L 3 AL 3915/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 4197/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 3915/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im vorliegenden (Hauptsache-)Verfahren gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Erstattungsforderung der Beklagten. Ferner begehrt er die Feststellung der Erfüllung der Forderung.

Der am 18.01.1975 geborene Kläger stand mit Unterbrechungen im langjährigen Bezug von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Er führte und führt deswegen vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) zahlreiche Rechtsstreitigkeiten gegen die Beklagte.

Mit Bescheid vom 13.10.2005 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25.07. – 30.09.2005 auf und forderte die Erstattung zu Unrecht erbrachten Arbeitslosengeldes i.H.v. 1.827,54 EUR. Widerspruch, Klage und Berufung (rechtskräftiges Urteil des LSG vom 13.08.2009 - L 12 AL 507/09 -) führten für den Kläger nicht zum Erfolg.

Am 06.03.2009 ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides an. Das vom Kläger hiergegen betriebene Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes endete für ihn erfolglos (Beschluss des LSG vom 26.06.2009 - L 12 AL 1361/09 ER -).

Im Hinblick auf den am 16.03.2009 gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eingelegten Widerspruch führte die Beklagte mit Schreiben vom 18.09.2009 aus, über diesen sei nicht zu entscheiden, da über die Rechtmäßigkeit der Anordnung mit unanfechtbarem Beschluss des LSG vom 26.06.2009 - L 12 AL 1361/09 ER - entschieden worden sei.

Am 23.09.2009 hat der Kläger Klage zum SG erhoben, zu deren Begründung er vorgetragen hat, die Beklagte habe zu Unrecht den sofortigen Vollzug angeordnet. Der Rechtsstreit gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei nicht abgeschlossen, aktuell sei beim Bundessozialgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig. Die Klage sei zulässig, insb. stehe ihr die Entscheidung im Eilverfahren nicht entgegen. Die Beklagte habe eine Entscheidung über seinen Widerspruch abgelehnt, weswegen es eines Widerspruchsverfahrens nicht bedürfe. Am 12.11.2010 und am 26.04.2011 hat der Kläger den Vorsitzenden der zuständigen Kammer des SG wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Sie hat vorgebracht, gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung könne nur ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt werden. Mit Bescheid vom 27.08.2010 hat die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Überprüfung der "des Bescheides vom 06.03.2009" nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) abgelehnt. Die Beklagte hat ferner ausgeführt, der Bescheid werde gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) u.a. Gegenstand des Verfahrens - S 11 AL 4197/09 -.

Nach Hinweis an die Beteiligten vom 29.09.2010, dem Kläger am 02.10.2010 zugestellt, hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2011 abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Befangenheitsgesuche hinderten es nicht daran, in der Sache zu entscheiden, da sie offensichtlich rechtsmissbräuchlich seien. Sie zielten einzig darauf ab, den Kammervorsitzenden vom vorliegenden Verfahren auszuschließen, um die Bearbeitung des Verfahrens durch einen anderen Richter zu erreichen. Dem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht sei nicht zu entsprechen, da dieser gleichfalls als grob rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren sei. Inhaltlich sei die Klage unzulässig. Soweit der Kläger ausdrücklich beantragt habe, die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben, habe er eine Anfechtungsklage i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben. Diese sei jedoch unstatthaft, da die Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt sei und somit die allgemeinen Vorschriften über die Klage gemäß § 54 SGG durch die Sonderregelungen der §§ 86a und 86b SGG verdrängt würden. Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage sei gleichfalls unzulässig, da Einwände gegen die Forderung der Beklagten, bspw. die Erfüllung, im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu klären seien; für die Feststellungsklage bestehe kein Feststellungsinteresse. Schließlich sei auch der Antrag auf Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens unzulässig.

U.a. gegen den am 17.08.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.08.2011 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, das Verfahren müsse zurückverwiesen werden, da das SG unzulässigerweise selbst über seine Befangenheitsanträge entschieden habe und ihm keine Akteneinsicht gewährt worden sei. Ein Vollstreckungsverfahren, auf das ihn das SG verwiesen habe, könne es nicht geben, weil die Beklagte das Geld einbehalten habe. Die Feststellungsklage sei zulässig. Seit dem 13.09.2011 befindet sich der Kläger in Untersuchungshaft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. August 2011 aufzuheben und das Verfahren an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen,

hilfsweise,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. August 2011 und die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 06. März 2009 aufzuheben, festzustellen, dass die Forderungen der Beklagten infolge einer Aufrechnung erfüllt wurden und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten

Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Der Senat hat dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, Einsicht in die Verfahrens- und Verwaltungsakten zu nehmen, in dem er die Akten in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart Stammheim übersandt hat. Der Kläger hat hiervon Gebrauch gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die bei der Beklagten für den streitgegenständlichen Vorgang geführte Verwaltungsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2012 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung (§ 143 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) wurde form- und fristgerecht eingelegt (vgl. § 151 Abs. 1 SGG); sie ist zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der Rechtsstreit ist nicht, wie klägerseits beantragt, an das SG zurückzuverweisen. Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der ab dem 01.01.2012 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl. I S.3057) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens, der zur Zurückverweisung an das SG führen könnte, liegt vor, wenn gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift verstoßen wurde und die Entscheidung des Sozialgerichts hierauf beruhen kann. Das Landessozialgericht entscheidet bei Vorliegen eines Mangels nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es in der Sache selbst entscheidet oder zurückverweisen will. Eine Verpflichtung zur Zurückverweisung besteht auch bei Vorliegen eines wesentlichen Mangels des Verfahrens nicht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17.02.1956 - 6 RKa 14/55 - veröffentlicht in juris). Soweit der Kläger anführt, er habe keine Akteneinsicht erhalten, hat er diese im erstinstanzlichen Verfahren zuletzt ausschließlich dergestalt begehrt, ihm Kopien der Verwaltungs- und Gerichtsakte zu fertigen und zur Verfügung zu stellen (Schriftsatz vom 01.04.2011). Die beanspruchte Anfertigung von Ablichtungen der gesamten Prozess- und Beiakten ohne vorherige Prüfung auf Relevanz der Aktenbestandteile für die Rechtsverfolgung und ohne Konkretisierung der Akteninhalte ist jedoch als rechtsmissbräuchlich anzusehen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 21.09.2011, - L 3 AL 2514/10 -, - L 3 AL 2521/10 -, - L 3 AL 2641/10 -), weswegen das SG nicht verpflichtet war, dem Antrag des Klägers zu entsprechen. Soweit er zuvor auch die Einsicht in die Akten beantragt hat, ist ihm diese jedenfalls im Rahmen des Berufungsverfahrens gewährt worden.

Auch ist ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht dadurch begründet, dass das SG selbst - im Rahmen des angefochtenen Gerichtsbescheides - über die Befangenheitsanträge des Klägers vom 12.11.2010 und vom 26.04.2011 entschieden hat. Die Ablehnungsgesuche des Klägers haben ein Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens nicht erfordert; sie wurden offensichtlich nur zu dem Zweck gestellt, den Vorsitzenden aus dem Verfahren zu drängen. Über die offensichtlich unzulässigen Befangenheitsgesuche konnte das SG daher selbst (vgl. Littmann in SGG-Handkommentar, 3. Aufl., § 60 Rn. 25), ohne dass es eines - isolierten - förmlichen Beschlusses hierüber bedurft hätte, entscheiden (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 21.09.2011, a.a.O.; Beschluss des erkennenden Senats vom 21.06.2011 - L 3 AL 1568/11 NZB - veröffentlicht in juris).

Auch soweit der Kläger mit der Berufung sein inhaltliches Begehren weiterverfolgt, ist die Berufung unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage war bereits unzulässig.

Der Bescheid der Beklagten vom 27.08.2010 ist hierbei, entgegen der Ausführungen der Beklagten im Bescheid, nicht Gegenstand des (erstinstanzlichen) Verfahrens geworden. Ein nach Klageerhebung ergangener Bescheid wird nach § 96 Abs. 1 SGG nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Da indes die vom Kläger (ausschließlich) angefochtene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 06.03.2009 bereits kein Verwaltungsakt ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86a, Rn. 17a), kann der Bescheid vom 27.08.2010 die Anordnung auch nicht ersetzen oder abändern.

Das Begehren des Klägers, die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit vom 06.03.2010 aufzuheben, kann zulässigerweise nicht im Rahmen der vom Kläger hierzu erhobenen Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG verfolgt werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit stellt, wie bereits ausgeführt, keinen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X dar. Neben den Rechtsbehelfen des § 86b SGG ist eine Anfechtungsklage nicht möglich, da § 54 SGG durch die Sonderregelungen der §§ 86a und 86b SGG verdrängt wird (Keller, a.a.O., § 86a, Rn. 22a; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29.11.1995 - 4 B 94.2089 - zu § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung veröffentlicht in juris).

Auch soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Forderung der Beklagten durch Aufrechnung untergegangen ist, führt dies für den Kläger nicht zum Erfolg. Ungeachtet davon, ob sich der Kläger überhaupt auf das gemäß § 55 Abs. 1 SGG erforderliche Feststellungsinteresse berufen kann, ist der Antrag jedenfalls nicht begründet. Es ist dem Senat in Ermangelung eines konkreten Sachvortrages bereits nicht ersichtlich, mit welchen Forderungen der Kläger gegen Erstattungsforderung der Beklagten aufgerechnet haben will.

Die vorliegend im Rahmen des Urteils von Amts wegen zu treffende Kostenentscheidung umfasst auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, a.a.O., § 193 SGG, Rn. 5a), weswegen ein Rechtsschutzbedürfnis für einen im Wege eines Leistungsantrages geltend gemachten Kostenausspruch betreffend der Kosten des Widerspruchsverfahrens nicht besteht.

Die Berufung ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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