L 5 AS 67/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AS 90315/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 67/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 59/12 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. März 2008 wird abgeändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2006 wird aufgehoben, soweit die Leistungsbewilligung vom 5. September 2005 für die Zeit vom 6. bis 24. August 2005 aufgehoben und eine Erstattung von mehr als 2.674,23 EUR gefordert wird.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die der Klägerin entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten hat der Beklagte zu 11% zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides für den Zeitraum vom 6. August 2005 bis Januar 2006.

Die am 13. August 1983 geborene ledige Klägerin, die im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr bei ihren Eltern wohnte, bezog nach einer Ausbildung zur Bürokauffrau bis 5. August 2005 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) in Höhe von 11,99 EUR/Kalendertag. Am 27. Juli 2005 teilte sie ihrem Arbeitsvermittler bei der Agentur für Arbeit mit, dass sie ab 25. August 2005 eine berufsbildende Schule (BbS) besuchen werde, um die Fachhochschulreife zu erwerben. Im anlässlich dieser Vorsprache vom Arbeitsvermittler gefertigten Vermerk heißt weiter: " auf Antragstellung AlgII hingewiesen. auf Wunsch Arbeitsbescheinigung und Kopie LSK 05 an 131.21 weitergeleitet. ". Nach Auskunft des Beklagten ist mit "131.21" der SGB III-Leistungsbereich gemeint.

Ebenfalls am 27. Juli 2005 beantragte die Klägerin beim Beklagten Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Im Antragsformular, das sie unter dem 1. August 2005 ausgefüllt hatte, gab sie an, keine Ausbildung zu absolvieren. Ferner gab sie unter Punkt VI an, sie verfüge über kein Einkommen. Den Punkt IX ("Sonstige Ansprüche gegenüber Arbeitgeber, Sozialleistungsträger und Schadenersatzansprüche") füllte sie nicht aus.

Mit Wirkung zum 15. August 2005 unterzeichnete sie einen Mietvertrag über eine 45 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung, für die sie monatlich 200 EUR Grundmiete zzgl. 60 EUR Betriebs- und Nebenkosten zu zahlen hatte, nachdem sie zuvor zur Untermiete gewohnt hatte, wofür sie eine monatliche Pauschalmiete von 180 EUR zu zahlen hatte.

Am 22. August 2005 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), wobei sie die Beantragung von SGB II-Leistungen unerwähnt ließ. Leistungen nach dem BAföG wurden ihr mit Bescheid vom 30. November 2005 für die Monate August 2005 bis Juli 2006 unter Berücksichtigung eines monatlichen Grundbedarfs von 417 EUR und Unterkunftskosten von 64 EUR unter Anrechnung des Einkommens ihrer Eltern in Höhe von 297 EUR/Monat vorbehaltlich einer erneuten Einkommensprüfung bewilligt.

Bereits mit Bescheid vom 5. September 2005 bewilligte ihr der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 6. August 2005 bis Januar 2006 in Höhe von 511 EUR/Monat. Dabei berücksichtigte er monatlich neben der Regelleistung in Höhe von 331 EUR die Kosten für die Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 180 EUR. Für August 2005 gewährte er jeweils anteilige Leistungen in Höhe von insgesamt 442,87 EUR.

Erstmals mit dem Fortzahlungsantrag vom 2. Februar 2006 gab die Klägerin schriftlich den Bezug von BAföG ab August 2005 an. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 6. August 2005 bis 31. Januar 2006 und zur Rückforderung von 2.997,87 EUR an. Sie erhalte ab August 2005 BAföG und habe daher keinen Leistungsanspruch mehr. Die Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen habe sie verspätet angezeigt.

In einer schriftsätzlichen Äußerung vom 3. März 2006 verwies die Klägerin darauf, dass sie bereits am 20. September 2006 den Beklagten telefonisch von der Beantragung von BAföG-Leistungen unterrichtet habe. Ihr sei die Auskunft erteilt worden, dass sie ihren Antrag auf Gewährung von SGB II-Leistungen noch nicht zurücknehmen sollte, da sie sonst ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Nach Erhalt des BAföG-Leistungsbescheides am 11. Dezember 2005 habe sie diesen an den Beklagten weitergeleitet. Vorab habe sie in einem Telefonat mit dem Beklagten am 12. Dezember 2005 die Gewährung von Leistungen nach dem BAföG mitgeteilt. Ihr sei gesagt worden, dass ihr ein Änderungsantrag zugesandt werden würde. Dies sei in der Folgezeit jedoch nicht geschehen. Sie sei ihren Mitteilungspflichten mithin nachgekommen.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 hob der Beklagte die Bewilligung der Leistungen für die Zeit vom 6. bis 31. August 2005 in Höhe von 442,87 EUR und für die Monate September 2005 bis Januar 2006 in Höhe von jeweils 511 EUR/Monat ganz auf. Der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) sei erfüllt. Die Klägerin erhalte seit August 2005 BAföG. Der entsprechende Bescheid sei erst mit dem Fortzahlungsantrag auf Leistungen nach dem SGB II am 2. Februar 2006 eingereicht worden. Dadurch habe sie grob fahrlässig ihre Mitteilungspflichten verletzt.

Den dagegen seitens der Klägerin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2006 als unbegründet zurück. Sie sei von der Leistungsgewährung nach dem SGB II durch Aufnahme ihrer Ausbildung ausgeschlossen. Der bereits bei seinem Erlass rechtswidrige Bewilligungsbescheid habe nach § 45 Abs. 2 SGB X aufgehoben werden dürfen. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen. Zukünftige Ansprüche habe sie im Leistungsantrag nicht angegeben. Zudem habe sie mit ihrer Unterschrift versichert, Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Dies habe sie nicht getan. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides seien die Angaben bezüglich der persönlichen Verhältnisse nicht korrekt angegeben bzw. eine Veränderung nicht rechtzeitig angezeigt worden. Der Klägerin habe klar sein müssen, dass der Bewilligungsbescheid vom 5. September 2005 auf Tatsachen beruhte, die nicht vollständig die Wirklichkeit abbildeten. Ein mangelnder Verständnishorizont könne bei der Klägerin nicht erkannt werden. Mit Beantragung weiterer Sozialleistungen (BAföG) musste ihr auch klar sein, dass dies Auswirkungen auf die bei dem Beklagten beantragten Leistungen haben würde. Die Klägerin müsse sich auch vorhalten lassen, dass sie die für die Leistungsbewilligung ungünstigen Tatsachen (Umzug und Erhöhung der Miete) mit einer schriftlichen Veränderungsmitteilung, die Aufnahme einer Ausbildung und die damit verbundene Beantragung von anderen Leistungen aber nur telefonisch angezeigt habe. Daher bleibe auch der Vortrag, man hätte ihr keinen "Änderungsantrag" zugestellt, unschlüssig.

Am 20. Oktober 2006 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Stendal (nunmehr Sozialgericht Magdeburg) Klage erhoben und sich weiterhin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gewandt. Neben den bereits vorgetragenen Argumenten hat sie darauf verwiesen, der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, er habe erst mit dem Fortzahlungsantrag vom Februar 2006 Kenntnis von dem Antrag auf Gewährung von BAföG-Leistungen erlangt. Sie habe ihm dies bereits im September und Dezember 2005 telefonisch mitgeteilt. Der Beklagte müsse sich insoweit das Wissen seiner Mitarbeiter zurechnen lassen. Die Klägerin habe zudem die Leistungsüberzahlung nicht grob fahrlässig übersehen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides habe sie keine Kenntnis von der Bewilligung des BAföG gehabt.

Auf den Hinweis des Sozialgerichts an den Beklagten, eine Aufhebung der Leistungen komme erst ab 25. August 2005 mit Aufnahme der Ausbildung der Klägerin in Betracht, hat der Beklagte geäußert, er teile diese Rechtsauffassung nicht. Nach § 15 Abs. 1 BAföG werde eine Ausbildungsförderung von Beginn des Monats an geleistet, in dem die Ausbildung aufgenommen wird. Der Gesetzgeber habe nicht gewollt, dass zwei Sozialleistungen mit derselben Zielrichtung durch "geschickte " Antragstellung zu einer doppelten Abdeckung des Lebensunterhaltes führten. Im Übrigen stelle auch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nicht auf einen Zeitpunkt ab, sondern beziehe sich nur auf die Förderfähigkeit dem Grunde nach. Einer Förderfähigkeit erst ab 25. August 2005 dürfte der Bewilligungsbescheid des Amtes für Ausbildungsförderung entgegenstehen, das Leistungen für August 2005 in vollem Umfang zugesprochen habe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 17. März 2008 hat die Klägerin angegeben, ihr sei, als sie den Arbeitslosengeld II-Antrag gestellt habe, schon bewusst gewesen, dass sie demnächst eine Ausbildung beginnen werde. Sie habe sich damals gedacht, sie werde dem Beklagten Bescheid sagen, wenn sie den Bewilligungsbescheid zum BAföG erhalten habe. Sie habe es sich dann anders überlegt und habe mitteilen wollen, dass sie diese Leistung schon beantragt habe. Als sie dann am 20. September 2005 den Beklagten diesbezüglich angerufen habe, sei ihr gesagt worden, dass Sie sich melden solle, wenn sie den Bescheid habe, da sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht ohne Leistungen dastehen könne. Weshalb sie im ursprünglichen Antrag nicht angekreuzt habe, dass sie beabsichtige, BAföG-Leistungen zu beantragen, könne sie nicht mehr sagen. Sie habe es vielleicht vergessen. In einem persönlichen Gespräch habe sie ihrem damaligen Arbeitsvermittler gesagt, dass sie beabsichtige, eine Ausbildung zu beginnen. Sie wisse allerdings nicht, ob dieser beim Beklagten oder bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt gewesen sei. Als sie Arbeitslosengeld II beantragt habe, sei ihr nicht richtig klar gewesen, wie sich das mit dem BAföG und dem Arbeitslosengeld II verhalte. Sie habe gewusst, dass es auch Mitschüler gegeben habe, die Hartz IV bezogen. Sie habe gedacht, dass es vielleicht möglich sei, ergänzend zum BAföG Arbeitslosengeld II zu erhalten. Sie habe sich damals aber auf das Abitur konzentriert und sich vielleicht nicht so genau Gedanken darüber gemacht.

Mit Urteil vom 17. März 2008 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zum 21. September 2006 aufgehoben. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 5. September 2005 sei bei seiner Bekanntgabe rechtswidrig gewesen, da die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe. Sie könne sich allerdings auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen, da die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht gegeben seien. Wie sie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert habe, sei ihr nicht bekannt gewesen, wie sich der Bezug von Leistungen nach dem BAföG zu dem Anspruch nach dem SGB II verhalte. Ihr könne in diesem Zusammenhang nicht vorgeworfen werden, dass sie die geltende Rechtslage zum damaligen Zeitpunkt grob fahrlässig verkannt habe.

Darüber hinaus habe sie ihre Mitteilungspflicht nicht grob fahrlässig verletzt. Sie habe ihrem Arbeitsvermittler den Beginn der Ausbildung angezeigt. Die Bundesagentur für Arbeit sei nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II Träger von Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte als Arbeitsgemeinschaft im Sinne von § 44b SGB II habe im damaligen streitgegenständlichen Zeitraum insoweit lediglich die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträger wahrgenommen. Nach dieser Regelung teilten sich die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger alle Tatsachen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen des jeweils anderen Trägers erheblich sein können. Insoweit müsse sich die Agentur für Arbeit und somit auch der Beklagte das Wissen des Arbeitsvermittlers zurechnen lassen. Auch die Arbeitsvermittlung sei Aufgabe des Beklagten; insoweit bediene er sich der Ressourcen der Bundesagentur für Arbeit. Das Bundessozialgericht habe bereits im Anwendungsbereich des SGB III und der Arbeitslosenhilfe entschieden, dass der zuständige Arbeitsvermittler sich nicht auf die Tätigkeiten im Vermittlungsbereich beschränken könne. Er habe eine Verpflichtung, Kenntnisse, welche sich auf einen Leistungsanspruch auswirken können, an die zuständige Leistungsabteilung weiterzuleiten. Nichts anderes könne im Anwendungsbereich des SGB II gelten, da die Bundesagentur für Arbeit ebenfalls Träger dieser Leistungen sei und diese Aufgaben lediglich vom Beklagten erfüllt würden. Aus dieser Verpflichtung des Arbeitsvermittlers ergebe sich im Umkehrschluss, dass die Klägerin bei einer entsprechenden Mitteilung der Änderungen ihrer Mitteilungspflicht nachgekommen sei.

Gegen das ihm am 15. April 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. Mai 2008 Berufung eingelegt. Im Wesentlichen hat er zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe bereits vor Erlass des Bewilligungsbescheides vom 5. September 2005 eine Ausbildung aufgenommen und in diesem Zusammenhang Leistungen nach dem BAföG beantragt. Dies habe sie jedoch weder unverzüglich noch rechtzeitig vor Erlass des Bewilligungsbescheides angezeigt, obwohl ihr dies möglich gewesen sei. In korrekter Form seien diese Umstände dem Beklagten erst mit Stellung des Fortzahlungsantrages am 2. Februar 2006 bekannt geworden. Der gegenüber dem Beklagten gestellte Erstantrag auf Leistungen nach dem SGB II sei bezüglich einer beabsichtigten Beantragung von Leistungen nach dem BAföG unvollständig ausgefüllt worden, obwohl die Klägerin der Agentur für Arbeit gegenüber dies bereits angekündigt hatte. Der fehlende Eintrag müsse daher als mutwillig charakterisiert werden. Die Klägerin habe es auch bei Antragstellung der Leistungen nach dem BAföG unterlassen, die bereits erfolgte Beantragung von SGB II-Leistungen anzugeben. Eine Abstimmung zwischen den Leistungsträgern sei so in zweifacher Hinsicht verhindert worden. Der Klägerin sei auch sehr wohl der Unterschied zwischen Agentur für Arbeit und dem Beklagten klar gewesen. Anderenfalls hätte sie die Anträge nicht bei verschiedenen Stellen gestellt. Zudem sei sie von der Agentur für Arbeit am 27. Juli 2005 ausdrücklich an den Beklagten verwiesen worden. Wenn die Klägerin beim Ausfüllen des Antrages unsicher gewesen sein sollte, hätte sie bei Antragsabgabe Rücksprache nehmen können. Dies habe sie aber unterlassen. Stattdessen habe sie die Rubrik IX im Leistungsantrag mit Absicht offen gelassen und die Bearbeiter ihres Antrags in die Irre geführt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stendal (nunmehr Sozialgericht Magdeburg) vom 17. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Durch die Kenntnis des zuständigen Mitarbeiters bei der Agentur für Arbeit vom Ausbildungsbeginn hätten für den Beklagten genügend Anhaltspunkte zur Nachforschung bestanden. Dass dieser trotz erfolgter Prüfung zur Anspruchsberechtigung der Klägerin gekommen sei, habe aus ihrer Sicht nur so gewertet werden können, dass der Anspruch tatsächlich bestanden habe. Dieses Vertrauen sei schutzwürdig. Im Übrigen müsse Berücksichtigung finden, dass sie sich zum Zeitpunkt ihres Antrages vom 27. Juli 2005 nicht in einer Ausbildung befunden habe und sie deshalb auch keine falschen Angaben habe machen können. Entscheidend sei zudem nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Gewährung der Leistungen. Zu diesem Zeitpunkt habe sie jedoch keine Kenntnis von der Bewilligung des BAföG gehabt. Unverzüglich, nachdem sie davon Kenntnis erhalten habe, habe sie sich telefonisch mit dem Beklagten in Verbindung gesetzt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2008 sowie auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) des Beklagten ist nach § 144 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der bis 31. März 2008 gültigen Fassung statthaft. Der Berufungswert liegt über 500 EUR. Gegenstand der statthaften Anfechtungsklage ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Mai 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2006. Der Beklagte verfolgt mit seiner Berufung die Durchsetzung seines Aufhebungs- und Erstattungsanspruches in Höhe von insgesamt 2.997,87 EUR.

Der Beklagte ist gemäß § 70 Nr. 3 SGG als Rechtsnachfolger der Arbeitsgemeinschaft Sozialgesetzbuch II im Landkreis S. beteiligtenfähig. Durch Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 1. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, Nr. 61) ist seit dem 1. Januar 2011 der Landkreis S. für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II zuständig. Diese erfolgt durch das Jobcenter des Landkreises S., das im vorliegenden Gerichtsverfahren gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz SGB II an die Stelle des bisherigen Trägers getreten ist.

Die Berufung ist begründet, soweit der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 25. August 2005 aufgehoben und eine Erstattung der gewährten Leistungen verlangt. Im Übrigen unterlag sie der Abweisung.

Die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 5. September 2005 ist für die Zeit ab 25. August 2005 rechtmäßig nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 nicht berufen, soweit

1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Der Bewilligungsbescheid vom 5. September 2005 war von Anfang an rechtswidrig, denn der Klägerin standen bereits ab 25. August 2005 und somit bei dessen Bekanntgabe (s. unten) keine Grundsicherungsleistungen für den Bewilligungsabschnitt zu.

Die Klägerin ist vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides ordnungsgemäß angehört worden. Nach § 24 Abs 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Vorschrift dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und den Bürger vor Überraschungsentscheidungen schützen sowie sicherstellen, dass die Beteiligten alle für sie günstigen Umstände vorbringen können. Der Betroffene soll bis zum Abschluss des Vorverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1991, 4 RK 4/91, Rn. 16, Juris) Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene Entscheidung zu beeinflussen. Hierzu ist es notwendig, dass der Verwaltungsträger dem Betroffenen die entscheidungserheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen, ggf. nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde, sachgerecht äußern kann. Welche Tatsachen für die Entscheidung erheblich und dem Betroffenen zur Äußerung mitzuteilen sind, richtet sich nach Art und Inhalt der im Einzelfall in Betracht kommenden Entscheidung. Entscheidungserheblich sind grundsätzlich alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, auf die sich die Verwaltung also zumindest auch gestützt hat (BSG, Urteil vom 15. August 2002, B 7 AL 38/01 R, Rn. 19, Juris, m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist dem streitgegenständlichen Bescheid eine ordnungsgemäße Anhörung vorausgegangen. Der Klägerin war ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich im Vorverfahren zu den vom Beklagten erhobenen Vorwürfen zu äußern. Er stützte die beabsichtigte Aufhebung der Leistungsbewilligung im Anhörungsschreiben und im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Mai 2006 auf den Umstand, dass die Klägerin im Rahmen der Beantragung der Leistungen nach dem SGB II nicht angegeben habe, dass sie beabsichtige, BAföG-Leistungen zu beantragen, bzw. sie nach entsprechender Antragstellung beim Amt für Ausbildungsförderung diesen Umstand nicht unverzüglich mitgeteilt habe, sie somit ihrer Mitteilungspflicht nach § 60 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I) nicht nachgekommen sei. Damit sind ihr die wesentlichen Umstände, die zur Aufhebung der Bewilligungsentscheidung führten, in hinreichendem Umfang mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gegeben worden.

Der streitgegenständliche Bescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt.

Das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 SGB X als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt zum einen, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, B 14 AS 153/10 R, Rn. 31, Juris). Bereits im Ausgangsbescheid vom 15. Mai 2006 hat der Beklagte die zurückgeforderten Beträge im Einzelnen nach Höhe und Monat benannt. Die Klägerin konnte mithin zweifelsfrei den Regelungsgehalt des Bescheides erkennen.

Rechtlich ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zunächst im Bescheid vom 15. Mai 2006 die Aufhebung der Leistungsbewilligung auf § 48 SGB X und im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2006 auf § 45 SGB X stützte. Da sich der Aufhebungsbescheid in seinem Verfügungssatz nicht geändert hat, handelt es sich nicht um eine Umdeutung im Sinne von § 43 SGB X, sondern der Rücknahmebescheid wird zulässigerweise hinsichtlich der Aufhebung - bei gleich bleibender Regelung - lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt (BSG, Urteil vom 27. Juli 2000, B 7 AL 88/99 R, Rn. 22, Juris).

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist rechtmäßig, soweit durch ihn die an die Klägerin gewährten Leistungen ab 25. August 2005 bis 31. Januar 2006 aufgehoben wurden.

Der Senat hatte keinen Anlass, im vorliegenden Rechtsstreit die Rechtmäßigkeit der Höhe der Leistungsbewilligung in dem Bewilligungsbescheid vom 5. September 2005 zu überprüfen. Die Klägerin hatte diesen seinerzeit nicht angefochten, weshalb er bestandskräftig geworden ist. Die sich daraus gemäß § 77 SGG ergebende Bindungswirkung bezieht sich zwar nur auf den Verfügungssatz, also die Höhe, Dauer und Art der Leistung, nicht auf die einzelnen Berechnungselemente (BSG, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 8/09 R, Rn. 27). Eine Fehlerkorrektur von Amts wegen ist dennoch nicht vorzunehmen. Die Bestandskraft führt dazu, dass der Leistungsanspruch und der dem Bewilligungsbescheid zugrunde liegende Sachverhalt nicht zu überprüfen sind. Der Bescheid bleibt bestandskräftig, soweit er nicht durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2006 aufgehoben worden ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 25. November 2010, L 5 AS 39/08, Juris; zum Prüfungsumfang im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X: Urteil des Senats vom 1. März 2012, L 5 AS 234/09 m.w.N., Juris). Die Klägerin hat im Rahmen der Rechtsbehelfe gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid keine Einwendungen hinsichtlich der ursprünglich bewilligten Leistungen gemacht, die als Antrag nach § 44 SGB X angesehen werden könnten (BSG, Urteil vom 21. März 2002, B 7 AL 44/01R).

Ab 25. August 2005 war die Klägerin vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Ausschlussregelung ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder nach den §§ 60 bis 62 SGB III die Kosten des Lebensunterhalts umfasst. Im Grundsatz dient die Grundsicherung nicht dazu, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung mithin davon befreien, eine Ausbildungsförderung auf einer zweiten Ebene zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 67/08 R, Rn. 13, Juris).

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II greift bei der Klägerin, weil sie eine nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im streitigen Zeitraum absolvierte. Der Besuch der BbS zum Erwerb der Fachhochschulreife ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 BAföG förderungsfähig, denn er setzt eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus (§ 4 Abs. 1 Verordnung über Berufsbildende Schulen (BbS-VO).

Einer der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II, die wiederum eine Rückausnahme zu dem in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II geregelten Leistungsausschluss darstellen, liegt nicht vor. Danach findet der Leistungsausschluss keine Anwendung auf Auszubildende,

1. die auf Grund von § 2 Abs. 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1 des Dritten Buches keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben oder

2. deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches bemisst.

Die Klägerin erfüllt keine der o.g. Alternativen. Eine in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG genannte weiterführende allgemeinbildende Schule und Berufsfachschule, einschließlich der Klassen aller Formen der beruflichen Grundbildung, ab Klasse 10 sowie von Fach- und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, besuchte sie nicht. Der Bedarf der Klägerin bemisst sich mithin auch nicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG. Danach gilt als monatlicher Bedarf für Schüler von Berufsfachschulen und Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, 216 EUR. Der Bedarf der Klägerin in Höhe von 536 EUR/Monat richtet sich vielmehr nach § 12 Abs. 2 Nr. 2, 3 BAföG.

Der Leistungsausschluss greift hier erst ab 25. August 2005. Ab diesem Zeitpunkt nahm die Klägerin die Ausbildung auf.

§ 7 Abs. 5 SGB II bestimmt nicht ausdrücklich, ab welchem Zeitpunkt der Leistungsausschluss greift - ob mit dem Tag der Aufnahme der Ausbildung oder bereits ab Beginn des Monats, in dem die Ausbildung begonnen wird. Aus der Regelung des § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für jeden Kalendertag besteht, ergibt sich, dass Leistungen nur für die Tage gewährt werden sollen, an denen auch ein Anspruch besteht. Erst mit Beginn der Ausbildung hat der Hilfebedürftige den Staus eines "Auszubildenden". Wenn demgegenüber § 15 BAföG bestimmt, dass Ausbildungsförderung vom Beginn des Monats an geleistet wird, in dem die Ausbildung aufgenommen wird, frühestens jedoch vom Beginn des Antragsmonats an, so steht dies der o.g. Betrachtungsweise nicht entgegen. Es ist vielmehr Sache des Trägers der BAföG-Leistungen, die von der Klägerin erhaltenen Grundsicherungsleistungen als Einkommen nach § 21 Abs. 3 Nr. 4 BAföG auf ihren Bedarf anzurechnen.

Die Klägerin hat durch zumindest unvollständige Angaben die Überzahlung ab 25. August 2005 grob fahrlässig i.S. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X verursacht.

Im Antrag vom 27. Juli 2005, den sie am 1. August 2005 unterschrieben hat, hat sie zwar korrekt angegeben, über kein Einkommen zu verfügen, den Punkt IX jedoch nicht ausgefüllt. Sie hat – obwohl danach ausdrücklich gefragt wurde – nicht kundgetan, dass sie beabsichtige, einen Antrag auf BAföG-Leistungen zu stellen. Auch hat sie nach der Beantragung der BAföG-Leistungen den Beklagten davon nicht unverzüglich gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I in Kenntnis gesetzt. Der von der Klägerin behauptete, aber nicht dokumentierte Anruf am 20. September 2005 erfolgte nach Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides, mithin zu spät. Eine rechtswidrige Leistungsbewilligung kann nur verhindert werden, wenn der Behörde vor Erlass des Bescheides die dem Leistungsempfänger bekannten und eine Leistungsbewilligung beinflussenden Umstände bekannt gegeben werden. Das Beruhen des Bescheides auf der verschwiegenen Beantragung von BAföG-Leistungen und dadurch letztlich auf der mangelnden Kenntnis des Beklagten vom Beginn der Ausbildung konnte durch eine nachträgliche Mitteilung der maßgebenden Umstände nicht mehr beseitigt werden. Unerheblich ist mithin, ob das behauptete Telefonat stattfand und dass der Beklagte in diesem Fall nicht sofort nach Bekanntwerden des Beginns der Ausbildung den Leistungsbescheid aufgehoben hat. Am Rechtsgrund der Aufhebungsentscheidung tritt keine Änderung ein.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist die Klägerin ihrer Mitteilungspflicht nicht dadurch nachgekommen, dass sie ihren Arbeitsvermittler bei der Bundesagentur für Arbeit am 27. Juli 2005 von dem beabsichtigten Besuch der BbS zum Erwerb der Fachhochschulreife in Kenntnis setzte. Adressat der Angabe musste der Beklagte sein. Zwar nahm dieser damals noch in der Rechtsform der ARGE auch die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit wahr bzw. umgekehrt die Bundesagentur für Arbeit nahm die Aufgaben des Grundsicherungsträgers wahr.

Eine Wissenszurechnung kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht. Zu berücksichtigen ist, dass die Aufgabenwahrnehmung in zwei unterschiedlichen Behördenstrukturen geschieht. Davon hatte auch die Klägerin Kenntnis. Sie wurde vom Arbeitsvermittler ausdrücklich auf die Antragstellung von Alg II hingewiesen. Dadurch gab dieser deutlich zu erkennen, dass er nicht für die SGB II-Leistungen zuständig war und auch keine Informationsweitergabe beabsichtigt war. Unerheblich ist, ob die Klägerin gewusst hat, ob der Arbeitsvermittler beim Beklagten oder bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt war. Sie wusste durch seine Angaben jedoch, dass die Leistungen nach dem SGB II in einem "gesonderten Verfahren" bewilligt werden. Das Bewusstsein einer gesonderten Mitteilungspflicht dem Beklagten gegenüber ergibt sich auch aus ihrer Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat, sie habe hinsichtlich des offen gelassenen Punktes IX im Leistungsantrag sicherlich noch eine Nachfrage gehabt, diese zu stellen jedoch aufgrund des Schulstresses vergessen.

Schließlich hatte sich die Klägerin weder im Rahmen der Anhörung zur Leistungsaufhebung noch im Widerspruchsverfahren oder im erstinstanzlichen Klageverfahren darauf berufen, ihrer Mitteilungspflicht dadurch nachgekommen zu sein, ihrem Arbeitsvermittler die beabsichtigte Ausbildung zur Kenntnis gegeben zu haben. Erst nach dem Urteil des Sozialgerichts hat sie diese Argumentation aufgenommen. Ihr nunmehriges Vorbringen ist mithin nicht glaubhaft. Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats nicht davon ausgegangen, aufgrund des Gesprächs mit ihrem Arbeitsvermittler alles aus ihrer Sicht Erforderliche getan zu haben. Das zeigt insbesondere ihre Einlassung in der mündlichen Verhandlung am 17. März 2008, sie habe dem Beklagten die beabsichtigte Beantragung der BAföG-Leistungen mitteilen wollen.

Offen bleiben kann hier, ob der Arbeitsvermittler verpflichtet gewesen wäre, seine Kenntnis an die Leistungsabteilung der ARGE weiterzuleiten (vgl. dazu Urteil des BSG vom 28. Juni 1990, 7 RAr 132/88, Rn. 31 ff, Juris). Ein etwaiges Mitverschulden der Behörde hätte hier aber keine Auswirkungen. Es spielte lediglich bei der Ausübung des Ermessens eine Rolle (sog. atypischer Fall). Hier aber liegt keine Ermessensentscheidung, sondern eine nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 SGB III gebundene Entscheidung vor.

Die Verletzung der Mitteilungspflicht war auch grob fahrlässig. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin hat die ihr obliegende Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt. Sie war darüber belehrt worden, dass sie alle Änderungen in ihren persönlichen Verhältnissen dem Beklagten anzuzeigen hatte, was sie diesem gegenüber jedoch nicht tat. Die Klägerin ist nach ihrer Ausbildung und dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, in der Lage gewesen, die Bedeutung dieser Pflicht zu ermessen. Auch an ihrer subjektiven Fähigkeit, die Umstände der Leistungsbeantragung und den Inhalt des Antragsformulars zu verstehen, bestehen keine Zweifel. Ihr musste insbesondere nach dem Gespräch beim Arbeitsvermittler, der ihr nach eigenem Bekunden gesagt hatte, für ihre Ausbildung gebe es keine SGB II-Leistungen und sie müsse BAföG beantragen, klar sein, dass sie die beabsichtigte Leistung bzw. Beantragung von BAföG-Leistungen dem Beklagten gegenüber anzugeben hatte.

Ein Verschulden ausschließende Gründe hat die Klägerin nicht vorgetragen; sie sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere der behauptete "Schulstress" ist vorliegend nicht glaubhaft. Das Schuljahr begann erst am 25. August 2005, mithin ca. drei Wochen nach Ausfüllen des Leistungsantrages. Zudem fand sie noch am 22. August 2005 Zeit, die Leistungen nach dem BAföG zu beantragen.

Die Ausschlussfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten. Danach muss die Behörde innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, den Rückforderungsbescheid erlassen haben. Da sich die Kenntnis für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auch auf die individuelle Einsichtsfähigkeit des Betroffenen erstrecken muss, beginnt die Frist vorliegend nach der Anhörung der Klägerin (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 1996, 13 RJ 35/94, Rn. 33, Juris).

Da für August 2005 nur eine teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung (vom 25. bis 31. August 2005) rechtmäßig ist, reduziert sich die Höhe der im Übrigen rechtmäßigen Erstattungsforderung nach § 50 SGB X um 323,64 EUR.

Der Beklagte hatte für 26 Anspruchstage 6. bis 31. August 2005 442,87 EUR gewährt, mithin ergibt sich ein Anspruch für 19 Tage (6. bis 24. August 2005) in Höhe von 323,64 EUR (442,87 EUR / 26 Tage - 19 Tage).

Die Kosten des Verfahrens hat nach § 193 SGG der Beklagte zu 11% zu tragen. Diese Quotelung ergibt sich aus dem Anteil des Unterliegens des Beklagten.

Die Revision ist zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob auch im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Aufhebung nach § 45 SGB X die Berechnungselemente der bestandskräftig bewilligten SGB II-Leistung von Amts wegen überprüft werden müssen, ist höchstrichterlich nicht eindeutig geklärt (bejahend für § 48 SGB X wohl BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, als Terminbericht vorliegend). Vorliegend ist diese Frage entscheidungserheblich. Die Klägerin mietete zum 15. August 2005 eine Wohnung an, für die sie 260 EUR/Monat zu zahlen hatte. Der Beklagte bewilligte jedoch nur KdU in Höhe von 180 EUR/Monat. Wenn er die Kosten der neuen Wohnung zu übernehmen hätte, was im Einzelnen zu prüfen gewesen wäre, ergäbe sich ein höherer monatlicher Leistungsanspruch der Klägerin. Die Rückforderungssumme würde sich weiter reduzieren.
Rechtskraft
Aus
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