L 3 U 3422/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 4186/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3422/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers wegen der Folgen einer anerkannten Lärmschwerhörigkeit streitig.

Der am 09.08.1956 geborene Kläger ist seit 1977 mit kurzen Unterbrechungen als Schreiner bei der Firma A. AG, B., beschäftigt. Nachdem der dortige Betriebsarzt Dr. C. unter dem 14.06.1988 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit des Klägers erstattet hatte, erstellte der technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten eine Lärmexposition des klägerischen Arbeitsplatzes. Im HNO-fachärztlichen Gutachten vom 15.06.1989 führte Dr. D. aus, im Rahmen der vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten hätten hinsichtlich der Lärmverhältnisse Bedingungen bestanden, unter denen sich bei entsprechender individueller Disposition eine schalltraumatische Innenohrschädigung entwickeln könne. Die berufliche Tätigkeit des Klägers sei geeignet, eine Lärmschädigung des Gehörs zu verursachen, so dass mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit von einer beruflichen Schwerhörigkeit auszugehen sei. Die lärmbedingte MdE betrage jedoch weniger als 10 v.H. Mit Schreiben vom 26.10.1989 anerkannte die Beklagte beim Kläger eine annähernd geringgradige Hörminderung als Folge einer Berufskrankheit Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), die jedoch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in messbarem Grade verursache.

Mit Schreiben vom 01.09.1992 teilte Dr. C. mit, der Kläger sei als Meister in der Formerei und Schreinerei zu 10 % seiner Arbeitszeit lärmexponiert. Die letzte Voruntersuchung habe keine wesentliche Veränderung ergeben. Im Untersuchungsbogen Lärm wurde bezüglich der Untersuchung am 01.09.1992 angegeben, zur Zeit bestehe kein Tinnitus.

Nachdem Dr. C. eine zunehmende Schwerhörigkeit geltend gemacht hatte (Anzeige vom 22.09.1998) wurde der Kläger durch Dr. E. gutachterlich untersucht. Im Gutachten vom 26.07.1999 führte dieser aus, der Kläger habe seit ca. zwei Jahren eine Verschlechterung der Schwerhörigkeit besonders bei starkem Umgebungslärm bemerkt. Ohrgeräusche würden nicht angegeben. Im Vergleich zur gutachterlichen Untersuchung vom 15.06.1989 sei eine geringgradige Verschlechterung zu messen, die daraus resultierende MdE liege nach wie vor unter 10 v.H. Eine Hörgeräteversorgung sei nicht notwendig, konsequenter Hörschutz bei Lärmarbeit jedoch weiterhin dringlich anzuraten. Auch Dr. F. gelangte in den Gutachten vom 09.10.2001 und 09.10.2003 zu der Beurteilung, beim Kläger liege eine an Geringgradigkeit grenzende hochtonbetonte Innenohrschwerhörigkeit vor, gegenüber den Voruntersuchungen sei es nicht zu einer Verschlechterung gekommen. Der Kläger arbeite zu 80 % im Büro, bei lärmintensiven Arbeiten trage er Gehörschutz.

In einem weiteren Gutachten vom 06.06.2006 führte der Arzt für HNO-Heilkunde Dr. G. aus, beim Kläger bestehe eine chronische, lärmtraumatische Schädigung beidseits, die beruflich verursacht sei. Es bestehe eine knapp geringradige Schwerhörigkeit beidseits mit einem Hörverlust von 20 % unter Berücksichtigung der Werte des Tonaudiogrammes, die eine MdE von 10 v.H. bedinge. Der Kläger habe angegeben, seit einigen Monaten bestünde abends in Ruhe auch ein beidseitiges hochfrequentes Ohrgeräusch. Auf Nachfrage werde noch keine subjektive Beeinträchtigung bezüglich des Ohrgeräusches angegeben. Im Rahmen der Untersuchung sei kein Ohrgeräusch angegeben worden.

Mit Bescheid vom 23.06.2006 führte die Beklagte aus, gegenüber den Befunden, die dem Bescheid vom 26.10.1989 zugrunde gelegen hätten, sei zwar eine lärmbedingte Hörverschlechterung eingetreten, die jedoch keine wesentliche Änderung darstelle. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, nach dem Gutachten von Dr. G. liege bei ihm beidseits sowohl ein Hörverlust von 20 % als auch ein Tinnitus vor, deshalb müsse auch die MdE 20 v.H. betragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Aufgrund der Angaben des Klägers liege eine Beeinträchtigung durch Ohrgeräusche nicht vor, so dass diese bei der MdE-Bewertung nicht zu berücksichtigen seien. Aus den Folgen der Berufskrankheit resultiere eine MdE von lediglich 10 v.H.

Hiergegen hat der Kläger am 07.12.2006 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.

Der vom SG als sachverständiger Zeuge gehörte Dr. C. hat unter dem 31.03.2008 mitgeteilt, beim Kläger sei gegenüber der Begutachtung durch Dr. G. eine Verschlechterung des Hörvermögens eingetreten. Auch leide er konstant an Tinnitus.

Das SG hat bei Prof. Dr. K. ein HNO-ärztliches Gutachten eingeholt. Im Gutachten vom 20.08.2008 hat dieser angegeben, der Kläger habe spontan auch über ein subjektives Ohrgeräusch berichtet, das seit vier bis fünf Jahren immer wieder und in den letzten drei Jahren deutlich häufiger auftrete. Insgesamt würde das subjektive Ohrgeräusch ca. vier bis fünf Mal wöchentlich zu beobachten sein, letztmals zwei Tage vor der jetzigen Untersuchung. Nach den Hörverlustwerten des Hörschwellenaudiogramms bestehe ein beidseitiger prozentualer Hörverlust von 35 %. Nach den sprachaudiometrischen Werten ermittle sich auf der rechten Seite noch ein prozentualer Hörverlust von 0 %, auf der linken Seite ein Hörverlust von 10 %. Diese enorm guten sprachaudiometrischen Werte dokumentierten die sehr gute Mitarbeit des Klägers. Nach dem Hörschwellenaudiogramm müsse von einer gut mittelgradigen Schwerhörigkeit gesprochen werden, während nach dem Sprachaudiogramm noch von einer "beginnenden Schwerhörigkeit" ausgegangen werden müsse. Da die sprachaudiometrischen Werte jedoch unter "idealen" Bedingungen in einem schallisolierten Untersuchungsraum erhoben würden, spiegelten sie nicht die tatsächliche Beeinträchtigung im täglichen Leben wieder. Auf dezidiertes Befragen habe der Kläger ein nicht ständiges hochfrequentes Ohrgeräusch wenige dB über der Hörschwelle verdeckbar angegeben. Dieses sei ebenfalls im Rahmen der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit zu werten. Die MdE sei aufgrund der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit und unter Berücksichtigung des subjektiven Ohrgeräusches mit 15 v.H. einzuschätzen. Vor allem unter Heranziehung des Hörschwellenaudiogramms sei die Indikation für eine beidohrige Hörgeräteversorgung gegeben, die jedoch nur sinnvoll sei, wenn eine digitale Hörgeräteversorgung mit einem mehrkanaligen Gerät eingesetzt werde.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. I.-J. mit der Erstattung eines HNO-ärztlichen Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 13.02.2011 hat diese ausgeführt, unter Zugrundlegung der Ergebnisse aus der Tonaudiometrie entspreche der Hörverlust des Klägers von beidseits 35 % einer geringgradigen Schwerhörigkeit. Somit ergebe sich aus der Tabelle zur Ermittlung der MdE aus den Schwerhörigkeitsgraden beider Ohren eine MdE von 15 v.H. Zusätzlich müsse der Tinnitus berücksichtigt werden. Nach den Angaben des Klägers bestehe dieser seit ca. 7 bis 8 Jahren und belaste ihn durchschnittlich 1 bis 1,5 Stunden pro Tag. Zum Zeitpunkt der Untersuchung werde vom Kläger kein Ohrgeräusch wahrgenommen. Eine Tinnitusmaskierung könne deshalb nicht vorgenommen werden. Das Ohrgeräusch sei aus der Erinnerung bei einer Tonhöhe von etwa 4000 Herz beidseits lokalisiert. Zusammenfassend schätze sie die MdE des Klägers zum heutigen Zeitpunkt (Dezember 2010) auf 20 v.H.

Dieser Beurteilung ist die Beklagte unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H. vom 11.03.2011 entgegen getreten. Aufgrund des Ton- und Sprachaudiogrammes gemäß "Königsteiner Merkblatt" und gutachterlicher Literatur sei eine MdE in Höhe von 10 v.H. als adäquat anzusehen. Ein Ohrgeräusch, welches nicht konstant vorhanden sei und auch im Gutachten von Dr. I.-J. nicht habe verifiziert werden können, sei gemäß gutachterlicher Literatur nicht lärmbedingt und somit in der Bewertung der MdE nicht zu berücksichtigen.

Mit Urteil vom 29.06.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, unter Zugrundelegung der im "Königsteiner Merkblatt" darstellten Grundsätze für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit ergebe der beim Kläger von allen Gutachtern ermittelte prozentuale Hörverlust von 20 % beidseits nach der anzuwendenden Tabelle eine MdE von 10 v.H. Soweit Prof. Dr. K. die MdE des Klägers mit 15 v.H. eingeschätzt habe, habe er bereits das vom Kläger angegebene Ohrgeräusch als Folge der Berufskrankheit mit einbezogen. Zwar sei der Beurteilung von Dr. H. in der beratungsärztlichen Stellungnahme nicht zu folgen, dass das Ohrgeräusch nicht ursächlich der lärmtraumatischen Schädigung des Gehörs zuzuordnen sei. Gleichwohl sei auch unter Berücksichtigung des Tinnitus eine MdE von 20 v.H. noch nicht erreicht, da auch nach den anamnestischen Erhebungen von Dr. I.-J. das beim Kläger vorliegende Ohrgeräusch lediglich morgens ca. eine Stunde und abends ca. 10 bis 15 Minuten auftrete. Intermittierende (zeitweilige) Ohrgeräusche bedingten keine Erhöhung der MdE.

Gegen das am 04.07.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.08.2011 Berufung eingelegt. Er trägt vor, er habe nicht nur zeitweise auftretende, sondern täglich ganztägig auftretende Ohrgeräusche auch habe sich das SG nicht mit der Stellungnahme des Betriebsarztes Dr. C. auseinandergesetzt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2006 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK 2301 der Anlage 1 zur BKV eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H. ab dem 03. Juli 2006 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Der Antrag des Klägers ist gemäß § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass nicht die Feststellung einer MdE von 20 v.H., sondern die Gewährung einer entsprechenden Verletztenrente begehrt wird. Denn für die alleinige Feststellung bzw. Anerkennung der Höhe der MdE fehlt ein Rechtsschutzinteresse.

Insbesondere ist eine entsprechende Feststellung nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht möglich. Danach kann mit der Klage begehrt werden die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die danach allein mögliche Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist, muss vorliegend nicht mehr getroffen werden, da die Beklagte die Lärmschwerhörigkeit bereits als Berufskrankheit anerkannt hat. Die Höhe der MdE kann nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG jedoch nicht festgestellt werden. Insoweit ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 SGG vorrangig. Die in diesem Sinne gefasste Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v.H. gemindert ist. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft. Dieses sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (ständige Rechtsprechung, BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - juris).

Beim Kläger besteht - was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist - eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV (Lärmschwerhörigkeit). Die beim Kläger hierdurch verursachten Folgen bedingen jedoch keine MdE von wenigstens 20 v.H.

Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt. Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände des Einzelfalles. Wie weit die Unfallfolgen bzw. die Folgen der anerkannten Berufskrankheit die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Um die MdE einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG Urteil vom 30.06.1998 - B 2 U 41/97 R - juris; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Rn. 10.3). Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden (BSG, Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R - juris).

Die Bewertung von Hörverlusten richtet sich im wesentlichen nach dem "Königsteiner Merkblatt" (BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/10 R - juris). Nach Ziffer 4.2 des "Königsteiner Merkblatts" ist zur quantitativen Bewertung der Hörstörung aus den Daten der Hörprüfungen der prozentuale Hörverlust getrennt für jedes Ohr zu berechnen. Nach Ziffer 4.2.1 wird der prozentuale Hörverlust nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser (1973) ermittelt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 344f, Abbildung 11). Ohrgeräuschen (Tinnitus) kommt lediglich als Begleiterscheinung einer Lärmschwerhörigkeit Bedeutung zu. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche sind zwei Symptome des lärmgeschädigten Innenohres. Ohrgeräusche sind deshalb bei der MdE-Einschätzung im Rahmen der Gesamt-MdE (Hörverlust und Ohrgeräusche) integrierend zu bewerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 351; Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2301 Nr. 1.4).

Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass bei der vorliegenden Konstellation, in welcher die Berechnung des prozentualen Hörverlustes nach dem Sprachaudiogramm unter Verwendung des gewichteten Gesamtwortverstehens einen Hörverlust von weniger als 20 % ergibt, nach dem Königsteiner Merkblatt auch das Tonaudiogramm heranzuziehen ist. Danach ist dann, wenn sich aus dem Tonaudiogramm bei Anwendung der Drei-Frequenz-Tabelle ein prozentualer Hörverlust von 20 % oder mehr ergibt und wenn ein Messfehler bei Ermittlung der tonaudiometrischen Werte sicher ausgeschlossen werden kann, nach Ziffer 4.2.1 des Königsteiner Merkblatts eine versicherungsrechtlich relevante Schwerhörigkeit entsprechend einem prozentualen Hörverlust von 20 % anzunehmen. Dieser beim Kläger zu berücksichtigende Hörverlust von 20 % beidseits führt nach der anzuwendenden Tabelle zu einer MdE von 10 v.H.

Das SG hat weiter zutreffend ausgeführt, dass das Ohrgeräusch - entgegen der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. - zwar ursächlich der lärmtraumatischen Schädigung des Gehörs des Klägers zuzuordnen ist, dass hieraus jedoch noch nicht eine MdE von 20 v.H. resultiert. Zur Überzeugung des Senats treten Ohrgeräusche des Klägers nur zeitweilig auf. Sie sind deshalb als gering beeinträchtigend einzustufen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 351). Soweit der Kläger zur Berufungsbegründung hierzu vorgetragen hat, die Ohrgeräusche seien ständig, lediglich in wechselnder Intensität vorhanden, stehen dem seine anamnestischen Angaben sowohl bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. K. als auch durch Dr. I.-J. entgegen. Gegenüber Prof. Dr. K. hat der Kläger bei der gutachterlichen Untersuchung am 22.07.2008 spontan über ein subjektives Ohrgeräusch, vergleichbar mit einem Vogelpfeifen, berichtet. Das Ohrgeräusch trete seit ca. 4 bis 5 Jahren immer wieder und in den letzten drei Jahren deutlich häufiger auf. Insgesamt trete es ca. vier bis fünf Mal wöchentlich auf, letztmals zwei Tage vor der Untersuchung. Auf dezidiertes Befragen durch den Sachverständigen gab der Kläger an, das hochfrequente Ohrgeräusch bestehe nicht ständig. Prof. Dr. K. bewertete es demgemäß mit einer MdE von 5 v.H.

Ebenso wie bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. K. bestand das Ohrgeräusch bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. I.-J. nicht, obwohl diese den Kläger an zwei Tagen, am 14.12. und 21.12.2010, gutachterlich untersucht hat. Da zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Ohrgeräusche wahrgenommen wurden, konnte auch eine Tinnitusmaskierung nicht vorgenommen werden. Der Kläger hat angegeben, die Ohrgeräusche hätten beidseits seit ca. zweieinhalb Jahren an Intensität zugenommen, er empfinde sie täglich, vor allem in Ruhe, morgens beim Aufwachen für ca. eine Stunde und abends beim Einschlafen für ca. 10 bis 15 Minuten. Bei der täglichen Arbeit nehme er die Ohrgeräusche nicht wahr, auch könnten diese durch Umgebungsgeräusche und Konzentration auf Sport oder Fernsehen unterdrückt werden.

Unter Zugrundelegung dieser Angaben ist der Tinnitus selbst dann, wenn zugunsten des Klägers davon auszugehen ist, das dieser nahezu durchgehend in wechselnder Intensität besteht, als gering beeinträchtigend einzustufen. Hierfür sprechen auch die Angaben des Klägers im Tinnitus-Beeinträchtigungs-Fragebogen, die der Kläger anlässlich der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. I.-J. gemacht hat. Darin hat der Kläger lediglich die Frage, ob er das Gefühl habe, seinen Ohrgeräuschen nicht entkommen zu können, mit "häufig" beantwortet. Demgegenüber hat er angegeben, er habe wegen der Ohrgeräusche nie Konzentrationsschwierigkeiten oder Schwierigkeiten, wegen deren Lautstärke Menschen zu verstehen. Auch werde er durch die Ohrgeräusche nicht beeinträchtigt, wenn er etwas Geselliges unternehme.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. C. vom 31.03.2008. Denn die von diesem geschilderte individuelle Besonderheit, dass bei einer sprachaudiometrischen Untersuchung des Hörvermögens fast normale Werte zu ermitteln seien, da der Kläger die Lippenbewegung der Testpersonen beobachten und auswerten könne, und dass deshalb auch andere Untersuchungsmethoden heranzuziehen seien, hat Prof. Dr. K. im Gutachten vom 20.08.2008 durchweg berücksichtigt. Soweit Dr. C. weiter ausgeführt hat, der Kläger sei so schwer betroffen, dass in absehbarer Zeit damit zu rechnen sei, dass er nicht ohne Hörgeräte auskommen könne, hat sich dies bisher nicht bestätigt. Denn der Kläger hat trotz mehrmaliger Nachfrage eine zwischenzeitliche Versorgung mit einem digitalen Hörgerät, wie sie auch Prof. Dr. K. nahegelegt hat, nicht mitgeteilt.

Dahingestellt bleiben kann deshalb, ob selbst dann, wenn für den Tinnitus eine MdE von 10 v.H. festzustellen wäre, keine MdE von 20 v.H. vorläge, weil die MdE für die lärmbedingte Schwerhörigkeit und die MdE für den Tinnitus nicht zusammen zu zählen sind, sondern eine Gesamt-MdE zu bilden ist (so Bayerisches LSG, Urteil vom 09.11.2006 - L 3 U 269/03 - in juris Rn. 19).

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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