L 16 R 170/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 8799/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 170/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1962 geborene Kläger erlernte von 1979 bis 1982 den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers und war sodann als Lagerist im Ersatzteilverkauf bzw. als Busfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 3. Januar 1992 war als Busfahrer im Wechselschichtdienst bei den B Verkehrsbetrieben (BVG) tätig. Nachdem er einen Befundbericht vom 8. Januar 2003 und ein Attest vom 13. Februar 2003 des ihn behandelnden Allgemeinmediziners Schmitz bei der Landesversicherungsanstalt Berlin eingereicht hatte, wurde er vom 5. September 2003 bis 6. Oktober 2003 auf deren Veranlassung in der Reha-Tagesklinik im Forum P - Klinik für ambulante/teilstationäre Rehabilitation - in B teilstationär behandelt. Dem Entlassungsbericht vom 20. Oktober 2003 sind folgende Diagnosen zu entnehmen: chronisches zervikocephales Schmerzsyndrom beidseits, Reizdarm, Anpassungsstörungen, Schmerzmittelabusus. Der Kläger könne seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Busfahrer der BVG weiterhin für sechs Stunden und mehr in allen Schichten ausüben. Nachdem der Kläger seit dem 24. Juli 2006 arbeitsunfähig erkrankt war (Impingementsyndrom), bezog er bis zum 28. November 2007 Krankengeld und erhielt anschließend Arbeitslosengeld bis zum 28. November 2008. Seit dem 1. Dezember 2008 bezieht er Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Dem Kläger wurde mit Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales - Versorgungsamt- B vom 11. Februar 2008 ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt.

Mit dem bereits am 16. Februar 2007 gestellten Antrag begehrte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (EM). Zur Begründung führte er aus, er halte sich aufgrund von Angstzuständen, Depressionen, Schlaflosigkeit, Konzentrationsproblemen, chronischen Schmerzzuständen, orthopädischen Leiden, eines Reizdarmsyndroms aufgrund psychosomatischer Erkrankung sowie Orientierungslosigkeit bei Dunkelheit für erwerbsgemindert. Die Beklagte zog zunächst ein vom Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Schmuck für den MdK B-B erstelltes Gutachten vom 1. März 2007 bei, mit dem Kläger bescheinigt wurde, er sei nach den im Jahre 2006 durchgeführten Operationen an der linken und rechten Schulter aus orthopädischer Sicht nach Ablauf einer weiteren Schonfrist von drei Wochen wieder als Busfahrer einsetzbar. Sodann veranlasste sie die Begutachtung des Klägers durch die Fachärztin für Nervenheilkunde Dipl.-Med. W (Gutachten vom 6. Mai 2007 mit den Diagnosen: Angst und depressive Störung gemischt, Verdacht auf anhaltend somatoforme Störung bei beruflicher Konfliktsituation). Diese Ärztin hielt den Kläger prinzipiell als Busfahrer nach Absolvierung eines psychoorthopädischen Heilverfahrens wieder für mindestens sechs Stunden täglich einsetzbar. Mit Bescheid vom 18. Mai 2007 lehnte die Beklagte die Rentengewährung aus medizinischen Gründen ab und führte aus: Mit dem festgestellten Leistungsvermögen könne der Kläger noch täglich mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, die bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien im Umfang und in ihrer Schwere nicht berücksichtigt worden. Insbesondere seien die Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke nicht einbezogen und die von ihm immer noch nicht bewältigten Erlebnissen als Opfer von Übergriffen in der Tätigkeit als Busfahrer letztlich nicht gewürdigt worden. Er reichte ferner ein Attest des Arztes Schmitz vom 7 Juni 2007 und der Pschychiaterin und Neurologin Feuerhelm-Keller vom 8. Juni 2007 ein. Nachdem die Beklagte ein Gutachten vom 5. Juli 2007 durch den Arzt für Orthopädien Dr. M (Tag der Untersuchung: 5. Juni 2005, Diagnosen: schmerzhafte Schultersteife beidseits, Lumbalsyndrom, mäßige Zervikalneuralgie rechts, idiopathische Beinverkürzung rechts um 0,7 cm; Tätigkeit als Busfahrer nicht mehr möglich, aber leichte Arbeit in wechselnder Körperhaltung oder überwiegend sitzend vollschichtig möglich) und ein Gutachten vom 28. August 2007 der Internistin Dr. Cirkel (Untersuchungstag: 24.August 2007, Diagnosen: arterielle Hypertonie, Asthma bronchiale, Reizdarmsymptomatik, anamnestisch Nephrolithiasis; vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter qualitativen Bedingungen - insbesondere freiem Toilettenzugang - bejaht) eingeholt hatte, wies sie den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2007 zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin zunächst Befundberichte der Orthopäden Dr. Dr. M u.a. vom 10. April 2008, des Allgemeinmediziners Schmitz vom 17. April 2008, der Nervenärztin F-K vom 22. April 2008, des Urologen R vom 5. Mai 2008 und ein weiteres Gutachten für den MdK Berlin-Brandenburg vom 24. Mai 2007 (Gutachter: Allgemeinmediziner M) sowie einen Entlassungsbericht des M-Klinikums (B S) vom 4. November 2008 über eine im Zeitraum vom 18. September 2008 bis 14. Oktober 2008 durchgeführte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme (Diagnosen: anhaltende somatoforme Störung, rezidivierende mittelgradige depressive Episode, Reizdarmsyndrom, chronifiziertes Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, beider Schultergelenke und beider Ellenbogen; vollschichtig leistungsfähig für leicht bis mittelschwere Tätigkeiten) beigezogen. Das SG hat ferner die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H zur Sachverständigen eingesetzt. Diese Ärztin hat in ihrem Gutachten vom 9. Oktober 2009 (Untersuchungstag: 1. Oktober 2009) folgende Diagnosen gestellt: Neurasthenie, Reizdarmsyndrom bei Sigmadivertikulose, chronifiziertes Schmerzsyndrom bei Impingement-Syndrom bzw. Schultereckgelenksarthrose der Schultern beidseits, Epicondylopathie Ellenbogengelenk beidseits, Gonalgie rechts, lokales HWS- und BWS-Syndrom sowie der unteren LWS mit pseudoradikulärer Ausstrahlung beidseits, arterielle Hypertonie, Bronchialasthma, Nephrolithiasis in den Nierenbecken beidseits ohne Aufstau. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen Räumen vollschichtig ausüben. Wegen des allergischen Asthmas und der Beschwerden seitens des Bewegungssystems sollten Belastungsfaktoren wie Hitze, Kälte, Zugluft, Staub und Feuchtigkeit ausgeschlossen werden. Die Arbeiten könnten im Gehen, Stehen und überwiegend im Sitzen ausgeübt werden. Ein häufiger Wechsel der Haltungsarten wäre wegen der beschriebenen Schmerzanamnese günstig, sei aber nicht zwingend erforderlich. Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung könnten sich ungünstig auswirken. Die Arbeiten in einem festgelegten Arbeitsrhythmus wären möglich, eine Regelung im Sinne der Gleitzeit würde dem Kläger einen größeren Spielraum bzw. des Umgangs mit seiner Symptomatik ermöglichen. Arbeiten unter Zeitdruck seien möglichst auszuschließen, da dies zu Überforderungssituationen mit Reaktionsbildung führen könnte. Heben und Tragen von Lasten von bis zu fünf bis zu 10 kg seien zumutbar, kurzzeitig auch bis zu 15 kg. Nachtschichtarbeit und Arbeit im Schichtsystem sollte mit Blick auf die Schlafstörungen ausgenommen werden, ebenso wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten wegen der erhöhten Anforderung an den Stütz- und Halteapparat. Arbeiten, die eine besondere Anforderung an die Fingergeschicklichkeit stellen, seien uneingeschränkt ausführbar. Bezüglich der Anpassungsumstellungsfähigkeit ergäben sich störungsbedingte Einschränkungen, so dass eine berufliche Neuorientierung nicht zu empfehlen sei. Bei einer üblichen Einarbeitung sei der Kläger ausreichend anpassungsfähig. Arbeiten mit Publikumsverkehr sollten ausgeschlossen werden, um einer Überforderungssituation entgegenzuwirken. Das Aufsuchen einer Toilette müsse jederzeit gewährleistet sein. Für den Weg zur Arbeitsstelle bestünden keinerlei Einschränkungen. Der Kläger könne viermal täglich einen Fußweg von mehr als 500 m in jeweils 20 Minuten zurücklegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen bzw. einen Pkw bei zumutbarer Willenseinstellung benutzen. Die üblichen Pausen reichten aus. Lediglich für Toilettengänge könnten zusätzliche Arbeitsunterbrechungen von wenigen Minuten anfallen. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Busfahrer nachzugehen. Der Kläger hat vorgetragen: Nach Auffassung seiner behandelnden Ärzte sei er dauerhaft nicht in der Lage, Arbeiten mit wirtschaftlichem Wert zu erbringen. Der Reha-Entlassungsbericht vom 4. November 2008 weise inhaltliche Fehler auf. So habe er nicht manchmal 6 - 8 Stuhlgänge täglich, sondern ständig ca. stündliche Stuhlgänge. Wenn man diesen Bericht für maßgeblich erachten wollte, müsste man annehmen, dass die jahrelang behandelnden Ärzte irrten. Auch Dr. H würdige seine psychischen Probleme nicht zutreffen und schätze seine Arbeitsfähigkeit falsch ein.

Das SG Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Januar 2010 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen EM nach § 43 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI), denn die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Leistung lägen nicht vor. Unter Berücksichtigung der medizinischen Unterlagen, insbesondere des medizinischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. H, könne der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Das sorgfältig und nachvollziehbar begründete Gutachten der Sachverständigen Dr. H stimme im Ergebnis überein mit den im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten. Soweit die behandelnden Ärzte Schmitz und F-K in ihren Befundberichten ein aufgehobenes berufliches Leistungsvermögen des Klägers auch für körperlich leichte Arbeiten feststellten, sei dies durch das Gutachten der Sachverständigen Dr. H sowie durch die im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten als widerlegt anzusehen. Eine Erwerbsminderung des Klägers sei auch nicht unter Berücksichtigung der erforderlichen Pausen zum Aufsuchen der Toilette während der Arbeitszeit anzunehmen. Nach § 4 Arbeitszeitgesetz - ArbZG - sei bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden die Arbeit durch Ruhepausen von insgesamt mindestens 30 Minuten zu unterbrechen. Diese Ruhepausen könnten in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Zudem bestünden neben den eigentlichen Pausen im Sinne des § 4 ArbZG in der Arbeitswirklichkeit auch so genannte persönliche Verteilzeiten, die nicht als die arbeitszeitverkürzte Pause im Rechtssinne einzusehen seien. Für Büroarbeiten betrage die persönliche Verteilzeit 12 % der tariflich festgesetzten Arbeitszeit. Mit diesen Vorgaben seien die vom Kläger einzuhaltenden Pausen zum Aufsuchen der Toilette vereinbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten bei dem Kläger lediglich zu sieben bis acht Stuhlgängen am Tag komme, so dass der Kläger während der Arbeitszeit das WC entsprechend auch seltener aufsuchen müsse. Es sei weiterhin zu beachten, dass vom Kläger keine Inkontinenzerscheinungen angegeben wurden. Durch die Arbeitsunterbrechung zum Aufsuchen der Toilette ergäbe sich keine Abwesenheit vom Arbeitsplatz, die deutlich über der gewöhnlichen persönlichen Verteilzeit liege und üblicherweise im Erwerbsleben nicht mehr toleriert werde. Damit sei dem Kläger eine wettbewerbsfähige Teilnahme am Erwerbsleben möglich. Schließlich stehe dem Kläger aufgrund seines Geburtsjahres auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI zu.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren mit der Klarstellung weiter, dass Rente wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit nicht beansprucht werde. Er trägt vor: Er sei bei dem Psychologen Linz in Behandlung. Dieser führe eine Verhaltenstherapie mit ihm durch (etwa alle zwei Wochen für eine Stunde). Ferner suche er die Nervenärztin F-Kca. einmal in vier Wochen auf. Pro Tag müsse er 12 bis 13 Mal pro Tag wegen Stuhlgangs auf die Toilette. Er könne sich nicht vorstellen, wie er beispielsweise einen Weg zur Arbeit bewältigen solle. Für einen Arbeitsplatz wäre nicht nur zu berücksichtigen, dass das häufige Aufsuchen der Toilette mit den Arbeitszeitvorgaben vereinbar wäre, sondern die Arbeit müsste auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu unterbrechen sein. Jede Tätigkeit, bei der zunächst ein Arbeitsvorgang abgeschlossen werden müsse oder beispielsweise ein Kollege informiert werden müsse, käme nicht in Betracht. Darüber hinaus müsse gewährleistet sein, dass die Toilette ständig verfügbar sei, also nicht durch andere benutzt werde. Er gehe davon aus, dass diese Voraussetzungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zu schaffen seien.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2010 sowie des Bescheides der Beklagten vom 18. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2007 zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Februar 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat die Sachverständige Dr. H um eine ergänzende gutachterliche Äußerung gebeten. Dr. H hat mit Schreiben vom 14. September 2010 wie folgt Stellung genommen: Es sei nicht schlüssig, warum es bei dem Kläger inzwischen 12 Stuhlgänge pro Tag sein sollten. Beim Reizdarmsyndrom sei es so, dass Angst eher wesentliche Ursache bzw. mitbedingender Auslöser sei. Diese Ängste seien im therapeutischen Sinne überwindbar und zwar nicht durch Vermeiden, sondern im Gegenteil durch Expositionstraining, also in dem man sich gerade den angstauslösenden Situationen stelle. Der Kläger habe im Laufe der seit Jahren bestehenden Symptomatik und auf dem Hintergrund seiner therapeutischen Bemühungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen angemessenen Umgang mit seiner Symptomatik gefunden. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der geltend gemachten Einschränkungen durch die Symptome der erhöhten Stuhlfrequenz und den therapeutischen Bemühungen bei gleichzeitig fehlender Selbstwirksamkeit zu überzeugen. Der Kläger hätte zum Beispiel eine stationäre Psychotherapie antreten können, wenn es tatsächlich so um seinen Leidensdruck wie geschildert stehe. Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat den Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie - Psychoanalyse - Prof. Dr. St Sachverständigen eingesetzt. Prof. Dr. St hat in seinem Gutachten vom 20. Juli 2011 (Untersuchungstage: 24., 31. Mai 2011 und 6. Juni 2011) folgende Diagnosen gestellt: Reizdarm mit Diarrhöe, anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei Impingement-Syndrom der Schultern beidseits, Epicondylopathie humeri radialis beidseits, Halswirbelsäulen- und Brustwirbelsäulensyndrom, LWS-Syndrom, Gonalgie links und Kopfschmerzen, Neurasthenie, spezifische Phobien, arterielle Hypertonie, Bronchialasthma und Nephrolitiasis beidseits. Der Sachverständige hat ferner festgestellt, der Kläger könne pro Tag regelmäßig noch acht Arbeitsstunden leisten sowie Wegstrecken von mehr als 500 m zurücklegen und dabei 500 m in höchstens 20 min bewältigen. Dem Kläger seien nur noch leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg zuzumuten, wobei diese Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen ausgeführt werden sollten, vorwiegend im Sitzen. Einflüsse von Kälte, Feuchtigkeit und Staub sollten wegen des Bronchialasthmas ausgeschlossen werden. Aufgrund der Schmerzempfindungen des Klägers sei zu vermeiden, dass die Oberarme über die Waagerechte gehoben werden und dass der Kopf nach vorne gebeugt werde. Die wegen des Reizdarmes häufig vorkommenden Bauchschmerzen und der regelmäßige Durchfall machten es erforderlich, dass der Kläger jederzeit eine Toilette in der Nähe des Arbeitsplatzes aufsuchen könne. Die ängstliche und depressive Symptomatik beim Kläger werde von ihm wie von Dr. Hals Symptom der Neurasthenie verstanden. Der Kläger hat mit Schreiben vom 31. Januar 2012 mitgeteilt, dass er durch seinen Arbeitgeber zum 30. Juni 2012 gekündigt wurde. Er führt ferner aus, das Gutachten von Dr. St sei wenig ergiebig. Die vom Gutachter getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit ergäben sich nicht nachvollziehbar aus den Untersuchungen, sondern stünden vielmehr isoliert. Insbesondere die Feststellungen zur Reizdarmproblematik erschienen unzureichend. Während die Gutachterin Dr. H zu dem Ergebnis gekommen sei, er werde seine Fehlhaltung an einem leidensgerechten Arbeitsplatz überwinden können, halte dies Prof. Dr. St für wenig wahrscheinlich. Nicht nachvollziehbar sei es dann, wie er nach Auffassung von Prof. Dr. St überhaupt vollschichtig arbeiten können solle.

Der Senat hat den Kläger im Erörterungstermin vom 24. August 2010 persönlich angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie wegen der medizinischen Feststellungen auf die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten verwiesen.

Die Akten der Beklagten und die Gerichtsakten sowie die Leistungsakten des Jobcenters Spandau haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen voller EM (§ 43 Abs. 2 SGB VI) oder auch nur auf Rente wegen teilweiser EM (§ 43 Abs. 1 SGB VI) für die Zeit ab 1. Februar 2007. Er war und ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert i. S. dieser rentenrechtlichen Vorschriften.

Die Vorschrift des § 43 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der rentenberechtigenden EM voraus (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3, Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus muss volle oder teilweise EM vorliegen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz Nr. 1 SGB VI). Voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden bzw. mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger war und ist nicht voll und auch nicht teilweise erwerbsgemindert i. S. v. § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass er in dem maßgebenden Zeitraum noch über ein vollschichtiges Restleistungsvermögen zumindest für leichte körperliche Arbeiten verfügte und verfügt, mit dem er regelmäßig zumindest einer mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen konnte und kann. Dass dem Kläger noch ein derartiges Restleistungsvermögen verblieben ist, folgt insbesondere aus den vorliegenden Gutachten der im Gerichtsverfahren bestellten Sachverständigen Dr. H und Prof. Dr. St. Das Restleistungsvermögen des Klägers war und ist nach den von den Sachverständigen festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen auch nicht derart reduziert, dass es einem Arbeitseinsatz des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegen gestanden wäre bzw. entgegen stünde (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI). Die Kläger konnte und kann zwar nach den von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen wegen seiner Leiden jedenfalls nur noch körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten verrichten. Ausgeschlossen sind Arbeiten unter Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit und Zugluft, Arbeiten unter Zeitdruck, in Nachtschicht und auf Leitern und Gerüsten. In geistiger Hinsicht waren und sind dem Kläger wegen der eingeschränkten Konzentrations- und Umstellungsfähigkeit nur noch einfache geistige Arbeiten zumutbar.

Bei Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen bestand und besteht aber weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch lag oder liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5/4 RA 58/97 R - veröffentlicht in juris). Es lagen und liegen zwar bei dem Kläger Leistungseinschränkungen vor, die teilweise über den Rahmen dessen hinaus gehen, was inhaltlich vom Begriff der körperlich leichten Arbeiten umfasst wird. Dies gilt besonders hinsichtlich der Notwendigkeit, bestimmte äußere Einwirkungen wie Hitze und Kälte zu vermeiden (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R = SozR 3–2600 § 43 Nr. 21). Die bei dem Kläger festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind aber nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Denn die vorliegenden Leistungseinschränkungen, wie der Ausschluss von Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung, in Hitze und Kälte, unter Zeitdruck und auf Leitern und Gerüsten zählen nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 1 bis 4/95 - GS 2/95 = SozR 3 - 2600 § 44 Nr. 8). Das Gleiche gilt hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten des Klägers. Nur eine besondere Einschränkung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, die vorliegend nicht erkennbar ist, könnte aber eine spezifische schwere Leistungsbehinderung darstellen (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 104, 117). Insgesamt betreffen die bei dem Kläger festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen jedenfalls lediglich einen kleinen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes, lassen aber ein weites Feld von Beschäftigungsmöglichkeiten unberührt.

So konnte und kann der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen etwa noch leichte Bürohilfstätigkeiten verrichten. Das Gleiche gilt für Sortier- und Verpackungstätigkeiten. Die Umstellungsfähigkeit des auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Klägers reicht jedenfalls noch aus, körperliche Verrichtungen (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, einfaches Zusammensetzen von Teilen) auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (vgl. BSG SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; BSG, Urteil vom 4. November 1998 - B 13 RJ 13/98 R = SozR 2200 § 1246 Nr. 62). Im Hinblick darauf, dass nach der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen Dr. H jedenfalls für leichte und geistig anspruchslose Tätigkeiten keine relevanten Einschränkungen bezüglich der Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, der Auffassungsgabe und der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestehen, konnte und kann der Kläger auch noch derart einfache Tätigkeiten nach einer Zeit der Einarbeitung bis zu drei Monaten vollwertig verrichten. Der für den Kläger in Betracht kommende Arbeitsmarkt ist diesem auch nicht deshalb verschlossen, weil er nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 SGB VI) erwerbstätig sein könnte. Insbesondere folgt dies nicht aus der von dem Kläger geklagten gehäuften Stuhlfrequenz.

Es ist zur Überzeugung des Senats schon nicht hinreichend feststellbar, dass der Kläger regelmäßig derart häufig durchfallbedingt die Toilette aufsuchen muss, dass dies Anlass für die Annahme geben könnte, er sei wegen dieser Häufigkeit nicht mehr unter betriebsüblichen Bedingungen einsetzbar. Der Senat hat bereits die durchschnittliche regelmäßige Stuhlgangshäufigkeit des Klägers nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können. So hat die Sachverständige Dr. H in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 14. September 2010 ausgeführt, es sei nicht schlüssig, warum es inzwischen 12 Stuhlgänge pro Tag sein sollten. Der Kläger habe im Lauf der seit Jahren bestehenden Symptomatik und auf dem Hintergrund seiner therapeutischen Bemühungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen angemessenen Umgang mit dieser Symptomatik gefunden, was sich auch in seiner Schilderung zum Tagessablauf so widerspiegele. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der geltend gemachten Einschränkungen durch die Symptome der erhöhten Stuhlfrequenz und den therapeutischen Bemühungen bei gleichzeitig fehlender Selbstwirksamkeitsüberzeugung.

Selbst bei einer zugunsten des Klägers anzunehmenden täglichen Stuhlgangsfrequenz von zwölf Toilettengängen wäre angesichts der Dauer eines Tages nicht ersichtlich, dass hierfür während einer Arbeitsschicht durchschnittlich mehr als vier oder fünf Toilettengänge anfielen. Die hierfür ggf. erforderlichen Arbeitsunterbrechungen wären nicht als betriebsunüblich anzusehen, zumal nach Maßgabe der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) in zumutbarer Entfernung Toilettenräume an jedem Arbeitsplatz vorzuhalten sind (vgl. § 6 Abs. 2 ArbStättV). Nach der entsprechenden Arbeitsstättenrichtlinie 37/1 sind die Toilettenräume überdies so zu verteilen, dass sie von ständigen Arbeitsplätzen nicht mehr als 100 Meter entfernt sind. Gerade im öffentlichen Dienst, in dem etwa Arbeitsbereiche mit leichten Bürohilfstätigkeiten für den Kläger in Betracht zu ziehen sind, ist zudem zu beachten, dass Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen gelten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Oktober 2010 - L 11 R 5203/09 - juris; BayLSG, Urteil vom 17. März 2011 - L 6 R 825/09 - juris). Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Der Kläger war und ist nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen in der Lage, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in mindestens 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 51/04 R = SozR 4-2600 § 43 Nr. 8 m.w.N.). Ggf. gelegentlich vorkommenden unfreiwilligen Stuhlabgängen, von denen der Kläger freilich nicht berichtet hat, kann der Kläger mit entsprechenden Hilfsmitteln (Vorlagen, Windeln) begegnen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. September 2011 - L 16 R 423/09 -, juris). Entsprechendes gilt für den vom Kläger angeführten Fall, dass am Arbeitsplatz im Bedarfsfall eine Toilette gerade besetzt sein sollte.

Substantiierte Einwendungen gegen das im Berufungsverfahren eingeholte gerichtliche Sachverständigengutachten hat der Kläger nicht erhoben. Zu den vorgebrachten Einwendungen des Klägers auf das Sachverständigengutachten von Dr. H hat sich diese Ärztin ergänzend inhaltlich geäußert, ohne ihre Beurteilung zu ändern. Der im Berufungsverfahren bestellte Sachverständige Prof. Dr. St hat in Kenntnis dieser ergänzenden Stellungnahme insoweit keine abweichenden Feststelllungen getroffen. Beide Sachverständigen haben die bei dem Kläger erhobenen Befunde umfassend gewürdigt und die sich hieraus ergebenden objektivierbaren Leistungseinschränkungen nachvollziehbar und schlüssig und damit in jeder Hinsicht überzeugend aus diesen Befunden hergeleitet. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es auch unerheblich, dass die gerichtlich bestellten Sachverständigen hinsichtlich der Überwindbarkeit seiner psychischen Fehlhaltung eine unterschiedliche Prognose stellen. Entscheidend ist vielmehr, dass beide Gutachter den Kläger auch unter Berücksichtigung dieser Fehlhaltung noch für im beschriebenen Umfang leistungsfähig halten. Allein dass der Kläger - ohne seinen Vortrag auf entsprechende zusätzliche aussagekräftige ärztliche Befunde oder medizinische Unterlagen zu stützen - insgesamt mit der Leistungsbeurteilung nicht einverstanden ist, vermag die Überzeugungskraft der eingeholten Gutachten nicht zu erschüttern. Da nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens somit eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische schwere Leistungsbehinderung nicht vorlagen und auch nicht vorliegen, war die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich. Für den Kläger in Betracht kommende Tätigkeitsfelder sind bereits aufgezeigt worden.

Darauf, ob der Kläger einen seinem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich erhalten hätte oder erhalten kann, kommt es - wie bereits ausgeführt - nicht an. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage, die für leistungsgeminderte Arbeitnehmer wie den Kläger derzeit kaum entsprechende Arbeitsplatzangebote zur Verfügung stellt, ist für die Feststellung von EM, wie der Gesetzgeber klargestellt hat, unerheblich (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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