L 12 AS 2857/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 1067/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2857/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 2. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2011 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme von Mietrückständen.

Die Klägerin und ihre drei Kinder beziehen seit August 2008 vom Beklagten Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), wobei die bewilligten Leistungen direkt an den Vermieter gezahlt wurden. Statt der tatsächlichen Kaltmiete von 430 EUR berücksichtigte der Beklagte lediglich 392 EUR als angemessene Kaltmiete für einen 4-Personenhaushalt, zudem minderte Einkommen (Kindergeld, Unterhalt) den Bedarf. Am 23. August 2010 beantragte die Klägerin die Übernahme der Mietrückstände (damaliger Stand: 6.686,13 EUR).

Mit Schreiben vom 7. September 2010 teilte der Beklagte mit, er übernehme nur die angemessenen KdU, die tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin seien aber höher. Den Differenzbetrag müsse die Klägerin selbst an den Vermieter zahlen. Eine Übernahme der Mietschulden sei nicht möglich. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2010 bat der Bevollmächtigte nochmals um Übernahme der Mietschulden bzw. im Falle der Ablehnung um einen rechtsmittelfähigen Bescheid.

Die Klägerin und ihre Vermieterin schlossen vor dem Amtsgericht Pforzheim (AG) am 26. Oktober 2010 einen Vergleich, mit welchem sich die Klägerin zur Räumung und Herausgabe der Wohnung spätestens zum 31. Dezember 2011 verpflichtete. Darüber hinaus verpflichtete sie sich zur Geltendmachung der rückständigen Miete beim Beklagten und dessen Anweisung, 90% der übernommenen Mietrückstände direkt an die Vermieterin zu überweisen. Sollte rechtskräftig feststehen, dass die Miete vom Beklagten nicht übernommen wird, verzichtete die Vermieterin auf die Rückstände (§§ 5 und 6 des Vergleichs). Die Wohnung der Klägerin wurde von der Vermieterin bereits im August 2011 zum 1. Januar 2012 erneut vermietet, die Klägerin und ihre Kinder räumten die Wohnung Ende Dezember 2011 und bezogen eine neue Wohnung.

Am 8. März 2011 hat die Klägerin Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben hinsichtlich der ausstehenden Bescheidung des Antrags vom 23. August 2010. Das Schreiben vom 7. September 2010 stelle keinen rechtsmittelfähigen Bescheid dar, insbesondere fehle jede Rechtsbehelfsbelehrung. Nach einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag, die Klage als Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. September 2010 anzusehen und darüber durch den Beklagten zu entscheiden, hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 8. Juni 2011 Untätigkeitsklage in Bezug auf den Widerspruch vom 8. März 2011 erhoben und fürsorglich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Mietschulden der Klägerin in Höhe von 6.686,13 EUR zu übernehmen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2011 hat das SG die Klagen abgewiesen. Der Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung des Antrags vom 23. August 2010 sei unbegründet, denn der Beklagte habe bereits vor Klageerhebung über diesen Antrag entschieden. Mit Schreiben vom 7. September 2010 habe der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass die Übernahme der Mietschulden - aus näher genannten Gründen - nicht möglich sei. Dies lasse sich aus Sicht eines verständigen Adressaten nur als Ablehnung des Antrags verstehen, also als Verwaltungsakt. Dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht vorliege, stelle den Charakter als Verwaltungsakt nicht in Frage, sondern verlängere lediglich die Rechtsbehelfsfrist auf ein Jahr. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung des Widerspruchs vom 8. März 2011 sei unbegründet, denn einen solchen Widerspruch gebe es nicht. Zwar könne die Erhebung der Klage zugleich als Widerspruch verstanden werden. Dies gelte aber nur, wenn sich der Kläger gegen einen Bescheid wende, also Anfechtungsklage erhebe, denn nur dann seien Klage und Widerspruch auf das gleiche Ziel gerichtet. Vorliegend wende sich die Klägerin nicht gegen einen bestimmten Bescheid, sondern begehre erst dessen Erlass. Angesichts dessen scheide die Umdeutung einer Untätigkeitsklage in einen Widerspruch aus. Da kein Vorverfahren stattgefunden habe, bestehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch kein Raum für eine Entscheidung, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen sei. Der Antrag auf Übernahme der Mietrückstände sei unzulässig. Hiermit sei die Untätigkeitsklage geändert worden. Eine Klageänderung sei nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht sie für sachdienlich halte. Daran fehle es. Über die geänderte Klage könne wegen fehlender Prozessvoraussetzungen (Vorverfahren) nicht in der Sache entschieden werden. Gegen den Bescheid vom 7. September 2010 habe die Klägerin noch keinen Widerspruch eingelegt. Jedenfalls in einer solchen Konstellation sei die Klageänderung unzulässig.

Hiergegen richtet sich die am 8. Juli 2011 eingelegte Berufung der Klägerin. Die Klägerin hat klargestellt, dass sie nicht länger die Bescheidungsanträge, sondern nur noch das Begehren auf Übernahme der Mietrückstände (als Zuschuss) weiterverfolgt.

Mit Bescheid vom 2. August 2011 hat der Beklagte den Bescheid vom 7. September 2010 zurückgenommen, die Übernahme der Mietschulden darlehensweise bewilligt und den Abschluss eines Darlehensvertrags in Aussicht gestellt. Ursprünglich sei davon ausgegangen worden, dass die Kaltmiete mit 430 EUR bei einer Mietobergrenze für vier Personen von 392 EUR unangemessen hoch gewesen sei. Aufgrund der Erstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung des örtlichen Mietpreisniveaus sei für I. eine Kaltmiete von 447 EUR für vier Personen ab 1. Januar 2011 als angemessen anerkannt worden, so dass die Kaltmiete der Wohnung nunmehr angemessen sei. Auf den hiergegen wegen der nur darlehensweisen Gewährung eingelegten Widerspruch hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2011 den Bescheid vom 2. August 2011 aufgehoben und den Widerspruch zurückgewiesen. Nach § 22 Abs. 8 SGB II könnten Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt sei. Sie sollten übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig sei und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten drohe. Eine Übernahme von Schulden solle nur als Darlehen erfolgen. Die Klägerin habe erst am 25. August 2011 im Nachhinein mitgeteilt, dass die Vermieterin nun auf Räumung dränge. Erst auf konkrete Nachfrage sei mitgeteilt worden, dass sich die Klägerin bereits 2010 mit Vergleich zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet habe. Die Erhaltung der Wohnung sei damit trotz darlehensweise Übernahme der Mietschulden nicht mehr sichergestellt; auch sei durch die frühzeitige Weitervermietung der Wohnung im August 2011 ersichtlich, dass das Mietverhältnis auch bei Begleichung der Schulden nicht fortgesetzt werden sollte. Zum Zeitpunkt der Bewilligung seien daher die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II nicht erfüllt gewesen. Da die Bewilligung vom 2. August 2011 auf Angaben beruht habe, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe, bzw. sie die Rechtswidrigkeit der Bewilligung erkannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe, sei die Bewilligung zurückzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 7. September 2010, abgeändert durch Bescheid vom 2. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2011 zu verurteilen, die Mietrückstände der Klägerin in Höhe von 6.686,13 EUR als Zuschuss zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Selbst eine darlehensweise Übernahme der Mietschulden komme nicht in Betracht, da der Erhalt der Wohnung nicht mehr möglich sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Mietschulden.

Streitgegenstand ist nur noch die ursprünglich vor dem SG hilfsweise im Wege der Klageänderung gestellte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) hinsichtlich der Übernahme der Mietrückstände. Diese Klage war vor dem SG unzulässig, da das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen war. Gegen den Bescheid vom 7. September 2010 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch erhoben, sein Schreiben vom 4. Oktober 2010 ist entsprechend auszulegen (vgl. den zwischen den Beteiligten ergangenen Senatsbeschluss vom 8. November 2011 - L 12 AS 3030/11 B -). Ein Widerspruchsbescheid lag bis zur Entscheidung des SG nicht vor.

Zwischenzeitlich hat der Beklagte den Bescheid vom 2. August 2011 erlassen, der nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, da er den Bescheid vom 7. September 2010 aufgehoben hat. Damit ist auch der Widerspruchsbescheid vom 15. November 2011 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Jedenfalls bei einer derartigen Konstellation ist von der Sachdienlichkeit der Klageänderung i.S.v. § 99 Abs. 1 SGG von der Untätigkeits- zur Anfechtungs- und Leistungsklage auszugehen, die auch noch im Berufungsverfahren erfolgen kann (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 99 Rdnr. 12). Nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist dagegen, ob der Beklagte der Klägerin für die Zeiträume, in denen die Mietschulden entstanden sind, zu geringe Leistungen gewährt hat. Dies kann die Klägerin nur in Verfahren geltend machen, die sich gegen die für laufende Bewilligungszeiträume ergangenen Bescheide richten.

Als Anspruchsgrundlage für die hier streitige Übernahme der Mietschulden kommt allein § 22 Abs. 8 SGB II in Betracht (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, BGBl. I S. 850). Nach dieser Vorschrift können auch Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für KdU erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2 a.a.O.). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (Satz 4 a.a.O.).

Gesetzliches Ziel der Übernahme der Mietschulden ist der Erhalt der Wohnung. Dieses Ziel kann hier schon rein tatsächlich nicht mehr erreicht werden, da die Klägerin mit ihrer Familie im Dezember 2011 aus der Wohnung ausgezogen ist. Damit ist ein möglicher Anspruch auf Übernahme der Mietschulden ("ersatzlos") entfallen, denn für eine Übernahme der Schulden nach § 22 Abs. 8 SGB II lediglich unter dem Aspekt einer finanziellen Restitution ist kein Raum (vgl. Bundessozialgericht (BSG), BSGE 106, 190 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 41; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2009 – L 14 AS 118/09 B ER - (juris); Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 22 Rdnr. 186 m.w.N.).

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II sind nach alledem nicht erfüllt, denn die Schuldenübernahme ist zur Sicherung der Unterkunft nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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