L 3 AS 371/10 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 3921/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 371/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Stellen, die zur Beurteilung der Tragfähigkeit einer selbständigen Tätigkeit als fachkundig angesehen
werden, hat der Gesetzgeber in § 57 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB III mit dem Gründungszuschuss
beispielhaft aufgeführt. Auf diese Auflistung kann auch im Zusammenhang mit § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II
zurückgegriffen werden (Fortführung der Senatsrechtsprechung: Sächs. LSG, Beschluss vom 13. Oktober
2009 – L 3 AS 318/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 28).

2. Es ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien, dass die zuständige
Behörde befugt sein soll, einem Antragsteller vorzuschreiben, von welcher bestimmten fachkundigen Stelle er
eine Stellungnahme vorzulegen hat. Die Auswahl der fachkundigen Stelle, deren Leistung in Anspruch
genommen werden soll, obliegt vielmehr dem Antragsteller.
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 1. Juni 2010 aufgehoben. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dresden Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin K B , M , O , ab 1. Juni 2011 als Bevollmächtigte mit der Maßgabe beigeordnet, dass im Hinblick auf die frühere Tätigkeit eines anderen Rechtsanwalts Mehrkosten nicht entstehen. Derzeit sind weder Raten zu zahlen noch Zahlungen aus dem Vermögen zu leisten.

II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

1. Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 1. Juni 2010 ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Hieran gemessen ist dem Prozesskostenhilfeantrag stattzugeben.

Ausweislich der im Klageverfahren vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 13. August 2009 und der inzwischen im Verfahren L 3 AS 326/11 B ER ergänzend vorgelegten, aktuellen Unterlagen verfügt der Kläger weder über einzusetzendes Einkommen noch über einzusetzendes Vermögen.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat auch bei der gebotenen summarischen Prüfung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hierbei ist zu beachten, dass das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren die Prüfung der Sach- und Rechtslage nur summarisch vorzunehmen hat und aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2002 – 1 BvR 81/00NJW 2000, 1936 ff.). Damit muss der Erfolg des Rechtsbegehrens nicht gewiss sein; Erfolgsaussichten sind nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen sind (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 740/08 AS-PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 8, m. w. N.; SächsLSG, Beschluss vom 15. Februar 2010 – L 3 AS 598/09 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 4, m. w. N.).

In diesem Sinne besitzt die Klage hinreichende Erfolgsaussichten. Der Kläger begehrt die Bewilligung von Einstiegsgeld wegen der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Seinen entsprechenden Antrag lehnte die ARGE Dresden mit Bescheid vom 12. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2009 mit der Begründung ab, dass er der Aufforderung, eine fachkundige Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer vorzulegen, nicht nachgekommen sei. Diese Begründung trägt die ablehnende Entscheidung jedoch nicht, weil es für eine solche spezifizierte Forderung keine Rechtsgrundlage gibt.

Gemäß § 16b Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) kann zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die arbeitslos sind, bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Die Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, kann gemäß § 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird. Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit soll die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangt werden (vgl. § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II). Die Stellen, die zur Beurteilung der Tragfähigkeit einer selbständigen Tätigkeit als fachkundig angesehen werden, hat der Gesetzgeber in § 57 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) mit dem Gründungszuschuss beispielhaft aufgeführt. Dies sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Auf diese Auflistung kann auch im Zusammenhang mit § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II zurückgegriffen werden (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 13. Oktober 2009 – L 3 AS 318/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 28, m. w. N.; zu den Anforderungen an weitere in Betracht kommende Einrichtungen: Sauer, in: Sauer [Hrsg.], SGB II [2011], § 16c Rdnr. 16; Breitkreuz, in: Löns/Herold-Tews, SGB II [3. Aufl., 2011], § 16c Rdnr. 5).

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Regelung des § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II die Ermessensentscheidung des SGB II-Leistungsträgers unterstützen. Mit dem Wort "soll" hat er zum Ausdruck gebracht, dass auf die Stellungnahme verzichtet werden kann, wenn die zur Entscheidung über das Einstiegsgeld berufene Behörde über eigene Kompetenzen zur Bewertung von Unternehmen verfügt (vgl. BT-Drs. 16/10810, S. 47). Jedoch ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien, dass die zuständige Behörde befugt sein soll, einem Antragsteller vorzuschreiben, von welcher bestimmten fachkundigen Stelle er eine Stellungnahme vorzulegen hat. Die Auswahl der fachkundigen Stelle, deren Leistung in Anspruch genommen werden soll, obliegt vielmehr dem Antragsteller.

Es kann allerdings Fälle geben, in denen die zuständige Behörde Zweifel am Inhalt der Stellungnahme hat. Es erscheint auch denkbar, dass ausnahmsweise auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles nur ein eingeschränkter Kreis an fachkundigen Stellen in der Lage ist, eine qualifizierte Stellungnahme abzugeben. Aber auch in einer dieser Konstellationen gibt es keine Rechtsgrundlage, die es der SGB II-Behörde gestatten würde, das Auswahlermessen des Antragstellers auszuschließen und ihm eine bestimmte fachkundige Stelle bindend vorzugeben (so aber wohl Breitkreuz, a. a. O.). Sie kann ihm lediglich einige in Betracht kommende fachkundige Stellen zur Auswahl anbieten.

Vorliegend rechtfertigt der Hinweis der ARGE Dresden, dass wegen des laufenden Insolvenzverfahrens der Antrag auf Existenzgründungszuschuss einer besonders sorgfältigen Prüfung bedürfe, jedenfalls nicht die Beschränkung auf die Industrie- und Handelskammer.

Auch soweit das Sozialgericht die fehlende hinreichende Erfolgsaussicht der Klage damit begründet, dass die Tragfähigkeit des Konzeptes nicht nachgewiesen sei, rechtfertigt dies nicht die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrages. Denn das Sozialgericht hat diesbezüglich auf Erkenntnisse aus zwei anderen Verfahren zurückgegriffen. In diesen beiden Verfahren des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes hatte der Kläger zum einen die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II (Az.: S 29 AS 3052/09 ER) und zum anderen die Gewährung von Überbrückungsgeld sowie die Übernahme von Schulungskosten (Az.: S 29 AS 3935/09 ER) begehrt. Das Sozialgericht hat aber im vorliegenden Klageverfahren weder förmlich die Akten dieser beiden Verfahren beigezogen noch Unterlagen oder Erkenntnisse aus diesen beiden Verfahren in das Klageverfahren eingeführt. Damit sind diese Erkenntnisse bislang nicht Gegensand des Klageverfahrens geworden. Auch ist weder dem Kläger nach dem Beklagten bislang Gelegenheit gegeben worden, im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 62 SGG) zu diesen neuen Fakten und Gesichtspunkten Stellung zu nehmen.

Die Rechtsverfolgung erscheint nicht mutwillig.

Die Vertretung des Antragstellers durch eine Prozessbevollmächtigte erscheint erforderlich (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO). Die mit der Beiordnungsentscheidung verbundene Maßgabe ist geboten, weil die im Klageverfahren ursprünglich mandatierten Rechtsanwälte mit Schriftsatz vom 8. Juni 2010 die Mandatsbeendigung angezeigt haben, die nunmehr beigeordenete Rechtsanwältin erst im Beschwerdeverfahren vom Kläger benannt worden ist und sie sodann ihre Vertretungsbereitschaft mitgeteilt hat.

2. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (vgl. § 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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