Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 80/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 5/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft ist nicht hinreichend nachgewiesen, wenn die KV im Ergebnis von unterschiedlichen Prozentsätzen zugestandener Vertreterfälle, die zwischen 4,8 % und 8,4 % und im Quartalsdurchschnitt bei 5,8 % bzw. 7,0 % liegen, ausgeht.
Eine KV ist verpflichtet, der substantiierten Behauptung, bei einem Großteil der Fälle sog. Doppeleinlesung handle es sich um Fälle einer Urlaubsvertretung, nachzugehen.
Eine KV ist verpflichtet, der substantiierten Behauptung, bei einem Großteil der Fälle sog. Doppeleinlesung handle es sich um Fälle einer Urlaubsvertretung, nachzugehen.
1. Die Bescheide vom 20.07.2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.01.2012 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Honorarrückforderung in Höhe von 22.081,91 EUR netto gegenüber dem Kläger zu 1) und von 23.809,88 EUR netto gegenüber dem Kläger zu 2) aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen der fünf Quartale III/06 und I bis IV/07 und hierbei insbesondere eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft der beiden Kläger.
Die Kläger sind als Internisten zur vertragsärztlichen Versorgung im hausärztlichen Versorgungsbereich mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie betreiben jeweils eine Einzelpraxis und nach eigenen Angaben seit 2001 eine Praxisgemeinschaft miteinander.
In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar der Kläger jeweils durch Honorarbescheid fest. Die Festsetzungen für die Quartale III/06 und I/07 im Einzelnen ergeben sich aus nachfolgender Übersicht: Kläger zu 1):
Honorarbescheid vom 17.03.2007 08.03.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 64.115,51 57.379.42
Bruttohonorar PK + EK in EUR 61.780,77 56.209,20
Fallzahl PK + EK 1.284 1.286
Fallzahl gesamt 1.334 1.329
Regelleistungsvolumen § 5 Abs. 3 HVV
Praxisbezogenes RLV in Punkten 921.564,0 908.602,4
Überschreitung in Punkten 102.743,5 1.012.355,5
Ausgleichsregelung § 5 Abs. 4 HVV
Auffüll-/Kürzungsbetrag je Fall EUR -- -4,8711
Auffüll-/Kürzungsbetrag gesamt in EUR -- -6.264,26
Kläger zu 2):
Quartal III/06 I/07
Honorarbescheid vom 17.03.2007 08.03.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 51.132,02 59.319,78
Bruttohonorar PK + EK in EUR 50.265,70 59.170,20
Fallzahl PK + EK 1.026 1.151
Fallzahl gesamt 1.058 1.175
Regelleistungsvolumen § 5 Abs. 3 HVV
Praxisbezogenes RLV in Punkten 776.989,8 852.282,8
Überschreitung in Punkten 831.477,0 910.960,0
54.487,2 58.677,2
Ausgleichsregelung § 5 Abs. 4 HVV
Auffüll-/Kürzungsbetrag je Fall EUR -- + 4,3791
Auffüll-/Kürzungsbetrag gesamt in EUR -- + 4.830,18
Die Beklagte forderte die Kläger unter Datum vom 28.05.2009 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale III/06 bis IV/07 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung zusammen mit der Honorarabrechnung des Partners der Praxisgemeinschaft einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Für die streitbefangenen Quartale habe sie eine hohe Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, deren Anzahl und prozentualer Anteil jeweils genannt wurde. In einer beigefügten Tabelle wurden pro Quartal zwei Behandlungsfälle beispielhaft genannt.
Die Kläger nahmen mit Schreiben vom 15.06.2006 gemeinsam Stellung. Sie trugen vor, bei den gemeinsamen Patienten handele es sich um Vertretungsfälle. Als Hausärzte hätten sie nur einen Teil Terminpatienten und einen relativ großen Anteil von Patienten ohne Termin. Bei Patienten, die nur ein Wiederholungsrezept oder eine Routineüberweisung haben wollten, werde kein Vertretungsfall aufgemacht, auch wenn der Hausarzt nicht da sei. Termine würde nur für den jeweiligen Arzt vergeben werden. Ein Termin beim Vertreter werde nur eingeräumt, wenn dies aus medizinischen Gründen erforderlich sei. Die Urlaubstermine würden frühzeitig per Aushang in der Praxis bekannt gemacht werden. Die Urlaubszeiten seien nicht besonders lang (1 bis 2 Wochen im Quartal, im Sommer höchstens 3 Wochen). Patienten ohne Termin werde mitgeteilt, dass ihr Arzt nicht da sei und dass sie evtl. warten sollten, bis er wieder da sei. Viele Patienten würden wegen ihrer Beschwerden auch lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Die Praxisgemeinschaft sei an jedem Werktag geöffnet, sodass sie vielleicht mehr Patienten mit chronischen Krankheiten hätten, die jederzeit einen Arzt brauchten oder haben wollten, der auch Zugriff auf ihre Daten habe. Es sei sicher so, dass fast alle Patienten im Vertretungsfall zum Praxisgemeinschaftspartner gingen und nicht zu einem anderen Arzt im Ort, sodass sich gegenseitige Vertretungsfälle häuften und nicht auf andere Praxen verteilten. Sie erzeugten nicht gemeinsame Patienten. Hinsichtlich der Beispielsfälle teilten sie mit, die Patienten seien jeweils vom Praxisgemeinschaftspartner untersucht worden, weil der Hausarzt abwesend gewesen sei (Vertretungs-Notfallschein).
Die Beklagte setzte jeweils mit Bescheid vom 20.10.2010 die strittige Honorarrückforderung für alle streitbefangenen Quartale fest. Die Beklagte listete die Einzelbeträge quartalsbezogen auf.
Hiergegen legten die Kläger mit Datum vom 07.08.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung ihrer Widersprüche trugen sie vor, das Einlesen der Krankenversicherungskarte in beiden Praxen sei zwar erfolgt, könne aber nicht als Indiz für missbräuchliche Fallzahlerhöhung gewertet werden. Das Einlesen sei nur aus organisatorischen Gründen erfolgt, weil mit einem hohen Prozentsatz zu erwarten sei, dass der Patient irgendwann im Quartal erneut in die Praxis komme, in der sein Hausarzt anwesend sei. Wenn sich am Ende des Quartals herausstelle, dass es bei einem Vertretungsfall geblieben sei, werde der "leere" Originalfall gelöst. Es werde keine "werthaltige" EBM-Ziffer abgerechnet. Sie hätten nicht gewusst, dass dieses Verfahren nicht in Ordnung sei. Sie hätten das Verfahren auch geändert. In keinem Fall seien Vertretungsfälle angelegt worden, um die Wartezeit zu verkürzen. Vertretungsfälle seien nur bei Abwesenheit eines Arztes angelegt worden. Lediglich die Freitagnachmittagssprechstunde von 14:30 Uhr bis 16:00 Uhr betrieben sie überwiegend abwechselnd. Es kämen dann nur Akutfälle zur Vertretung. Seltener komme es auch vor, dass ein Arzt an einem anderen Nachmittag abwesend sei oder die Vormittagssprechstunde nur teilweise stattfinde. Urlaubszeiten würden lange im Voraus angekündigt werden, Termine würden dann nicht vergeben werden. Wer wegen seiner Beschwerden dennoch komme, werde auch behandelt. Ihre Auswertung für die streitbefangenen Quartale habe ergeben, dass der weit überwiegende Teil der Vertretungsfälle jeweils im Urlaub des Partners der Praxisgemeinschaft angefallen sei. Beide Kläger fügten eine Aufstellung ihrer Urlaubszeiten sowie mehrseitige Tabellen mit den Vertretungsfällen an, für die sie auch den Grund der Behandlung angaben. Ferner nahmen sie nochmals zu den Beispielsfällen Stellung. Ergänzend führten sie durch ihre Prozessbevollmächtigte aus, die Kläger hätten sich gegenüber ihren Patienten stets als Praxisgemeinschaft dargestellt. Das gemeinsame Einlesen der Chipkarte habe lediglich der bürokratischen Vereinfachung gedient. Eine Vermehrung von Leistungen habe nicht stattgefunden. Eine gegenseitige Vertretung sei nicht zu beanstanden. Alle Fälle, bei denen eine Patientenidentität vorgeworfen werde, beruhten nach erfolgter Einzelfallprüfung auf dem Umstand, dass eine zulässige Vertretung im Urlaub, bei Fortbildungen, Wehrübungen und im Krankheitsfall erfolgt sei. Es müssten daher alle Fälle von angeblicher unberechtigter Doppelbehandlung herausgearbeitet und im Einzelnen benannt werden. Allein das Überschreiten des Aufgreifkriteriums von 20 % Patientenidentität lasse nicht zwingend den Vorwurf der Missbräuchlichkeit zu. Zudem liege für den Kläger zu 1) in den Quartalen III/06, II und IV/07 die Patientenidentität unter der 20%-Grenze.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheiden vom 25.01.2012 die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Kläger hätten die Praxisgemeinschaft missbräuchlich genutzt, um Patienten in beiden Praxen zu behandeln. Sie hätten mit ihrem Praxisgemeinschaftspartner einen hohen Anteil an Patienten gemeinsam behandelt, obgleich sie in der Organisationsgemeinschaft der Praxisgemeinschaft tätig gewesen seien. Der Prozentsatz der gemeinsamen Patienten stelle sich wie folgt dar:
Kläger zu 1)
Quartal Fallzahl (PK,EK,SKT) Anzahl identischer Patienten Quote identischer Patienten in %
III/06 1.282 217 16,93
I/07 1.286 331 25,74
II/07 1.335 221 16,55
III/07 1.405 303 21,57
IV/07 1.460 272 18,63
Kläger zu 2)
Quartal Fallzahl (PK,EK,SKT) Anzahl identischer Patienten Quote identischer Patienten in %
III/06 1.026 217 21,15
I/07 1.150 331 28,78
II/07 1.086 221 20,35
III/07 1.173 303 25,83
IV/07 1.165 272 23,35
Es seien die Behandlungsausweise bei beiden Ärzten gleichzeitig eingelesen worden, was unzulässig sei. Bei 50 Prüffällen habe sich folgendes Ergebnis ergeben:
Quartal Geprüfte Fälle Gleiches Einlesedatum in den Praxen
III/06 50 15
I/07 50 18
II/07 50 12
III/07 50 12
IV/07 50 16
Weiter führte sie Beispielfälle für jedes Quartal an, in denen bei gleichem Einlesetag die Behandlung erst später stattgefunden oder bereits vorher stattgefunden hatte durch den Kläger zu 1). Ferner nannte sie für jedes Quartal einen Beispielfall, in denen beide Kläger denselben Patienten behandelt hätten und auch die selben/vergleichbaren Leistungen abgerechnet hätten. Teilweise sei am gleichen Tag die Behandlung in der einen Praxis und das Einlesen der Krankenversichertenkate in der anderen Praxis vorgenommen worden. Die wechselseitigen Behandlungen (regelhaft mittels der Scheinkennung Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung) zielten nicht darauf ab, dass erforderliche, begleitende bzw. ergänzende diagnostische oder therapeutische Maßnahmen durchgeführt würden. Vielmehr finde eine Wiederholung bzw. Verdopplung der Leistungserbringung bei einem anderen Arzt statt. Dies sei aus deshalb der Fall, da beide Kläger keine signifikant unterschiedlichen Genehmigungen für die Leistungserbringung hätten. Damit stehe fest, dass die Kläger auch gegen ihre Verpflichtung der Koordination der hausärztlichen Versorgung verstoßen hätten. Sie hätten innerhalb einer Praxisgemeinschaft Patienten innerhalb eines Quartals ohne medizinische Notwendigkeit gemeinsam behandelt. Ausweislich der von den Klägern vorgelegten Einzelanalyse habe es Tage (abwechselnd Freitagnachmittag) gegeben, an denen der Kläger zu 2) die Praxis frühzeitig verlassen habe und der Kläger zu 1) die Patienten weiter behandelt habe. Bei zeitweiser Abwesenheit könne eine Vertretung nicht erfolgen. Jeder Vertragsarzt habe seine Tätigkeit persönlich und in Vollzeit auszuüben. Der Anteil der Ermittlung der gemeinsamen Patienten sei an der kleineren Praxis zu messen, da sonst bei stark unterschiedlicher Praxisgröße das Verhalten der größeren Praxis nicht beanstandet werden könne. Abweichend von ihren Feststellungen gebe der Kläger zu 2) die Fälle der Doppelbehandlungen für das Quartal III/06 mit 118, für die Quartale I bis IV/07 mit 80, 110, 70 und 146 Patienten und der Kläger zu 2) für das Quartal III/06 mit 136 Fällen und für die Quartale I bis IV/07 mit 220, 147, 156 und 149 Patienten an. Es kämen sicherlich Doppelfälle vor, die sachlich gerechtfertigt seien, diese Fälle träten jedoch in geringerem Umfang auf, als die Zahl der tatsächlich abgerechneten Doppelfälle. Da jedoch gleichzeitig Abrechnungsverstöße in jedem Quartal nachgewiesen seinen, seien die Abrechnungen implausibel. Die Kläger hätten jeweils grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich (nämlich wissentlich) die Versichertenkarten doppelt eingelesen. Dafür sprechen die Verstöße gegen die Bundesmantelverträge im Zusammenhang mit der Verwendung der Krankenversichertenkarte und die Verstöße gegen die Überweisungsregeln. Die Kläger hätten durch die missbräuchliche Nutzung der Praxisgemeinschaft Honorarvorteile erlangt. Die erhöhte Fallzahl der Praxis führe zu Vorteilen bei Budgetierungsregelungen. Darüber hinaus könne jede Einzelpraxis den Ordinationskomplex jeweils einmal im Behandlungsfall abrechen. Dagegen zähle die gemeinsame Behandlung eines Patienten durch mehrere Ärzte einer Gemeinschaftspraxis als ein Behandlungsfall, sodass die Gemeinschaftspraxis den Ordinationskomplex nur einmal pro Quartal erhöht um einen Punktaufschlag abrechnen könne. Die Honorarrückforderung habe im Wege der Schätzung erfolgen dürfen. Zugunsten der Kläger sei jeweils ein Sicherheitsabschlag von 30 % der gemeinsam behandelten Fälle zugrunde gelegt worden (d. h., dass von den doppelten Fällen 30 % wiederum als plausibel behandelt würden). Ferner werde die darüber hinaus verbliebene Anzahl der Fälle hälftig (50 %) auf die Praxisgemeinschaftspartner aufgeteilt werden (was wiederum eine Begünstigung darstelle). Hintergrund sei, dass Fälle wie doppelt eingelesene Krankenversichertenkarten, Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Notfälle und Überweisungen zur Auftragsleistung damit abgegolten würden.
Gegen die am 27.01.2012 zugestellten Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 20.02.2012 die Klage erhoben. Die zunächst bei der 11. Kammer zum Aktenzeichen erhobene Klage des Klägers zu 2) hat die Kammer mit Beschluss vom 26.03.2012 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem Verfahren des Klägers zu 1) verbunden.
Zur Begründung ihrer Klagen tragen die Kläger ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, ihre Praxisorganisation schließe eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform "Praxisgemeinschaft" aus. Sie hätten auch deckungsgleiche Sprechzeiten und seien in der Regel parallel in der Praxis präsent. Es bestehe weder ein Gewinnpooling noch ein sonstiges gemeinsames Wirtschaften. Der Kläger zu 1) unterschreite auch teilweise die von der Beklagten angenommene 20% Grenze. Für die Implausibilität sei die Beklagte nachweispflichtig. Hieran fehle es. Sie hätten jeweils eine medizinische Begründung für die Behandlungen des Patienten bei Abwesenheit des anderen Arztes dargelegt. Damit setze sich die Beklagte nicht auseinander. Auf das Doppeleinlesen der Karten am selben Tag komme es nicht an. Die im Widerspruchsbescheid vorgeworfene doppelte Leistungserbringung sei überwiegend aufgrund der Urlaubsabwesenheit des Partners der Praxisgemeinschaft erfolgt. Im Einzelnen verweisen sie auf ihre zur Gerichtsakte gereichte Analyse der Beispielsfälle. Das Problem der Patientenidentität setze sich auch in den Folgequartalen I bis IV/08 fort. Nach umfassenden Vortrag und eingehender Prüfung durch die Prüfstelle sei jedoch festgestellt worden, dass die Überschreitungen allesamt plausibel seien und das Prüfverfahren sei entsprechend eingestellt worden.
Der Kläger zu 1) beantragt,
den Bescheid vom 20.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 aufzuheben.
Der Kläger zu 2) beantragt,
den Bescheid vom 20.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, auffällig sei die gegenseitige Vertretungspraxis zwischen den Praxen. Aus dem Abrechnungsverhalten der klägerischen Praxen ergebe sich die Behandlungsstruktur einer Gemeinschaftspraxis. Die Grenze von 20 % sei keine "Toleranzgrenze" und bedeute auch nicht, dass bis zu dieser Höhe doppelt abgerechnet werden dürfe. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen abgeschlossene Richtlinie gehe lediglich davon aus, dass die Implausibilität bei einer Patientenidentität von mindestens 20 % zu vermuten sei. Eine Patientenidentität von geringerer Höhe könne ebenso implausibel sein. Die stundenweise Abwesenheit eines Arztes reiche nicht aus für die Annahme eines Vertretungsfalles. In den Folgequartalen seien die Verhältnisse unterschiedlich. Es lasse sich deshalb nicht auf eine unterschiedliche Spruchpraxis schließen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klagen sind zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klagen sind auch begründet. Die Bescheide vom 20.07.2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.01.2012 sind rechtswidrig. Sie waren daher aufzuheben.
Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.
Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Dies wird nunmehr durch den ab 01.01.2004 geltenden § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V klargestellt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte feststellt; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Dies galt auch bereits zuvor auf der Grundlage der genannten bundesmantelvertraglichen Regelungen.
Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten, auf § 82 Abs. 1 SGB V beruhenden bundesmantelvertraglichen Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil )Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R – SozR 4-2500 § 85 Nr. 22 = BSGE 96, 1 = Breith 2006, 715 = MedR 2006, 542 = GesR 2006, 499 = USK 2005-130, zitiert nach juris Rdnr. 11 m.w.N.)
Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z. B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R – juris Rdnr. 26 f. m.w.N.).
Bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft können Honorarbescheide korrigiert werden.
Für die berufliche Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung) (Ärzte-ZV) ist kennzeichnend, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmenerzielung. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist neben einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis grundsätzlich auch eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem "Goodwill") erforderlich, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Diese Form der Zusammenarbeit bedarf vorheriger Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Mit ihr wird vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen. Es verbleibt bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - SozR 4-5520 § 33 Nr. 6 = BSGE 96, 99 = ZMGR 2006, 148 = NZS 2006, 544 = GesR 2006, 450 = MedR 2006, 611 = Breith 2007, 185, juris Rn. 14 f. m.w.N.).
Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit Wirkung vom 1. Januar 2005 vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen (DÄ 2004, A-2555) geben in § 11 Abs. 2 für die Plausibilitätsprüfung bereits bei 20 % Patientenidentität in (teil )gebietsgleichen/versorgungsbereichs-identischen bzw. 30 % bei gebietsübergreifenden/versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften die Annahme einer Abrechnungsauffälligkeit vor. Diese Aufgreifkriterien lassen die in den Richtlinien vorgenommenen Grenzziehungen erkennen, dass jedenfalls dann, wenn zwei in der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebietes annähernd bzw. mehr als 50 % der Patienten in einem Quartal gemeinsam behandeln, tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Behandlung eines gemeinsamen Patientenstammes stattfindet. Bei einer derart hohen Patientenidentität muss das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation erfordert (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - aaO., Rdnr. 19 f.; BSG, Beschl. v. 05.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - juris Rdnr. 12).
Die Kammer hält es ferner für zutreffend, dass bei der Frage, wie viele Patienten gemeinsame sind, und ob dies nach ärztlicher Erfahrung noch plausibel ist, nur auf die jeweils kleinere Praxis abgestellt werden, denn sonst könnte bei stark unterschiedlicher Praxisgröße - selbst wenn in der kleineren Praxis ausschließlich Fälle abgerechnet würden, die auch in der größeren zur Abrechnung gelangen - das Verhalten der größeren Praxis überhaupt nicht beanstandet werden (so zutreffend LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 - L 12 KA 563/04 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Rdnr. 30 m.w.N., Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008 57265). Hinzu kommt, dass die Beklagte anhand einer Stichprobe von 50 Fällen pro Quartal festgestellt hat, dass 24 % bis 36 % der Behandlungsausweise der Stichprobe bei beiden Ärzten gleichzeitig eingelesen worden sind. Insofern haben die Kläger auch eingeräumt, solche "Doppeleinlesungen" vorgenommen zu haben. Solche "Doppeleinlesungen" haben die Kläger auch dann in nicht unerheblichem Umfang vorgenommen, wenn der Patient noch gar nicht von ihnen behandelt worden war. Die Beklagte hat in den angefochtenen Widerspruchsbescheiden im Einzelnen dargelegt, wann eine Einlesung erfolgen kann. Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dies hätten sie nicht gewusst. Sie müssen sich auch zurechnen lassen, dass solche "Doppeleinlesungen" den Anschein implausibler und missbräuchlicher Abrechnung hervorrufen.
Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R – aaO., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 – L 12 KA 563/04 – juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 – B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der beide Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen.
Nach diesen Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft aber nicht hinreichend nachgewiesen. Sie hat in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger zu 1) zwischen 17 % und 26 % und bei dem Kläger zu 2) bei 20 % bis 29 %beträgt. Dabei hält es die Kammer zunächst für unerheblich, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten bei dem Kläger zu 1) aufgrund seiner höheren Fallzahl z. T. Werte unterhalb der genannten 20 %-Grenze beträgt. Insofern handelt es sich bei der 20 %-Grenze um ein bloßes Aufgreifkriterium, dessen Erfüllung allein nicht zu einer Honorarkürzung führt. Entscheidend ist, ob bei einer näheren Prüfung der Behandlungsweise festgestellt wird, dass tatsächlich ein gemeinsamer Patientenstamm vorliegt. Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden. Dabei können auch Erfahrungswerte berücksichtigt werden, dass im hausärztlichen Bereich von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen ist. So weist das LSG Nordrhein-Westfalen auf Ermittlungen der KZV Nordrhein hin, die für ihren - vertragszahnärztlichen - Bereich einen Anteil von Doppelbehandlungen in Praxisgemeinschaften von 3 bis 5 % festgestellt habe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 60/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 59/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 19). Die Beklagte geht im Allgemeinen von einem Anteil von 5 % für Vertretungsscheine aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 - juris Rdnr. 50). Im hier vorliegenden Verfahren geht die Beklagte in den beiden Ausgangsbescheiden (S. 8 unten) von einer gegenseitigen Vertretung im Fachgruppendurchschnitt von unter 10 % aus. Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird. LSG Niedersachsen geht gleichfalls davon aus, dass bei Praxisgemeinschaften üblicherweise auftretende Patientenidentitäten deutlich geringer sind als 20 % (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 21.03.2012 - L 3 KA 103/08 - juris Rdnr. 23). Clemens weist darauf hin, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15 % beträgt (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 106a Rn 175). Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird.
Der Kürzungsmodus führt aber zu folgenden Ergebnissen:
Kläger zu 1):
Quartal Fallzahl Gem. Fälle 30 % %-Satz zugestandener Vertreterfälle III/06 1.334 217 65 4,9
I/07 1.329 331 99 7,4
II/07 1.378 221 66 4,8
III/07 1.443 303 91 6,3
IV/07 1.500 272 82 5,5
Summe 28,9
Durchschnitt 5,8
Kläger zu 2):
Quartal Fallzahl Gem. Fälle 30 % %-Satz zugestandener Vertreterfälle III/06 1.058 217 65 6,1
I/07 1.175 331 99 8,4
II/07 1.110 221 66 5,9
III/07 1.198 303 91 7,6
IV/07 1.189 272 82 6,9
Summe 34,9
Durchschnitt 7,0
Die Übersicht zeigt erheblich unterschiedliche Prozentsätze zugestandener Vertreterfälle, die zwischen 4,8 % und 8,4 % und im Durchschnitt bei 5,8 % bzw. 7,0 % liegen.
Die Beklagte hat sich ferner nicht substantiiert mit dem Einwand der Kläger auseinandergesetzt, es handele sich fast ausschließlich um Vertretungsfälle wegen Urlaubsabwesenheit oder am Freitagnachmittag. Die Beklagte greift lediglich die von den Klägern genannten Zahlen auf, um die Abweichungen von ihren Feststellungen zu betonen. Die Kläger haben im Widerspruchsverfahren Patientenlisten vorgelegt, in denen sie erläutert haben, wann sie welche Fälle des Praxisgemeinschaftspartners aus Vertretungsgründen behandelt haben. Dabei handelt es sich fast durchweg um Urlaubsvertretungen oder um Vertretungen an einem Freitagnachmittag vor Antritt des Urlaubs.
Nach den von den Klägern genannten Zahlen, die im Einzelnen mit Angabe der Diagnosen genannt werden, liegen folgende Vertretungsfälle vor, die überwiegend mit den angegebenen Urlaubszeiten übereinstimmen:
Kläger zu 1)
Quartal Fallzahl gesamt Vertretungsfälle nach Kl. Gem. Fälle nach Bekl. Differenz
III/06 1.334 118 217 99
I/07 1.329 80 331 251
II/07 1.378 110 221 111
III/07 1.443 70 303 233
IV/07 1.500 146 272 126
Summe 524 1344 820
Kläger zu 2)
Quartal Fallzahl Vertretungsfälle nach Kl. Gem. Fälle nach Bekl. Differenz
III/06 1.058 136 217 81
I/07 1.175 220 331 111
II/07 1.110 147 221 74
III/07 1.198 156 303 147
IV/07 1.189 149 272 123
Summe 808 1344 536
Die Beklagte setzt sich nicht damit auseinander, ob es sich bei den von den Klägern vorgetragenen und belegten Vertretungsfällen tatsächlich um Vertretungsfälle handelt, die berechtigt oder unberechtigt waren. Angesicht der Vielzahl der Fälle oblag es nunmehr der Beklagten, durch eingehendere Prüfung eine ggf. fortbestehende Implausibilität nachzuweisen.
Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass ein Vertretungsfall nur dann angenommen werden kann, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund "an der Ausübung seiner Praxis verhindert" sei, d. h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen bleibt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 08.06.2007 - L 3 KA 9/07 ER - juris Rdnr. 31). Bereits nach dem Bundesmantelvertrag im Primärkassenbereich in der bis Juni 2007 geltenden Fassung war der Vertragsarzt gehalten, seine Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereiches festzusetzen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä). Bei der Verteilung der Sprechstunden auf den einzelnen Tag sollen die Besonderheiten des Praxisbereiches und die Bedürfnisse der Versicherten (z. B. durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen) berücksichtigt werden (§ 17 Abs. 2 BMV-Ä). Der Vertragsarzt war und ist gehalten, in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen. Dies folgt bereits aus seinen allgemeinen vertragsärztlichen Pflichten (§ 95 Abs. 3 SGB V). Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV). Nur bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung kann er sich innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, so ist sie der Kassenärztlichen Vereinigung mitzuteilen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und 4 Ärzte-ZV). Eine Gemeinschaftspraxis kann nicht unter Hinweis auf die generelle Vertretungsbefugnis wie eine Praxisgemeinschaft geführt werden; der Vertragsarzt hat in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 R - juris Rdnr. 40 ff.)
Die Beklagte hat die von den Klägern vorgelegten Urlaubsaufstellungen nicht bestritten. Sie setzt sich aber nicht damit auseinander, in welchem Umfang solche Urlaubsvertretungen angefallen sind und von ihr als zulässig anerkannt werden oder aus welchen Gründen sie nicht anerkannt werden.
Nicht alle der fünf aufgeführten Beispielsfälle sind implausibel. Im Behandlungsfall Z., Quartal III/06, war die Patientin nach den Angaben im Widerspruchsbescheid am 13.07.2006 zunächst bei dem Kläger zu 1) erschienen. Offensichtlich erschien sie ohne Versichertenkarte. Dann wurde sie bei dem Kläger zu 2) am 14.08.2006 behandelt. Dabei wurde für den Kläger zu 1) die Versichertenkarte eingelesen. Dieses nachträgliche Einlesen der Versichertenkarte bei vorangehender Behandlung hält die Kammer grundsätzlich für zulässig. Auch der weitere Behandlungsablauf zeigt, dass die Patientin des Klägers zu 1) von dem Kläger zu 2) nur in Zeiten der urlaubsbedingten Abwesenheit des Klägers zu 1) behandelt wurde.
Im Behandlungsfall X., Quartal I/07, konnte in der mündlichen Verhandlung geklärt werden, dass für den Kläger zu 2) lediglich auf die Helferin delegierbare Leistungen in dessen Abwesenheit am 10.01.2007 eingetragen worden waren. Auch der weitere Behandlungsverlauf zeigt nur eine Tätigkeit des Klägers zu 1) in Zeiten der urlaubsbedingten Abwesenheit des Klägers zu 2). Gleiches gilt für die Behandlungsfälle N., Quartal III/07, und Y., Quartal IV/07.
Aber auch unterstellt, die Beklagte hätte hinreichend einen Formenmissbrauch nachgewiesen, so hat sie aus den genannten Gründen ihr Schätzungsermessen fehlerhaft ausgeübt.
Soweit sich die Beklagte entschließen sollte, eine neue Honorarberichtigung vorzunehmen, so wird sie sich mit den Einwendungen der Kläger im Widerspruchsverfahren auseinanderzusetzen haben. Die vorgelegten Fälle hat sie im Einzelnen zu überprüfen, ob es sich um tatsächliche Vertretungsfälle gehandelt hat. Soweit der verbleibende Anteil gemeinsamer Patienten über 20 % liegt, so fehlt es an einer Plausibilität der Abrechnung. Soll die Behandlung auf entsprechenden Wunsch des Patienten erfolgt sein, so bedarf es der Vorlage einer zeitnah erstellten Dokumentation hierüber.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Honorarrückforderung in Höhe von 22.081,91 EUR netto gegenüber dem Kläger zu 1) und von 23.809,88 EUR netto gegenüber dem Kläger zu 2) aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen der fünf Quartale III/06 und I bis IV/07 und hierbei insbesondere eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft der beiden Kläger.
Die Kläger sind als Internisten zur vertragsärztlichen Versorgung im hausärztlichen Versorgungsbereich mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie betreiben jeweils eine Einzelpraxis und nach eigenen Angaben seit 2001 eine Praxisgemeinschaft miteinander.
In den streitbefangenen Quartalen setzte die Beklagte das Honorar der Kläger jeweils durch Honorarbescheid fest. Die Festsetzungen für die Quartale III/06 und I/07 im Einzelnen ergeben sich aus nachfolgender Übersicht: Kläger zu 1):
Honorarbescheid vom 17.03.2007 08.03.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 64.115,51 57.379.42
Bruttohonorar PK + EK in EUR 61.780,77 56.209,20
Fallzahl PK + EK 1.284 1.286
Fallzahl gesamt 1.334 1.329
Regelleistungsvolumen § 5 Abs. 3 HVV
Praxisbezogenes RLV in Punkten 921.564,0 908.602,4
Überschreitung in Punkten 102.743,5 1.012.355,5
Ausgleichsregelung § 5 Abs. 4 HVV
Auffüll-/Kürzungsbetrag je Fall EUR -- -4,8711
Auffüll-/Kürzungsbetrag gesamt in EUR -- -6.264,26
Kläger zu 2):
Quartal III/06 I/07
Honorarbescheid vom 17.03.2007 08.03.2008
Nettohonorar gesamt in EUR 51.132,02 59.319,78
Bruttohonorar PK + EK in EUR 50.265,70 59.170,20
Fallzahl PK + EK 1.026 1.151
Fallzahl gesamt 1.058 1.175
Regelleistungsvolumen § 5 Abs. 3 HVV
Praxisbezogenes RLV in Punkten 776.989,8 852.282,8
Überschreitung in Punkten 831.477,0 910.960,0
54.487,2 58.677,2
Ausgleichsregelung § 5 Abs. 4 HVV
Auffüll-/Kürzungsbetrag je Fall EUR -- + 4,3791
Auffüll-/Kürzungsbetrag gesamt in EUR -- + 4.830,18
Die Beklagte forderte die Kläger unter Datum vom 28.05.2009 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale III/06 bis IV/07 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung zusammen mit der Honorarabrechnung des Partners der Praxisgemeinschaft einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Es sei analysiert worden, wie viele Patienten von beiden Ärzten gemeinsam behandelt und abgerechnet worden seien. Für die streitbefangenen Quartale habe sie eine hohe Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, deren Anzahl und prozentualer Anteil jeweils genannt wurde. In einer beigefügten Tabelle wurden pro Quartal zwei Behandlungsfälle beispielhaft genannt.
Die Kläger nahmen mit Schreiben vom 15.06.2006 gemeinsam Stellung. Sie trugen vor, bei den gemeinsamen Patienten handele es sich um Vertretungsfälle. Als Hausärzte hätten sie nur einen Teil Terminpatienten und einen relativ großen Anteil von Patienten ohne Termin. Bei Patienten, die nur ein Wiederholungsrezept oder eine Routineüberweisung haben wollten, werde kein Vertretungsfall aufgemacht, auch wenn der Hausarzt nicht da sei. Termine würde nur für den jeweiligen Arzt vergeben werden. Ein Termin beim Vertreter werde nur eingeräumt, wenn dies aus medizinischen Gründen erforderlich sei. Die Urlaubstermine würden frühzeitig per Aushang in der Praxis bekannt gemacht werden. Die Urlaubszeiten seien nicht besonders lang (1 bis 2 Wochen im Quartal, im Sommer höchstens 3 Wochen). Patienten ohne Termin werde mitgeteilt, dass ihr Arzt nicht da sei und dass sie evtl. warten sollten, bis er wieder da sei. Viele Patienten würden wegen ihrer Beschwerden auch lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Die Praxisgemeinschaft sei an jedem Werktag geöffnet, sodass sie vielleicht mehr Patienten mit chronischen Krankheiten hätten, die jederzeit einen Arzt brauchten oder haben wollten, der auch Zugriff auf ihre Daten habe. Es sei sicher so, dass fast alle Patienten im Vertretungsfall zum Praxisgemeinschaftspartner gingen und nicht zu einem anderen Arzt im Ort, sodass sich gegenseitige Vertretungsfälle häuften und nicht auf andere Praxen verteilten. Sie erzeugten nicht gemeinsame Patienten. Hinsichtlich der Beispielsfälle teilten sie mit, die Patienten seien jeweils vom Praxisgemeinschaftspartner untersucht worden, weil der Hausarzt abwesend gewesen sei (Vertretungs-Notfallschein).
Die Beklagte setzte jeweils mit Bescheid vom 20.10.2010 die strittige Honorarrückforderung für alle streitbefangenen Quartale fest. Die Beklagte listete die Einzelbeträge quartalsbezogen auf.
Hiergegen legten die Kläger mit Datum vom 07.08.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung ihrer Widersprüche trugen sie vor, das Einlesen der Krankenversicherungskarte in beiden Praxen sei zwar erfolgt, könne aber nicht als Indiz für missbräuchliche Fallzahlerhöhung gewertet werden. Das Einlesen sei nur aus organisatorischen Gründen erfolgt, weil mit einem hohen Prozentsatz zu erwarten sei, dass der Patient irgendwann im Quartal erneut in die Praxis komme, in der sein Hausarzt anwesend sei. Wenn sich am Ende des Quartals herausstelle, dass es bei einem Vertretungsfall geblieben sei, werde der "leere" Originalfall gelöst. Es werde keine "werthaltige" EBM-Ziffer abgerechnet. Sie hätten nicht gewusst, dass dieses Verfahren nicht in Ordnung sei. Sie hätten das Verfahren auch geändert. In keinem Fall seien Vertretungsfälle angelegt worden, um die Wartezeit zu verkürzen. Vertretungsfälle seien nur bei Abwesenheit eines Arztes angelegt worden. Lediglich die Freitagnachmittagssprechstunde von 14:30 Uhr bis 16:00 Uhr betrieben sie überwiegend abwechselnd. Es kämen dann nur Akutfälle zur Vertretung. Seltener komme es auch vor, dass ein Arzt an einem anderen Nachmittag abwesend sei oder die Vormittagssprechstunde nur teilweise stattfinde. Urlaubszeiten würden lange im Voraus angekündigt werden, Termine würden dann nicht vergeben werden. Wer wegen seiner Beschwerden dennoch komme, werde auch behandelt. Ihre Auswertung für die streitbefangenen Quartale habe ergeben, dass der weit überwiegende Teil der Vertretungsfälle jeweils im Urlaub des Partners der Praxisgemeinschaft angefallen sei. Beide Kläger fügten eine Aufstellung ihrer Urlaubszeiten sowie mehrseitige Tabellen mit den Vertretungsfällen an, für die sie auch den Grund der Behandlung angaben. Ferner nahmen sie nochmals zu den Beispielsfällen Stellung. Ergänzend führten sie durch ihre Prozessbevollmächtigte aus, die Kläger hätten sich gegenüber ihren Patienten stets als Praxisgemeinschaft dargestellt. Das gemeinsame Einlesen der Chipkarte habe lediglich der bürokratischen Vereinfachung gedient. Eine Vermehrung von Leistungen habe nicht stattgefunden. Eine gegenseitige Vertretung sei nicht zu beanstanden. Alle Fälle, bei denen eine Patientenidentität vorgeworfen werde, beruhten nach erfolgter Einzelfallprüfung auf dem Umstand, dass eine zulässige Vertretung im Urlaub, bei Fortbildungen, Wehrübungen und im Krankheitsfall erfolgt sei. Es müssten daher alle Fälle von angeblicher unberechtigter Doppelbehandlung herausgearbeitet und im Einzelnen benannt werden. Allein das Überschreiten des Aufgreifkriteriums von 20 % Patientenidentität lasse nicht zwingend den Vorwurf der Missbräuchlichkeit zu. Zudem liege für den Kläger zu 1) in den Quartalen III/06, II und IV/07 die Patientenidentität unter der 20%-Grenze.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheiden vom 25.01.2012 die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Kläger hätten die Praxisgemeinschaft missbräuchlich genutzt, um Patienten in beiden Praxen zu behandeln. Sie hätten mit ihrem Praxisgemeinschaftspartner einen hohen Anteil an Patienten gemeinsam behandelt, obgleich sie in der Organisationsgemeinschaft der Praxisgemeinschaft tätig gewesen seien. Der Prozentsatz der gemeinsamen Patienten stelle sich wie folgt dar:
Kläger zu 1)
Quartal Fallzahl (PK,EK,SKT) Anzahl identischer Patienten Quote identischer Patienten in %
III/06 1.282 217 16,93
I/07 1.286 331 25,74
II/07 1.335 221 16,55
III/07 1.405 303 21,57
IV/07 1.460 272 18,63
Kläger zu 2)
Quartal Fallzahl (PK,EK,SKT) Anzahl identischer Patienten Quote identischer Patienten in %
III/06 1.026 217 21,15
I/07 1.150 331 28,78
II/07 1.086 221 20,35
III/07 1.173 303 25,83
IV/07 1.165 272 23,35
Es seien die Behandlungsausweise bei beiden Ärzten gleichzeitig eingelesen worden, was unzulässig sei. Bei 50 Prüffällen habe sich folgendes Ergebnis ergeben:
Quartal Geprüfte Fälle Gleiches Einlesedatum in den Praxen
III/06 50 15
I/07 50 18
II/07 50 12
III/07 50 12
IV/07 50 16
Weiter führte sie Beispielfälle für jedes Quartal an, in denen bei gleichem Einlesetag die Behandlung erst später stattgefunden oder bereits vorher stattgefunden hatte durch den Kläger zu 1). Ferner nannte sie für jedes Quartal einen Beispielfall, in denen beide Kläger denselben Patienten behandelt hätten und auch die selben/vergleichbaren Leistungen abgerechnet hätten. Teilweise sei am gleichen Tag die Behandlung in der einen Praxis und das Einlesen der Krankenversichertenkate in der anderen Praxis vorgenommen worden. Die wechselseitigen Behandlungen (regelhaft mittels der Scheinkennung Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretung) zielten nicht darauf ab, dass erforderliche, begleitende bzw. ergänzende diagnostische oder therapeutische Maßnahmen durchgeführt würden. Vielmehr finde eine Wiederholung bzw. Verdopplung der Leistungserbringung bei einem anderen Arzt statt. Dies sei aus deshalb der Fall, da beide Kläger keine signifikant unterschiedlichen Genehmigungen für die Leistungserbringung hätten. Damit stehe fest, dass die Kläger auch gegen ihre Verpflichtung der Koordination der hausärztlichen Versorgung verstoßen hätten. Sie hätten innerhalb einer Praxisgemeinschaft Patienten innerhalb eines Quartals ohne medizinische Notwendigkeit gemeinsam behandelt. Ausweislich der von den Klägern vorgelegten Einzelanalyse habe es Tage (abwechselnd Freitagnachmittag) gegeben, an denen der Kläger zu 2) die Praxis frühzeitig verlassen habe und der Kläger zu 1) die Patienten weiter behandelt habe. Bei zeitweiser Abwesenheit könne eine Vertretung nicht erfolgen. Jeder Vertragsarzt habe seine Tätigkeit persönlich und in Vollzeit auszuüben. Der Anteil der Ermittlung der gemeinsamen Patienten sei an der kleineren Praxis zu messen, da sonst bei stark unterschiedlicher Praxisgröße das Verhalten der größeren Praxis nicht beanstandet werden könne. Abweichend von ihren Feststellungen gebe der Kläger zu 2) die Fälle der Doppelbehandlungen für das Quartal III/06 mit 118, für die Quartale I bis IV/07 mit 80, 110, 70 und 146 Patienten und der Kläger zu 2) für das Quartal III/06 mit 136 Fällen und für die Quartale I bis IV/07 mit 220, 147, 156 und 149 Patienten an. Es kämen sicherlich Doppelfälle vor, die sachlich gerechtfertigt seien, diese Fälle träten jedoch in geringerem Umfang auf, als die Zahl der tatsächlich abgerechneten Doppelfälle. Da jedoch gleichzeitig Abrechnungsverstöße in jedem Quartal nachgewiesen seinen, seien die Abrechnungen implausibel. Die Kläger hätten jeweils grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich (nämlich wissentlich) die Versichertenkarten doppelt eingelesen. Dafür sprechen die Verstöße gegen die Bundesmantelverträge im Zusammenhang mit der Verwendung der Krankenversichertenkarte und die Verstöße gegen die Überweisungsregeln. Die Kläger hätten durch die missbräuchliche Nutzung der Praxisgemeinschaft Honorarvorteile erlangt. Die erhöhte Fallzahl der Praxis führe zu Vorteilen bei Budgetierungsregelungen. Darüber hinaus könne jede Einzelpraxis den Ordinationskomplex jeweils einmal im Behandlungsfall abrechen. Dagegen zähle die gemeinsame Behandlung eines Patienten durch mehrere Ärzte einer Gemeinschaftspraxis als ein Behandlungsfall, sodass die Gemeinschaftspraxis den Ordinationskomplex nur einmal pro Quartal erhöht um einen Punktaufschlag abrechnen könne. Die Honorarrückforderung habe im Wege der Schätzung erfolgen dürfen. Zugunsten der Kläger sei jeweils ein Sicherheitsabschlag von 30 % der gemeinsam behandelten Fälle zugrunde gelegt worden (d. h., dass von den doppelten Fällen 30 % wiederum als plausibel behandelt würden). Ferner werde die darüber hinaus verbliebene Anzahl der Fälle hälftig (50 %) auf die Praxisgemeinschaftspartner aufgeteilt werden (was wiederum eine Begünstigung darstelle). Hintergrund sei, dass Fälle wie doppelt eingelesene Krankenversichertenkarten, Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Notfälle und Überweisungen zur Auftragsleistung damit abgegolten würden.
Gegen die am 27.01.2012 zugestellten Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 20.02.2012 die Klage erhoben. Die zunächst bei der 11. Kammer zum Aktenzeichen erhobene Klage des Klägers zu 2) hat die Kammer mit Beschluss vom 26.03.2012 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem Verfahren des Klägers zu 1) verbunden.
Zur Begründung ihrer Klagen tragen die Kläger ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, ihre Praxisorganisation schließe eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform "Praxisgemeinschaft" aus. Sie hätten auch deckungsgleiche Sprechzeiten und seien in der Regel parallel in der Praxis präsent. Es bestehe weder ein Gewinnpooling noch ein sonstiges gemeinsames Wirtschaften. Der Kläger zu 1) unterschreite auch teilweise die von der Beklagten angenommene 20% Grenze. Für die Implausibilität sei die Beklagte nachweispflichtig. Hieran fehle es. Sie hätten jeweils eine medizinische Begründung für die Behandlungen des Patienten bei Abwesenheit des anderen Arztes dargelegt. Damit setze sich die Beklagte nicht auseinander. Auf das Doppeleinlesen der Karten am selben Tag komme es nicht an. Die im Widerspruchsbescheid vorgeworfene doppelte Leistungserbringung sei überwiegend aufgrund der Urlaubsabwesenheit des Partners der Praxisgemeinschaft erfolgt. Im Einzelnen verweisen sie auf ihre zur Gerichtsakte gereichte Analyse der Beispielsfälle. Das Problem der Patientenidentität setze sich auch in den Folgequartalen I bis IV/08 fort. Nach umfassenden Vortrag und eingehender Prüfung durch die Prüfstelle sei jedoch festgestellt worden, dass die Überschreitungen allesamt plausibel seien und das Prüfverfahren sei entsprechend eingestellt worden.
Der Kläger zu 1) beantragt,
den Bescheid vom 20.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 aufzuheben.
Der Kläger zu 2) beantragt,
den Bescheid vom 20.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, auffällig sei die gegenseitige Vertretungspraxis zwischen den Praxen. Aus dem Abrechnungsverhalten der klägerischen Praxen ergebe sich die Behandlungsstruktur einer Gemeinschaftspraxis. Die Grenze von 20 % sei keine "Toleranzgrenze" und bedeute auch nicht, dass bis zu dieser Höhe doppelt abgerechnet werden dürfe. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen abgeschlossene Richtlinie gehe lediglich davon aus, dass die Implausibilität bei einer Patientenidentität von mindestens 20 % zu vermuten sei. Eine Patientenidentität von geringerer Höhe könne ebenso implausibel sein. Die stundenweise Abwesenheit eines Arztes reiche nicht aus für die Annahme eines Vertretungsfalles. In den Folgequartalen seien die Verhältnisse unterschiedlich. Es lasse sich deshalb nicht auf eine unterschiedliche Spruchpraxis schließen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klagen sind zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klagen sind auch begründet. Die Bescheide vom 20.07.2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.01.2012 sind rechtswidrig. Sie waren daher aufzuheben.
Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.
Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Dies wird nunmehr durch den ab 01.01.2004 geltenden § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V klargestellt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte feststellt; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Dies galt auch bereits zuvor auf der Grundlage der genannten bundesmantelvertraglichen Regelungen.
Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten, auf § 82 Abs. 1 SGB V beruhenden bundesmantelvertraglichen Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil )Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R – SozR 4-2500 § 85 Nr. 22 = BSGE 96, 1 = Breith 2006, 715 = MedR 2006, 542 = GesR 2006, 499 = USK 2005-130, zitiert nach juris Rdnr. 11 m.w.N.)
Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z. B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R – juris Rdnr. 26 f. m.w.N.).
Bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft können Honorarbescheide korrigiert werden.
Für die berufliche Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung) (Ärzte-ZV) ist kennzeichnend, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmenerzielung. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist neben einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis grundsätzlich auch eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem "Goodwill") erforderlich, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Diese Form der Zusammenarbeit bedarf vorheriger Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Mit ihr wird vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen. Es verbleibt bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - SozR 4-5520 § 33 Nr. 6 = BSGE 96, 99 = ZMGR 2006, 148 = NZS 2006, 544 = GesR 2006, 450 = MedR 2006, 611 = Breith 2007, 185, juris Rn. 14 f. m.w.N.).
Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit Wirkung vom 1. Januar 2005 vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen (DÄ 2004, A-2555) geben in § 11 Abs. 2 für die Plausibilitätsprüfung bereits bei 20 % Patientenidentität in (teil )gebietsgleichen/versorgungsbereichs-identischen bzw. 30 % bei gebietsübergreifenden/versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften die Annahme einer Abrechnungsauffälligkeit vor. Diese Aufgreifkriterien lassen die in den Richtlinien vorgenommenen Grenzziehungen erkennen, dass jedenfalls dann, wenn zwei in der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebietes annähernd bzw. mehr als 50 % der Patienten in einem Quartal gemeinsam behandeln, tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Behandlung eines gemeinsamen Patientenstammes stattfindet. Bei einer derart hohen Patientenidentität muss das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation erfordert (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - aaO., Rdnr. 19 f.; BSG, Beschl. v. 05.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - juris Rdnr. 12).
Die Kammer hält es ferner für zutreffend, dass bei der Frage, wie viele Patienten gemeinsame sind, und ob dies nach ärztlicher Erfahrung noch plausibel ist, nur auf die jeweils kleinere Praxis abgestellt werden, denn sonst könnte bei stark unterschiedlicher Praxisgröße - selbst wenn in der kleineren Praxis ausschließlich Fälle abgerechnet würden, die auch in der größeren zur Abrechnung gelangen - das Verhalten der größeren Praxis überhaupt nicht beanstandet werden (so zutreffend LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 - L 12 KA 563/04 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Rdnr. 30 m.w.N., Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008 57265). Hinzu kommt, dass die Beklagte anhand einer Stichprobe von 50 Fällen pro Quartal festgestellt hat, dass 24 % bis 36 % der Behandlungsausweise der Stichprobe bei beiden Ärzten gleichzeitig eingelesen worden sind. Insofern haben die Kläger auch eingeräumt, solche "Doppeleinlesungen" vorgenommen zu haben. Solche "Doppeleinlesungen" haben die Kläger auch dann in nicht unerheblichem Umfang vorgenommen, wenn der Patient noch gar nicht von ihnen behandelt worden war. Die Beklagte hat in den angefochtenen Widerspruchsbescheiden im Einzelnen dargelegt, wann eine Einlesung erfolgen kann. Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dies hätten sie nicht gewusst. Sie müssen sich auch zurechnen lassen, dass solche "Doppeleinlesungen" den Anschein implausibler und missbräuchlicher Abrechnung hervorrufen.
Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R – aaO., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 – L 12 KA 563/04 – juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 – B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der beide Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen.
Nach diesen Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft aber nicht hinreichend nachgewiesen. Sie hat in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger zu 1) zwischen 17 % und 26 % und bei dem Kläger zu 2) bei 20 % bis 29 %beträgt. Dabei hält es die Kammer zunächst für unerheblich, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten bei dem Kläger zu 1) aufgrund seiner höheren Fallzahl z. T. Werte unterhalb der genannten 20 %-Grenze beträgt. Insofern handelt es sich bei der 20 %-Grenze um ein bloßes Aufgreifkriterium, dessen Erfüllung allein nicht zu einer Honorarkürzung führt. Entscheidend ist, ob bei einer näheren Prüfung der Behandlungsweise festgestellt wird, dass tatsächlich ein gemeinsamer Patientenstamm vorliegt. Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden. Dabei können auch Erfahrungswerte berücksichtigt werden, dass im hausärztlichen Bereich von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen ist. So weist das LSG Nordrhein-Westfalen auf Ermittlungen der KZV Nordrhein hin, die für ihren - vertragszahnärztlichen - Bereich einen Anteil von Doppelbehandlungen in Praxisgemeinschaften von 3 bis 5 % festgestellt habe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 60/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 59/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 19). Die Beklagte geht im Allgemeinen von einem Anteil von 5 % für Vertretungsscheine aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 - juris Rdnr. 50). Im hier vorliegenden Verfahren geht die Beklagte in den beiden Ausgangsbescheiden (S. 8 unten) von einer gegenseitigen Vertretung im Fachgruppendurchschnitt von unter 10 % aus. Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird. LSG Niedersachsen geht gleichfalls davon aus, dass bei Praxisgemeinschaften üblicherweise auftretende Patientenidentitäten deutlich geringer sind als 20 % (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 21.03.2012 - L 3 KA 103/08 - juris Rdnr. 23). Clemens weist darauf hin, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15 % beträgt (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 106a Rn 175). Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird.
Der Kürzungsmodus führt aber zu folgenden Ergebnissen:
Kläger zu 1):
Quartal Fallzahl Gem. Fälle 30 % %-Satz zugestandener Vertreterfälle III/06 1.334 217 65 4,9
I/07 1.329 331 99 7,4
II/07 1.378 221 66 4,8
III/07 1.443 303 91 6,3
IV/07 1.500 272 82 5,5
Summe 28,9
Durchschnitt 5,8
Kläger zu 2):
Quartal Fallzahl Gem. Fälle 30 % %-Satz zugestandener Vertreterfälle III/06 1.058 217 65 6,1
I/07 1.175 331 99 8,4
II/07 1.110 221 66 5,9
III/07 1.198 303 91 7,6
IV/07 1.189 272 82 6,9
Summe 34,9
Durchschnitt 7,0
Die Übersicht zeigt erheblich unterschiedliche Prozentsätze zugestandener Vertreterfälle, die zwischen 4,8 % und 8,4 % und im Durchschnitt bei 5,8 % bzw. 7,0 % liegen.
Die Beklagte hat sich ferner nicht substantiiert mit dem Einwand der Kläger auseinandergesetzt, es handele sich fast ausschließlich um Vertretungsfälle wegen Urlaubsabwesenheit oder am Freitagnachmittag. Die Beklagte greift lediglich die von den Klägern genannten Zahlen auf, um die Abweichungen von ihren Feststellungen zu betonen. Die Kläger haben im Widerspruchsverfahren Patientenlisten vorgelegt, in denen sie erläutert haben, wann sie welche Fälle des Praxisgemeinschaftspartners aus Vertretungsgründen behandelt haben. Dabei handelt es sich fast durchweg um Urlaubsvertretungen oder um Vertretungen an einem Freitagnachmittag vor Antritt des Urlaubs.
Nach den von den Klägern genannten Zahlen, die im Einzelnen mit Angabe der Diagnosen genannt werden, liegen folgende Vertretungsfälle vor, die überwiegend mit den angegebenen Urlaubszeiten übereinstimmen:
Kläger zu 1)
Quartal Fallzahl gesamt Vertretungsfälle nach Kl. Gem. Fälle nach Bekl. Differenz
III/06 1.334 118 217 99
I/07 1.329 80 331 251
II/07 1.378 110 221 111
III/07 1.443 70 303 233
IV/07 1.500 146 272 126
Summe 524 1344 820
Kläger zu 2)
Quartal Fallzahl Vertretungsfälle nach Kl. Gem. Fälle nach Bekl. Differenz
III/06 1.058 136 217 81
I/07 1.175 220 331 111
II/07 1.110 147 221 74
III/07 1.198 156 303 147
IV/07 1.189 149 272 123
Summe 808 1344 536
Die Beklagte setzt sich nicht damit auseinander, ob es sich bei den von den Klägern vorgetragenen und belegten Vertretungsfällen tatsächlich um Vertretungsfälle handelt, die berechtigt oder unberechtigt waren. Angesicht der Vielzahl der Fälle oblag es nunmehr der Beklagten, durch eingehendere Prüfung eine ggf. fortbestehende Implausibilität nachzuweisen.
Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass ein Vertretungsfall nur dann angenommen werden kann, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund "an der Ausübung seiner Praxis verhindert" sei, d. h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen bleibt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 08.06.2007 - L 3 KA 9/07 ER - juris Rdnr. 31). Bereits nach dem Bundesmantelvertrag im Primärkassenbereich in der bis Juni 2007 geltenden Fassung war der Vertragsarzt gehalten, seine Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereiches festzusetzen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä). Bei der Verteilung der Sprechstunden auf den einzelnen Tag sollen die Besonderheiten des Praxisbereiches und die Bedürfnisse der Versicherten (z. B. durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen) berücksichtigt werden (§ 17 Abs. 2 BMV-Ä). Der Vertragsarzt war und ist gehalten, in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen. Dies folgt bereits aus seinen allgemeinen vertragsärztlichen Pflichten (§ 95 Abs. 3 SGB V). Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV). Nur bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung kann er sich innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, so ist sie der Kassenärztlichen Vereinigung mitzuteilen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und 4 Ärzte-ZV). Eine Gemeinschaftspraxis kann nicht unter Hinweis auf die generelle Vertretungsbefugnis wie eine Praxisgemeinschaft geführt werden; der Vertragsarzt hat in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 R - juris Rdnr. 40 ff.)
Die Beklagte hat die von den Klägern vorgelegten Urlaubsaufstellungen nicht bestritten. Sie setzt sich aber nicht damit auseinander, in welchem Umfang solche Urlaubsvertretungen angefallen sind und von ihr als zulässig anerkannt werden oder aus welchen Gründen sie nicht anerkannt werden.
Nicht alle der fünf aufgeführten Beispielsfälle sind implausibel. Im Behandlungsfall Z., Quartal III/06, war die Patientin nach den Angaben im Widerspruchsbescheid am 13.07.2006 zunächst bei dem Kläger zu 1) erschienen. Offensichtlich erschien sie ohne Versichertenkarte. Dann wurde sie bei dem Kläger zu 2) am 14.08.2006 behandelt. Dabei wurde für den Kläger zu 1) die Versichertenkarte eingelesen. Dieses nachträgliche Einlesen der Versichertenkarte bei vorangehender Behandlung hält die Kammer grundsätzlich für zulässig. Auch der weitere Behandlungsablauf zeigt, dass die Patientin des Klägers zu 1) von dem Kläger zu 2) nur in Zeiten der urlaubsbedingten Abwesenheit des Klägers zu 1) behandelt wurde.
Im Behandlungsfall X., Quartal I/07, konnte in der mündlichen Verhandlung geklärt werden, dass für den Kläger zu 2) lediglich auf die Helferin delegierbare Leistungen in dessen Abwesenheit am 10.01.2007 eingetragen worden waren. Auch der weitere Behandlungsverlauf zeigt nur eine Tätigkeit des Klägers zu 1) in Zeiten der urlaubsbedingten Abwesenheit des Klägers zu 2). Gleiches gilt für die Behandlungsfälle N., Quartal III/07, und Y., Quartal IV/07.
Aber auch unterstellt, die Beklagte hätte hinreichend einen Formenmissbrauch nachgewiesen, so hat sie aus den genannten Gründen ihr Schätzungsermessen fehlerhaft ausgeübt.
Soweit sich die Beklagte entschließen sollte, eine neue Honorarberichtigung vorzunehmen, so wird sie sich mit den Einwendungen der Kläger im Widerspruchsverfahren auseinanderzusetzen haben. Die vorgelegten Fälle hat sie im Einzelnen zu überprüfen, ob es sich um tatsächliche Vertretungsfälle gehandelt hat. Soweit der verbleibende Anteil gemeinsamer Patienten über 20 % liegt, so fehlt es an einer Plausibilität der Abrechnung. Soll die Behandlung auf entsprechenden Wunsch des Patienten erfolgt sein, so bedarf es der Vorlage einer zeitnah erstellten Dokumentation hierüber.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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