L 5 KR 1065/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 1601/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1065/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.01.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen weitergehenden Anspruch des Klägers auf Krankengeld auch für die Zeit vom 1.1.2009 bis zum 28.2.2009.

Der Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er war zuletzt arbeitslos mit Anspruch auf Arbeitslosengeld bis längstens zum 04.12.2008. Wegen einer Luxation des Ellenbogens sowie wegen eines Gichtleidens, eines Carpaltunnelsyndroms und einer Polyneuropathie bezog der Kläger seit dem 27.11.2008 bis zum 31.12.2008 von der Beklagten Krankengeld (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Dr. W., Arzt für Allgemeinmedizin, vom 28.11.2008 und vom 12.12.2008).

Mit Schreiben 19.12.2008 teilte die Beklagte sowohl dem Kläger als auch Dr. W. mit, der Kläger werde nur noch bis zum 31.12.2008 Krankengeld erhalten und solle sich bei der Arbeitsagentur melden. Zugleich wurde der Kläger darüber in Kenntnis gesetzt, dass mit dem Ende des Krankengeldanspruchs auch seine Mitgliedschaft in der bisherigen Form enden werde.

Dr. W. stellte am 05.01.2009 eine Folgebescheinigung aus, wonach die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 16.01.2009 fortdauern werde, eine weitere Folgebescheinigung vom 15.01.2009 attestierte Arbeitsunfähigkeit bis 28.2.2009.

Mit Bescheid vom 14.01.2009 lehnte die Beklagte eine Krankengeldzahlung über den 31.12.2008 hinaus ab. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch V (SGB V) entstehe der Anspruch auf Krankengeld erst am Tag nach der ärztlichen Feststellung. Hierfür sei allerdings Voraussetzung, dass an diesem Tage auch noch ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld bestehe. Dies sei hier nicht der Fall, denn die Mitgliedschaft des Klägers habe am 31.12.2008 geendet. Daher habe zum 6.1.2009 kein neuer Krankengeldanspruch entstehen können. Eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld könne nur anerkannt werden, wenn die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit am letzten Tag der zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden sei. Dies sei hier nicht geschehen.

Hiergegen erhob der Kläger am 16.01.2009 Widerspruch und trug vor, er sei seit November 2008 durchlaufend krankgeschrieben worden. Da Dr. W. die entsprechende Bescheinigung jeweils nur für 14 Tage habe ausstellen können, habe das letzte Attest am 31.12.2008 geendet. Es sei aber abzusehen gewesen, dass die Arbeitsunfähigkeit auch darüber hinaus andauern würde. Daher sei vereinbart worden, dass er nach den Feiertagen am 5.1.2009 eine neue Bescheinigung in der Praxis abholen solle.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2009 zurück. Zur Begründung verwies sie nochmals auf § 46 SGB V und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 26.06.2007 (B 1 KR 2/07 R). Eine ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit mit einem durchgehenden Anspruch auf Krankengeld hätte nur durch eine neue Untersuchung und Krankschreibung des Klägers spätestens am 31.12.2008 nachgewiesen werden können.

Am 15.05.2009 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht und führte aus, er habe die erforderliche Folgebescheinigung nicht früher vorlegen können, da die Praxis von Dr. W. über die Feiertage geschlossen gewesen sei. Die Praxis sei im Januar 2009 erst am 05.01.2009 wieder geöffnet worden. Daher treffe ihn kein Verschulden. Im übrigen habe er gemeinsam mit seiner Ehefrau um Weihnachten 2008 mit Dr. W. gesprochen und ihn gefragt, ob er schon jetzt eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für Januar 2009 ausstellen könne bzw. was passiere, wenn er länger krank wäre. Dr. W. habe die Ausstellung einer solchen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgelehnt und ihm gesagt, er solle nach den Ferien in die Praxis kommen. Er werde ihn dann untersuchen und bei Bedarf krankschreiben. Eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde dann auch rückwirkend die Zeit ab dem 01.01.2009 umfassen. Faktisch sei er somit durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Die Umstände, die zur verspäteten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, fielen in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Er habe auf die Aussage von Dr. W., der immerhin ein Vertragsarzt der Beklagten sei, vertraut und sei davon ausgegangen, dass auch eine nach dem 31.12.2008 erfolgende Krankschreibung seinen Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Beklagten sichern werde.

Das Sozialgericht befragte Dr. W. als sachverständigen Zeugen. In seinen Auskünften vom 06.10.2009 und vom 19.10.2009 teilte Dr. W. mit, der Kläger sei zunächst bis zum 31.12.2008 arbeitsunfähig gewesen. Da die Praxis über die Feiertage geschlossen gewesen sei, sei es nicht möglich gewesen, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nahtlos zum 01.01.2009 zu überprüfen. Die nächste Untersuchung des Klägers sei daher am ersten Öffnungstag der Praxis im Kalenderjahr 2009, also am 05.01.2009, erfolgt. Dabei habe er festgestellt, dass der Kläger weiterhin - rückwirkend zum 01.01.2009 - arbeitsunfähig gewesen sei. Aus technischen Gründen sei es nicht möglich gewesen, dem Kläger schon im Dezember 2008 eine für Januar 2009 gültige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erteilen. Dies wäre vom Computer verweigert worden. Dr. W. bestätigte, dass er dies am 19.12.2008 mit dem Kläger besprochen habe. Es treffe auch zu, dass er dem Kläger mitgeteilt habe, gegebenenfalls könnte am 05.01.2009 auch eine rückwirkende Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgen, ohne dass damit Einschränkungen für den Kläger verbunden seien. Früher habe es mit einem solchen Procedere auch keine Schwierigkeiten gegeben. Denn ausnahmsweise dürfe die Arbeitsunfähigkeit auch rückwirkend für drei Tage attestiert werden. So sei es zumindest bislang gelehrt worden. Vorliegend komme hinzu, dass die Praxis wegen der Feiertage Anfang 2009 bis zum 4. Januar geschlossen gewesen sei, so dass vor dem 05.01.2009 keine neue Untersuchung des Klägers möglich gewesen sei.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und führte in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht aus, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Krankengeldes seien mit Ablauf des 31.12.2008 weggefallen. Die Gründe dafür fielen nicht in ihre Sphäre. Der Kläger habe die Problematik offensichtlich im Vorfeld erkannt, so dass es rückblickend sicher sinnvoll gewesen wäre, wenn er noch im Dezember mit der Beklagten Rücksprache genommen hätte, um dies zu klären. Es dürfte nicht ausreichend sein, dass er dies nur mit seinem Arzt besprochen habe. Offenbar sei Dr. W. damals unzutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger sich noch im Arbeitslosengeldbezug befinde. Ergänzend verwies die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf ein Urteil der 11. Kammer des Sozialgerichts Mannheim vom 16.12.2009 (S 11 KR 3119/08) sowie eine Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichtes vom 21.02.2008 (L 4 KR 220/06).

Das Sozialgericht hob mit Urteil vom 19.01.2010 den Bescheid der Beklagten vom 14.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2009 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Krankengeld auch für die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 28.02.2009 zu gewähren

Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Krankengeldanspruches nicht weggefallen. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entstehe der Anspruch auf Krankengeld an dem Tag, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folge. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass beim Krankengeld, das üblicherweise in kurzen Zeitabschnitten gewährt bzw. gezahlt werde, für jeden neuen Zeitabschnitt eine vollständige Überprüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen zu erfolgen habe. Dies schließe die Frage ein, ob zu Beginn des neuen Zeitabschnittes noch eine Mitgliedschaft des Versicherten mit Anspruch auf Krankengeld vorliege (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 KR 22/04 R und zuletzt Urteil vom 05.05.2009 - B 1 KR 20/08 R). Aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V ergebe sich, dass am Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch auf Krankengeld bestehe. Es handele sich um eine Karenzzeitregelung, die aus Einsparungsgründen eingeführt worden sei. Der Gesetzgeber sei in diesem Zusammenhang wohl davon ausgegangen, dass aufgrund der Ansprüche der versicherten Beschäftigten auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hierdurch keine unzumutbare Belastung zumindest für diese Versichertengruppe entstehen werde (hierzu LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 28.03.2007 - L 5 KR 91/06). In mehreren grundlegenden Entscheidungen vertrete das Bundessozialgericht weiter die Auffassung, dass § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V auch dann zur Anwendung komme, wenn ein arbeitsunfähiger Versicherter die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit und die weitere Auszahlung seines Krankengeldes geltend mache. Auch dann sei es erforderlich, dass an dem Tag, der auf die erneute ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folge, ein Versicherungsverhältnis bzw. eine Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld bestehe (Urteile vom 26.06.2007 - B 1 KR 2/07 R, B 1 KR 8/07 R, B 1 KR 37/06 R; so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.10.2008 - L 11 KR 4447/08 ER-B, LSG Bayern, Urteil vom 07.05.2009 - L 4 KR 119/07). Allerdings nehme das Bundessozialgericht in den genannten Entscheidungen ausdrücklich auf sein Urteil vom 08.11.2005 (B 1 KR 30/04 R) Bezug, wonach ein rückwirkender Anspruch auf Zahlung von Krankengeld in Betracht komme, wenn der Versicherte ursprünglich alles für die Anspruchsentstehung Erforderliche und ihm Zumutbare unternommen habe und die Gründe, die somit zum Anspruchsverlust führen, in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fielen (vgl. hierzu bspw. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.03.2007 - L 1 KR 98/05 und Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.08.2004 - L 16 KR 324/03 und BSG, Urteil vom 19.09.2002 - B 1 KR 11/02 R).

Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben könne der Kläger durchgängig bis zum 28.02.2009 Krankengeld beanspruchen. Denn Dr. W. habe als sachverständiger Zeuge die Sachverhaltsdarstellung des Klägers bestätigt. Daher stehe fest, dass die Gründe, die zur verspäteten Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, von der Beklagten zu verantworten seien. Der Kläger habe sich auf die Aussage von Dr. W. verlassen dürfen, dass gegebenenfalls am 05.01.2009 eine rückwirkende Arbeitsunfähigkeit zum 01.01.2009 bestätigt werden könne. Die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie erlaube für eng begrenzte Ausnahmefälle tatsächlich rückwirkend eine Attestierung der Arbeitsunfähigkeit (§ 5 Abs. 3 der Richtlinie), ohne auf die aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V folgende Problematik einzugehen. Vor diesem Hintergrund könne vorliegend weder Dr. W. noch dem Kläger ein Vorwurf gemacht werden. Beide hätten sich darauf verlassen dürfen, dass bei rückwirkender, aber nahtloser Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eine Weiterzahlung des Krankengeldes gewährleistet sei. Daher gehe auch der Hinweis der Beklagten, es sei Sache des Klägers gewesen, dieses Problem vorab mit ihr zu besprechen, fehl. Ein solcher Beratungsbedarf sei für den Kläger nicht erkennbar gewesen. Vielmehr habe er sich auf das Wort seines Hausarztes verlassen können. Dr. W. habe die Funktion eines Vertragsarztes inne, so dass sein Handeln als "Verrichtungsgehilfe" in die Sphäre der Beklagten falle. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn die Beklagte im Vorfeld sowohl ihre Vertragsärzte (auch Dr. W.) als auch ihre Versicherten über die Umstellung ihrer bisherigen Praxis nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26.06.2007 (B 1 KR 37/06 R) informiert hätte. Dies sei aber offenkundig nicht geschehen. Der Kläger sei daher durchgehend über den 31.12.2008 hinaus arbeitsunfähig gewesen und habe einen durchgehenden Krankengeldanspruch.

Die Angaben von Dr. W. zu den genauen Untersuchungsbefunden in den Monaten Januar und Februar 2009 seien zwar relativ dürftig. Zu Gunsten des Klägers gehe das Gericht davon aus, dass der Kläger tatsächlich bis zum 28.02.2009 arbeitsunfähig war. Denn bei Zweifeln an der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit sei es Sache der Beklagten gewesen, zeitnah eine Vorstellung des Klägers beim MDK zur Erstellung eines aktuellen Leistungsbildes zu veranlassen (vgl. § 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). Schon die Mitteilung vom 19.12.2008, Krankengeld werde nur bis zum 31.12.2008 gezahlt werden, sei auf Grundlage einer sehr dürftigen Aktenlage ohne gezielte medizinische Untersuchung des Klägers ergangen. Mit diesem Vorgehen habe die Beklagte die gesetzliche Pflicht, vor Erteilung entsprechender Bescheide den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 20 Sozialgesetzbuch X - SGB X), missachtet. Da genauere Feststellungen zum genauen Ausmaß der damaligen Gesundheitsstörungen nicht mehr getroffen werden könnten, folge hieraus zu Lasten der Beklagten eine Umkehr der Beweis- bzw. Feststellungslast (hierzu Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 18.10.2007 - L 8 KR 228/06). Etwas anderes folge auch nicht aus dem Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.12.2009 (S 11 KR 3119/08). Denn der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt weiche von dem vorliegenden insoweit ab, als die verspätete ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit alleine in die Sphäre des dortigen Klägers gefallen und von der beklagten Krankenkasse nicht zu verantworten gewesen sei. Aufgrund der in den Verantwortungsbereich der Beklagten fallenden Beratung des Klägers durch Dr. W. sei der Sachverhalt im vorliegenden Fall grundlegend anders. Aus diesem Grunde gehe auch der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21.02.2008 (L 4 KR 220/06) fehl, denn auch der dortige Sachverhalt biete keinerlei Anknüpfungspunkt dafür, dass die verspätete ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit von der betreffenden Krankenkasse zu verantworten gewesen sein könne.

Gegen das ihr am 11.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.03.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dem Urteil des Sozialgerichts, wonach die Gründe, die zur verspäteten Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit geführt haben, von ihr zu verantworten seien, könne nicht gefolgt werden. In dem Urteil werde auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin Brandenburg vom 02.03.2007 - L 1 KR 98/05 - Bezug genommen, welche vom Bundessozialgericht am 26.06.2007 in dem Verfahren B 1 KR 8/07 R aufgehoben worden sei. Das weitere vom Sozialgericht Mannheim in Bezug genommene Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26.08.2004 - L 16 KR 324/03 - sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar, weil darin um die Folgen der verspäteten Meldung der Arbeitsunfähigkeit ging. Hier stelle sich diese Frage jedoch nicht. Vielmehr sei bei dem Berufungsbeklagten spätestens am 31.12.2008 weitere Arbeitsunfähigkeit überhaupt nicht festgestellt worden.

Auf eine Arztanfrage habe Herr Dr. W. ihr am 16.12.2008 mitgeteilt, dass von Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.12.2008 auszugehen sei. Arbeitsfähigkeit bestehe voraussichtlich ab 01.01.2009. Insoweit habe der Arzt auch dem Sozialgericht gegenüber am 19.10.2009 mitgeteilt, dass er auf die entsprechende Frage des Berufungsbeklagten darauf verwiesen habe, dass der weitere Heilungsverlauf abgewartet werden müsse. Daraus werde deutlich, dass der Kläger nicht zwangsläufig von einer Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit über den 31.12.2008 hinaus habe ausgehen können. Der Hinweis von Herrn Dr. W. habe sich wohl nur auf die Bestätigung von Arbeitsunfähigkeit bezogen. Welche versicherungsrechtlichen Auswirkungen sich ergeben könnten, sei dem Arzt sicherlich nicht bekannt gewesen; schließlich sei in der besagten Arztanfrage (Blatt 11 der Verwaltungsakte) der Hinweis "arbeitslos" enthalten. Ob der Arzt gewusst habe, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht mehr durch den Anspruch auf Arbeitslosengeld versichert gewesen sei, müsse bezweifelt werden. Unabhängig davon sei es auch nicht Aufgabe des Arztes gewesen, den Kläger in versicherungsrechtlicher Hinsicht zu beraten. Hierfür sei sie, die Beklagte, zuständig gewesen. Der Kläger hätte sich an sie wenden können, um sich über die aus der rückwirkenden Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit resultierenden Folgen beraten zu lassen. Dies habe er nicht getan und damit die daraus folgenden Nachteile zu vertreten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er lässt ausführen, es sei zutreffend, dass Dr. W. erst am 05.01.2009 die weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestätigt habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe sich der Kläger aber sehr wohl auf die Aussage von Dr. W. verlassen können, dass es genüge, wenn er erst nach der Wiedereröffnung der Praxis am 05.01.2009 vorbeikomme und dann ggfls. rückwirkend die Arbeitsunfähigkeit zum 01.01.2009 festgestellt und bestätigt werden könne. Das Bundessozialgericht habe in der Entscheidung vom 26.06.2007 (B 1 KR 37/06 R) deutlich zum Ausdruck gebracht, dass unter Berücksichtigung des Einzelfalles durchaus die Möglichkeit bestehe, dem Versicherten die Folgen einer objektiv verzögerten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht zuzurechnen. Der Kläger habe hier gerade alles aus seiner Sicht Notwendige und ihm Zumutbare getan, um bei dem Vertragsarzt der Beklagten, Herrn Dr. W., eine ordnungsgemäße Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit auch über den 31.12.2009 hinaus durchführen zu lassen. Dass es dazu schließlich nicht gekommen sei, habe der Kläger nicht verschuldet.

Der Senat wies mit Schreiben an die Beteiligten vom 19.12.2011 darauf hin, dass die Arbeits-unfähigkeit des Klägers aufgrund des durchgehend diagnostizierten rheumatischen Fiebers und der Gicht sowie eines Karpaltunnelsyndroms über den 31.12.2008 hinaus fort bestanden habe. Die verspätete Feststellung habe ersichtlich auf der unzutreffenden Beurteilung durch den behandelnden Vertragsarzt Dr. W. beruht. Dies müsse sich die Beklagte auch nach Auffassung des Senats zurechnen lassen.

Hierzu hat die Beklagte mit Schreiben vom 03.01.12 Stellung genommen. Es gehe nicht um die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe. Entscheidend sei vielmehr, ob ein lückenloser Nachweis der Arbeitsunfähigkeit geführt worden sei. Ein solcher habe letztendlich Auswirkungen auf die Mitgliedschaft, welche die Grundlage für die Zahlung von Krankengeld darstelle. Insoweit sei die Feststellung von Dr. W., wonach die Arbeitsunfähigkeit auch für wenige Tage rückwirkend bescheinigt werden könne, grundsätzlich nicht in Zweifel zu ziehen. Bei einer Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld, beispielweise im Rahmen einer Mitgliedschaft als Beschäftigter, hätten sich daraus auch keine Auswirkungen ergeben. Die Aussage von Dr. W. sei damit sicher nur im Zusammenhang mit dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit im Regelfall zu verstehen. Anders liege der Fall beim Berufungsbeklagten. Dr. W. sei das aktuelle Versicherungsverhältnis des Berufungsbeklagten sicher nicht bekannt gewesen. Der Arzt sei wohl davon ausgegangen, dass der Kläger als Arbeitsloser versichert gewesen sei. Unabhängig davon, dass Herr Dr. W. über die Grundlagen der Versicherung sicherlich nicht unterrichtet gewesen sei, sei es nicht seine Aufgabe, einen Patienten über versicherungsrechtliche Konsequenzen aufzuklären. Der Kläger habe sich deshalb nicht auf die Aussagen des Arztes verlassen dürfen, sondern hätte die Frage, welche Folgen sich aus der bereits am 12.12.2008 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben würden, nicht mit dem Arzt sondern mit der Beklagten klären müssen. Man hätte ihm die versicherungsrechtlichen Auswirkungen aufzeigen können. Die Folgen dieses Versäumnisses seien von ihm zu vertreten. Die Beklagte verwies erneut auf die Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim vom 16.12.2009 - S 11 KR 3119/08 - ... Im dortigen Verfahren sei ebenfalls vorgetragen worden, die behandelnde Ärztin hätte es für zulässig erklärt, rückwirkend die Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Die 11. Kammer sei dieser Argumentation nicht gefolgt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch statthaft. Berufungsausschlussgründe nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - liegen nicht vor. Mit dem streitigen Krankengeldanspruch für die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 28.02.2009 in Höhe von 23,56 EUR kalendertäglich wird der gesetzliche Beschwerdewert von 750 EUR erreicht.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Fortzahlung des Krankengeldes über den 31.12.2008 hinaus bis zum 28.02.2009. Das Sozialgericht hat den ablehnenden Bescheid der Beklagten zu Recht aufgehoben und diese zu Recht zu einer entsprechenden Zahlung an den Kläger verurteilt. Der Kläger hat die verspätete Feststellung der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit im vorliegenden Einzelfall nicht zu vertreten. Der Senat teilt die hierzu vom Sozialgericht vertretene Auffassung und nimmt deshalb auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist auszuführen, dass der Senat - anders als die Beklagte - der Auffassung ist, dass der Kläger alles ihm Zumutbare unternommen hat, um eine rechtzeitige Folgebescheinigung seiner Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Insoweit hält der Senat an seinen Ausführungen im Hinweisschreiben vom 19.12.2011 fest. Der Kläger hat den Hinweis der Beklagten im Schreiben vom 19.12.2008, welches ihm persönlich ausgehändigt worden war, zum Anlass genommen, die Frage des Nachweises einer über den 31.12.2008 hinaus bestehenden Arbeitsunfähigkeit mit seinem behandelnden Arzt Dr. W. zu besprechen. Ausweislich seiner im erstinstanzlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen hat Dr. W. den Kläger am 19.12.2008 zur Klärung der weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit auf den 05.01.2009 nach dem Ende des Praxisurlaubs verwiesen und ihm für den Fall, dass sich der Gesundheitszustand dann nicht gebessert haben sollte, eine rückwirkende Krankmeldung in Aussicht gestellt. Dr. W. war erkennbar der Überzeugung, dass diese Vorgehensweise für den Kläger zu keinem Nachteil führen werde. Vor diesem Hintergrund war es vom Kläger weder zu erwarten, sich noch vor dem 31.12.2008 zu einer erneuten Untersuchung, etwa durch einen Vertreter seines Hausarztes zu begeben, noch sich nochmals bei der Beklagten zu informieren, bei der er am 19.12.2008 bereits vorgesprochen hatte. Es kann dem Kläger, der sich am 19.12.2008 gerade um eine Klärung des weiteren Vorgehens bemüht hatte, nicht vorgehalten werden, dass er sich insoweit auf die - unzutreffende - Auskunft seines Hausarztes verlassen hat. Dem Kläger kann insbesondere nicht entgegen gehalten werden, dass Dr. W. die versicherungsrechtlichen Umstände zu der Frage, ob es beim Kläger um den Fortbestand seines Versicherungsschutzes mit Anspruch auf Krankengeld geht, möglicherweise nicht im Einzelnen bekannt waren bzw. von ihm nicht zutreffend eingeschätzt worden waren. Dr. W. hat ausdrücklich bekundet, er habe dem Kläger mitgeteilt, dass eine Krankschreibung über den 31.12.2008 nicht möglich sei, weil die Praxis geschlossen habe. Offenbar war dies aus technischen Gründen schon gar nicht möglich, wie Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 06.10.2009 angegeben hatte. Dr. W. hat aber nach seiner Stellungnahme vom 19.10.2009 dem Kläger auch mitgeteilt, dass eine rückwirkende Krankschreibung für ihn keine Einschränkungen mit sich bringen würde. Aufgrund dieser ausdrücklichen Aussage musste der Kläger keine Zweifel daran hegen, dass ihm der lückenlose Nachweis einer über den 31.12.2008 hinaus bestehenden Arbeitsunfähigkeit gelingen werde.

Ihm kann auch nicht entgegengehalten werden, dass Dr. W. der Beklagten am 16.12.2008 mitgeteilt hatte, der Kläger werde voraussichtlich am 01.01.2009 wieder arbeitsfähig sein. Dabei handelt es sich um eine prognostizierende Beurteilung. Dr. W. hat durch seine unzutreffende Auffassung über die Möglichkeit rückwirkender Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in den Fällen, in denen es um den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses geht, insoweit eine rechtzeitige Neuvorstellung des Klägers und damit die Abklärung dieser Prognose noch vor dem 01.01.2008 verhindert. Der Senat hat aber keinen Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich über den 31.12.2008 hinaus arbeitsunfähig war. Denn Dr. W. hat in seiner Stellungnahme an das Sozialgericht vom 19.10.2009 dargelegt, dass beim Kläger am 05.01.2009 wiederum eine Arthritis bei rheumatischem Fieber, Gicht und ein Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert worden waren. Dabei handelt es sich um das gleiche Krankheitsbild wie im Dezember 2008, so dass eine zwischenzeitliche Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht naheliegt.

Soweit die Beklagte beanstandet, dass das Sozialgericht in seiner Entscheidung auf das später vom Bundessozialgericht aufgehobene Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 02.03.2007 - L 1 KR 98/05 - und auf das nicht einschlägige Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26.08.2004 - L 16 KR 324/03 - Bezug genommen hat, vermag dieser Einwand die Berufung nicht zu begründen. Denn das Sozialgericht hat diese Entscheidungen als Belegstelle für die rechtlichen Vorgaben für einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld angeführt, nämlich dass der Versicherte alles für die Anspruchsentstehung Erforderliche und Zumutbare unternommen hat und die Gründe, die zum Anspruchsverlust führen, in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fallen. Es hat nicht auf die konkret entschiedenen Sachverhalte abgestellt. Die grundsätzlichen Erwägungen für eine ausnahmsweise rückwirkende Zahlung des Krankengeldes unter den beschriebenen Voraussetzungen hat aber das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 08.11.2005 (B 1 KR 30 /04 R) dargetan, auf welches das Sozialgericht im Ausgangspunkt seiner Überlegungen abgestellt hat.

Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung schließlich erneut auf die Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim vom 16.12.2009 - S 11 KR 3119/08 - und das hierzu durchgeführte Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 11 KR 809/10) bezieht, ist dem entgegen zu halten, dass es sich dabei um einen nicht vergleichbaren Sachverhalt handelt, da dem Kläger dort die verspätete Ausstellung einer Folgebescheinigung seiner Arbeitsunfähigkeit selbst zuzurechnen war und dieses Versäumnis nicht - wie hier - auf dem Verhalten des Vertragsarztes beruhte. Darauf hat bereits das Sozialgericht im angegriffenen Urteil hingewiesen.

Die Berufung der Beklagten muss daher ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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