S 10 AS 522/12 FdV

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 522/12 FdV
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Mit Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 108/10 R - hat das BSG die Deckungslücke in der privaten Kranken- und Pflegeversicherung für SGB II-Empfänger geschlossen. In bestandskräftigen Fällen ist die Zahlung eines Zuschusses für die Zeiten vor der Entscheidung des BSG nach der bestehenden Rechtslage (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III) grundsätzlich nicht möglich. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Antrag im Zugunstenverfahren vor diesem Zeitpunkt, d.h. vor dem 18.01.2011, gestellt wurde.

2. Nach der Verfahrensinformation der Bundesagentur für Arbeit vom 12.03.2012 - PEG 2-II-1308.2/II-5215 hat der Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. erklärt, dass die privaten Versicherungsunternehmen grundsätzlich bereit sind, die im Zeitraum Januar 2009 bis Januar 2011 entstandenen Beitragsschulden zu erlassen. Für eine Klage zu den Sozialgerichten zur Schließung der Deckungslücke für Zeiten vor dem 18.01.2011, fehlt somit ein Rechtsschutzbedürfnis, solange nicht - erfolglos - versucht wurde, bei der jeweiligen privaten Krankenversicherung einen Beitragserlass zu erreichen.
I. Das beklagte Jobcenter wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.02.2010 verurteilt, den Bescheid vom 26.05.2009 für den Zeitraum 01.06.2009 bis 30.11.2009 insoweit abzuändern, als dass dem Kläger ein Zuschuss zu den Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung bis zur Höhe des halben Basistarifs gewährt wird. Bisher geleistete Zahlungen bezüglich der Kranken- und Pflegeversicherung sind anzurechnen.

II. Das beklagte Jobcenter erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Übernahme der Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum 01.06.2009 bis 30.11.2009.

Der am ...1951 geborene Kläger war bis zum November 2008 selbständig tätig. Bis zum Beginn des Leistungsbezugs am 05.12.2008 war der Kläger privat versichert. Eine Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung war nicht möglich, da der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung das 55. Lebensjahr vollendet hat und dieser somit nach § 6 Abs. 3a SGB V versicherungsfrei war.

Der Kläger stellte am 29.04.2009 einen Weiterbewilligungsantrag für die Leistungen ab 01.06.2009.

Mit Bescheid vom 26.05.2009 bewilligte das beklagte Jobcenter dem Kläger vorläufig Leistungen in Höhe von 762,63 EUR für den Zeitraum 01.06.2009 bis 30.11.2009, wobei insbesondere ein Zuschuss zur Krankenversicherung bzw. zur Pflegeversicherung nach § 26 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Sätze 5 und 6 VAG in Höhe von 129,54 EUR (Krankenversicherung) bzw. 17,79 EUR (Pflegeversicherung) bewilligt wurde.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 05.11.2009 beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Überprüfung eines Bescheids vom 07.06.2009 (wohl Bescheid vom 26.05.2009).

Mit Bescheid vom 08.12.2009 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass eine nochmalige Überprüfung des Bescheids vom 26.05.2009 ergeben hat, dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei.

Gegen diesen Bescheid legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein. Zur Begründung wird ausgeführt, dass eine Deckelung bis zur Höhe des in der gesetzlichen Krankenversicherung zu leistenden Beitrags nicht akzeptiert werden könne, da hierdurch eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Leistungsbeziehern mit privater Krankenversicherung gegenüber Leistungsbeziehern mit gesetzlicher Krankenversicherung herbeigeführt werde. Bei privat Krankenversicherten werde ein monatliches Defizit gegenüber der privaten Krankenversicherungsgesellschaft herbeigeführt, welches auf Grund vertraglicher Beziehung zwischen einem Hilfebezieher und seiner Krankenversicherung von diesem aus dem Regelsatz zu bestreiten wäre. Dies vermindere die ihm zugewandten Leistungen um den Fehlbetrag, was nicht im Sinne des Gesetzes sein könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2010 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Am 10.03.2010 erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Sozialgericht Landshut: Der Kläger sei bis November 2008 selbständig tätig gewesen und musste aus gesundheitlichen Gründen diese Tätigkeit vorübergehend aufgeben. Im Rahmen seiner Selbständigkeit sei der Kläger privat krankenversichert gewesen. Obwohl der Leistungsbezug noch im Dezember 2008 begonnen habe, sei der 1951 geborene Kläger seinerzeit bereits 55 Jahre alt gewesen, so dass gemäß § 6 Abs.3a SGB V ein Fall der sog. Versicherungsfreiheit vorgelegen habe. Demgemäß musste die private Krankenversicherung des Klägers fortgeführt werden, wobei zum 01.01.2009 auf Grund gesetzlicher Änderungen im Bereich des privaten Versicherungsrechtes ein sog. Basistarif bei der privaten Krankenversicherung in Anspruch genommen werden konnte. Der tatsächlich von der privaten Krankenversicherung erhobene Basistarif betrage monatlich 320,65 EUR. Das beklagte Jobcenter gewähre dem Kläger allerdings lediglich einen monatlichen Zuschuss in Höhe von zuletzt 145,11 EUR.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2010 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger im Rahmen der ihm gewährten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II den Krankenversicherungszuschuss nach § 26 SGB II in Höhe der tatsächlich von ihm an die private Krankenversicherung zu leistenden Beiträge zu gewähren.

Mit ergänzenden Schriftsatz vom 29.08.2012 wies die Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass keineswegs höhere Beiträge des Klägers als der halbe Basistarif in Streit stünden.

Das beklagte Jobcenter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Jobcenter verweist darauf, dass im vorliegenden Verfahren § 40 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB II i.V.m. § 330 Abs.1 SGB III einer Abänderung des gewährten Zuschusses im Zugunstenverfahren entgegenstünde.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2011 kamen die Beteiligten überein, den streitgegenständlichen Fall entsprechend dem vom Bundesarbeitsministerium, Bundesgesundheitsministerium und dem Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. angekündigten Konzept einer Lösung zuzuführen (vgl. dazu auch die Antwort der Bundesregierung v. 25.10.2011 - BT-Drs. 17/7452 auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Mittlerweile hat nach Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. mitgeteilt, dass die privaten Versicherungsunternehmen grundsätzlich bereit sind, auf die durch die Begrenzung des Zuschusses nach § 26 SGB II entstandenen Beitragsschulden von Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu verzichten.

Die Klägerbevollmächtigte beantragte daher mit Schreiben vom 13.06.2012 bei der beigeladenen Krankenversicherung des Klägers einen Erlass der Beitragsschulden. Ein Schuldenerlass erfolgte bis heute nicht. Ebenso blieb eine schriftliche Anfrage des Gerichts vom 06.12.2012 bzw. eine telefonische Nachfrage vom 17.12.2012 bei der Central Krankenversicherung AG erfolglos.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Leistungsakten, die der Kammer vorgelegen haben und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist. Die Beteiligten sind vor dem Erlass des Gerichtsbescheids angehört worden.

Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht nach Auffassung der Kammer für den Zeitraum 01.06.2009 bis 30.11.2009 ein Anspruch auf Zuschuss zu den Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegversicherung bis zur Höhe des halben Basistarifs zu. Für die Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, da die private Krankenversicherung des Klägers, die Central Krankenversicherung AG, einen Beitragserlass bislang nicht gewährte. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann dem Anspruch auf Rücknahme nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X im streitgegenständlichen Verfahren nicht entgegengehalten werden, dieser sei gemäß § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III ausgeschlossen.

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 08.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2010, mit dem das beklagte Jobcenter die Abänderung des den Zeitraum vom 1.6.2009 bis 30.11.2009 betreffenden bestandskräftigen Bescheids vom 26.5.2009 abgelehnt hat. Auch im Überprüfungsverfahren ist zu berücksichtigen, dass der Zuschuss nach § 26 SGB II keine gesondert zu beantragende Leistung und damit kein abtrennbarer Streitgegenstand ist, sondern nur zusammen mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begehrt und überprüft werden kann (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 108/10 R). Daher ist der Klageantrag grundsätzlich, unter Berücksichtigung des "Meistbegünstigungsprinzips" (vgl hierzu nur: BSG Urteil vom 04.02.1999 - B 7 AL 120/97 R - SozR 3-6050 Art 71 Nr 11 S 57; BSG Urteil vom 10.3.1994 - 7 RAr 38/93 - BSGE 74, 77 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 47; BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 S 2 f; BSG Urteil vom 23.2.2005 - B 6 KA 77/03 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 S 4 f, jeweils mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 29.10.1975 - 2 BvR 630/73 - BVerfGE 40, 272, das auf eine "dem Beschwerdeführer günstige Auslegung" abstellt), unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen (§ 123 SGG), dass das Begehren des Klägers möglichst weitgehend zum Tragen kommt.

Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass bezüglich der sonstigen Höhe der SGB II-Leistungen keine Bedenken bestehen und solche vom Kläger auch nicht vorgetragen wurden.

2. Für die streitgegenständliche Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Die Gerichte haben die Aufgabe, den Bürgern und der Verwaltung zu ihrem Recht zu verhelfen, soweit das notwendig ist. Soweit eine Möglichkeit besteht, das Recht außergerichtlich durchzusetzen, besteht kein Anlass, die Hilfe der Gerichte zur Verfügung zu stellen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, Vorbemerkung § 51 Rn. 16 ff.). Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt auch, wenn das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreicht werden kann (BSG NZS 1999, 346). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat zwar gegenüber der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass die privaten Krankenversicherungen nach Auskunft des Verbands der privaten Krankenversicherungen e.V. grundsätzlich bereit sind, auf die durch die Begrenzung des Zuschusses nach § 26 SGB II entstandenen Beitragsschulden von Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu verzichten (vgl. Verfahrensinformation SGB II der BA vom 12.03.2012 - PEG 2-II-1308.2/II-5215). Der Antrag auf Schuldenerlass stellt somit grundsätzlich einen einfacheren und möglicherweise schnelleren Weg dar, um das eigentliche Rechtsschutzziel zu erreichen. Der Kläger hat vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 13.06.2012 bei der Central Krankenversicherung AG einen Schuldenerlass beantragt. Eine Nachricht hat der Kläger bislang nicht erhalten. Eine schriftliche Anfrage des Gerichts vom 06.12.2012 bzw. eine telefonische Nachfrage vom 17.12.2012 blieben ebenfalls erfolglos.

Der Kläger hat somit alles in seiner Macht stehende getan, um auf einfache und schnelle Weise das Rechtsschutzziel zu verwirklichen. Da die Central Krankenversicherung AG bislang einem Schuldenerlass nicht zugestimmt hat, besteht für die Klage gegenüber dem Jobcenter ein Rechtsschutzbedürfnis.

3. Die vom beklagten Grundsicherungsträger geltend gemachten Ausnahmen für die Rücknahme bzw. Abänderung eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III) liegen nicht vor (vgl. dazu auch Luik SRa 2011, 85 ff.)

§ 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X in der hier bis 31.03.2011 anwendbaren Fassung (§ 77 Abs. 13 SGB II n. F.) bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs 4 Satz 1 SGB X).

Vorliegend liegen diese Voraussetzungen vor. Das BSG hat mit Urteil v. 18.1.2011 - B 4 AS 108/10 R - entschieden, dass ein privat krankenversicherter Bezieher von Alg II-Leistungen die Übernahme seiner unterhalb des hälftigen Höchstbetrags zur gesetzlichen Krankenversicherung liegenden Beiträge zur privaten Krankenversicherung im Wege einer analogen Anwendung der für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen geltenden Regelung von dem SGB 2-Träger beanspruchen kann (zur Beschränkung auf den hälftigen Basistarif vgl. aus BSG, Urteil v. 16.10.2012 - B 14 AS 11/12 R; BayLSG v. 29.6.2011 - L 16 AS 337/11 B ER = info also 2011, 227; LSG BW v. 18.01.2012 - L 3 AS 3615/11). Daher entsprach die Praxis des Jobcenters, den Zuschuss auf die Höhe der Beiträge, die in der gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten sind, nach Auffassung des BSG nicht der richtigen Rechtsanwendung.

Nach § 330 Abs 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen, wenn die in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist.

Die zeitliche Einschränkung der rückwirkenden Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, der eine Leistung vorenthalten hat, gilt dann nicht, wenn das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X schon vor der Entstehung der ständigen Rechtsprechung in Gang gesetzt worden ist (BSG, Urteil v. 08.02.2007 - B 7a AL 2/06;vgl im Ansatz schon BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 - B 7a AL 12/05 R -, SozR 4-4300 § 71 Nr 2 RdNr 11). Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger hat im November 2009 einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt. Es kann daher offen bleiben, ob bereits mit der Entscheidung des BSG vom 18.1.2011 a.a.O. eine ständige Rechtsprechung entstanden ist. Dies könnte zumindest wegen der abweichenden Entscheidung des LSG NRW v. 03.03.2011 - L 19 AS 70/11 B ER fraglich sein.

Zum zeitlichen Anwendungsbereich von § 330 SGB III führt das BSG im Urteil vom 08.02.2007 a.a.O. aus:

"Die Vorschrift des § 330 SGB III dient ausschließlich den Interessen der Beklagten. Nach der Begründung zur Vorgängerregelung des § 152 AFG (BT-Drucks 12/5502, S 37 zu Nr 43; siehe auch BT-Drucks 8/2034, S 37) soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass die Arbeitsämter - anders als die meisten Sozialversicherungsträger - die Leistungen überwiegend kurzfristig zu erbringen haben, sodass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden sind. Die Beklagte soll damit von einer massenhaft rückwirkenden Korrektur von Verwaltungsakten entlastet werden. Ob diese - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bedingte - Abweichung von den Regeln der §§ 44 ff SGB X, die zwischen dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auf der einen Seite und dem Vertrauensschutz der Versicherten auf der anderen Seite ausgewogene Lösungen enthalten, sinnvoll ist, wird in der Literatur bezweifelt (vgl Vor in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 31 RdNr 9). Zwar bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 330 Abs 1 SGB III nicht (vgl BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 10 S 39 f mwN); die sozialpolitisch zweifelhafte Zielsetzung der Norm legt jedoch eine enge Auslegung nahe. Denn es ist nicht verständlich, dass sich Fehler bei einem Versicherungsträger, nur weil sie angeblich gehäuft vorkommen, weniger einschneidend auswirken sollen als in anderen Bereichen des Sozialrechts (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 330 Rz 18 und Rz 2, Stand November 2006). Jedenfalls wenn ein Betroffener - wie vorliegend - bereits vor dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt hat, darf er nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der eine "ständige Rechtsprechung" iS von § 330 Abs 1 SGB III herbeigeführt hat. Denn dieser ist den Beschränkungen des § 330 Abs 1 SGB III noch nicht unterworfen. § 330 Abs 1 Alt 2 SGB III soll nur verhindern, dass so genannte "Trittbrettfahrer" von den Entscheidungen des BSG profitieren. Das kann dem Kläger nicht vorgehalten werden."

Aus oben genannten Gründen wird auch in der Literatur die Ansicht vertreten, dass für die vorliegende Fallkonstellation - Einleitung des Überprüfungsverfahrens vor der BSG-Rechtsprechung - ein Anspruch auf Nachzahlung zu den Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegversicherung bis zur Höhe des halben Basistarifs besteht (vgl. dazu auch Luik SRa 2011, 85 ff.).

Da der Gesetzgeber bzw. die Bundesregierung in Absprache mit dem Verband der privaten Krankenversicherungen e. V. nicht in der Lage war, für die ab 01.01.2009 angehäuften Schulden eine rechtssichere Regelung zu schaffen, war aus oben genannten Gründen der Klage stattzugeben.

Bisher für den streitgegenständlichen Zeitraum geleistete Zahlungen bezüglich der Kranken- und Pflegeversicherung sind jedoch anzurechnen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, A-Stadt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Rechtskraft
Aus
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