L 19 AS 292/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 25/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 292/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 06.02.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 06.01.2011.

Die am 00.00.1989 geborene Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 06.12.2011 erließ der Antragsgegner einen eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ersetzenden Verwaltungsakt für die Zeit vom 06.12.2011 bis 31.05.2012, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird. Er legte u.a. fest, dass die Antragstellerin verpflichtet ist, an der Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung Aktivierungsmaßnahme vom 12.12.2011 bis längstens 29.05.2012 beim Bildungsträger U in F teilzunehmen

Gegen den Verwaltungsakt vom 06.12.2011 legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Am 12.12.2011 trat die Antragstellerin die Maßnahme nicht an. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs lehnte das Sozialgericht Aachen, S 2 AS 130/12 B ER, ab. Hiergegen legte die Antragstellerin Beschwerde beim Landessozialgericht, L 19 AS 130/12 B ER, ein.

Unter dem 06.01.2012 erließ der Antragsgegner einen eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ersetzenden Verwaltungsakt für die Zeit vom 06.01. bis 05.07.2012, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird. Er verpflichtete die Antragstellerin u.a. ab dem 09.01.2012 an der Maßnahme Ah 3 gemäß § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 46 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zur beruflichen Eingliederung teilzunehmen. Die Maßnahme solle die berufliche Eingliederung der Antragstellerin durch eine Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützen. Der Antragsgegner verpflichtete sich, die Maßnahmekosten für die Teilnahme an der Aktivierungsmaßnahme Ah 3 nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 46 SGB III beim Träger U F, L-Straße 00, F und die notwendigen Fahrtkosten zu übernehmen. Am 09.01.2012 trat die Antragstellerin die Maßnahme an. Der Maßnahmeträger schloss die Antragstellerin von der Maßnahme aus.

Am 10.01.2012 erhob die Antragstellerin Klage.

Sie trug vor, dass der Antragsgegner nicht berechtigt gewesen sei, am 06.01.2012 einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt zu erlassen. Der Antragsgegner hätte entweder den bestehenden Verwaltungsakt vom 06.12.2011 aufheben oder aber den neuen Verwaltungsakt als Änderungsbescheid erlassen müssen. Das SGB II sähe weder ergänzende noch zusätzliche Eingliederungsvereinbarungen zur Laufzeit vor. Der Verwaltungsakt vom 06.01.2012 sei nicht ausreichend bestimmt. Aus ihm gingen weder der Inhalt der Maßnahme noch die Maßnahmezeiten (Unterrichtszeiten) hervor. Des Weiteren sei er nicht entsprechend den Anforderungen nach §§ 33, 35 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) begründet. Der Verwaltungsakt erfülle auch nicht den Grundsatz des Forderns und Förderns des SGB II.

Die Klägerin beantragte,

1. festzustellen im Rahmen einer Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG, dass der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 06.01.2012 nichtig ist,

2. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den Antragsgegner mittels Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG bis zum rechtskräftigen Entscheid in der Hauptsache zu verpflichten, im Rahmen einer Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes vom 06.01.2012 festzustellen,

3. hilfsweise, die Klageschrift als Widerspruch gegen den Verwaltungsakt vom 06.01.2012 umzudeuten,

4. hilfsweise, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gem. § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG wieder herzustellen.

Das Sozialgericht hat die Klageanträge zu 2) und zu 4) als Anträge auf Einleitung eines Rechtschutzverfahrens nach § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgefasst.

Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass am 27.12.2011 und 06.01.2012 Gespräche mit der Antragstellerin stattgefunden hätten. Es sei in der Eingliederungsvereinbarung die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie die Zustimmungserklärung zur Weitergabe von persönlichen Daten gestrichen worden. Die Antragstellerin habe sich mit der Teilnahme an der Maßnahme Ah 3 einverstanden erklärt. Dennoch habe sie sich geweigert, die entsprechende Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen, so dass diese per Verwaltungsakt erlassen worden sei. Dabei sei übersehen worden, dass dieser Verwaltungsakt nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Verwaltungsakt vom 06.01.2012 hätte werden müssen. Die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt sei geeignet, erforderlich und angemessen zur Eingliederung der Antragstellerin in Arbeit.

Durch Beschluss vom 06.02.2012 hat das Sozialgericht Aachen den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 06.01.2012 abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Am 14.02.2012 hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt.

Sie wiederholt im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie habe an der Maßnahme wegen Unbestimmtheit des Verwaltungsaktes nicht teilgenommen. Sie sei bei den Gesprächen am 27.12.2011 und 06.01.2012 über die Hintergründe und die Ausgestaltung der Maßnahme nicht unterrichtet worden.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,

den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 06.02.2012 aufzuheben und

1. die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen,

2. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den Antragsgegner mittels Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG bis zum rechtskräftigen Entscheid in der Hauptsacheverfahren zu verpflichten, im Rahmen einer Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes festzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

Die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

A.
Der im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nicht statthaft. Die Klägerin hat eine Nichtigkeitsklage nach § 55 Nr. 4 SGG erhoben. Es handelt sich um eine Feststellungsklage i.S.v. § 55 SGG, nicht aber um eine Anfechtungsklage i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG. Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG hat nur eine Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung.

B.
Auch wenn der Antrag der Antragstellerin dahingehend ausgelegt wird, dass sie im Beschwerdeverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches gegen Bescheid vom 06.01.2012 begehrt, ist die Beschwerde unbegründet.

Zwar ist ein solcher Antrag statthaft. Nach § 86b Abs.1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch oder die Anfechtungsklage keine aufschiebenden Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung anordnen. Der Widerspruch des Antragstellerin gegen den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 06.01.2012, den sie durch die Klageschrift erhoben hat, entfaltet nach § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGG keine aufschiebende Wirkung. Denn § 39 Nr. 1 2. Alt. SGB II (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I, 850) ordnet an, dass der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen zur Eingliederung und Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung regelt, keine aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend legt der angefochtene Bescheid fest, dass die Antragstellerin ab dem 09.01.2012 an einer Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung als Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit teilzunehmen hat.

Jedoch ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 06.01.2012 unbegründet.

Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebende Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin vorzunehmen. Dabei besteht ein Regel-/Ausnahmeverhältnis. In der Regel überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dies ist der Fall, wenn mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes spricht.

Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte überwiegt hier das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Es spricht mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 06.01.2012.

Der Bescheid vom 06.01.2012 ist nicht nach § 40 SGB X nichtig. Das Vorliegen eines Nichtigkeitstatbestandes nach § 40 Abs. 2 SGB X ist weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen. Ebenso greift § 40 Abs. 1 SGB X nicht ein. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler erleidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ein besonders schwerwiegender Fehler i.S.v. § 40 Abs. 1 SGB X ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Antragstellerin. Die Antragstellerin rügt, dass der Bescheid nicht i.S.v § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt sei und eine Begründung nach § 35 SGB X fehle. Solche Verfahrensfehler begründen allenfalls die Rechtwidrigkeit eines Bescheides, nicht aber seine Nichtigkeit.

Der Bescheid ist auch zur Überzeugung des Senats hinreichend bestimmt i.S.v. § 33 SGB X und begründet i.S.v. § 35 SGB X. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die erstinstanzlichen Ausführungen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Bedenken gegen die Geeignetheit und Zumutbarkeit der Teilnahme der Antragstellerin an der Aktivierungsmaßnahme Ah3 ergeben sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag der Antragstellerin. Die pauschale Einlassung, der Bescheid genüge nicht dem Grundsatz des Forderns und Förderns des SGB II, genügt nicht, um Zweifel an der Geeignetheit und Zumutbarkeit der Maßnahme zu begründen, zumal die Antragstellerin auch keinen Anspruch darauf hat, dass ihre spezifischen Ausbildungs- und Berufswünsche Berücksichtigung finden. Leistungsempfängern sind, wie aus § 10 Abs. 1 SGB II folgt, unabhängig von ihrer schulischen und beruflichen Bildung grundsätzlich alle Arbeiten zur Überwindung ihrer Arbeitslosigkeit zumutbar (BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R = juris Rn. 22).

Der Antragsgegner ist auch berechtigt gewesen, den Bescheid vom 06.01.2012 zu erlassen. Der Regelungsgehalt des Bescheides vom 06.12.2011 steht dem nicht entgegen, da dieser wegen einer Erledigung auf andere Weise i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X keine Rechtswirkungen für die Zeit nach dem 12.12.2011 mehr entfaltet. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf seine Ausführungen in seiner Entscheidung im Verfahren L 19 AS 130/12 B ER.

C.
Bei dem Antrag der Antragstellerin, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Nichtigkeit des Bescheides vom 06.01.2012 festzustellen, handelt es sich um einen Antrag auf einstweilgien Rechtschutz nach § 86b Abs. 2 SGG. Dahinstehen kann, ob ein solcher Feststellungsantrag statthaft ist. Jedenfalls ist der Antrag unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte ist der Bescheid vom 06.01.2012 nicht nichtig i.S.v. § 40 SGB X. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung ist auch nicht glaubhaft gemacht. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann nur bejaht werden, wenn der Antragstellerin schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können. Dies ist vorliegend nicht ersichtlich, zumal der Antragstellerin die Möglichkeit der Inanspruchnahme des einstweiligen Rechtschutzes zur Verfügung steht, falls eine Sanktion wegen des Ausschlusses aus der Maßnahme verhängt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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