L 28 AS 2230/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1254/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 2230/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 04. November 2010 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die rechtliche Qualität eines Schreibens, mit dem der Beklagte eine Aufrechnung erklärt hat, und um die Rechtmäßigkeit dieser Aufrechnung.

Der im März 19xx geborene, allein stehende Kläger bewohnt unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift eine 1,5-Zimmer-Wohnung, für die eine Gesamtmiete in Höhe von ca. 300,00 EUR zu zahlen ist. Seit dem 01. September 2002 bezieht er eine Rente, die zunächst wegen voller, seit dem 01. Juni 2005 wegen teilweiser Erwerbsminderung gezahlt wird. Im Januar 2008 beantragte er die Gewährung (ergänzender) Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsu-chende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II), die ihm der Beklagte ab März 2008 durchgehend bewilligte.

Im Februar 2010 erhielt der Beklagte Kenntnis, dass der Kläger für das Abrechnungsjahr 2008 eine Betriebskostenerstattung in Höhe von 170,75 EUR erhalten hatte, die mit der Miete für August 2009 verrechnet worden war. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2010 hob er daraufhin – gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) - die Leistungsgewährung für August 2009 in Höhe von 170,75 EUR teilweise auf und machte eine Erstattungsforderung in der genannten Höhe geltend. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Im Zusammenhang mit daraufhin durch die Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Berlin-Brandenburg – erfolgenden Zahlungsaufforderungen übersandte der Kläger unter dem 10. Mai 2010 den Bescheid des Beklagten über die Bewilligung laufender Leistungen für die Monate September bis Dezember 2010 und erklärte unter Bezugnahme hierauf, dass er nicht verstehen könne, warum keine Verrechnung erfolge. Mit Schreiben vom 02. Juni 2010 teilte der davon informierte Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass dieser sich mit seinem an die Regionaldirektion gerichteten Schreiben vom 10. Mai 2010 mit einer Aufrechnung einverstanden erklärt habe. Weiter kündigte er an, ab dem 01. Juli 2010 von seinem Leistungsanspruch einen Betrag von 35,90 EUR monatlich aufzurechnen. Tatsächlich ist die Forderung durch Aufrechnung seit November 2010 getilgt.

Gegen das Schreiben vom 02. Juni 2010 legte der Kläger am 10. Juni 2010 Widerspruch ein, in dem er sich im Wesentlichen darauf beschränkte, einen Gerichtsbeschluss anzufordern, bevor mit den "Sanktionen" begonnen werde. Mit Schreiben vom 22. Juni 2010 erläuterte der Beklagte dem Kläger den Hintergrund seines vorangegangenen Schreibens und verwies darauf, dass von seinen Leistungen 10 % der Regelleistung, mithin 35,90 EUR aufgerechnet werden könnten. Nachdem der Kläger sodann auf Bescheidung seines Widerspruchs gedrängt hatte, verwarf der Beklagte diesen mit Widerspruchsbescheid vom 01. Juli 2010 als unzulässig. Zur Begrün-dung führte er aus, dass es sich bei der Mitteilung vom 02. Juni 2010 nicht um einen Verwaltungsakt handele, sondern lediglich um die Bekanntgabe der Zahlungsmodalitäten des zuvor ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides. Mit dem angefochtenen Schreiben würden Rechte weder begründet noch geändert, entzogen oder festgestellt. Eine Entscheidung über den Rechtsanspruch sei mithin mit der Mitteilung nicht getroffen worden.

Am 21. Juli 2010 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Cottbus erhoben, sich gegen die Leistungskürzung verwahrt und sich im Wesentlichen auf den Pfändungsschutz sowie das Verbot, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Sachleistungen zu verrechnen, berufen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04. November 2010 abgewiesen. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte den Widerspruch gegen das Schreiben vom 02. Juni 2010 zu Recht als unzulässig verworfen habe. Es handele sich hierbei nicht um einen Verwaltungsakt, da es dem Schreiben an einer Regelung fehle. Eine Regelung sei eine rechtsverbindliche Anordnung, eine Willenserklärung, die auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sei. Die Rechtsfolge bestehe darin, dass Rechte und/oder Pflichten begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt würden. Abzugrenzen hiervon sei vor allem das so genannte tatsächliche oder "schlichte" Verwaltungshandeln. Vorliegend sei die eigentliche Regelung mit der Absprache zwischen dem Kläger und der Regionaldirektion getroffen worden. Der Beklagte habe in seinem Schreiben nur das wiederholt, was für den Kläger schon "rechtens geworden" sei.

Gegen diesen ihm am 06. November 2010 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 24. November 2010 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung macht er sinngemäß geltend, dass sich die Betriebskostenerstattung auf das gesamte Jahr 2008 beziehe, ihm in diesem Jahr aber nur für neun Monate Leistungen bewilligt worden seien, und dies obwohl ihm für mehrere Jahre Wohngeld zugestanden hätte.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 04. November 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 02. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Juli 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Mit Schreiben vom 04. Juli 2012 hat die Berichterstatterin den Kläger darauf hingewiesen, dass Zweifel an der Statthaftigkeit seiner Berufung bestünden, da der erforderliche Wert des Be-schwerdegegenstandes nicht erreicht wäre, wenn es in dem Verfahren um eine Geldleistung bzw. einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt ginge. Der Kläger hat daraufhin erklärt, dass er in der Zeit von Juni 2005 bis Februar 2008 neben der Rente wegen Erwerbs-minderung keine Leistungen erhalten habe, was erhebliche Auswirkungen auch auf ärztliche Behandlungen gehabt habe. Vorliegend ginge es daher nicht nur um Geldleistungen, sondern um den Entzug aller Lebensgrundlagen nach 30 Jahren Arbeitsleben und Beitragspflicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers entscheiden, obwohl dieser in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, da mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (vgl. §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgeset-zes – SGG -).

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 04. November 2010 ist nach § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist.

Nach §§ 105 Abs. 2, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Das Sozialgericht hat vorliegend die Berufung nicht zugelassen, sondern diese kraft Gesetzes für zulässig erachtet. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Denn - anders als das Sozialgericht und der Kläger meinen - betrifft die Klage einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt, sodass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR überschreiten oder es um wiederkehrende bzw. laufende Leistungen für mehr als ein Jahr gehen müsste. Dies ist jedoch angesichts der allein streitgegenständlichen Aufrechnung und unter Berücksichtigung des Aufrechnungsbetrages von 170,75 EUR nicht der Fall.

Bei der Aufrechnung handelt es sich zur Überzeugung des Senats um einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt. Während in §§ 42a Abs. 2 Satz 2, 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II inzwischen ausdrücklich geregelt ist, dass die Aufrechnung schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären ist, war dies zu der früheren - hier noch anwendbaren - Rechtslage zwar umstritten. Der Senat hat indes bereits mit Blick auf die Regelung in § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X keine Zweifel, dass die Aufrechnung auch damals durch Verwaltungsakt zu erfolgen hatte (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 31.08.2011 - GS 2/10, juris – für die Verrechnung nach § 52 SGB I sowie Beschluss des Bayerischen LSG vom 13.03.2012 – L 7 AS 723/11 NZB – juris, 1. Leitsatz, Rn. 16). Der Gesetzgeber hat in der genannten Vorschrift, nach der ausnahmsweise von der vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes erforderlichen Anhörung abgesehen werden kann, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70,00 EUR aufgerechnet oder verrechnet werden soll, unterstellt, dass die Aufrechnung bzw. Verrechnung durch einen Verwaltungsakt erfolgt. Die Vorschrift wäre sinnlos, handelte es sich bei der Aufrechnung nicht um einen Verwaltungsakt. Auch wäre es nicht sachgerecht, die Rechtsform in das Belieben der Behörde zu stellen und ihr damit letztlich die Umgehung der Anhörungspflicht zu ermöglichen.

Soweit das Sozialgericht meint, der Beklagte habe mit dem vom Kläger angefochtenen Schreiben lediglich "umgesetzt, was bereits zuvor für den Kläger rechtens gewesen sei", und damit keine Regelung getroffen, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Zwar mag man die Vorlage des Bewilligungsbescheides des Beklagten bei der Regionaldirektion durch den Kläger verbunden mit der Äußerung, dass er nicht verstehe, warum keine Verrechnung erfolge, noch dahin auslegen, dass er eine Aufrechnung anregen wollte. Nicht aber hat die Regionaldirektion im Folgenden dazu eine irgendwie geartete Regelung oder Absprache getroffen. Im Gegenteil hat diese die Angelegenheit dem Beklagten zugeleitet, der sodann die Aufrechnung erklärt und in diesem Zusammenhang erstmals ausgesprochen hat, in welcher Höhe monatlich aufgerechnet werde.

Ebenso wenig vermag der Senat die Rechtsauffassung des Beklagten zu teilen, dass das genannte Schreiben lediglich Zahlungsmodalitäten betroffen habe. Es ging hier um die Durchsetzung einer Forderung, die der Beklagte angesichts des laufenden Leistungsbezugs des Klägers und der Pfändungsschutzbestimmungen nur im Wege der Aufrechnung sicher erreichen konnte und für die es vor diesem Hintergrund einer Eingriffsermächtigung bedurft hätte.

Auch handelte es sich bei der Aufrechnung um einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt (so auch: Hessisches LSG, Beschluss vom 26.01.2012 – L 6 AS 676/11 B ER – juris, Rn. 4 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.03.2012 – L 29 AS 2120/1 B PKH – juris, Rn. 3 ff.). Mit der Aufrechnung wird geregelt, dass die (teilweise) Befriedigung eines Anspruchs durch Auszahlung unterbleibt und im Gegenzug eine Forderung im gleichen Umfang getilgt ist. Nach dem Sinn und Zweck des § 144 SGG, der die Berufungsgerichte von vermögensrechtlichen Streitsachen von geringem Wert entlasten soll (vgl. BSG, Beschluss vom 06.10.2011 – B 9 SB 45/11 B – juris, Rn. 11), stellt sich dies als auf eine Geldleistung gerichtete Regelung dar. Es wäre im Übrigen nicht nachvollziehbar, warum ein Kläger, der sich gegen die Aufrechnung in Höhe von knapp 200,00 EUR wendet, weitergehenden Rechtsschutz in Anspruch nehmen können sollte, als einer, der sich gegen die Ablehnung einer in entsprechender Höhe geltend gemachten Forderung wendet.

Der damit erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes ist angesichts des sich auf 170,75 EUR belaufenden Aufrechnungsbetrages nicht erreicht. Soweit der Kläger meint, Gegenstand des Verfahrens sei auch die Frage, in welchem Umfang die Betriebskostenerstattung anrechenbar sei, trifft dies nicht zu. Der Beklagte hat dies mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2010 geregelt. Hiergegen hat der Kläger seinerzeit keine Klage erhoben, sodass insbesondere die Höhe des vom Kläger zu erstattenden Betrages bindend feststeht und nicht mehr zu überprüfen ist. Erst Recht geht es in diesem Verfahren nicht um "den Entzug aller Lebensgrundlagen nach 30 Jahren Arbeitsleben und Beitragspflicht", d.h. es ist nicht zu prüfen, ob dem Kläger möglicherweise in der Zeit von Juni 2005 bis Februar 2008 - und damit für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr - neben der Rente wegen voller Erwerbsminderung weitergehende Ansprüche zugestanden hätten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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