Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 31 R 696/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
hat die 31. Kammer des Sozialgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 01.12.2011 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht X, sowie den ehrenamtlichen Richter X und die ehrenamtliche Richterin X für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2010 verurteilt, die Klägerin ab dem 23.03.2010 für ihre Tätigkeit bei der X von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Klägerin wurde 1966 geboren und legte im Jahre 2001 das 2. juristische Staatsexamen ab. Nach einer Tätigkeit bei der X im Bereich X trat sie zum 01.04.2008 als Angestellte bei der X in X ein. In der Zeit von April 2008 bis Dezember 2009 wurde sie zunächst eingearbeitet in die selbständige Bearbeitung internationaler Großschadensfälle im Bereich Haftpflichtversicherung. Zum 01.01.2010 wurde ihr bestehender Anstellungsvertrag sodann umgewandelt. Die Klägerin wurde nunmehr als X in der Abteilung X für die Gesellschaft tätig. Sie war von nun an außertarifliche Beschäftigte. Jede Nebentätigkeit bedurfte auch nach dem veränderten Anstellungsvertrag der ausdrücklichen Zustimmung der X.
Zum 23.03.2010 trat sie der X X bei und beantragte am 06.05.2010 bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der X. Sie fügte ein Schreiben der X an die Beigeladene bei. Die X bestätigte in diesem Schreiben, dass es der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für die X insbesondere gestattet sei, auch während der Dienststunden gerichtliche Termine wahrzunehmen und andere anwaltliche Aufgaben zu übernehmen und zu verhandeln. Im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben sei es ihr gestattet, nach eigenem Ermessen frei zu verhandeln und Entscheidungen herbeizuführen. Die Zulassung zur Rechtsanwaltsschaft und die hiermit verbundene freie Mandatsbetreuung stellten ein wesentliches Kriterium für die Anstellung in dem Unternehmen dar. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die von ihr zu verhandelnden industriellen Schadenszenarien, welche sie kompetenzmäßig eigenverantwortlich und selbständig abzuwickeln gehalten sei. Darüber hinausgehend zeichne sie nur dem zuständigen Bereichsleiter verantwortlich. Ihr Aufgabenbereich umfasse die selbständige Erstellung und Ausgestaltung von Vertragswerken sowie deren Verhandlung gegenüber internen Repräsentanten als auch gegenüber externen Personen und Gesellschaften. Desweiteren umfasse ihr Tätigkeitsgebiet die rechtliche Prüfung von Verträgen, die der X von Externen angedient würden sowie die damit verbundenen Vertragsverhandlungen. Letztlich zeichne sie verantwortlich für die VVG-Konformität der Vertragswerke der X sowie deren Vereinbarkeit mit versicherungsaufsichtsrechtlichen Bestimmungen. Schließlich umfasse ihr Tätigkeitsprofil auch, die bei den beschriebenen Tätigkeiten gewonnenen Erkenntnisse als abstrakte Regelungsabläufe, auch vor grösseren Zuhörerkreisen, mündlich darzustellen, schriftlich aufzuarbeiten oder aber auch Entscheidungen im Einzelfall bekannt zu geben und zu erläutern. Sie sei darüber hinaus nicht gehalten, Belegschaftsmitglieder nach dem RVG oder unentgeltlich zu beraten oder zu vertreten. Die Klägerin selbst teilte der Beklagten u. a. mit, dass sie dem Leiter des Innendienstes unterstellt sei und für das Schadensmanagement Haftpflicht mit einer entsprechenden Handlungsvollmacht ausgestattet sei. Mit hier angefochtenem Bescheid vom 25.06.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Befreiung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Tätigkeit der Klägerin setze keine Ausbildung zum Volljuristen voraus. Auch sei die Tätigkeit weisungsgebunden. Die Klägerin sei dem Leiter des Innendienstes unterstellt. Die Tätigkeit entspreche daher nicht dem Berufsbild eines Rechtsanwaltes aus § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO).
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21.07.2010 Widerspruch ein. Sie führte aus, ihre Tätigkeit sei nicht weisungsgebunden. Sie habe eine Bearbeitungslizenz für Schadensfälle in Höhe von 250.000,- EUR. In diesem Rahmen übe sie rechtsberatende, rechtsentscheidende und rechtsgestaltende Tätigkeiten weisungsfrei aus. Keine der seinerzeit von ihr bearbeiteten Akten sei vorlagepflichtig. Auch setze die Tätigkeit objektiv zwingend eine Qualifikation als Volljurist voraus, denn neben fundierten Kenntnissen im Versicherungsrecht seien auch solche im Haftungs- und Prozessrecht erforderlich. Ferner erklärte sie im Widerspruchsschreiben:
"Zu meinen Aufgaben gehört es insbesondere, vertragliche und deliktische An-sprüche sowie Ansprüche aus Gefährdungshaftung, die Dritte gegen unsere Versicherungsnehmer geltend machen, zu prüfen, gegebenenfalls abzuwehren oder bei Berechtigung zu regulieren. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Pro-dukthaftung (Produkthaftpflichtgesetz) sowie die Produzentenhaftung nach BGB. Im Bereich der Produkthaftung, die für den Großteil unserer internationalen Industriekunden relevant ist, umfasst mein Aufgabenbereich daneben die deckungsrechtliche Prüfung von Ansprüchen im Rahmen der erweiterten Produkthaftung. Prozesse, die in deckungsrechtlicher Hinsicht von unseren Versicherungsnehmern gegen uns und in haftungsrechtlicher Hinsicht von den Anspruchsstellern gegen unsere Kunden geführt werden, werden von mir in alleiniger Verantwortung betreut. Außerdem erwarten unsere internationalen Industriegroßkunden, dass ihnen in deren regelmäßig hochkomplexen Schadensfällen auf Versichererseite ein Rechtsanwalt gegenübersteht, der auf Augenhöhe mit deren Syndikusanwälten über die optimale Anspruchsabwehr berät. Eine Ausübung dieser Tätigkeit ohne rechtsanwaltliche Qualifikation wird von unseren Vertragspartnern nicht anerkannt und hätte den Kundenverlust zur Folge. Aus diesem Grund hat mein Arbeitgeber in seiner Stellen- und Funktionsbeschreibung vom 31.03.2010 auch darauf hingewiesen, dass meine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ein wesentliches Kriterium für meine Anstellung in dem seit dem 15.12.2009 bestehenden Rahmen ist. Insgesamt erfordert meine Tätigkeit Kenntnisse, die nur im Rahmen der Referendarausbildung mit anschließendem Assessorexamen in hinreichender Tiefe erworben werden können."
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück und wiederholte in der Sache ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.
Hiergegen richtet sich die Klage. Das Gericht hat das X der Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen zum Verfahren gem. § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einfach beigeladen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Ablehnung der beantragten Befreiung rechtswidrig sei und sie in ihren Rechten verletze. Zur Erläuterung ihrer Tätigkeit schildert sie exemplarisch ihren Arbeitsablauf in der 6. Kalenderwoche des Jahres 2011.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbeschei- des vom 27.10.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr gemäß ihrem Antrag ab dem 23.03.2010 für ihre Tätigkeit bei der X Befreiung von der gesetz- lichen Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und merkt ergänzend an, dass die Situation des Syndikusanwaltes als abhängig Beschäftigter es nicht zulasse, die von seinem Arbeitgeber verfolgten Geschäftsstrategien außer Acht zu lassen. Dadurch werde die Fähigkeit in beruflicher Unabhängigkeit zu handeln in Frage gestellt. Auch der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 14.09.2010, Az. C-550/07 P (Akzo Nobel) festgestellt, dass Syndikusanwälte nicht denselben Grad an Unabhängigkeit hätten wie externe Rechtsanwälte.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Die Beigeladene ist der Auffassung, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin als Sachbearbeiterin tätig werde.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2011 die Klägerin persönlich angehört sowie ihren unmittelbaren Vorgesetzten, Herrn Rechtsanwalt X, als Zeugen vernommen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte verwiesen, welche zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Beschäftigung bei der X zu.
Dieser Anspruch ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 6. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Nach dieser Vorschrift werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte für die Beschäftigung, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständischen Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn (a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, (b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Einrichtung zu zahlen sind und (c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Bei der Tätigkeit der Klägerin für die X handelt es sich – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – um eine (abhängige) Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), die grundsätzlich eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI begründet.
Die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in der Rechtsanwaltskammer Köln seit dem 23.03.2010 ergibt sich aus § 12 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach ein Rechtsanwalt mit seiner Zulassung Mitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer wird. Diese gesetzliche Pflichtmitgliedschaft der Rechtsanwälte in der Rechtsanwaltskammer Köln bestand am Beschäftigungsort Köln auch schon vor dem 01. Januar 1995.
Die Klägerin ist als Rechtsanwältin zudem Pflichtmitglied des Beigeladenen gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit § 10 der Satzung des Beigeladenen, wonach alle Mitglieder einer der Aufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen unterstehenden Rechtsanwaltskammer zwingend auch Mitglied des Beigeladenen sind. Die Klägerin ist nach Maßgabe des § 30 der Satzung des Beigeladenen verpflichtet, monatliche einkommensbezogene Beiträge an den Beigeladenen zu entrichten. Aufgrund dieser Beiträge erbringt der Beigeladene an die Klägerin gem. § 15 Abs. 1 seiner Satzung u.a. eine Altersrente, eine Rente für den Fall der Berufsunfähigkeit sowie eine Hinterbliebenenrente.
Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist jedoch darüber hinaus, dass die Klägerin gerade wegen ihrer Tätigkeit für die X Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und des Beigeladenen ist. Die Befreiungsmöglichkeit nach der vorgenannten Norm ist tätigkeits- und nicht personenbezogen. Bei der Tätigkeit der Klägerin für die X seit dem 23.03.2010 muss es sich also um eine dem anwaltlichen Berufsbild entsprechende Tätigkeit handeln. Wann eine Tätigkeit anwaltlich im vorgenannten Sinne ist, ist gesetzlich nicht abschliessend bestimmt. Normative Anhaltspunkte finden sich jedoch in der BRAO. § 1 BRAO definiert den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Der Rechtsanwalt übt gem. § 2 Abs. 1 BRAO einen freien Beruf aus und ist gem. § 3 Abs. 1 BRAO der unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Hieraus lassen sich grob zwei konstituierende Elemente der anwaltlichen Tätigkeit ableiten: Zum einen handelt es sich um eine Tätigkeit, die mit Bezug auf das Recht ausgeübt wird, zum anderen handelt es sich um einen Beruf, der von Unabhängigkeit und Freiheit geprägt wird. Zu letzterem Element und zur Vereinbarkeit der anwaltlichen Tätigkeit mit einem (abhängigen) Beschäftigungsverhältnis bestimmt § 46 Abs. 1 BRAO:
"Der Rechtsanwalt darf für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und –kraft zur Verfügung stellen muß, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden."
§ 46 Abs. 2 BRAO ergänzt:
"Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: (1) wenn er in derselben Angelegenheit als sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, bereits rechtsbesorgend tätig geworden ist; ( )"
Welche Konsequenzen hieraus für die Bewertung einer im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeit einer Person, die als Rechtsanwalt zugelassen ist, zu ziehen sind und unter welchen Voraussetzungen demzufolge eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI beansprucht werden kann, ist im Einzelnen umstritten.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 19.03.2004, Az. L 4 RA 12/03, die Auffassung vertreten, dass die Tätigkeit eines zugelassenen Rechtsanwaltes als Angestellter für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht die Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfülle. Denn – so das Landessozialgericht – ein Syndikusanwalt werde innerhalb eines festen Beschäftigungsverhältnisses nicht anwaltlich tätig. Das Prinzip der Über- und Unterordnung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses sei mit dem anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Allgemeinheit bestehe, nämlich dem des unabhängigen freiberuflich tätigen Rechtsanwaltes nicht zu vereinbaren. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat insoweit Bezug genommen auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vertretene Zwei-Berufe-Theorie, wonach der Syndicusanwalt außerhalb seines Beschäftigungsverhältnisses einer anwaltlichen Tätigkeit nachgehe, innerhalb desselben jedoch nicht (u.a. BGH, Urteil vom 25.02.1999, Az. IX ZR 384/97). Diese Auffassung, der sich u.a. das Sozialgericht Stade mit Urteil vom 08.05.2007, Az. S 27 RA 186/03, angeschlossen hat, überzeugt die Kammer nicht. Zwar hat sie den Vorteil, dass sie eine trennscharfe Differenzierung bei Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ermöglicht: Befreit werden könnten danach nur solche Rechtsanwälte, die für einen Arbeitgeber tätig werden, der selbst Rechtsanwalt ist. Entscheidend wird bei konsequenter Befolgung des vorgenannten Auffassung die standesrechtliche Bindung des Arbeitgebers, die zu beurteilende Tätigkeit des Beschäftigten selbst rückt demgegenüber in den Hintergrund und vermag eine Befreiungsmöglichkeit selbst dann nicht mehr zu begründen, wenn die Tätigkeit des Beschäftigten selbst vollständig derjenigen eines bei einer Rechtsanwaltssozietät beschäftigten Rechtsanwaltes entspricht. Ein solches Absehen von den Inhalten und Rahmenbedingungen der Tätigkeit im Einzelfall entspricht jedoch nicht der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI getroffenen Regelung, die gerade auf die Beschäftigung und Tätigkeit der zu befreienden Person abstellt. Auch erschliesst sich nicht, weshalb das mit einer Beschäftigung notwendig verbundene Über-Unterordnungsverhältnis bei einem standesrechtlich nicht gebundenen Arbeitgeber einer anwaltlichen Tätigkeit immer entgegenstehen soll, bei einem Arbeitgeber, der selbst Rechtsanwalt ist, jedoch nie.
Eine andere Bewertung rechtfertigt sich auch nicht in Hinblick auf die standesrechtlichen Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) selbst, insbesondere nicht aus § 46 BRAO. Absatz 1 dieser Vorschrift statuiert ein Vertretungsverbot, das jedoch seiner Formulierung nach voraussetzt, dass auch die Tätigkeit des Syndicusanwaltes für seinen Arbeitgeber grundsätzlich eine solche anwaltlicher Natur ist. § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO wiederum lässt nicht erkennen, wann jemand als "sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, ( )" tätig geworden ist und wann als Rechtsanwalt. Gegen eine Auslegung des § 46 BRAO hin zu einer den Begriff der anwaltlichen Tätigkeit begrenzenden Norm spricht neben dem Wortlaut auch die systematische Stellung der Bestimmung im dritten Teil der BRAO, welcher die "Rechte und Pflichten des Rechtsanwaltes und die berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte" regelt. Eine entsprechende berufsdefinierende Regelung hätte systematisch in den ersten Teil "Der Rechtsanwalt", zumindest aber in den die Zulassung des Rechtsanwaltes regelnden zweiten Teil gehört. Schliesslich führt auch die historische Auslegung der Norm, welche die Vorstellungen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen berücksichtigt, zu keinem anderen Ergebnis. Der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, mit welchem § 46 BRAO seine heutige Form erhielt, lässt sich auf Seite 49, BT-Drucksache 12/7656, entnehmen, dass der Rechtsausschuss seinerzeit den von Vertretern der Syndikusanwälte im Deutschen Anwaltverein vorgebrachten Vorschlag, durch eine Änderung des § 46 BRAO dem Syndikusanwalt einzuräumen, dass er auch im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig werde, nicht aufgegriffen habe. Zwar spricht die vorgenannte Fundstelle dafür, dass die im Rechtsausschuss an der Beratung beteiligten Abgeordneten mehrheitlich die Auffassung vertreten haben, dass der Syndikusanwalt im Angestelltenverhältnis keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Diese Auffassung hat jedoch – wie bereits ausgeführt – in Wortlaut und Systematik des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden. Im übrigen ist nicht der Rechtsausschuss, sondern der Bundestag als Ganzes das zuständige Gesetzgebungsorgan und die Motive der Mitglieder des Rechtsausschusses sind nicht repräsentativ für die Motive der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten (zu den Grenzen der historischen Auslegungsmethode vgl. deshalb auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1. Auflage 1960, S. 247 ff.).
Ein genereller Ausschluss von Syndikusanwälten von der Befreiungsmöglichkeit gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI kann schliesslich nicht aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 14.09.2010, Az. C-550/07 P (Akzo Nobel), abgeleitet werden. In diesem Verfahren hatte der EuGH über die Reichweite von Beweiserhebungsverboten in Kartellverfahren der Europäischen Kommission zu entscheiden. Die Entscheidung erging weder in Anwendung der hier streitentscheidenden Normen noch hat der EuGH die Aussage getroffen, dass Syndikusanwälten in jeder Hinsicht eine Anwaltseigenschaft oder die mit dem Rechtsanwaltsberuf verbundenen besonderen Rechte und Pflichten abzusprechen seien.
Dementsprechend ist nach Auffassung der Kammer entscheidend, ob die Tätigkeit der die Befreiung beantragenden Person ihrem Inhalt nach anwaltlicher Natur ist. In Anlehnung an die berufsrechtliche Literatur zu § 46 BRAO kann zur Beantwortung dieser Frage grundsätzlich auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die die Deutsche Rentenversicherung Bund im Jahr 2005 zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der berufsständischen Versorgungseinrichtung erarbeitet und in einem Merkblatt niedergelegt hat. Danach ist eine Tätigkeit eines Rechtsanwaltes bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber dann eine berufsspezifisch anwaltliche, wenn sie (1.) rechtsberatend; (2.) rechtsentscheidend, (3.) rechtsgestaltend und (4.) rechtsvermittelnd ist (siehe auch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.10.2009, Az. L 8 KR 189/08; SG Köln, Urteil vom 29.04.2011, Az. S 6 R 218/10; SG München, Urteil vom 28.04.2011, Az. S 30 R 148/11). Die vorgenannten Kriterien sind nicht abschließend und können durch die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzt und gegebenenfalls auch aufgehoben werden. Für den Regelfall bieten die vorgenannten Kriterien jedoch nach Auffassung der Kammer eine schlüssige und praktikable Entscheidungsgrundlage. In Hinblick auf die hervorgehobene Bedeutung, die der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes sowohl in § 1 als auch in § 3 Abs. 1 BRAO eingeräumt wird, ist nach Auffassung der Kammer ein besonderes Augenmerk auf das Kriterium der Rechtsentscheidung zu legen: Die die Befreiung beantragende Person muss befugt sein, rechtliche Entscheidungen von einigem wirtschaftlichen Gewicht eigenständig zu fällen und ihr dürfen keine abstrakt-generellen Vorgaben zur Lösung bestimmter Rechtsfragen gemacht werden. Gerade letzteres unterscheidet eine anwaltliche von einer juristisch-sachbearbeitenden Tätigkeit. Von einem Organ der Rechtspflege im Sinne des § 1 BRAO wird man schliesslich nur dann sprechen können, wenn die Rechtsanwendung in ihren verschiedenen Formen den deutlichen Schwerpunkt der Tätigkeit bildet, was etwa bei einer in erheblichem Umfang personalführenden oder kaufmännischen Tätigkeit nicht der Fall sein wird.
Die Tätigkeit der Klägerin für die X stellte eine anwaltliche Tätigkeit im vorgenannten Sinn dar. Die Klägerin ist unter Zugrundelegung ihrer glaubhaften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2011 sowie im schriftlichen Verfahren (1.) rechtsberatend für die X tätig. Die Rechtsberatung umfasst die unabhängige Analyse von betriebsrelevanten, konkreten Rechtsfragen, die selbständige Herausarbeitung und Darstellung von Lösungswegen und Lösungsmöglichkeiten vor dem spezifischen betrieblichen Hintergrund und das unabhängige Bewerten der Lösungsmöglichkeiten (vgl. Hessisches Landessozialgericht, a.a.O., Rn 42 bei juris). Die Klägerin ist seit dem 01.01.2010 als sog. Claims Handler in der Abteilung Claims der X tätig. Sie prüft im Bereich der Haftpflichtversicherung Schadensersatzansprüche, die von Dritten gegen Versicherungsnehmer ihrer Arbeitgeberin geltend gemacht werden, sowie Deckungsansprüche, welche Versicherungsnehmer unmittelbar gegenüber ihrer Arbeitgeberin geltend machen. Es handelt sich hierbei im Regelfall um Großschadensfälle mit internationalem Bezug, bei welchen neben dem allgemeinem deutschen Zivilrecht sowie deutschem Versicherungsrecht auch die Bestimmungen des internationalen Privatrechts beachtet werden müssen. Nach Prüfung des Einzelfalls anhand der entsprechenden Bestimmungen berät die Klägerin die Versicherungsnehmer und ggf. deren Rechtsanwälte und trifft für die eigene Arbeitgeberin bis zu einem Betrag von 250.000,- EUR eigenverantwortlich und weisungsfrei die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise, wobei sie nach den glaubhaften Ausführungen des für die Klägerin zuständigen, zeugenschaftlich vernommenen Bereichsleiters X keinen abstrakt-generellen Vorgaben in der Beantwortung bestimmter Rechtsfragen unterliegt. Die Klägerin wird damit auch (2.) rechtsentscheidend tätig.
Ferner wird die Klägerin (3.) rechtsgestaltend tätig. Rechtsgestaltung ist das eigenständige Führen von Vertrags- und Einigungsverhandlungen. Entsprechende Verhandlungen führt die Klägerin – wie von ihr im Einzelnen dargelegt – sowohl intern als auch extern gegenüber Anspruchstellern und deren Rechtsanwälten.
Schließlich wird die Klägerin rechtsvermittelnd (4.) tätig, indem sie die im Rahmen der Einzelfallbearbeitung gewonnenen rechtlichen Erkenntnisse abstrakt-generell etwa im unternehmensübergreifenden Kreis der Haftpflichtexpertinnenrunde oder unternehmensintern gegenüber bestimmten, in der Sache betroffenen Mitarbeitern im Rahmen von Vorträgen und Besprechungen erläutert.
Die vorgenannten Tätigkeiten mit rechtlichem Bezug bilden überdies den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin für ihre Arbeitgeberin. Die Klägerin ist nach der Einlassung des Zeugen Xmit organisatorischen Aufgaben oder Personalverantwortung nicht betraut.
Nach alldem ist die Klägerin mit Wirkung ab dem 23.03.2010 für ihre Tätigkeit bei der X von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Klägerin wurde 1966 geboren und legte im Jahre 2001 das 2. juristische Staatsexamen ab. Nach einer Tätigkeit bei der X im Bereich X trat sie zum 01.04.2008 als Angestellte bei der X in X ein. In der Zeit von April 2008 bis Dezember 2009 wurde sie zunächst eingearbeitet in die selbständige Bearbeitung internationaler Großschadensfälle im Bereich Haftpflichtversicherung. Zum 01.01.2010 wurde ihr bestehender Anstellungsvertrag sodann umgewandelt. Die Klägerin wurde nunmehr als X in der Abteilung X für die Gesellschaft tätig. Sie war von nun an außertarifliche Beschäftigte. Jede Nebentätigkeit bedurfte auch nach dem veränderten Anstellungsvertrag der ausdrücklichen Zustimmung der X.
Zum 23.03.2010 trat sie der X X bei und beantragte am 06.05.2010 bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der X. Sie fügte ein Schreiben der X an die Beigeladene bei. Die X bestätigte in diesem Schreiben, dass es der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für die X insbesondere gestattet sei, auch während der Dienststunden gerichtliche Termine wahrzunehmen und andere anwaltliche Aufgaben zu übernehmen und zu verhandeln. Im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben sei es ihr gestattet, nach eigenem Ermessen frei zu verhandeln und Entscheidungen herbeizuführen. Die Zulassung zur Rechtsanwaltsschaft und die hiermit verbundene freie Mandatsbetreuung stellten ein wesentliches Kriterium für die Anstellung in dem Unternehmen dar. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die von ihr zu verhandelnden industriellen Schadenszenarien, welche sie kompetenzmäßig eigenverantwortlich und selbständig abzuwickeln gehalten sei. Darüber hinausgehend zeichne sie nur dem zuständigen Bereichsleiter verantwortlich. Ihr Aufgabenbereich umfasse die selbständige Erstellung und Ausgestaltung von Vertragswerken sowie deren Verhandlung gegenüber internen Repräsentanten als auch gegenüber externen Personen und Gesellschaften. Desweiteren umfasse ihr Tätigkeitsgebiet die rechtliche Prüfung von Verträgen, die der X von Externen angedient würden sowie die damit verbundenen Vertragsverhandlungen. Letztlich zeichne sie verantwortlich für die VVG-Konformität der Vertragswerke der X sowie deren Vereinbarkeit mit versicherungsaufsichtsrechtlichen Bestimmungen. Schließlich umfasse ihr Tätigkeitsprofil auch, die bei den beschriebenen Tätigkeiten gewonnenen Erkenntnisse als abstrakte Regelungsabläufe, auch vor grösseren Zuhörerkreisen, mündlich darzustellen, schriftlich aufzuarbeiten oder aber auch Entscheidungen im Einzelfall bekannt zu geben und zu erläutern. Sie sei darüber hinaus nicht gehalten, Belegschaftsmitglieder nach dem RVG oder unentgeltlich zu beraten oder zu vertreten. Die Klägerin selbst teilte der Beklagten u. a. mit, dass sie dem Leiter des Innendienstes unterstellt sei und für das Schadensmanagement Haftpflicht mit einer entsprechenden Handlungsvollmacht ausgestattet sei. Mit hier angefochtenem Bescheid vom 25.06.2010 lehnte die Beklagte die beantragte Befreiung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Tätigkeit der Klägerin setze keine Ausbildung zum Volljuristen voraus. Auch sei die Tätigkeit weisungsgebunden. Die Klägerin sei dem Leiter des Innendienstes unterstellt. Die Tätigkeit entspreche daher nicht dem Berufsbild eines Rechtsanwaltes aus § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO).
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21.07.2010 Widerspruch ein. Sie führte aus, ihre Tätigkeit sei nicht weisungsgebunden. Sie habe eine Bearbeitungslizenz für Schadensfälle in Höhe von 250.000,- EUR. In diesem Rahmen übe sie rechtsberatende, rechtsentscheidende und rechtsgestaltende Tätigkeiten weisungsfrei aus. Keine der seinerzeit von ihr bearbeiteten Akten sei vorlagepflichtig. Auch setze die Tätigkeit objektiv zwingend eine Qualifikation als Volljurist voraus, denn neben fundierten Kenntnissen im Versicherungsrecht seien auch solche im Haftungs- und Prozessrecht erforderlich. Ferner erklärte sie im Widerspruchsschreiben:
"Zu meinen Aufgaben gehört es insbesondere, vertragliche und deliktische An-sprüche sowie Ansprüche aus Gefährdungshaftung, die Dritte gegen unsere Versicherungsnehmer geltend machen, zu prüfen, gegebenenfalls abzuwehren oder bei Berechtigung zu regulieren. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Pro-dukthaftung (Produkthaftpflichtgesetz) sowie die Produzentenhaftung nach BGB. Im Bereich der Produkthaftung, die für den Großteil unserer internationalen Industriekunden relevant ist, umfasst mein Aufgabenbereich daneben die deckungsrechtliche Prüfung von Ansprüchen im Rahmen der erweiterten Produkthaftung. Prozesse, die in deckungsrechtlicher Hinsicht von unseren Versicherungsnehmern gegen uns und in haftungsrechtlicher Hinsicht von den Anspruchsstellern gegen unsere Kunden geführt werden, werden von mir in alleiniger Verantwortung betreut. Außerdem erwarten unsere internationalen Industriegroßkunden, dass ihnen in deren regelmäßig hochkomplexen Schadensfällen auf Versichererseite ein Rechtsanwalt gegenübersteht, der auf Augenhöhe mit deren Syndikusanwälten über die optimale Anspruchsabwehr berät. Eine Ausübung dieser Tätigkeit ohne rechtsanwaltliche Qualifikation wird von unseren Vertragspartnern nicht anerkannt und hätte den Kundenverlust zur Folge. Aus diesem Grund hat mein Arbeitgeber in seiner Stellen- und Funktionsbeschreibung vom 31.03.2010 auch darauf hingewiesen, dass meine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ein wesentliches Kriterium für meine Anstellung in dem seit dem 15.12.2009 bestehenden Rahmen ist. Insgesamt erfordert meine Tätigkeit Kenntnisse, die nur im Rahmen der Referendarausbildung mit anschließendem Assessorexamen in hinreichender Tiefe erworben werden können."
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück und wiederholte in der Sache ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.
Hiergegen richtet sich die Klage. Das Gericht hat das X der Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen zum Verfahren gem. § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einfach beigeladen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Ablehnung der beantragten Befreiung rechtswidrig sei und sie in ihren Rechten verletze. Zur Erläuterung ihrer Tätigkeit schildert sie exemplarisch ihren Arbeitsablauf in der 6. Kalenderwoche des Jahres 2011.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbeschei- des vom 27.10.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr gemäß ihrem Antrag ab dem 23.03.2010 für ihre Tätigkeit bei der X Befreiung von der gesetz- lichen Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und merkt ergänzend an, dass die Situation des Syndikusanwaltes als abhängig Beschäftigter es nicht zulasse, die von seinem Arbeitgeber verfolgten Geschäftsstrategien außer Acht zu lassen. Dadurch werde die Fähigkeit in beruflicher Unabhängigkeit zu handeln in Frage gestellt. Auch der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 14.09.2010, Az. C-550/07 P (Akzo Nobel) festgestellt, dass Syndikusanwälte nicht denselben Grad an Unabhängigkeit hätten wie externe Rechtsanwälte.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Die Beigeladene ist der Auffassung, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin als Sachbearbeiterin tätig werde.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2011 die Klägerin persönlich angehört sowie ihren unmittelbaren Vorgesetzten, Herrn Rechtsanwalt X, als Zeugen vernommen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte verwiesen, welche zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Beschäftigung bei der X zu.
Dieser Anspruch ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 6. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Nach dieser Vorschrift werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte für die Beschäftigung, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständischen Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn (a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, (b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Einrichtung zu zahlen sind und (c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Bei der Tätigkeit der Klägerin für die X handelt es sich – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – um eine (abhängige) Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), die grundsätzlich eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI begründet.
Die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in der Rechtsanwaltskammer Köln seit dem 23.03.2010 ergibt sich aus § 12 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach ein Rechtsanwalt mit seiner Zulassung Mitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer wird. Diese gesetzliche Pflichtmitgliedschaft der Rechtsanwälte in der Rechtsanwaltskammer Köln bestand am Beschäftigungsort Köln auch schon vor dem 01. Januar 1995.
Die Klägerin ist als Rechtsanwältin zudem Pflichtmitglied des Beigeladenen gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit § 10 der Satzung des Beigeladenen, wonach alle Mitglieder einer der Aufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen unterstehenden Rechtsanwaltskammer zwingend auch Mitglied des Beigeladenen sind. Die Klägerin ist nach Maßgabe des § 30 der Satzung des Beigeladenen verpflichtet, monatliche einkommensbezogene Beiträge an den Beigeladenen zu entrichten. Aufgrund dieser Beiträge erbringt der Beigeladene an die Klägerin gem. § 15 Abs. 1 seiner Satzung u.a. eine Altersrente, eine Rente für den Fall der Berufsunfähigkeit sowie eine Hinterbliebenenrente.
Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist jedoch darüber hinaus, dass die Klägerin gerade wegen ihrer Tätigkeit für die X Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und des Beigeladenen ist. Die Befreiungsmöglichkeit nach der vorgenannten Norm ist tätigkeits- und nicht personenbezogen. Bei der Tätigkeit der Klägerin für die X seit dem 23.03.2010 muss es sich also um eine dem anwaltlichen Berufsbild entsprechende Tätigkeit handeln. Wann eine Tätigkeit anwaltlich im vorgenannten Sinne ist, ist gesetzlich nicht abschliessend bestimmt. Normative Anhaltspunkte finden sich jedoch in der BRAO. § 1 BRAO definiert den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Der Rechtsanwalt übt gem. § 2 Abs. 1 BRAO einen freien Beruf aus und ist gem. § 3 Abs. 1 BRAO der unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Hieraus lassen sich grob zwei konstituierende Elemente der anwaltlichen Tätigkeit ableiten: Zum einen handelt es sich um eine Tätigkeit, die mit Bezug auf das Recht ausgeübt wird, zum anderen handelt es sich um einen Beruf, der von Unabhängigkeit und Freiheit geprägt wird. Zu letzterem Element und zur Vereinbarkeit der anwaltlichen Tätigkeit mit einem (abhängigen) Beschäftigungsverhältnis bestimmt § 46 Abs. 1 BRAO:
"Der Rechtsanwalt darf für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und –kraft zur Verfügung stellen muß, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden."
§ 46 Abs. 2 BRAO ergänzt:
"Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: (1) wenn er in derselben Angelegenheit als sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, bereits rechtsbesorgend tätig geworden ist; ( )"
Welche Konsequenzen hieraus für die Bewertung einer im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeit einer Person, die als Rechtsanwalt zugelassen ist, zu ziehen sind und unter welchen Voraussetzungen demzufolge eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI beansprucht werden kann, ist im Einzelnen umstritten.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 19.03.2004, Az. L 4 RA 12/03, die Auffassung vertreten, dass die Tätigkeit eines zugelassenen Rechtsanwaltes als Angestellter für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht die Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfülle. Denn – so das Landessozialgericht – ein Syndikusanwalt werde innerhalb eines festen Beschäftigungsverhältnisses nicht anwaltlich tätig. Das Prinzip der Über- und Unterordnung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses sei mit dem anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Allgemeinheit bestehe, nämlich dem des unabhängigen freiberuflich tätigen Rechtsanwaltes nicht zu vereinbaren. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat insoweit Bezug genommen auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vertretene Zwei-Berufe-Theorie, wonach der Syndicusanwalt außerhalb seines Beschäftigungsverhältnisses einer anwaltlichen Tätigkeit nachgehe, innerhalb desselben jedoch nicht (u.a. BGH, Urteil vom 25.02.1999, Az. IX ZR 384/97). Diese Auffassung, der sich u.a. das Sozialgericht Stade mit Urteil vom 08.05.2007, Az. S 27 RA 186/03, angeschlossen hat, überzeugt die Kammer nicht. Zwar hat sie den Vorteil, dass sie eine trennscharfe Differenzierung bei Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ermöglicht: Befreit werden könnten danach nur solche Rechtsanwälte, die für einen Arbeitgeber tätig werden, der selbst Rechtsanwalt ist. Entscheidend wird bei konsequenter Befolgung des vorgenannten Auffassung die standesrechtliche Bindung des Arbeitgebers, die zu beurteilende Tätigkeit des Beschäftigten selbst rückt demgegenüber in den Hintergrund und vermag eine Befreiungsmöglichkeit selbst dann nicht mehr zu begründen, wenn die Tätigkeit des Beschäftigten selbst vollständig derjenigen eines bei einer Rechtsanwaltssozietät beschäftigten Rechtsanwaltes entspricht. Ein solches Absehen von den Inhalten und Rahmenbedingungen der Tätigkeit im Einzelfall entspricht jedoch nicht der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI getroffenen Regelung, die gerade auf die Beschäftigung und Tätigkeit der zu befreienden Person abstellt. Auch erschliesst sich nicht, weshalb das mit einer Beschäftigung notwendig verbundene Über-Unterordnungsverhältnis bei einem standesrechtlich nicht gebundenen Arbeitgeber einer anwaltlichen Tätigkeit immer entgegenstehen soll, bei einem Arbeitgeber, der selbst Rechtsanwalt ist, jedoch nie.
Eine andere Bewertung rechtfertigt sich auch nicht in Hinblick auf die standesrechtlichen Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) selbst, insbesondere nicht aus § 46 BRAO. Absatz 1 dieser Vorschrift statuiert ein Vertretungsverbot, das jedoch seiner Formulierung nach voraussetzt, dass auch die Tätigkeit des Syndicusanwaltes für seinen Arbeitgeber grundsätzlich eine solche anwaltlicher Natur ist. § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO wiederum lässt nicht erkennen, wann jemand als "sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, ( )" tätig geworden ist und wann als Rechtsanwalt. Gegen eine Auslegung des § 46 BRAO hin zu einer den Begriff der anwaltlichen Tätigkeit begrenzenden Norm spricht neben dem Wortlaut auch die systematische Stellung der Bestimmung im dritten Teil der BRAO, welcher die "Rechte und Pflichten des Rechtsanwaltes und die berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte" regelt. Eine entsprechende berufsdefinierende Regelung hätte systematisch in den ersten Teil "Der Rechtsanwalt", zumindest aber in den die Zulassung des Rechtsanwaltes regelnden zweiten Teil gehört. Schliesslich führt auch die historische Auslegung der Norm, welche die Vorstellungen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen berücksichtigt, zu keinem anderen Ergebnis. Der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, mit welchem § 46 BRAO seine heutige Form erhielt, lässt sich auf Seite 49, BT-Drucksache 12/7656, entnehmen, dass der Rechtsausschuss seinerzeit den von Vertretern der Syndikusanwälte im Deutschen Anwaltverein vorgebrachten Vorschlag, durch eine Änderung des § 46 BRAO dem Syndikusanwalt einzuräumen, dass er auch im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig werde, nicht aufgegriffen habe. Zwar spricht die vorgenannte Fundstelle dafür, dass die im Rechtsausschuss an der Beratung beteiligten Abgeordneten mehrheitlich die Auffassung vertreten haben, dass der Syndikusanwalt im Angestelltenverhältnis keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Diese Auffassung hat jedoch – wie bereits ausgeführt – in Wortlaut und Systematik des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden. Im übrigen ist nicht der Rechtsausschuss, sondern der Bundestag als Ganzes das zuständige Gesetzgebungsorgan und die Motive der Mitglieder des Rechtsausschusses sind nicht repräsentativ für die Motive der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten (zu den Grenzen der historischen Auslegungsmethode vgl. deshalb auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1. Auflage 1960, S. 247 ff.).
Ein genereller Ausschluss von Syndikusanwälten von der Befreiungsmöglichkeit gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI kann schliesslich nicht aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 14.09.2010, Az. C-550/07 P (Akzo Nobel), abgeleitet werden. In diesem Verfahren hatte der EuGH über die Reichweite von Beweiserhebungsverboten in Kartellverfahren der Europäischen Kommission zu entscheiden. Die Entscheidung erging weder in Anwendung der hier streitentscheidenden Normen noch hat der EuGH die Aussage getroffen, dass Syndikusanwälten in jeder Hinsicht eine Anwaltseigenschaft oder die mit dem Rechtsanwaltsberuf verbundenen besonderen Rechte und Pflichten abzusprechen seien.
Dementsprechend ist nach Auffassung der Kammer entscheidend, ob die Tätigkeit der die Befreiung beantragenden Person ihrem Inhalt nach anwaltlicher Natur ist. In Anlehnung an die berufsrechtliche Literatur zu § 46 BRAO kann zur Beantwortung dieser Frage grundsätzlich auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die die Deutsche Rentenversicherung Bund im Jahr 2005 zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der berufsständischen Versorgungseinrichtung erarbeitet und in einem Merkblatt niedergelegt hat. Danach ist eine Tätigkeit eines Rechtsanwaltes bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber dann eine berufsspezifisch anwaltliche, wenn sie (1.) rechtsberatend; (2.) rechtsentscheidend, (3.) rechtsgestaltend und (4.) rechtsvermittelnd ist (siehe auch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.10.2009, Az. L 8 KR 189/08; SG Köln, Urteil vom 29.04.2011, Az. S 6 R 218/10; SG München, Urteil vom 28.04.2011, Az. S 30 R 148/11). Die vorgenannten Kriterien sind nicht abschließend und können durch die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzt und gegebenenfalls auch aufgehoben werden. Für den Regelfall bieten die vorgenannten Kriterien jedoch nach Auffassung der Kammer eine schlüssige und praktikable Entscheidungsgrundlage. In Hinblick auf die hervorgehobene Bedeutung, die der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes sowohl in § 1 als auch in § 3 Abs. 1 BRAO eingeräumt wird, ist nach Auffassung der Kammer ein besonderes Augenmerk auf das Kriterium der Rechtsentscheidung zu legen: Die die Befreiung beantragende Person muss befugt sein, rechtliche Entscheidungen von einigem wirtschaftlichen Gewicht eigenständig zu fällen und ihr dürfen keine abstrakt-generellen Vorgaben zur Lösung bestimmter Rechtsfragen gemacht werden. Gerade letzteres unterscheidet eine anwaltliche von einer juristisch-sachbearbeitenden Tätigkeit. Von einem Organ der Rechtspflege im Sinne des § 1 BRAO wird man schliesslich nur dann sprechen können, wenn die Rechtsanwendung in ihren verschiedenen Formen den deutlichen Schwerpunkt der Tätigkeit bildet, was etwa bei einer in erheblichem Umfang personalführenden oder kaufmännischen Tätigkeit nicht der Fall sein wird.
Die Tätigkeit der Klägerin für die X stellte eine anwaltliche Tätigkeit im vorgenannten Sinn dar. Die Klägerin ist unter Zugrundelegung ihrer glaubhaften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2011 sowie im schriftlichen Verfahren (1.) rechtsberatend für die X tätig. Die Rechtsberatung umfasst die unabhängige Analyse von betriebsrelevanten, konkreten Rechtsfragen, die selbständige Herausarbeitung und Darstellung von Lösungswegen und Lösungsmöglichkeiten vor dem spezifischen betrieblichen Hintergrund und das unabhängige Bewerten der Lösungsmöglichkeiten (vgl. Hessisches Landessozialgericht, a.a.O., Rn 42 bei juris). Die Klägerin ist seit dem 01.01.2010 als sog. Claims Handler in der Abteilung Claims der X tätig. Sie prüft im Bereich der Haftpflichtversicherung Schadensersatzansprüche, die von Dritten gegen Versicherungsnehmer ihrer Arbeitgeberin geltend gemacht werden, sowie Deckungsansprüche, welche Versicherungsnehmer unmittelbar gegenüber ihrer Arbeitgeberin geltend machen. Es handelt sich hierbei im Regelfall um Großschadensfälle mit internationalem Bezug, bei welchen neben dem allgemeinem deutschen Zivilrecht sowie deutschem Versicherungsrecht auch die Bestimmungen des internationalen Privatrechts beachtet werden müssen. Nach Prüfung des Einzelfalls anhand der entsprechenden Bestimmungen berät die Klägerin die Versicherungsnehmer und ggf. deren Rechtsanwälte und trifft für die eigene Arbeitgeberin bis zu einem Betrag von 250.000,- EUR eigenverantwortlich und weisungsfrei die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise, wobei sie nach den glaubhaften Ausführungen des für die Klägerin zuständigen, zeugenschaftlich vernommenen Bereichsleiters X keinen abstrakt-generellen Vorgaben in der Beantwortung bestimmter Rechtsfragen unterliegt. Die Klägerin wird damit auch (2.) rechtsentscheidend tätig.
Ferner wird die Klägerin (3.) rechtsgestaltend tätig. Rechtsgestaltung ist das eigenständige Führen von Vertrags- und Einigungsverhandlungen. Entsprechende Verhandlungen führt die Klägerin – wie von ihr im Einzelnen dargelegt – sowohl intern als auch extern gegenüber Anspruchstellern und deren Rechtsanwälten.
Schließlich wird die Klägerin rechtsvermittelnd (4.) tätig, indem sie die im Rahmen der Einzelfallbearbeitung gewonnenen rechtlichen Erkenntnisse abstrakt-generell etwa im unternehmensübergreifenden Kreis der Haftpflichtexpertinnenrunde oder unternehmensintern gegenüber bestimmten, in der Sache betroffenen Mitarbeitern im Rahmen von Vorträgen und Besprechungen erläutert.
Die vorgenannten Tätigkeiten mit rechtlichem Bezug bilden überdies den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin für ihre Arbeitgeberin. Die Klägerin ist nach der Einlassung des Zeugen Xmit organisatorischen Aufgaben oder Personalverantwortung nicht betraut.
Nach alldem ist die Klägerin mit Wirkung ab dem 23.03.2010 für ihre Tätigkeit bei der X von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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