S 10 R 4089/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 R 4089/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der Beklagten vom 29.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2012 wird für die Zeit ab 01.01.2012 aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass der Kläger ab 01.01.2012 nach § 6 Absatz 1 Nr. 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit ist.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten.

Tatbestand:

Streitig ist eine Befreiung des bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) angestellten Klägers von der Rentenversicherungspflicht wegen seiner ab 03.11.2010 erfolgten (Wieder-)Zulassung als Rechtsanwalt.

Der Kläger schloss seine Ausbildung zum Volljuristen 2005 mit dem zweiten juristischen Staatsexamen ab und war zunächst zwei Jahre in der Verwaltung und Systemadministration der Krankengymnastikpraxis A. in A-Stadt tätig und gleichzeitig als freiberuflicher Anwalt (Mitgliedschaft in der Anwaltskammer Nürnberg von August 2006 bis Dezember 2007).

Im Dezember 2007 nahm der Kläger seine angestellte Tätigkeit bei der KVB auf einer zeitlich befristeten Stelle als Sachbearbeiter auf. Er arbeitete sich dort schnell hoch zur Funktion eines stellvertretenden Projektleiters (ab Oktober 2008) sowie schließlich eines verantwortlichen Projektleiters (ab September 2009). Mit Wirkung ab 06.09.2009 wurde der Kläger von seinem Arbeitgeber gemäß seinem aktuell geltenden Arbeitsvertrag vom 27.04.2009 als Volljurist auf unbestimmte Zeit eingestellt.

Laut Nachtrag vom 09.07.2009 zum Arbeitsvertrag vom 27.04.2009 wurde der Kläger ab 01.08.2009 von der Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung befreit und erhält eine Zusatzleistung in Höhe von 10 % der vereinbarten monatlichen Bruttovergütung, womit Mehrarbeit bis zu einer Gesamtarbeitsdauer von 48 Stunden wöchentlich abgegolten wird.

Am 20.12.2010 ging bei der Beklagten der Antrag des Klägers vom 08.12.2010 auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ein. Der Kläger teilte hierzu mit, dass er als Angestellter in der Funktion "Fachreferent Vertrag" bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns tätig ist. Er beantrage die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund seiner zum 03.11.2010 erfolgten Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer Nürnberg.

Auf Bl. 2 des Antragsformulars steht unter Ziffer 5 eine Erklärung des Arbeitgebers. Hier ist unter Ziffer 5.2. die folgende Formulierung im Formular vorgesehen: "Dem Antragsteller wird bestätigt, dass er in unserem Unternehmen/Verband als Rechtsanwalt tätig ist". Der Arbeitgeber des Klägers hat diese Arbeitgebererklärung am 14.12.2010 ausgefüllt und dabei das Wort "Rechtsanwalt" durchgestrichen und handschriftlich durch die Wörter "Fachreferent Vertrag" ersetzt. Dem Befreiungsantrag lag außerdem eine von der KVB am 21.09.2010 ausgestellte Nebentätigkeitsgenehmigung bei, mit welcher dem Kläger die Ausübung seines Anwaltsberufs unwiderruflich gestattet wurde. Des Weiteren lag dem Befreiungsantrag vom 08.12.2010 eine von der KVB am 30.11.2010 ausgestellte Tätigkeitsbeschreibung bei. Darin heißt es, der Kläger sei bei der KVB als Fachreferent Vertrag in CoC Honorarprüfung tätig. Dieses Referat sei Ansprechpartner bei Fragen zur Abrechnungsprüfung gemäß § 106 a SGB V und Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung werde durch die Prüfungsstelle Ärzte Bayern, einer von der KVB unabhängigen Einrichtung durchgeführt, wobei die KVB ihre Mitglieder bei Verfahren der Prüfungsstelle Ärzte Bayern unterstützt und berät sowie als Beteiligte an den Verfahren mitwirkt. Zudem obliege es der CoC-Honorarprüfung, die Verträge zur Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V und zur Abrechnungsprüfung nach § 106 a SGB V mit den Krankenkassen zu verhandeln und zu vereinbaren. Das CoC-Honorarprüfung wirke schließlich auch bei den Tätigkeiten innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Prüfung Ärzte Bayern mit.

Der Tätigkeitsbereich des Klägers umfasse insbesondere folgende Aufgaben: Er berate seine Vorgesetzten, insbesondere den Leiter des CoC-Honorarprüfung sowie Mitarbeiter aus anderen Bereich und Abteilungen der KVB, z.B. die IT, zu sämtlichen betriebsrelevanten konkreten Rechtsfragen im Bereich der Abrechnungsprüfung nach § 106 a SGB V und Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V sowie zu Vertragsgestaltungen und Vertragsthemen in diesem Rahmen. Dabei seien auch datenschutzrechtliche, steuerrechtliche, gesellschaftsrechtliche und verfahrensrechtliche Fragestellungen betroffen. Zu den Aufgaben des Klägers gehöre es, in diesem Bereich für die betriebliche Praxis geeignete Lösungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Themenbezogen stehe der Kläger auch den Mitgliedern der KVB als Ansprechpartner beratend zur Verfügung. Des Weiteren sei es Aufgabe des Klägers, die KVB in Sitzungen mit externen Verhandlungspartnern, insbesondere den Krankenkassen zu vertreten. Die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse beeinflusse der Kläger innerhalb seines Tätigkeitsbereichs maßgeblich, indem er Entscheidungsvorlagen für den Führungskreis und für den Vorstand erstelle und sich dabei eng mit der Rechtsabteilung abstimme. Zudem lege der Kläger rechtlich schwierige Sachverhalte dar, biete seinen Vorgesetzten Entscheidungsmöglichkeiten und offeriere Beschlussvorschläge. Der Kläger unterstütze seine Vorgesetzten und den Vorstand bei der Kommunikation, indem er Antwortenentwürfe erstelle bzw. selbst mit den Mitgliedern der KVB, den Krankenkassen, der Prüfungsstelle Ärzte Bayern, Rechtsanwälten und dem Ministerium in Kontakt trete. Zum Tätigkeitsbereich des Klägers gehöre es auch, Vertragsverhandlungen zu führen und die Gestaltung und entsprechende Erstellung der Vertragsentwürfe zu übernehmen. Dabei seien beispielhaft die Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen zur Errichtung der ARGE-Prüfung Ärzte Bayern, die Gestaltung des Gesellschaftsvertrages und der Prüfungsvereinbarung sowie der Entwurf der Vereinbarungen gemäß § 106 Abs. 3 und § 106 a Abs. 5 SGB V genannt. Der Kläger sei zudem für die Abfassung juristischer Kurzgutachten in seinem Themenbereich zuständig.

In einer weiteren "ergänzenden Tätigkeitsbeschreibung" der KVB vom 25.03.2011 wird bestätigt, dass der Kläger im Regelfall zusammen mit einer Verhandlungskommission der KVB innerhalb eines vom Vorstand schriftlich erteilten Verhandlungsmandats mit den Krankenkassen, der Prüfungsstelle Ärzte Bayern, der Arbeitsgemeinschaft Prüfung Ärzte Bayern, dem KVB-Kompetenzzentrum Labor, der Arbeitsgemeinschaft Labor, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und anderen kassenärztlichen Vereinigungen über Verträge, die Wirtschaftlichkeitsprüfung, die Plausibilitätsprüfung und den Datenschutz betreffend verhandle. Die Verträge würden grundsätzlich vom Kläger entworfen und zusammen mit der Rechtsabteilung finalisiert. Nach Übereinkunft mit den jeweiligen Vertragsparteien werden diese Verträge vom Vorstand der KVB unterschrieben und würden im Vorstand nicht mehr in rechtlicher Hinsicht geprüft. Sie würden auch, soweit sich die Ergebnisse im Rahmen des erteilten Verhandlungsmandats bewegten, im Regelfall wie vorgeschlagen unterschrieben.

Für die in dieser ergänzenden Tätigkeitsbeschreibung außerdem erwähnte Aufgabe des Klägers als Vertreter der KVB vor den Sozialgerichten fand sich laut einer (unprotokollierten) mündlichen Bemerkung des Klägers in der Verhandlung vom 02.10.2012 bis dato noch kein praktischer Anwendungsfall.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht mit Bescheid vom 29.08.2011 ab. In der Begründung wird u.a. ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers als Jurist bei der KVB könne schon deshalb nicht als anwaltliche qualifiziert werden, weil bei der Einstellung nicht die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verlangt gewesen sei und bisher nicht dargelegt worden sei, inwieweit sich seine Aufgabe zwischenzeitlich so geändert habe, dass nun eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erforderlich geworden sei. Der Kläger sei auch nach der Tätigkeitsbeschreibung vom 30.11.2010 sowie den Angaben des Arbeitgebers zum streitgegenständlichen Befreiungsantrag vom 08.12.2010 ausdrücklich als "Fachreferent Vertrag" und nicht als Rechtsanwalt tätig. Des Weiteren seien die für eine anwaltliche Tätigkeit zu fordernden Merkmale der Rechtsgestaltung und der Rechtsentscheidung nicht nachgewiesen. Aus den arbeitgeberseitigen Angaben zum Aufgabenbereich des Klägers ergebe sich weder ein außenwirksames Auftreten als rechtskundiger Entscheidungsträger noch eine eigene Entscheidungskompetenz.

Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger mit Schriftsatz vom 07.11.2011 vor, während seiner Tätigkeit bei der KVB habe sich (entgegen der Auffassung der Beklagten) mehrfach die ihm übertragene Aufgabenstellung geändert und fortentwickelt. Erst ab November 2010 sei der endgültige Aufgabenumfang festgestanden, welcher sich in einer Höhergruppierung ab Januar 2011 manifestiert habe. Hinsichtlich des anwaltstypischen Merkmals einer "rechtsentscheidenden Tätigkeit" verwies der Kläger auf eine "klar erkennbare wesentliche Teilhabe an den innerbetrieblichen Entscheidungsprozessen". Aus dem Vorhandensein einer Rechtsabteilung könne nicht grundsätzlich geschlossen werden, dass es keine rechtsanwaltlichen Tätigkeiten in anderen Organisationseinheiten gebe.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2012 zurück.

Hiergegen erfolgte am 12.04.2012 die Erhebung der vorliegenden Klage zum Sozialgericht Regensburg.

Der Kläger trug in seiner Klagebegründung vom 12.04.2012 neben seinen bereits oben dargestellten Argumentationen weiter vor, dass aus seiner Sicht der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz sowie auch der Grundsatz des Gesetzesvorbehalt (Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Grundgesetz) mit zu berücksichtigen seien.

Des Weiteren legte der Kläger zur Begründung seiner Klage ein Schreiben vom 06.12.2011 vor, wonach er vom Vorstand der KVB mit Wirkung ab 01.01.2012 als Mitglied in den "Beschwerdeausschuss Ärzte Bayern" berufen wurde.

Außerdem übersandte er eine (dritte) Tätigkeitsbeschreibung der KVB vom 08.08.2011, in welcher bestätigt wird, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als berufenes Mitglied des Beschwerdeausschusses Ärzte Bayern nicht weisungsgebunden sei. Er vertrete dort zwar die Interessen der KVB, trete jedoch außenwirksam als Volljurist auf und entscheide über Prüfverfahren.

Der Kläger b e a n t r a g t,

den Bescheid der Beklagten vom 29.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2012 aufzuheben und fest- zustellen, dass der Kläger ab 03.11.2010 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit ist.

Die Beklagte b e a n t r a g t,

die Klage abzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die gerichtliche Streitakte und alle in diesen Akten enthaltenen Schriftsätze und Äußerungen der Parteien verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist in dem sich aus Ziffer I und II des Urteilstenors ergebenden Umfang begründet, im Übrigen jedoch abzuweisen.

Die gesetzlich normierten Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind im vorliegenden Fall insoweit unstreitig erfüllt, als der Kläger ab 03.11.2010 als Mitglied der Rechtsanwaltskammer Nürnberg und aufgrund des "Gesetzes über die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung" Pflichtmitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung ist.

Die angestellte Tätigkeit des Klägers für die KVB erfüllt ab dem Zeitpunkt seiner Berufung als Mitglied des Beschwerdeausschusses Ärzte Bayern, also ab 01.01.2012 auch das weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, nämlich das Erfordernis einer "berufsgruppentypischen" Tätigkeit.

Nach der vielfach in der Rechtsprechung herausgebildeten Überzeugung kommt es für die Beurteilung der Frage, ob eine berufstypische Tätigkeit als sog. Syndikusanwalt (heute erscheint die Bezeichnung als Unternehmensanwalt zutreffender, siehe ebenso Martin Huff in: Wissenswerte Informationen der Rechtsanwaltskammer Nürnberg – WIR -, Heft 2011/1, Seite 4) bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber gegeben ist, auf das Vorliegen von vier kommulativ zu erfüllende Kriterien an: Die Tätigkeit müsse eine rechtsberatende, rechtsentscheidende, rechtsgestaltende und rechtsvermittelnde darstellen (vgl. z.B. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.03.2004 – L 4 RA 12/03, juris, RdNr. 35; LSG Hes-sen, Urteil vom 29.10.2009 – L 8 KR 189/08, juris, RdNr. 41; SG München, Ge-richtsbescheid vom 29.03.2012 – S 31 R 488/11, juris, RdNr. 22; vgl. auch Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI K § 6 RdNr. 64).

Diese Kriterien wurden von der Beklagten selbst gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV) 2005 entwickelt und im Merkblatt "Hinweise für nicht anwaltliche Arbeitgeber zu den Merkmalen einer anwaltlichen Tätigkeit" veröffentlicht (sh. auch: Silvia Gäbler, Anmerkung zum Urteil des SG München vom 23.08.2011 – S 12 R 1574/10, EWiR 2012, 31, in Kurzfassung veröffentlicht bei juris sowie Jung/Horn, Mitteilungen der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, 2010, 317).

Hierbei kommt es, nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung nicht auf die Bezeichnung sondern auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers an. Dabei umfasst das Kriterium der Rechtsberatung die unabhängige Analyse von betriebsrelevanten, konkreten Rechtsfragen, die selbständige Herausarbeitung und Darstellung von Lösungswegen und Lösungsmöglichkeiten vor dem spezifischen betrieblichen Hintergrund und das unabhängige Bewerten der Lösungsmöglichkeiten (vgl. SG Mannheim, Urteil vom 22.06.2011 – S 11 R 1277/10; LSG Hessen, Urteil vom 29.10.2009 – L 8 KR 189/08, juris RdNr. 41; siehe auch SG München, Urteil vom 28.04.2011 – S 30 R 1451/10, juris, RdNrn. 24 und 25). Die Rechtsentscheidung beinhaltet das nach außen wirksame Auftreten als Entscheidungsträger mit eigenständiger Entscheidungskompetenz (vgl. SG Mannheim, ebenda sowie auch LSG Hessen, aaO, RdNr. 43). Unter der Rechtsgestaltung wird das eigenständige Führen von Vertrags- und Einigungsverhandlungen verstanden (vgl. SG Mannheim, ebenda sowie LSG Hessen, aaO, RdNr. 44). Der Tätigkeitsbereich der Rechtsvermittlung umfasst die mündliche Darstellung abstrakter Regelungskomplexe vor einem größeren Zuhörerkreis, bzw. deren schriftliche Aufarbeitung und Bekanntgabe sowie Erläuterung von Entscheidungen im Einzelfall (vgl. SG Mannheim, ebenda sowie LSG Hessen, aaO, RdNr. 45).

Die Tätigkeit des Klägers erfüllt unstreitig die beiden Merkmale der Rechtsberatung und Rechtsvermittlung.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist im vorliegenden Fall auch eindeutig das Kriterium der Rechtsgestaltung erfüllt, da der Kläger eigenständig Vertrags- und Einigungsverhandlungen mit zum Teil großer Tragweite und ganz erheblichem wirtschaftlichem Umfang im Rahmen der Vereinbarungen nach § 106 SGB V sowie der 106 a-Vereinbarungen führt. Dies ergibt sich aus den o.g. Tätigkeitsbeschreibungen der KVB vom 30.10.2010, vom 25.03.2011 und vom 08.08.2012, welche der Kläger vorgelegt hat. Daher sieht das Gericht auch das Kriterium der "rechtsgestaltenden" Tätigkeit bei dem Kläger bereits ab 03.11.2010 als erfüllt an, da ihm in seiner Eigenschaft als Projektleiter und Fachreferent maßgebliche Mitveranwortung für die Abfassung der Verträge innerhalb des Kompetenzzentrums Honorarprüfung übertragen ist.

Allerdings fehlte es nach Überzeugung der Kammer im Einklang mit der Einschätzung der Beklagten vor dem 01.01.2012, also vor der Berufung des Klägers als Mitglied des Beschwerdeausschusses Ärzte Bayern, noch an der ausreichenden Erfüllung des Kriteriums der rechtsentscheidenden Tätigkeit im Sinn eines nach außen wirksamen Auftretens als Entscheidungsträger mit eigenständiger Entscheidungskompetenz: Wie sich aus den drei genannten Tätigkeitsbeschreibungen, aus dem vom Kläger vorgelegten Organigramm der KVB wie auch aus seinen Schriftsätzen und Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vom 02.10.2012 ergibt, werden die Entscheidungen betreffend der Prüfungsvereinbarungen nach § 106 SGB V sowie der 106 a-Vereinbarungen und der Datenschutzprojekte letztlich nicht vom Kläger, sondern von dem übergeordneten Bereichsleiter bzw. der Geschäftsführung bzw. dem Vorstand getroffen (sh. zur Problematik auch die Ausführungen im oben zitierten Aufsatz von Jung/Horn, dort unter Punkt 2 "Arbeitsrechtliche Stellung").

Soweit dem Kläger von der KVB die Vertretung der in seinem Aufgabengebiet an-fallenden sozialgerichtlichen Streitigkeiten vor Gericht übertragen ist, wäre diese Tätigkeit, da sie naturgemäß wohl mit der Erteilung einer Vollmacht zur Abgabe prozessleitender bzw. prozessbeendigender Erklärungen verbunden wäre, geeignet, das Merkmal der auch nach außen sichtbaren rechtsentscheidenden Tätigkeit zu erfüllen; jedoch hat sich, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 02.10.2010 zugab, bisher noch kein praktischer Anwendungsfall ergeben.

Als Mitglied des Beschwerdeausschlusses der KVB schließlich ist der Kläger, wie aus der zuletzt vorgelegten Tätigkeitsbeschreibung der KVB vom 08.08.2012 klar hervorgeht, nicht weisungsgebunden. Er tritt dort auch außenwirksam als Volljurist auf und entscheidet über Prüfungsverfahren. Demgemäß sind ab der Berufung in diesen Ausschuss die oben dargestellten vier Merkmale einer von einem Unternehmensanwalt ausgeübten anwaltstypischen Tätigkeit kummulativ erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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