L 19 AS 1603/12 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 1998/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1603/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.07.2011 geändert. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Durch Bescheid vom 23.03.2012 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 674,00 EUR mtl. (374,00 EUR Regelbedarf + 300,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 01.03. bis 30.11.2012.

Mit Schreiben vom 22.05.2012 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er bis zur Klärung des Sachverhalts - ungenehmigte Ortsabwesenheit des Antragstellers - die laufende Leistung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 331 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vorläufig einstellen werde. Durch Bescheid vom 29.06.2012 hob der Antragsgegner die Entscheidung vom 23.02.2012 über die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berufung auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wegen ungenehmigter Ortsabwesenheit i.S.v. § 7 Abs. 4a SGB II mit Wirkung zum 01.06.2012 auf.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller nach einer Vorsprache am 11.07.2012 den Regebedarf für Juni und Juli 2012 ausgezahlt.

Am 12.06.2012 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt.

Er hat u. a. die Weiterzahlung der durch den Bescheid vom 23.02.2012 bewilligten Leistungen begehrt und eine Rechnung des B Center, N vom 07.06.2012 in Höhe von 1.050,42 EUR vorgelegt.

Durch Beschluss vom 09.07.2012 hat das Sozialgericht Düsseldorf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 29.06.2012 angeordnet. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 16.07.2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 03.07.2012 Beschwerde eingelegt.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.

Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 07.06.2012 den Erlass einer Regelungsanordnung beantragt, mit der der Antragsgegner zur Weiterzahlung der im Bescheid vom 23.02.2012 bewilligten Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2012 (a), zur Übernahme angefallener und zukünftiger Umzugskosten (b), zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II (c), zur Genehmigung seiner Ortsabwesenheit (d) und zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus dem Mietverhältnis gegenüber seinem Vermieter (e) verpflichtet wird.

1.

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist statthaft.

Dies gilt auch hinsichtlich des Antrags, den Antragsgegner zur Weiterzahlung der im Bescheid vom 23.02.2012 bewilligten Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2012 zu verpflichten. Damit wendet sich der Antragsteller gegen die vom Antragsgegner vorgenommen vorläufige Zahlungseinstellung hinsichtlich der im Bescheid vom 23.02.2012 bewilligten Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2012 nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 331 SGB III.

Der einstweilige Rechtsschutz gegen eine vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 331 SGB III richtet sich im vorliegenden Fall nicht nach § 86b Abs. 1 SGG, der gegenüber § 86b Abs. 2 SGG vorrangig ist, sondern nach § 86b Abs. 2 SGG (vgl. zum einstweiligen Rechtsschutz bei vorläufigen Zahlungseinstellungen: Kallert in Gagel, SGB II, § 40 Rn 21d). Denn bei dem Schreiben des Antragsgegners vom 22.05.2012, in dem dem Antragsteller die Vornahme einer vorläufigen Zahlungseinstellung mitgeteilt wird, handelt es sich nicht um einen belastenden Verwaltungsakt i.S.v. § 86b Abs. 1 SGG, sondern um eine schlichtes Verwaltungshandeln. Bei dem Schreiben handelt es sich um keinen Formalverwaltungsakt (vgl. hierzu BSG Urteil vom 25.01.2011 - B 5 R 14/10 R = juris Rn 13f). Vielmehr wird dem Antragsteller in dem Schreiben lediglich die Vornahme eines Verwaltungshandelns - vorläufige Zahlungseinstellung - mitgeteilt. Nach der Konzeption des Gesetzes erfolgt die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 331 SGB III ohne Erteilung eines Bescheides. Es handelt sich um die Statuierung eines Zurückbehaltungsrechts, das die Fälligkeit des sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebenden Anspruchs aufhebt und nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht zu werden braucht (vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2 Aufl., § 40 Rn 73; Düe in Niesel/Brand, SGB III, 5 Aufl., § 331 Rn 7).

Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht durch den Erlass des Aufhebungsbescheides vom 29.06.2012 entfallen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Antragsteller sein Begehren nach Erlass des Aufhebungsbescheides vom 29.06.2012 nicht dahingehend geändert, dass er nunmehr die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.06.2012 nach § 86b Abs. 1 SGG begehrt. Die Annahme einer Antragsänderung i.S.v. § 99 SGG setzt eine entsprechende prozessuale Erklärung des Antragstellers gegenüber dem Gericht voraus. Nach Erlass des Aufhebungsbescheides vom 29.06.2012 hat der Antragsteller keine prozessuale Erklärung gegenüber dem Sozialgericht abgegeben, die einer Auslegung fähig wäre. Soweit das Sozialgericht anscheinend die vor Erlass des Aufhebungsbescheides abgegebenen prozessualen Erklärungen des Antragsstellers dahingehend auslegt, dass sich dieser auch einstweiligen Rechtschutz gegen etwaige in der Zukunft ergehende Aufhebungsbescheide wendet, ist eine solche Auslegung, die keine Stütze in den Wortlaut der Schreiben des Antragstellers findet, auch unter Beachtung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nicht zulässig, zumal Prozesshandlungen bedingungsfeindlich sind. Des Weiteren wäre eine solche Antragsänderung auch unzulässig, da ein Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG unstatthaft wäre. Gegen den Aufhebungsbescheid hat der Antragsteller bislang keinen Widerspruch eingelegt. Ferner ist offen, ob eine wirksame Bekanntgabe i.S.v. § 37 SGB X erfolgt ist.

2.

Die Anträge des Antragstellers sind unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

a) Dahinstehen kann, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Auszahlung der im Bescheid vom 23.02.2012 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.06.2012 glaubhaft gemacht hat. Insoweit ist anzumerken, dass eine ungenehmigte Ortsabwesenheit i.S.v. § 7 Abs. 4a SGB II einen Leistungsausschlussgrund darstellt (vgl. BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 166/11 R = juris Rn 24). Soweit das Sozialgericht sich zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung auf den Terminsbericht des Bundessozialgerichts zur Entscheidung vom 23.05.2012 - B 14 AS 133/11 R - beruft, hat das Sozialgericht augenscheinlich übersehen, dass im Terminsbericht eindeutig ausgeführt wird, dass der vom Bundessozialgericht zu beurteilende Sachverhalt einen Zeitraum vor Inkrafttreten der Vorschrift § 7 Abs. 4a SGB II betroffen hat.

Jedenfalls ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher kann nur bejaht werden, wenn dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können. Hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Wohnung L 00, X für die Zeit ab dem 01.06.2012 sind schwere und unzumutbare Nachteile seitens des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte hat der Vermieter die Wohnung zum 01.04.2012 gekündigt. Der Antragsteller hat die Wohnung spätesten im Mai 2012 geräumt, in dem er seine Möbel in C eingelagert hat. Ein Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der Wohnung ist mithin nicht erkennbar. Ebenfalls besteht kein Anordnungsgrund hinsichtlich der Auszahlung des Regelbedarfs für die Monate Juni und Juli 2012, da der Antragsgegner diesen an den Antragsteller ausgezahlt hat. Auch für die Zeit ab dem 01.08.2012 ist das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht erkennbar. Dabei kann dahinstehen, ob der Aufhebungsbescheid vom 29.06.2012 dem Antragsteller wirksam i.S.v. § 37 SGB X bekannt gegeben und der Bescheid damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist materiell bestandskräftig geworden ist. Denn dem Antragsteller steht ein einfacherer Weg zur Erlangung des Regelbedarfs zur Verfügung, in dem er beim Antragsgegner vorspricht und seine persönlichen Verhältnisse mit dem zuständigen Sachbearbeiter klärt. Nach dem 12.07.2012 ist seitens des Antragstellers keine Vorsprache beim Antragsgegner mehr erfolgt. Nach Aktenlage sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner bei glaubhaften Angaben des Antragstellers hinsichtlich eines Aufenthalts in seinem Zuständigkeitsbereich die Zahlung des Regelbedarfs nicht fortführt.

b) Hinsichtlich der Verpflichtung des Antragstellers zur Übernahme angefallener und künftiger Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II hat der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch -grund glaubhaft gemacht.

Ein Anspruch auf Übernahme von Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II setzt u. a. voraus, dass vor dem Anfall solcher Kosten der Antragsgegner die Übernahme der Kosten zugesichert hat. Eine solche Zusicherung ist hinsichtlich der schon angefallenen Kosten, insbesondere hinsichtlich der Kosten für die Einlagerung der Möbel in der Umgebung von C, nicht erteilt worden.

Soweit der Antragsteller die Erteilung einer Zusicherung hinsichtlich zukünftig anfallender Kosten begehrt, ist eine Eilbedürftigkeit nicht erkennbar, zumal der Antragsteller einen Antrag auf Übernahme von konkreten Kosten beim Antragsgegner bislang nicht gestellt hat.

c) Ein Anordnungsanspruch auf Verpflichtung zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist ebenfalls nicht glaubhaftgemacht. Der Antragsgegner hat nach Aktenlage dem Antragsteller anlässlich eines Ortstermins am 11.07.2012 die Zusicherung erteilt, die Kosten für eine neue angemessene Unterkunft in X zu übernehmen. Ein konkretes Wohnungsangebot hat der Antragsteller bislang dem Antragsgegner nicht vorgelegt.

d) Ebenso ist ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Genehmigung einer 21-tägigen Ortsabwesenheit nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat einen Antrag auf Genehmigung einer Ortsabwesenheit beim Antragsgegner nicht gestellt. Insoweit ist es dem Antragssteller zumutbar, sich zunächst an den Antragsgegner zu wenden.

e) Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Beschaffung von Ersatzwohnraum bzw. zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen des Antragstellers gegenüber seinem Vermieter besteht nicht. Eine gesetzliche Grundlage für solche Ansprüche ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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