L 7 AS 660/12 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 AS 1214/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 660/12 ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einstweiliger Rechtsschutz, der sich allein gegen die Verpflichtung richtet, vor der Bewilligung von Arbeitslosengeld II Kontoauszüge vorlegen zu müssen, ist als Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG statthaft.
Es besteht aber kein sicherungsbedürftiges Recht, wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Mitwirkungsobliegenheiten gemäß §§ 60 ff SGB I eingeschränkt ist. Die Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen hat das BSG in mehreren Urteilen bestätigt.
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren
wird abgelehnt.



Gründe:


I.
Streitig ist, ob die Klägerin vor jedem Antrag auf Arbeitslosengeld II Kontoauszüge vorlegen muss.

Die Klägerin beantragte beim Beklagten die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab September 2009. Sie wurde aufgefordert, vollständige Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen. Die Klägerin erhob gegen dieses Schreiben Widerspruch unter Hinweis auf die informationelle Selbstbestimmung. Die begehrte Leistung wurde bewilligt, weil die Klägerin - teilweise geschwärzte - Kontoauszüge vorlegte.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 als unzulässig verworfen. Das Aufforderungsschreiben sei kein Verwaltungsakt.

Die rechtzeitig erhobene Klage wies das Sozialgericht mit Urteil vom 15.12.2010, Az. S 42 AS 1214/10, ab. Die zulässige Feststellungsklage sei nicht begründet. Die Klägerin sei aufgrund der gesetzlichen Mitwirkungsobliegenheiten gehalten, Kontoauszüge vorzulegen. Ein konkreter Missbrauchsverdacht sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht erforderlich.

Am 17.01.2011 hat die Klägerin Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt. Es seien keine Kontoauszüge vorzulegen, hilfsweise sei festzustellen, dass alle Ausgabepositionen geschwärzt werden dürfen. Dieses Verfahren wird unter dem Aktenzeichen L 7 AS 32/11 geführt.

Die Antragstellerin ist seit einiger Zeit als Aushilfe mit wechselndem Monatseinkommen erwerbstätig. Mit Schreiben vom 27.08.2012 wurde die Antragstellerin anlässlich eines Antrags auf Weitergewährung von Arbeitslosengeld II aufgefordert, Kontoauszüge für die letzten sechs Monate vorzulegen. Mit Bescheid vom 27.08.2012 wurde der Antragstellerin in Hinblick auf ihr wechselndes Einkommen vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit von 01.09.2012 bis 28.02.2013 von monatlich 638,- Euro bewilligt.

Am 04.09.2012 hat die Klägerin beim Landessozialgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihr bis zur Entscheidung in dem Rechtsstreit L 7 AS 32/11 Arbeitslosengeld II zu gewähren, ohne zuvor die Vorlage von Kontoauszügen zu verlangen.

II.
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist abzuweisen, weil ein sicherungsfähiges Recht nicht besteht. Die Antragstellerin kann nicht verlangen, dass der Antragsgegner in künftigen Verfahren zur Bewilligung von Arbeitslosengeld II auf die Vorlage von Kontoauszügen verzichtet.

Der Eilantrag ist statthaft als Sicherungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird.

Im vorliegenden Fall begehrt die Antragstellerin nicht die Gewährung von Arbeitslosengeld II selbst, sondern die Unterlassung der Anforderung von Kontoauszügen in Zusammenhang mit künftigen Bewilligungen. Die Antragstellerin geht davon aus, dass ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Aufforderung zur Mitwirkung (schlichtes Verwaltungshandeln) gefährdet wird. Der Mitwirkung selbst, d. h. der Vorlage der Kontoauszüge, kann sie sich nicht entziehen, weil sie auf die existenzsichernden Leistungen angewiesen ist. Ihr unregelmäßiges Einkommen deckt nur einen Bruchteil ihres Lebensbedarfs.

Zuständig ist das Gericht der Hauptsache. Weil die Antragstellerin im Berufungsverfahren L 7 AS 32/11 geltend macht, nicht verpflichtet zu sein, bei jedem Leistungsantrag Kontoauszüge vorzulegen, ist das Landessozialgericht gemäß § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG erstinstanzlich zuständig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen, weil nicht die Gefahr besteht, dass ein Recht der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die Antragstellerin kann nicht verlangen, Arbeitslosengeld II zu erhalten, ohne dass ihre Kontoauszüge überprüft werden.

Im Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R, hat das Bundessozialgericht schlüssig und überzeugend dargelegt, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II auch ohne einen konkreten Verdacht gemäß §§ 60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet sind, ihre Kontoauszüge für die letzten drei Monate vorzulegen. Aufgrund des unregelmäßigen Einkommens der Antragstellerin darf der Antragsgegner auch die Vorlage von Kontoauszügen der vergangenen sechs Monate verlangen. Lediglich bei den vom Sozialgericht zutreffend benannten besonders sensiblen Daten darf die Antragstellerin in den Kontoauszügen die Empfängerangabe bzw. den Verwendungszweck schwärzen, nicht jedoch die Höhe der Zahlung.

Die informationelle Selbstbestimmung wird durch die gesetzliche Mitwirkungspflicht eingeschränkt. Der Betroffene kann sich der Prüfung der Leistungsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit durch die Behörde nicht dadurch entziehen, indem er sich auf seine informationelle Selbstbestimmung beruft. Wer die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt, muss damit rechnen, dass die begehrte Leistung gemäß § 66 SGB I versagt oder entzogen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil für dieses Eilverfahren keinerlei Erfolgsaussicht bestand, § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO. Die Rechtslage ist eindeutig. Darauf wurde die Antragstellerin vom Sozialgericht und vom Landessozialgericht mehrfach hingewiesen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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