S 27 SF 46/12 E

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
27
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 SF 46/12 E
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Flugreisekosten sind dann erstattungsfähig, wenn die Mehrkosten einer Flugreise nicht außer Verhältnis zu den Kosten einer Bahnfahrt erster Klasse stehen.
2. Nimmt der Anwalt anlässlich seiner Reise mehrere Termine war und wird die Festsetzung der Reisekosten deshalb nur quotal beantragt, kann der Kostenschuldner hiervon nicht dadurch profitieren, dass sich der Kostengläubiger einen Abzug gefallen lassen müsste, falls die Kosten für die Flugreise nicht in voller Höhe erstattungsfähig gewesen wären, wenn der Anwalt nur einen Termin wahrgenommen hätte (Anschluss OLG Köln, Beschluss vom 28. April 2010 – 17 W 60/10).
Die Erinnerung gegen den Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 27. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Der Erinnerungsführer hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Erinnerungsverfahren wird auf 82,64 EUR festgesetzt

Gründe:

I. Strittig ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren. Der Erinnerungsführer wendet sich ausschließlich gegen die Höhe der festgesetzten Reisekosten für das Flugticket i.H.v. 82, 64 EUR.

Der Erinnerungsführer wendete sich in dem Klageverfahren gegen die Aufhebung des von ihm gegen die Erinnerungsgegner - im Klageverfahren Beigeladenen zu 1) - beantragten Arzneimittelregresses durch den Beklagten. Das Sozialgericht Hamburg wies die Klage ab und verurteilte den Erinnerungsführer zur Tragung der Verfahrenskosten einschließlich der Kosten der Erinnerungsgegner. Die hiergegen eingelegte Berufung nahm der Erinnerungsführer zurück. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Hamburg am 5. November 2008 reiste der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsgegner mit dem Flugzeug an. Die entsprechenden Kosten hat die Kanzlei jeweils auf der Basis des Tarifs für die Business-Class zur Festsetzung angemeldet. Da der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsgegner in dem Termin am 5. November 2008 insgesamt 7 Termine als Prozessvertreter wahrgenommen hat, haben die Prozessbevollmächtigten die jeweiligen Kosten nur quotal in dem vorliegenden Rechtsstreit (1/7) zur Festsetzung angemeldet.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Kostenfestsetzung antragsgemäß vorgenommen.

Hiergegen richtet sich der Erinnerungsführer mit seinem Rechtsmittel.

Er ist der Ansicht, die Kosten für einen Flug in der Business-Class seien nicht erstattungsfähig. Zugrunde zu legen sei der Tarif der Economy-Class. Ein solches Ticket koste unter 300 EUR. Auf die jeweilige Rechnung entfielen dann geteilt durch 7 pro Verfahren maximal 43 EUR.

Die Sache wurde der Kammervorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1) Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

Zu Recht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Reisekosten in der beantragten Höhe festgesetzt.

Nach der Grundregel des § 91 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) sind nur die Kosten vom Gegner zu erstatten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder –verteidigung notwendig waren. Das sind solche Kosten, die eine verständige Prozesspartei als sachdienlich ansehen durfte. Dabei hat sie die Kosten so niedrig als möglich zu halten, solange sich dies mit der vollen Wahrung ihrer Rechte vereinbaren lässt. Dieses Gebot ergibt sich aus § 242 Bürgerliches Gesetzbuch )BGB( (Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Auflage 2011, § 91 ZPO Rdn. 22). Unter mehreren gleichartigen Maßnahmen ist die kostengünstigste auszuwählen (OLG Köln, Beschluss vom 28. April 2010 – 17 W 60/10, MDR 2010, 1287 f.).

Geht es um die Erstattung von Flugreisekosten, so rechtfertigt die Zeitersparnis die Mehrkosten für eine Flugreise nicht schlechthin, wie sich aus der Verweisung in § 91 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. ZPO auf § 5 Abs. 1 und 3 JVEG ergibt. Ausgehend von der letztgenannten Vorschrift sind Fahrtkosten, die über den Betrag der Bahnkosten hinausgehen, nur ausnahmsweise erstattungsfähig. Im Falle von Flugkosten hat die Rechtsprechung Erstattungsfähigkeit nur bei Auslandsreisen sowie nur dann bejaht, wenn die Mehrkosten einer Flugreise nicht außer Verhältnis zu den Kosten einer Bahnfahrt erster Klasse stehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 28. April 2010 – 17 W 60/10, MDR 2010, 1287 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. März 2010 – 8 W 121/10, MDR 2010, 898; Madert/Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt u. a., RVG, 19. Auflage 2010, Nr. 7003, 7004 VV RVG Rn. 30). Soweit sich der Erinnerungsgegner auf die Entscheidungen des OLG Hamburg vom 23. April 2008 (8 W 43/08) beruft, schließt sich die Kammer den dortigen Auffassungen zur Erstattungsfähigkeit der Kosten der "Business Class" nicht an. Auch wenn das JVEG nur die Reisekosten der Partei betrifft, ist der Rechtsanwalt nicht schlechter zu stellen als die Partei selbst, aber auch nicht besser. Im Übrigen ist es auch nicht Aufgabe des Prozessgegners während der anwaltlichen Reisezeit eine geeignete Umgebung für ungestörtes Arbeiten zu bieten. Letzteres übersieht das OLG Hamburg, das dem Rechtsanwalt einen Anspruch auf die Benutzung der Business-Class bei entsprechender Kostenerstattung uneingeschränkt zubilligt, da dieser nur dort während des Fluges uneinsehbar arbeiten könne (zutreffenderweise a. A.: LG Freiburg, Beschluss vom 18. September 2003 – 5 Qs 85/08, NJW 2003, 3359; Hüßtege, a.a.O. Rdn. 22; Schneider, in: Schneider/Wolf, RVG, 5. Auflage 2010, Nr. 7003 – 7006 VV RVG Rdn. 27).

Allerdings ist der Rechtsanwalt nicht verpflichtet, einen Billigflug zu benutzen, bei dem er nicht umbuchen kann (Madert/Müller-Rabe, a. a. O., Rdn. 33; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Dezember 2008 – I 10 W 93/08, NJW-RR 2009, 1422 f.).

Vorliegend ist nicht dargelegt, dass eine Buchung eines Fluges in der Economy-Class nicht mehr möglich gewesen ist. Im Ergebnis kann dies jedoch dahin stehen, da es in den vorliegenden Verfahren nicht darauf ankommt, welcher Tarif der konkreten Buchung zugrunde liegt.

Ausgehend von den (fiktiven) Kosten, die für eine Bahnanreise in der ersten Wagenklasse von B. nach H. und zurück angefallen wären, ist allein zu prüfen, ob die konkret entstandenen und zur Erstattung angemeldeten Kosten im Einzelfall dem Gebot einer möglichst sparsamen Prozessführung gerecht werden (so auch OLG Köln, Beschluss vom 28. April 2010 – 17 W 60/10, MDR 2010, 1287 f.).

Für eine Bahnfahrt von B. nach H. und zurück in der ersten Wagenklasse wären Kosten von ca. 290 EUR angefallen. Dabei ist aber zu beachten, dass der Prozessbevollmächtigte vorliegend berechtigt gewesen wäre, per Bahn schon am Vortag anzureisen um den Termin zur mündlichen Verhandlung am Vormittag wahrzunehmen. In diesem Fall wären sowohl Übernachtungskosten, die die Kammer auf 150 EUR schätzt, sowie weitere 60 EUR an Tages- und Abwesenheitsgeld gemäß Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG für den Anreisetag angefallen, so dass insgesamt von fiktiven Kosten in Höhe von 535 EUR auszugehen ist. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch bei einer Bahnanreise Taxikosten angefallen wären. Diese schätzt das Gericht auf mindestens 50 EUR (Fahrt zum Bahnhof B. und zurück, Fahrt vom Bahnhof H. zum Hotel, vom Hotel zum Gericht und zurück zum Bahnhof).

Hiernach wären zur Beantwortung der Frage, in welcher Höhe die Erinnerungsgegner die Reisekosten für ihren Prozessbevollmächtigten erstattet verlangen können, grundsätzlich die tatsächlich angefallenen und geltend gemachten Kosten in Höhe von 724,43 EUR (578,48 EUR Flugkosten, 85,96 EUR Taxikosten, 60 EUR Abwesenheitsgeld) mit den fiktiv bei einer Bahnanreise entstandenen auf ihre Angemessenheit hin zu vergleichen.

Es kann jedoch wegen der Besonderheiten des vorliegend zu entscheidenden Falles dahinstehen, ob dann, wenn die tatsächlichen die fiktiven Kosten um rund 20 % übersteigen, noch von Angemessenheit auszugehen ist oder nicht. Denn die Erinnerungsgegner haben lediglich die Festsetzung von jeweils 82,64 EUR Flugkosten, 8,57 EUR Abwesenheitsgeld sowie 12,28 EUR Taxikosten für dieses Verfahren sowie für zwei weitere Verfahren beantragt, weil ihr Prozessbevollmächtigter am Anreisetag vier weitere Gerichtstermine am Sozialgericht in Hamburg wahrgenommen hat. Nimmt der Anwalt anlässlich seiner Reise mehrere Termine wahr und wird die Festsetzung der Reisekosten deshalb nur quotal beantragt, kann der Kostenschuldner hiervon nicht dadurch profitieren, dass sich der Kostengläubiger einen Abzug gefallen lassen müsste, falls die Kosten für die Flugreise nicht in voller Höhe erstattungsfähig gewesen wären, wenn der Anwalt nur einen Termin wahrgenommen hätte (so auch OLG Köln, Beschluss vom 28. April 2010 – 17 W 60/10, MDR 2010, 1287 f.). Wollte man nun von dem nur anteilsmäßig erstattet verlangten Betrag weitere Abzüge vornehmen, so würde dies der Sachlage nicht gerecht. Durch die gleichzeitige Wahrnehmung der sieben Termine profitiert auch der Erinnerungsgegner von einer Kostenersparnis insgesamt. Deshalb können die Erinnerungsgegner den zur Festsetzung angemeldeten Betrag in voller Höhe erstattet verlangen. 2) Das Erinnerungsverfahren ist gerichtskostenfrei. Gerichtskosten sind hierfür gem. § 3 GKG i.V.m. Teil 7 der Anlage 1 des GKG nicht vorgesehen. 3) Vorliegend war eine eigene Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren zu treffen. Dies folgt aus der Regelung in §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG i.V.m. Nr. 3500 VV RVG. Das Erinnerungsverfahren ist nicht mehr Teil des Hauptsacheverfahrens, sondern eine gesonderte Angelegenheit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG (so auch SG Fulda, Beschluss vom 10. Februar 2010 – S 3 SF 22/09 E, NZS 2011, 200; SG Hamburg, Beschluss vom 11. August 2011 – S 6 RJ 969/03; SG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2011 – S 165 SF 6502/10 E; Münker, in: Henning, SGG, § 197 Rdn. 16; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 197 Rdn. 10). Nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG handelt es sich bei Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, soweit sich aus § 16 Nr. 10 RVG nichts anderes ergibt, um eine besondere Angelegenheit i.S.d. § 19 Abs. 1 S. 1 RVG. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG von Erinnerungen gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers spricht. Insoweit ist die Vorschrift im Wege der berichtigenden Auslegung auf Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten zu erstrecken, wie es das BVerwG zutreffend für verwaltungsgerichtliche Verfahren festgestellt hat (BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2007 – 4 KSt 1002/07 u.a.). Das BVerwG führt dazu aus: "Nach § 164 VwGO setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs (bzw. der jeweiligen Rechtsmittelinstanz) auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Rechtspfleger i.S.d. Rechtspflegergesetzes gibt es bei den Verwaltungsgerichten nicht. Der Begriff des Urkundsbeamten ist nicht beamten- oder dienstrechtlich definiert; er ist ein prozessualer Funktionsbegriff (Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 13 Rn. 9 m. w. N.). Die Festsetzung von Gerichts- und Anwaltskosten wird in der Regel Beamten des höheren oder gehobenen Dienstes mit entsprechender Ausbildung übertragen. Funktional betrachtet erfüllt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit der Kostenfestsetzung Aufgaben, die in der ordentlichen Gerichtsbarkeit dem Rechtspfleger zugewiesen sind. Bei der Kostenfestsetzung wird der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle als richterliches Organ tätig und ist deshalb insoweit an Weisungen nicht gebunden (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, § 164 Rn. 3). Gründe für eine unterschiedliche Kostenerstattungsregelung bei Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen des Rechtspflegers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle sind nicht erkennbar. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle weist in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss zu Recht darauf hin, dass bei einer streng am Wortlaut orientierten Auslegung des § 18 Nr. 5 RVG wesentlich Gleiches ungleich behandelt würde. § 18 Nr. 5 RVG ist daher so zu verstehen, dass auch Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten der verwaltungsgerichtlichen Geschäftsstellen erfasst werden (a. A. VG Regensburg, Beschluss vom 11. Juli 2005 - RN 11 S 03.2905 - AGS 2005, 549 = KostRsp. § 18 RVG Nr. 1 mit ablehnender Anmerkung von Lappe und N. Schneider)." Gründe, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, im sozialgerichtlichen Verfahren davon abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass es sich bei Erinnerungen gegen Kostenentscheidungen des Urkundsbeamten generell um besondere Angelegenheiten i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 1 RVG handelt. Anders ließe es sich nämlich nicht erklären, dass er für bestimmte Erinnerungsverfahren, namentlich Erinnerungen nach § 66 Abs. 1 GKG und § 56 Abs. 1 RVG die Kostenerstattung expressis verbis (§ 66 Abs. 8 S. 2 GKG u. § 56 Abs. 2 S. 3 RVG) ausgenommen hat (SG Fulda, Beschluss vom 10. Februar 2010 – S 3 SF 22/09 E, NZS 2011, 200). Die Kostengrundentscheidung für das Erinnerungsverfahren folgt aus § 197a SGG und trägt dem Ergebnis des Verfahrens Rechnung. 4) Der Gegenstandswert für das Erinnerungsverfahren war entsprechend der allgemeinen Vorschriften über die Wertfestsetzung für Beschwerdeverfahren festzusetzen (vgl. § 23 Abs. 2 S. 3 RVG). Der Wert ist daher unter Berücksichtigung des Interesses des Erinnerungsführers zu bestimmen. Der Streitwert war folglich auf den Wert der strittigen Flugreisekosten festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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