L 3 AS 148/10 NZB

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 15 AS 4594/08
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 148/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes ist es unerheblich, ob der Anspruch dem Grunde oder der Höhe nach besteht oder bestehen kann. Lediglich im Fall des Rechtsmissbrauches, das heißt wenn ein Prozessantrag nur deshalb – entgegen einer eindeutigen gesetzlichen Regelung – gestellt wird, um die Berufungsfähigkeit zu erreichen, ist der Antrag im Klageverfahren nicht zu berücksichtigen.

2. Es kann für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes in einem Verfahren, in dem eine Wohnungserstausstattung begehrt wird, nicht auf die Pauschalen in der Richtlinie eines kommunalen Trägers zurückgegriffen werden. Eine Pauschale für eine Wohnungserstausstattung ist allenfalls geeignet, einen groben Anhaltspunkt für den Wert des Beschwerdegegenstandes zu bieten.
I. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 8. Januar 2010 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte dem Kläger nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I. Die Beschwerde des Klägers gemäß § 145 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 8. Januar 2010 ist nicht statthaft und damit gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 572 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu verwerfen ...

Gemäß § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt. Etwas anders ergibt sich aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Danach bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Das gilt gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung – was vorliegend nicht der Fall ist – wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes im Sinne von aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist danach zu bestimmen, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt wird (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 144 Rdnr 14, m. w. N.). Bei einem unbezifferten Antrag muss, ebenso wie bei einem Feststellungsurteil, einem Grundurteil oder Bescheidungsklage, das Gericht den Wert ermitteln (vgl. Leitherer, a. a. O., Rdnr 15b, m. w. N.).

Der Kläger hatte gegenüber der ARGE D zunächst mit Schreiben vom 30. Juli 2008 eine Erstausstattung für Bekleidung und eine Wohnungserstausstattung beantragt. Mit der Klageschrift machte er nur noch die Erstausstattung für seine Wohnung geltend. Auch der inzwischen mandatierte Klägerbevollmächtigte beantragten in der mündlichen Verhandlung vom 8. Januar 2010 nur Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in Bezug auf eine vollständige Wohnungserstausstattung. Nach der Feststellung des Sozialgerichtes im angefochtenen Urteil bezifferte der Kläger den Erstausstattungsbedarf auf 4.000,00 EUR bis 5.000,00 EUR. Diesem Klagebegehren entsprach das Sozialgericht nur in Bezug auf eine vollständige Erstausstattung für das Schlafzimmer. Damit blieb dem Kläger bislang die Leistung für die Erstausstattung der übrigen Teile der Wohnung versagt.

Da konkrete Betrags- oder Wertangaben fehlen, schätzt der erkennende Senat den Wert des nicht anerkannten Klageteils auf etwa die Hälfte des vom Kläger angegebenen Bedarfs, das heißt auf etwa 2.000,00 EUR bis 2.500,00 EUR. Der Schätzung liegen die vom Kläger im Schreiben vom 30. Juli 2008 benannten Einrichtungsgegenstände zugrunde, nämlich "Herd/Kochgelegenheit, Kühlschrank, Waschmaschine, Hausrat, für Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Sonstiges, Bett komplett, Tisch, Lampen, Schlafzimmer, Sitzmöbel, Elektrogeräte, Säuberungshilfsmittel" sowie Gegenstände für die Nachrichtenübermittlung und für Computer. Selbst nach den vom Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 9. April 2010 mitgeteilten Einzelbeträgen unter anderem für Wohnzimmereinrichtung (ca. 500,00 EUR) und Kücheneinrichtung (ca. 600,00 EUR) wäre der Grenzwert aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG überschritten.

Für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes ist es demgegenüber unerheblich, ob der Anspruch dem Grunde oder der Höhe nach besteht oder bestehen kann. Lediglich im Fall des Rechtsmissbrauches, das heißt wenn ein Prozessantrag nur deshalb – entgegen einer eindeutigen gesetzlichen Regelung – gestellt wird, um die Berufungsfähigkeit zu erreichen, ist der Antrag im Klageverfahren nicht zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 22. August 1990 – 10 RKg 29/88BSGE 67, 194 [195] = JURIS-Dokument Rdnr. 14). Dafür, dass der Kläger rechtsmissbräuchlich seinen Bedarf in Bezug auf die Wohnungserstausstattung beschrieben hätte, ist nichts ersichtlich.

Es kann für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes in einem Verfahren, in dem eine Wohnungserstausstattung begehrt wird, auch nicht auf die Pauschalen in der Richtlinie eines kommunalen Trägers zurückgegriffen werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Januar 2009 – L 5 B 345/07 AS – JURIS-Dokument Rdnr. 16). Zwar besteht ein Auswahlermessen, ob die Leistung als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht wird (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung; § 24 Abs. 3 Satz 5 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung). Jedoch sind bei der Bemessung der Pauschalbeträge geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung; § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung). Dies hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zur Folge, dass dem Grundsicherungsträger bei der Festsetzung der Höhe der Pauschale nur ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 45/08 RSozR 4-4200 § 23 Nr. 5 Rdnr. 20 = JURIS-Dokument Rdnr. 20). Eine Pauschale für eine Wohnungserstausstattung ist deshalb allenfalls geeignet, einen groben Anhaltspunkt für den Wert des Beschwerdegegenstandes zu bieten.

Auch die (fehlerhafte) Rechtsmittelbelehrung durch das Sozialgericht führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn weder wird die sich aus dem Gesetz ergebende Statthaftigkeit der Berufung durch die Rechtsmittelbelehrung aufgehoben (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 6. Dezember 2010 – L 3 AS 800/09 NZB – JURIS-Dokument Rdnr 43; Udsching: in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens [6. Aufl., 20128], VIII. Kap. Rdnr 46) noch führt sie zur Statthaftigkeit eines von Gesetzes wegen nicht zugelassenen Rechtsmittels (ständige Rspr. des BSG: vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 1003 – B 1 KR 25/01 RSozR 4-1500 § 158 Nr. 1 Rdnr 11 = JURIS-Dokument Rdnr. 18; vgl. auch: Sächs. LSG, Beschluss vom 14. Mai 2013 – L 3 AS 1139/11 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 5, m. w. N.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], Vor § 143 Rdnr. 14b, m. w. N.).

Schließlich kann die Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht in eine Berufung umgedeutet werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes besteht für eine Umdeutung eines eindeutig bezeichneten Rechtsmittels in ein anderes Rechtsmittel kein Raum (vgl. eingehend hierzu: BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 25/01 RSozR 4-1500 § 158 Nr. 1 Rdnr. 11 ff. = JURIS-Dokument Rdnr. 18 ff.; vgl. auch z. B. BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 7 AL 104/03 RSozR 4-1500 § 144 Nr. 2 Rdnr. 9 = JURIS-Dokument Rdnr. 16; Sächs. LSG, Urteil vom 3. November 2010 – L 1 AL 127/10 – JURIS-Rdnr. 36, m. w. N. auch zum Schrifttum). Der Ausschluss der Umdeutung gilt sowohl für den rechtskundig vertretenen Rechtsmittelführer als auch für den nicht vertretenen (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 25/01 RSozR 4-1500 § 158 Nr. 1 Rdnr. 15 = JURIS-Dokument Rdnr. 22).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO erforderliche hinreichend Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht gegeben war. Sie war bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht gegeben.

IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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