L 4 R 266/11

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 10 R 203/09
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 R 266/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein gesetzlich Rentenversicherter kann keine Berücksichtigung höherer Pflichtbeiträge für beitragsgeminderte Zeiten als derjenigen beanspruchen, die im Wege des Beitragsregressverfahrens von einem Dritten geleistet und in den Versicherungsverlauf eingestellt worden sind. Ein solcher Anspruch scheitert aus Rechtsgründen schon daran, dass nur solche Pflichtbeitragszeiten im Versicherungsverlauf und damit in der Rentenberechnung berücksichtigungsfähig sind, die tatsächlich zugeflossen sind.
2. § 119 SGB X verpflichtet den Schädiger, in Fällen eines Beitragsausfalles Schadensersatz in Form von Beitragszahlungen an den Rentenversicherungsträger zu leisten. Der Geschädigte muss, was seine sozialversicherungsrechtliche Stellung angeht, so gestellt werden, wie er ohne die Schädigung stünde. Ist der Schaden durch Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung ausgleichbar, soll sichergestellt werden, dass der Sozialversicherte später Sozialleistungen erhält, deren Berechnung auch die Zeit nach der Verletzung umfasst.
3. Ein Anspruch auf eine "Wiederaufnahme" des Beitragsregressverfahrens durch den Rentenversicherungsträger mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer kommt nicht mehr in Betracht, wenn es zu einem Abschluss eines Vergleichs zwischen dem Rentenversicherungsträger und dem Dritten bzw. dessen Haftpflichtversicherung gekommen ist, in dem weitere Ansprüche zwischen der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer wirksam ausgeschlossen wurden.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 01.04.2011 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung höherer Entgelte als Grundlage der von der Beklagten an die Klägerin gezahlten Rente nach dem Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).
Die im Jahr 1971 geborene Klägerin hat im Jahr 1991 ein Fachabitur zur gestaltungstechnischen Assistentin abgelegt und anschließend eine versicherte Beschäftigung in einem Küchenstudio aufgenommen. Am 26.08.1992 erlitt sie einen Motorradunfall, bei dem sie verschiedene Verletzungen davontrug, u.a. beidseitige handgelenksnahe Handgelenksfrakturen. Aus einer vom 15.06. bis 05.10.1993 durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Kurklinik B O wurde die Klägerin als vollschichtig leistungsfähig entlassen; allerdings sei wegen der Sekundärfolgen des Motorradunfalls eine Arbeitsfähigkeit als technische Zeichnerin nicht mehr gegeben, weshalb eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme empfohlen werde. Sodann gewährte die Beklagte der Klägerin ab 06.10.1993 Rente wegen voller Erwerbsminderung, zunächst auf Zeit bis 30.06.1997 (Bescheide vom 26.04.1995, 26.04.1995, 09.09.1996, 23.10.1996, 23.12.1996).
Im Rahmen einer von der D -W veranlassten Begutachtung der Klägerin kam Prof. Dr. H , Direktor der B -U D -D im Februar 1997 zu dem Ergebnis, aufgrund des Unfalls sei die Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes um 2/7 eingeschränkt; die MdE sei bis auf weiteres mit 10 vH einzuschätzen.
Von April 1997 bis März 1998 besuchte die Klägerin im Rahmen einer beruflichen Rehabilitation zu Lasten der Beklagten die Möbelfachschule in Köln, wo sie zur Einrichtungsfachplanerin ausgebildet wurde, war erneut krank und arbeitete von 1998 bis 2001 als Planerin in einem Küchenstudio in K. Ab 11.06.2001 war die Klägerin wiederum arbeitsunfähig erkrankt und bezog dann erneut Rente wegen Erwerbsminderung, zunächst auf Zeit und dann mit Bescheid vom 09.11.2007 auf Dauer.
Mit Vergleich vom 25.07./10.08.2005 haben die Klägerin und der Unfallverursacher sowie dessen Haftpflichtversicherung im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Landgericht Koblenz vereinbart:
Zur Abgeltung aller Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 25.08.1992, seien sie bekannt oder nicht, eingeklagt oder nicht, vorhersehbar oder nicht, zahlt die Beklagte zu 2.) an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 200.000 Euro, ohne Anrechnung der bislang gezahlten Vorschüsse oder sonstiger Zahlungen.
Auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte gesetzlich übergegangene oder übergehende Ansprüche werden von dieser Einigung nicht erfasst.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass von dem vergleichsweise noch zu zahlenden Betrag in Höhe von 200.000 Euro ein Betrag von 15.000 Euro zum Ersatz von unfallbedingten entstandenen Arztkosten, Fahrtkosten, Medikamente, sowie insbesondere auf das der Klägerin zustehende Schmerzensgeld entfällt. Weitere 50.000 Euro werden pauschal zur Abgeltung des unfallbedingt entstandenen und künftig entstehenden Verdienstausfallschadens geleistet. Hierbei gehen die Parteien davon aus, dass die Klägerin ohne den gegenständlichen Verkehrsunfall ein Nettogehalt in Höhe von 3.500 DM erzielt hätte, wobei hinsichtlich der Berechnung der Abfindung des Verdienstausfallscha¬dens die derzeit als Rente erzielten Einnahmen sowie möglicherweise zukünftig erzielte Einnahmen berücksichtigt wurden. "
Im Regressverfahren gegen die D -W bestritt diese gegenüber der Beklagten, dass die psychischen Leiden der Klägerin unfallbedingt entstanden seien und die Klägern unfallbedingt ihren Beruf habe aufgeben müssen. Nach einem von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten des Orthopäden und Sozialmediziners Prof. Dr. T liege neben körperlichen Unfallfolgen an den Handgelenken eine psychische Erkrankung vor, die mit Essstörungen und Depressionen einhergehe und offensichtlich schon vor dem Unfallereignis bestanden habe. Die vielfachen Operationen im Bereich der Handgelenke ließen sich nur zum geringen Teil durch den orthopädisch-unfallchirurgischen Befund erklären. Das Leidensbild erkläre sich durch das Zusammenspiel einer unfallunabhängigen psychischen Erkrankung und einem relativ geringfügigen Trauma.
Demgegenüber ging die Beklagte davon aus, dass erst nach dem Unfall eine Behandlungsbedürftigkeit der psychischen Störungen eingetreten sei, was auch zur Reha im Jahr 1993 geführt habe. Ein Abfindungsangebot in Höhe von 150.000 Euro für den Beitragsschaden bis Dezember 2009 nahm die Beklagte im Mai 2007 nicht an, nachdem die Klägerin höhere Zahlungen für eine längere Laufzeit gefordert hatte.
Am 06.02.2008 kam es zu einer Verhandlung zwischen der Beklagten und der D -W , in der die Haftpflichtversicherung aufgrund des Gutachtens des Prof. Dr. T die Kausalität des Unfalls für die gewährte Erwerbsminderungsrente bestritt. Auch über das fiktive monatliche Bruttoeinkommen der Klägerin war eine Einigung nicht möglich. Schließlich erfolgte eine Einigung auf der Basis, dass die D -W die Regressansprüche der Beklagten gegen eine pauschale Abfindungssumme von 177.500 Euro endgültig abfand. Nach den Berechnungen der Beklagten war damit der Beitragsregress bis zur Vollendung des 67. Lebensjahrs der Klägerin abgedeckt.
Mit Bescheiden vom 06.05. und 13.05.2008 berechnete die Beklagte die der Klägerin gewährte Rente neu aufgrund der Regresszahlung der Haftpflichtversicherung. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese beanstandete, dass die seit 1998 berücksichtigten Beiträge nicht dynamisiert worden seien, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2009 zurück. Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage sei seit Ende der 1990er Jahre kein kontinuierliches Wachstum mehr gegeben, weshalb viele Berufsgruppen, auch diejenigen der technischen Zeichner oder Einrichtungsberater Lohneinbußen hätten hinnehmen müssen. Angesichts der angespannten konjunkturellen Situation auf dem Arbeitsmarkt und im Handel könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch die Klägerin mit Arbeitslosigkeit und einem sinkenden Arbeitseinkommen konfrontiert worden wäre. Daher seien die gespeicherten Entgelte als günstig zu bezeichnen, was gerade für das gespeicherte Bruttoentgelt von 6.000 DM bzw. 3.067,75 EUR/monatlich als fiktives Gehalt einer Einrichtungsberaterin gelte. Die Gefahr von Arbeitslosigkeit und sinkendem Einkommen sei zu ihren Gunsten gerade nicht berücksichtigt. Ausgegangen worden sei von den -nicht dynamisierten- 3.500 EUR, die sie im zivilrechtlichen Vergleich vereinbart habe und die dem letzten Bruttoeinkommen entsprochen hätten.
Im vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholen einer Auskunft des Einzelhandelsverbands Mittelrhein. Dieser hat den Einzelhandelstarifvertrag vorgelegt und mitgeteilt, welches Gehalt die Klägerin danach bezogen hätte. Allerdings sei die Mehrzahl der Betrieb im Möbeleinzelhandel nicht tarifgebunden; zudem würden dort üblicherweise Provisionen bei einem niedrigeren Fixgehalt vereinbart.
Mit Urteil vom 01.04.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Berücksichtigung höherer Entgelte bei der Berechnung der Rente zu. Die Beklagte habe die nach § 119 SGB X regressierten Beiträge in zutreffender Höhe zugrunde gelegt. Eine Berücksichtigung höherer Beträge durch eine Dynamisierung der zugrunde gelegten Entgelte ab 1998 scheitere daran, dass nur Pflichtbeiträge berücksichtigungsfähig seien, die tatsächlich zugeflossen seien. Zugeflossen seien aber nur die aufgrund der vergleichsweisen Regelung durch die Haftpflichtversicherung abgeführten Beiträge. Der von der Beklagten mit der Haftpflichtversicherung geschlossene Vergleich sei wirksam. Die Beklagte habe dem Vergleich ein zutreffendes Bruttoeinkommen der Klägerin zugrunde gelegt. Es sei nicht zu beanstanden, dass dieses nicht dynamisiert worden sei. Aufgrund der aktenkundigen Auskünfte sei es völlig ungewiss und von vielfältigen Faktoren abhängig, wie sich das Bruttoeinkommen der Klägerin entwickelt hätte und ob sie und in welchem Umfang Provisionen erhalten hätte. Daher stehe der Beklagten im Rahmen des § 119 SGB X ein Gestaltungsspielraum zu, den die Beklagte auch nicht willkürlich und bewusst nachteilig zu Lasten der Klägerin ausgeübt habe.
Am 23.05.2011 hat die Klägerin gegen das ihr am 29.04.2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
Die Klägerin trägt vor,
§ 119 SGB X übertrage den Anspruch des Geschädigten auf Ersatz des Beitragsschadens treuhänderisch auf den Versicherungsträger. Diesen treuhänderischen Pflichten sei die Beklagte nicht nachgekommen. Denn § 119 SGB X ermächtige die Beklagte nicht, einen Vergleichsvertrag zu Lasten der Klägerin zu schließen. An den gerichtlichen Vergleich zwischen ihr und der Haftpflichtversicherung sei die Beklagte nicht gebunden, auch nicht an das dort angenommene Bruttogehalt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 01.04.2011 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 06.05. und 13.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, im Versicherungsverlauf für den Zeitraum ab 1992 höhere Pflichtbeiträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zugrunde zu legen,
hilfsweise,
zur Frage der fiktiven Gehaltsentwicklung ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor,
es gebe keine gesetzliche Vorschrift, wonach für den Beitragsregress heranzuziehende Bruttoentgelte zu dynamisieren seien. Nach der Verdienstbescheinigung des K S vom 25.01.2001 betrage das durchschnittliche Gehalt eines Küchenfachplaners mit 6 Jahren Berufserfahrung einschließlich Provisionen 6.000 DM (brutto). Daraus ergäben sich keine Hinweise für eine Dynamisierung. Unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sei davon auszugehen, dass bei der Klägerin ohne den Unfall ein erhebliches Arbeitsmarktrisiko bestanden habe wegen möglicher Arbeitslosigkeit oder beim Umsatzrückgängen wegbrechender Provisionen. Es sei daher auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst zivilrechtlich keine Dynamisierung des Verdienstausfalles habe durchsetzen können. Der von ihr abgeschlossene Vergleich sei wirksam und stelle keinen Vertrag zu Lasten der Klägerin dar.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Im vorliegenden Fall hat das Sozialgericht zu Recht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als eröffnet angesehen. Denn dem Rentenversicherungsträger wird kraft öffentlichen Rechts in § 119 Abs. 1 S. 1 SGB X ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch des sozialversicherten Geschädigten gegen den Schädiger über¬tragen. Dem entsprechend erlangt der geschädigte Sozialversicherte, hier die Klä¬gerin, wegen des Beitragsersatzanspruchs keine eigene zivilrechtliche Rechtsposition gegenüber dem Schädiger, mit der Folge, dass er durch § 119 SGB X allein auf Ansprüche gegen den Rentenversicherungsträger verwiesen wird. Meint der Geschädigte, wie hier die Klägerin, der Sozialversicherungsträger habe den Beitragsregress nicht oder nicht ordnungsgemäß (z.B. umfassend) durchgeführt, verbleibt ihm nach § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Sozialrechtsweg gegenüber diesem Träger (ebenso: BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VersR 2004, 492 ff; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20.03.2007, Aktenzeichen: L 9 R 917/05 -juris-). Dies gilt umso mehr, wenn -wie hier- ein Rentenbescheid in seiner Höhe angefochten ist.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neuberechnung der ihr gezahlten Rente oder auf "Wiederaufnahme" des durchgeführten Beitragsregressverfahrens durch die Beklagte.
Gemäß § 64 SGB VI ist der Monatsbetrag der Rente das Produkt aus den unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkten (EP), dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert. Die genannten Faktoren sind mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander zu vervielfältigen. Die persönlichen EP für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente errechnen sich aus der Summe aller EP. Die danach in den angefochtenen Bescheiden von der Beklagten durchgeführte Berechnung ist nicht zu beanstanden; konkrete Einwände hat die Klägerin nicht erhoben.
Die von der Klägerin geltend gemachte Berücksichtigung höherer Pflichtbeitragszeiten als derjenigen, die bereits im Wege des Beitragsregressverfahrens gegen die DBV-Winterthur geleistet und in den Versicherungsverlauf eingestellt wurden, kann die Klägerin nicht beanspruchen. Der Anspruch scheitert aus Rechtsgründen schon daran, dass nur solche Pflichtbeitragszeiten im Versicherungsverlauf und damit in der Rentenberechnung berücksichtigungsfähig sind, die tatsächlich zugeflossen sind. Ausweislich des Versicherungsverlaufs und des aus der Akte ersichtlichen Schriftverkehrs hat die gegnerische Haftpflichtversicherung jedoch die mit der Beklagten getroffene vergleichsweise Regelung zur Beitragsabführung erfüllt, so dass die entsprechenden Pflichtbeiträge im Versicherungsverlauf gespeichert und der Rentenberechnung zugrunde gelegt worden sind. Höhere Beiträge sind nicht verzeichnet und können daher nach § 119 Abs. 3 Satz 1 SGB X der Rentenberechnung nicht zugrunde gelegt werden, so dass auch keine Dynamisierung dieser Beiträge möglich ist.
§ 119 Abs. 1 SGB X regelt, dass, soweit der Schadenersatzanspruch eines Versicherten - hier: die materiell-rechtlichen Ansprüche der Klägerin gegen die Haftpflichtversicherung nach §§ 842, 843 BGB - den Anspruch auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung umfasst, dieser auf den Versicherungsträger - hier: die Beklagte - übergeht, wenn der Geschädigte - hier: die Klägerin - im Zeitpunkt des Schadensereignisses - hier: unverschuldet erlittener Unfall am 26.08.1992 - bereits Pflichtbeitragszeiten - hier: von 1988 bis 1992 als versicherungspflichtig beschäftigte technische Zeichnerin - nachweist. Die eingegangenen Beiträge gelten in der Rentenversicherung als Pflichtbeiträge (§ 119 Abs. 3 S. 1 SGB X).
§ 119 SGB X verpflichtet den Schädiger, in Fällen eines Beitragsausfalles Schadensersatz in Form von Beitragszahlungen an den Rentenversicherungsträger zu leisten. Hierbei steht das Ziel im Vordergrund, die soziale Sicherung des Versicherten nach Eintritt des Schadensfalles zu verbessern. Dementsprechend entsteht der Ersatzanspruch bereits dann, wenn die Möglichkeit einer Rentenverkürzung durch Beeinträchtigung der von der tatsächlichen Beitragsleistung abhängigen Berechnung der EP des Versicherten besteht (vgl. BGHZ 97, 330). Der Geschädigte muss, was seine sozialversicherungsrechtliche Stellung angeht, so gestellt werden, wie er ohne die Schädigung stünde. Ist der Schaden durch Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung ausgleichbar, soll sichergestellt werden, dass der Sozialversicherte später Sozialleistungen erhält, deren Berechnung auch die Zeit nach der Verletzung umfasst. Dementsprechend soll § 119 SGB X im Wege des gesetzlichen Forderungsüberganges gewährleisten, dass die vom Schädiger zu zahlenden Beiträge dem Sozialversicherungsträger zweckgebunden zugeführt werden (vgl. BSG, SozR 3-1300 § 44 Nr. 34).
Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf eine "Wiederaufnahme" des Beitragsregressverfahrens durch die Beklagte mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer zu. Ein solcher Anspruch scheitert an dem Abschluss des zwischen der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer geschlossenen Vergleichs, der weitere Ansprüche zwischen der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer ausschließt (vgl. auch LSG Celle-Bremen, Urteil vom 28.09.2007 - L 1 R 142/07 -juris-, mit Anm. Jahnke, juris PR-VerkR 12/2008 Anm. 6). Dieser Vergleich ist wirksam, wie das Sozialgericht eingehend dargelegt hat.
Der zwischen der Beklagten und der Haftpflichtverscherung geschlossene Vergleich dient gemäß § 779 BGB der Beseitigung eines Streits und der Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens. Ungewissheit bestand unter den Parteien darüber, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe Rentenversicherungsbeiträge als Schadensersatz zu leisten waren. Diese Ungewissheit bestand schon darin, dass die Bedenken des Haftpflichtversicherers hinsichtlich der Kausalität des Rentenschadens der Klägerin angesichts des vorgelegten Gutachtens des Prof. Dr. T zumindest nicht abwegig waren, es also ungewiss war, wie ein zivilrechtlicher Rechtsstreit ausgehen würde. Ungewissheit bestand auch darüber, von welchem fiktiven Einkommen der Klägerin auszugehen wäre.
Unwirksam wäre der Vergleich nur dann, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entsprochen hätte und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre (§ 779 Abs. 1, letzter Halbsatz BGB). Es ist nicht aber ersichtlich, dass die Vergleichsparteien von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind. Dies gilt sowohl bzgl. der zeitlichen Geltungsdauer des durchzuführenden Regresses bis zum 67. Lebensjahr der Klägerin, als auch bzgl. der Höhe der zu leistenden Beitragszahlungen aufgrund des hypothetischen Einkommens. Als Einkommen hat die Beklagte den gleichen Betrag zugrunde gelegt, den auch die Klägerin mit dem Haftpflichtversicherer dem von ihr selbst abgeschlossenen Vergleich über den Verdienstausfall zugrund gelegt hat. Dies ist nicht zu beanstanden.
Auch ist nicht zu beanstanden, dass der Rentenschaden der Klägerin durch eine Einmalzahlung abgefunden wurde. Denn § 119 Abs. 4 Satz 1 SGB X lässt ausdrücklich -wie hier geschehen- eine Vereinbarung der Abfindung von Ansprüchen auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung mit einem ihrem Kapitalwert entsprechenden Betrag zu. Dass dieser Kapitalwert falsch berechnet wurde, ist nicht ersichtlich. Ausweislich der aktenkundigen Vermerke des Verhandlungsführers der Beklagten wurde der Vergleichssumme ein realistisches fiktives Arbeitseinkommen der Klägerin zugrunde gelegt. Zudem deckte die Vergleichssumme den Beitragsschaden der Klägerin bis zu deren 67. Lebensjahr ab. Daher hat die Beklagte mit der Haftpflichtversicherung am 06.02.2008 keine -unzulässige- Pauschalvereinbarung über Ersatzansprüche getroffen, sondern einzelfallbezogen zivilrechtliche Schadenspositionen nach § 116 SGB X und § 119 Abs. 1 SGB X ermittelt und dem auf dieser Basis geschlossenen Abfindungsvergleich zugrunde gelegt. Der Senat nimmt daher zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf das Urteil des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 SGG).
§ 119 SGB X enthält keine Regelung darüber, welche Konsequenzen die Unterlassung eines vom Versicherten für geboten gehaltenen Beitragsregresses hat, falls also zu niedrige Beiträge regressiert wurden. Denkbar wäre, dass die Klägerin im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden könnte, als seien - vermeintliche - übergegangene Ansprüche auf Ersatz des Beitragsschadens erfolgreich von der Beklagten gegenüber der Haftpflichtversicherung geltend gemacht worden, oder dass im Falle einer unzureichenden Geltendmachung des Beitragsregresses ein Amtshaftungsanspruch bleibt.
Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sieht der Senat allerdings nicht als gegeben. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt hat. Zweck des Beitragsregress ist die "treuhänderische" Verfolgung des Direktanspruches des Geschädigten durch den gesetzlichen Rentenversicherungsträger, ohne dass der Geschädigte selbst zur Geltendmachung von auf diesen nach § 119 SGB X übergegangenen Ansprüchen vor den Zivilgerichten prozessführungsbefugt wäre (BGH, Urteil vom 02.12.2003, Az.: VI ZR 243/02 -juris). Insoweit hat die Beklagte gegenüber der Klägerin auch eine Rechtspflicht zu Schadensminderung gegenüber dem Haftpflichtversicherer. Weiter ist aber erforderlich, dass zwischen einer Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2004, Az.: B 9 VJ 2/03 R).
Im vorliegenden Fall sieht der Senat, wie oben ausgeführt, aber bereits keinen Nachteil als nachgewiesen an, der der Klägerin durch den zwischen der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer entstandenen Schaden entstanden ist. Die Beklagte hat aufgrund der von dem Haftpflichtversicherer geleisteten Zahlung bereits Beiträge in den Versicherungsverlauf eingestellt, die deutlich über dem vor dem Unfall erzielten Einkommen liegen. Im Hinblick auf die auch vom Sozialgericht eingeholten Auskünfte und die Ungewissheit des weiteren beruflichen Werdegangs der Klägerin kann der Senat nicht feststellen, dass diese Beiträge zu niedrig sind, dass also der Klägerin ein Beitragsschaden entstanden ist, auf den die Beklagte pflichtwidrig im Vergleich vom 06.02.2008 verzichtet hat.
Eines weiteren Gutachtens zur Einkommensentwicklung bedarf es daher nicht.
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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