe eine relevante Aggravation gefunden, was die Feststellungen des Dr. H. zu nicht authentischen Schmerzangaben der Klägerin weiter erhärtet. Dr. H. hat das Gutachten des Dr. G. im Übrigen in seine Würdigung einbezogen und bei der Leistungseinschätzung berücksichtigt. Der im Berufungsverfahren vorgelegte Bericht der Psychotherapeutin Sch.-H. vom 10.3.2010 unterstreicht zusätzlich die Richtigkeit der Einschätzung des Dr. H. (und des Dr. R.), nachdem darin (ebenfalls) eine nur niederfrequente psychotherapeutische Behandlung angegeben ist. Dr. B. hat dies in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27.4.2010 zu Recht hervorgehoben und außerdem betont, dass bei einer von der Psychotherapeutin angenommenen mittelgradigen depressiven Episode eine deutlich intensivere Behandlung erforderlich wäre.

Dem im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobenen Gutachten des Dr. K. vom 20.1.2011 (mit testpsychologischem Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5.10.2010) ist das (Weiter-)Bestehen von Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI a. F. über den 31.5.2007 hinaus nicht zu entnehmen. Dr. K. hat ebenfalls keine unmittelbar auffallenden umschriebenen oder generalisierten Atrophien im Bereich der Skelettmuskulatur, eine aufrechte spontane Körperhaltung sowie altersentsprechend flüssige und ausreichend schnelle Körperbewegungen gefunden. Aus einer – so der Gutachter - gedrückten Stimmungslage kann, zumal beim Fehlen einer adäquaten psychiatrischen, psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Therapie, auf eine zu rentenberechtigenden Leistungseinschränkungen führende höhergradige Depressionserkrankung nicht geschlossen werden. Dr. K. hat einer Depressionserkrankung im Übrigen nur einen leichten bis mittelgradigen Ausprägungsgrad beigemessen. Der Gutachter hat seine vornehmlich aus aktuellen Befunden (u.a. der testpsychologischen Untersuchung der Klägerin im August 2010) abgeleiteten Erkenntnisse auf die derzeitige Leistungsfähigkeit bezogen und für die von ihm angenommenen Leistungseinschränkungen auf den Januar 2010 abgestellt. Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass Ergebnisse von Testungen in Selbstbeurteilungsverfahren für rentenrechtliche Leistungseinschätzungen (auch im Hinblick auf Manipulationsmöglichkeiten) wenig valide sind (vgl. auch Senatsurteil vom 11.5.2011, - L 5 R 1823/10 -), wobei hier außerdem die bereits bei Vorbegutachtungen geäußerten Zweifel an der Authentizität der Angaben der Klägerin ins Gewicht fallen müssen. Dr. K. selbst hat von in der Vergangenheit bestehenden Versorgungswünschen der Klägerin gesprochen und diese erst wegen der jetzt (August 2010) erreichten gesundheitlichen und sozialen Situation hintangestellt. Dem Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5.10.2010 sind sozialmedizinisch beachtliche Erkenntnisse für die rentenrechtliche Leistungsbeurteilung nicht zu entnehmen. Es beschränkt sich auf insoweit nicht weiterführende Resultate eines Persönlichkeitstests und die Wiedergabe von Beschwerdeangaben der Klägerin zu Wortfindungsstörungen, die in den vergangenen Jahren vermehrt auftreten sollen. Das hier allein maßgebliche (Fort-)Bestehen von Erwerbsunfähigkeit über den 31.5.2007 hinaus ist im Gutachten des Dr. K. allenfalls thesenartig postuliert, aber nicht schlüssig begründet. Die fundierten Leistungseinschätzungen des Dr. H. und des die Klägerin zeitnah zum maßgeblichen Stichtag 31.5.2007 begutachtenden Dr. R. sind dadurch nicht erschüttert. Dr. K. stützt sich für seine These wesentlich auf Angaben der Klägerin, was eine überzeugende sozialmedizinische Beurteilung des rentenrechtlichen Leistungsvermögens so nicht tragen kann, zumal insoweit eine kritische Auseinandersetzung mit den genannten Zweifeln an der Authentizität der Angaben nicht hinreichend stattfindet. Von Dr. K. angeführte diagnostische Differenzen zwischen ihm und Dr. H. fallen nicht ausschlaggebend ins Gewicht, zumal für die Gewährung von Erwerbsunfähigkeits- bzw. Erwerbsminderungsrente nicht Diagnosen, sondern Leistungseinschränkungen (Funktionseinschränkungen) ausschlaggebend sind. Eine (nach § 43 SGB VI n. F.) möglicherweise rentenberechtigende Leistungseinschränkung kann danach allenfalls für die Zeit zwischen der Begutachtung durch Dr. H. im Oktober 2009 und durch Dr. K. im August 2010 angenommen werden, worauf Dr. B. in den beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 5.4., 5.5. und 30.5. 2011 überzeugend hingewiesen hat, nicht jedoch – was hier allein maßgeblich ist - für die davor liegende Zeit ab 31.5.2007.

II. Erwerbsminderungsrente gem. § 43 SGB VI n. F. wegen eines während des Berufungsverfahrens im Jahr 2010 (neu) eingetretenen Versicherungsfalls steht der Klägerin ebenfalls nicht zu. Der Eintritt von Erwerbsminderung i. S. d. § 43 SGB VI n. F. vor März 2010 (20.3.2010) kann nicht festgestellt werden. Ab März 2010 sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung nicht mehr erfüllt. Die Klägerin kann diese durch die Nachzahlung freiwilliger Beiträge auch nicht herbeiführen.

1.) Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI n. F. haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI n. F.); volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen krankheits- oder behinderungsbedingt auf unter drei Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n. F.).

Versicherungsrechtliche Voraussetzung der Gewährung von Erwerbsminderungsrente ist neben der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI n. F.). Pflichtbeitragszeiten nach den genannten Vorschriften sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI). Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gem. § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI n. F. (u.a.) um nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegte Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Gem. § 241 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 5 SGB VI sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1.1.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat (zur Monatsrechnung § 122 Abs. 1 SGB VI) vom 1.1.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Beitragszeiten bzw. mit Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist. Anders als bei § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI n. F. genügen für die Anwendung des § 241 Abs. 2 SGB VI Beitragszeiten, also auch Zeiten, für die freiwillige Beiträge (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) gezahlt wurden; Pflichtbeitragszeiten sind nicht notwendig.

Die Zahlung freiwilliger Beiträge ist gem. § 197 Abs. 2 SGB VI wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres vorgenommen wird, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen. Die Zahlungsfrist des § 197 Abs. 2 SGB VI wird nach § 198 Satz 1 SGB VI durch ein Verfahren über einen Rentenanspruch (auch wegen Erwerbsminderung bzw. Erwerbs- oder Berufungsfähigkeit gem. §§ 43, 44 SGB VI a. F.) unterbrochen; sie beginnt erneut nach Abschluss des Verfahrens.

Gem. § 197 Abs. 3 SGB VI ist in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der Frist des § 197 Abs. 2 SGB VI zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren. Der Antrag kann nur innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werden. Die Beitragszahlung hat binnen einer vom Träger der Rentenversicherung zu bestimmenden angemessenen Frist zu erfolgen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ausgeschlossen (§ 197 Abs. 4 SGB VI). Nach der Rechtsprechung des BSG ist die in § 27 Abs. 3 SGB X geregelte Jahresfrist entsprechend anzuwenden. Danach kann eine Rechtshandlung nicht mehr nachgeholt werden, wenn seit dem Ende der versäumten Frist ein Jahr verstrichen ist, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. In dieser für die Nachholung von versäumten Handlungen gesetzten (äußersten) zeitlichen Grenze, die sich auch in anderen fristbezogenen Vorschriften (vgl. z. B. § 66 Abs. 2, § 67 Abs. 3 SGG) findet, kommt eine allgemeine gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, welcher eine sachgerechte Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Individualinteresse zugrunde liegt. Dementsprechend kann sich ein Versicherter auch im Rahmen des § 197 Abs. 3 SGB VI nicht zeitlich unbeschränkt auf ein mangelndes Verschulden berufen. Liegt der Ablauf der Beitragsentrichtungsfrist über ein Jahr zurück, so ist die Nachzahlung mithin allenfalls dann zuzulassen, wenn diese zuvor infolge höherer Gewalt unmöglich war (BSG, Urt. v. 1.2.2001, - B 13 RJ 1/00 R -).

Hinsichtlich des § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI bzw. hinsichtlich der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung durch die Nachzahlung freiwilliger Beiträge nach Ablauf der Zahlungsfrist des § 197 Abs. 2 SGB VI kommt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch grundsätzlich in Betracht, es sei denn man würde die Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI als abschließende Sonderregelung für die Beitragszahlung nach Fristversäumnis ansehen (offen lassend BSG, Urt. v. 18.12.2001, - B 12 RA 4/01 R -; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 22.2.2001, - L 1 RA 89/00 – m. w. N.).

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung (§ 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I) und Auskunft (§ 15 SGB I), verletzt hat. Weiter ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist nicht auf die Gewährung von Schadensersatz im Sinne einer Kompensation in Geld, sondern auf Naturalrestitution gerichtet, d. h. auf Vornahme einer Handlung zur Herstellung einer sozialrechtlichen Position im Sinne desjenigen Zustands, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Der Herstellungsanspruch darf nicht zu Ergebnissen führen, die mit dem Gesetz nicht übereinstimmen. Dabei geht es nicht um die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Amtshandlung als Mittel zur Herstellung des gewünschten Zustandes, sondern um diesen Zustand selbst, also um das Ziel, das durch die Amtshandlung herbeigeführt werden soll. Maßgeblich hierfür ist die Rechtslage bei der letzten mündlichen Verhandlung. (vgl. etwa BSG, Urt. v. 20.10.2010, - B 13 R 15/10 R -; Urt. v. 28.9.2010, - B 1 KR 31/09 R -). Nach Maßgabe dessen kann der sozialrechtliche Herstellungsanspruch eine versäumte Frist, wie die Frist des § 197 Abs. 2 SGB VI zur wirksamen Zahlung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge, neu eröffnen, d. h. es kann durch eine zulässige Amtshandlung der mit dem Verlust der Beitragszahlungsberechtigung entstandene Nachteil des Versicherten ausgeglichen werden (BSG, Urt. v. 17.8.2000, - B 13 RJ 87/98 R -).

Gem. § 14 SGB I hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Die Beratungspflicht der Leistungsträger besteht auch unabhängig von einem konkreten Beratungsbegehren; sie müssen im Rahmen der Spontanberatung bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden. Ist bspw. ein Leistungsangebot für die Versicherten so unübersichtlich, dass sich im Einzelfall nicht vermeiden lässt, einen konkreten Weg aufzuzeigen, der zu den gesetzlich möglichen Leistungen führt, ist eine solche Spontanberatung geboten. Das gilt insbesondere dann, wenn sich aus dem Verhalten eines Versicherten ergibt, dass er über die gesetzlichen Möglichkeiten nicht ausreichend informiert ist. Notwendig ist freilich, dass dem Leistungsträger der Informationsbedarf des Versicherten erkennbar ist. Ein konkreter Beratungsanlass kann sich auch anlässlich eines laufenden Rentenfeststellungsverfahrens ergeben. Eine Beratungspflicht besteht nicht immer erst nach Abschluss des Verwaltungs- oder des sich eventuell anschließenden Rechtsmittelverfahrens, sie kann auch schon vorher entstehen, etwa bei Erteilung eines Rentenablehnungsbescheids, unabhängig davon, ob sich ein Rechtsmittelverfahren anschließt. Die Pflicht zur Beratung kann in jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens erfüllt werden. Entscheidend für die Frage, wann die Beratung erforderlich wird, ist der jeweilige Beratungsbedarf, der sich im Laufe des Verfahrens nach Art und Umfang verändern kann. Wenn erkennbar zu einem späteren Zeitpunkt ein nicht wiedergutzumachender Rechtsverlust einzutreten droht, ist die Beratung zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchzuführen. Falls sich erneut Beratungsbedarf ergibt, ist die Belehrung insoweit ggf. zu ergänzen bzw. zu aktualisieren. Aus verwaltungsökonomischen Gründen darf der Beratungspflicht allerdings auch erst am Ende des Verfahrens nachgekommen werden, soweit damit für den Versicherten kein Rechtsnachteil verbunden ist.

Die Frage eines konkreten Anlasses steht in einem inneren Zusammenhang mit dem Inhalt der erforderlichen Beratung. Je allgemeiner die vom Versicherten benötigten Informationen sind, desto eher wird ein Anlass anzunehmen sein, der eine entsprechende Beratungspflicht begründet. Dementsprechend kann ein konkreter Anlass zu einer allgemein gehaltenen Beratung insbesondere schon dann gegeben sein, wenn zu erkennen ist, dass der Versicherte zu einem Personenkreis gehört, auf den eine für die Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung bedeutsame gesetzliche Regelung Anwendung findet. Zur Erfüllung einer allgemeinen Beratungspflicht kann sich der Rentenversicherungsträger zunächst der Übermittlung von Merkblättern oder allgemeinen Hinweisen bedienen. Eine derartige Hinweispflicht besteht vor allem dann, wenn die dem Versicherten durch das Verpassen bestimmter Gestaltungsmöglichkeiten erkennbar drohenden Nachteile besonders schwerwiegend sind (BSG, Urt. v. 17.8.2000, - B 13 RJ 87/98 R -).

2.) Davon ausgehend kann die Klägerin Erwerbsminderungsrente gem. § 43 SGB VI n. F. wegen eines neuen Versicherungsfalls nicht beanspruchen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente gem. § 43 SGB VI n. F. wären – worüber die Beteiligten nicht streiten – nur bei Vorliegen von Erwerbsminderung vor März 2010 (20.3.2010) erfüllt. Das ist jedoch nicht nachgewiesen, was nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin geht.

a.) Von einer rentenrechtlich beachtlichen Verschlechterung des Leistungsvermögens der Klägerin kann nach dem unter I. Gesagten nur in der Zeit zwischen der Begutachtung durch Dr. B. im Oktober 2009 und durch Dr. K. im August 2010 ausgegangen werden. Fundiert begründbar ist ein Versicherungsfall letztendlich erst mit der Untersuchung der Klägerin durch Dr. K. am 16.8.2010. Demgegenüber kann ein Versicherungsfall vor März 2010, namentlich im Januar 2010, nicht festgestellt werden. Die testpsychologisch vorgefundenen - auch nur leichten - kognitiven Leistungseinschränkungen genügen dafür nicht. Diese begründen, worauf Dr. B. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.5.2011 hingewiesen hat, ggf. qualitative, jedoch keine quantitativen (zeitlichen) Einschränkungen. Außerdem ist das Vorliegen der genannten Einschränkungen für Januar 2010 nicht dokumentiert, nachdem die einschlägige testpsychologische Untersuchung, bei der sie festgestellt wurden, erst im August 2010 stattgefunden hat. Deswegen mag auch offen bleiben, inwieweit das in Rede stehende psychologische Testverfahren valide Ergebnisse für die sozialmedizinische Beurteilung des rentenrechtlich beachtlichen Leistungsvermögens erbringen kann.

b.) Bei Eintritt von Erwerbsminderung gem. § 43 SGB VI n. F. (frühestens) im März 2010 sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Gewährung von Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt. Maßgeblich ist der Zeitraum vom 1.10.1996 bis 19.3.2010. In diesem Zeitraum sind nur 34 – und nicht wie erforderlich 36 - Monate mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Dies ist unter den Beteiligten nicht streitig.

Die Notwendigkeit von Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entfällt nicht gem. § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Seit 1.1.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung (frühestens im März 2010) ist nicht jeder Monat mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Vielmehr besteht eine Lücke vom 1.7.1998 bis 31.7.1999; auch hierüber streiten die Beteiligten nicht.

Die Klägerin will die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 SGB VI n. F. i. V. m. § 241 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI deswegen durch die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Monate Juli 1998 bis Juli 1999 herstellen. Dem steht indessen die Fristvorschrift des § 197 Abs. 2 SGB VI entgegen. Die wirksame Zahlung freiwilliger Beiträge für die Jahre 1998 und 1999 wäre danach grundsätzlich nur bis zum 31.3.1999 bzw. bis zum 31.3.2000 möglich gewesen. Die Unterbrechung der Zahlungsfristen wegen eines Verfahrens über einen Rentenanspruch (§ 198 Satz 1 SGB VI) kann der Klägerin nicht weiterhelfen; auch dann ist die Lücke in den Anwartschaftserhaltungszeiten nicht (vollständig) zu schließen. Als Unterbrechungstatbestand käme allein das auf den am 4.5.1998 gestellten Rentenantrag durchgeführte Rentenverfahren in Betracht. Dieses ist mit dem Erlass des Bescheids vom 27.9.1999 abgeschlossen worden. Ginge man davon aus, dass die Fristen für die wirksame Zahlung (etwa) der Beiträge für Juli bis Dezember 1998 danach erneut begonnen hätten (§ 198 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI), wären auch sie abgelaufen gewesen, bevor eine weitere Unterbrechung hätte eintreten können. Die Frist für die wirksame Zahlung eines freiwilligen Beitrags für Juli 1998 betrug 9 Monate (Juli 1998 bis März 1999). Sie hätte nach Unterbrechung erneut am 1.10.1999 beginnen können und hätte daher mit Ablauf des Monats Juni 2000 geendet; die Fristen für die wirksame Zahlung freiwilliger Beiträge für die Monate August bis Dezember 1998 hätten entsprechend (jeweils um einen Monat) früher geendet (zur - umstrittenen - Frage der Fristberechnung bei § 198 SGB VI näher KassKomm/Peters, SGB VI § 198 Rdnr. 9). Eine erneute Unterbrechung der (neuen) Zahlungsfristen hätte erst mit einem Verfahren über die Weitergewährung der Rente eintreten können. Ein solches Rentenverfahren ist erstmals wieder mit dem am 10.10.2000 gestellten Weitergewährungsantrag der Klägerin anhängig geworden; zu diesem Zeitpunkt wären aber auch die erneut in Gang gesetzten Zahlungsfristen bereits abgelaufen gewesen und hätten deswegen nicht mehr unterbrochen werden können.

Die Klägerin müsste daher nach der Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI oder auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs berechtigt sein, die Lücke in den Anwartschaftserhaltungszeiten von Juli 1998 bis Juli 1999 noch durch wirksame Zahlung freiwilliger Beiträge vollständig zu schließen. Beides ist indessen nicht der Fall, weshalb der Senat offen lassen kann, ob der sozialrechtliche Herstellungsanspruch neben § 197 Abs. 3 SGB VI anwendbar ist und ob die Frage des Härtefalls nach § 197 Abs. 3 Satz 1 SGB VI im Rentenverfahren oder nur in einem auf entsprechenden Antrag des Versicherten durchzuführenden gesonderten Verwaltungsverfahren zu prüfen wäre.

Die Anwendung der Härtefallregelung in § 197 Abs. 3 SGB VI scheidet schon deshalb aus, weil seit Ablauf der genannten Zahlungsfristen (weit) über ein Jahr vergangen ist; für höhere Gewalt i. S. d. § 27 Abs. 3 SGB X ist nichts ersichtlich. Die Beklagte hat seinerzeit auch eine ihr der Klägerin gegenüber bestehende Beratungspflicht aus § 14 SGB I nicht verletzt. Um konkrete Beratung wegen der Aufrechterhaltung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente durch die Zahlung freiwilliger Beiträge hat die Klägerin nicht nachgesucht. Es hat für die Beklagte (bzw. deren Rechtsvorgängerin) auch kein Anlass für eine entsprechende Spontanberatung bestanden. Die Stellung von Rentenanträgen oder von Anträgen auf Weitergewährung einer bewilligten Zeitrente für sich allein genügt hierfür nicht; bei Stellung des ersten Weitergewährungsantrags im Oktober 2000 waren die Zahlungsfristen der Beiträge für Juli bis Dezember 1998 im Übrigen bereits abgelaufen. Bei Erlass des Bescheids vom 27.9.1999 über die Gewährung einer Zeitrente hat die Beklagte die Klägerin durch das diesem Bescheid beigefügte Merkblatt allgemein darüber informiert, dass bei Wegfall der Zeitrente wegen Erwerbsminderung ein zukünftiger Rentenanspruch wegen Erwerbsminderung nur aufrechterhalten werden kann, wenn die Monate nach dem Rentenwegfall mit Beitrags- oder Beitragserhaltungszeiten belegt seien. Für weiteren Beratungsbedarf ist die Klägerin aufgefordert worden, sich ggf. an die D. R. Baden-Württemberg zu wenden, was nicht geschehen ist. Diese Hinweise sind bei gegebener Sachlage ausreichend gewesen. Die Klägerin war schon in den Bescheiden vom 4.8.1994 und 7.10.1998 unter Beifügung entsprechender Merkblätter über die Modalitäten für die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes und auch über das Erfordernis lückenloser Anwartschaftserhaltungszeiten ab 1.1.1998 ggf. durch Zahlung freiwilliger Beiträge innerhalb der maßgeblichen Zahlungsfristen unterrichtet worden und man hatte ihr mit Schreiben vom 21.9.1999 das Bestehen einer Lücke ihres Versicherungskotos ab 1.7.1998 mitgeteilt. Die Beklagte war zu weiteren Beratungen wegen der Wahrung einer Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbs-/Berufsunfähigkeit nicht verpflichtet. Dazu wäre sie nur gehalten gewesen, wenn die Klägerin, etwa auf die Hinweise in dem genannten Merkblatt, um zusätzlich Beratung gebeten hätte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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