L 1 R 306/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 376/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 306/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. August 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf jeweils 3.458,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin als Restaurantinhaberin Sozialversicherungsbeiträge für ihren Ehemann M. H. – der Beigeladen zu 4. – für den Zeitraum 01. Januar 2000 bis 31. Mai 2000 nachzuentrichten hat.

Nach ihrem Studium als Erzieherin jobbte die Klägerin seit 1994 in der Gastronomie und arbeitete ab 1997/1998 im von ihrem späteren Ehemann, dem Beigeladenen zu 4., betriebenen Restaurant P. im Service. Ab dem 01. Januar 2000 übernahm sie dann von ihm das Restaurant als neue Inhaberin. Der Beigeladene zu 4. war seit 1993 selbständig tätig und betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum bis zu vier Gaststätten in M. Die Klägerin und der Beigeladene zu 4. führten ab 2001 eine nichteheliche Lebensgemeinschaft und heirateten am 03. Januar 2003.

Nach der am 22. Juli 2004 im Restaurant P. gemäß § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) durchgeführten Betriebsprüfung erließ die Beklagte den Bescheid vom 29. September 2004 und forderte hierin von der Klägerin Beiträge für ihren Ehemann in Höhe von 4.985,82 EUR für den streitgegenständlichen Zeitraum nach. Es sei ein Beschäftigungsverhältnis anzunehmen, da der Ehemann persönlich abhängig sei, denn er sei in den Betrieb der Klägerin eingegliedert und ihr weisungsunterworfen. Er habe fremdbestimmte Arbeit geleistet; insbesondere liege keine selbständige Tätigkeit vor.

Die Klägerin legte am 11. Oktober 2004 Widerspruch ein. Der Beigeladene zu 4. habe das Restaurant zum 01. Januar 2000 auf sie übertragen und unterstütze sie in der Übergangsphase als geschäftsführender Restaurantleiter. Sie habe hierfür mit dem Beigeladenen zu 4. einen freien Mitarbeitervertrag geschlossen, da er im streitgegenständlichen Zeitraum noch drei weitere Gaststätten mit neun Mitarbeitern betrieben habe. Die Gaststätte im H. habe er noch bis zum 31. Januar 2000, die anderen beiden Gaststätten Sch.er Str. 35-36 und O.er Ch. 123 noch bis zum 30. April 2000 geführt. Der Beigeladene zu 4. sei daher weder in ihren Betrieb eingegliedert noch ihr weisungsunterworfen oder persönlich von ihr abhängig gewesen. Dies ergebe sich auch aus dem freien Mitarbeitervertrag, dort unter § 4.

Nachfolgend legte die Klägerin den freien Mitarbeitervertrag vom 01. Mai 1999 und den Arbeitsvertrag vom 29. Mai 2000 vor. Ferner fügte sie die Beitragsnachweise der Krankenkassen für die Mitarbeiter des Beigeladenen zu 4. bei. Aus dem freien Mitarbeitervertrag ergibt sich aus § 3 ein Pauschalhonorar in Höhe von monatlich 4.000,00 DM zuzüglich Mehrwertsteuer bei einem durchschnittlichen monatlichen Zeitaufwand von 100 Stunden. Nach § 4 unterliegt der Beigeladene zu 4. keinen Weisungen, ist aber selbst den Angestellten gegenüber weisungsbefugt. Nach dem Arbeitsvertrag vom 29. Mai 2000 beträgt der monatliche Bruttolohn 4.500,00 DM bei einer Arbeitszeit von 167 Stunden.

Mit Bescheid vom 09. März 2006 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab, insoweit der Beigeladene zu 4. vom 01. Januar 2000 bis zum 30. April 2000 weitere Gaststätten mit mindestens einem Arbeitnehmer betrieben und deshalb keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nachzuentrichten habe. Der Nachforderungsbetrag reduziere sich auf 3.458,00 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2006 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück, da sich die Tätigkeit des Beigeladenen zu 4. nicht von der vor dem 01. Juni 2000 unterschieden habe. Der Beigeladenen zu 4. sei nach beiden Verträgen als Restaurantleiter bzw. als stellvertretender Restaurantleiter beschäftigt gewesen, wobei es sich nach der Verkehrsanschauung um eine abhängige versicherungspflichtige Tätigkeit handle. Ferner habe der Beigeladene zu 4. seine Tätigkeit nicht unter eigenem Namen, sondern unter dem des Betriebes ohne eigenes unternehmerisches Risiko ausgeführt.

Am 19. Juni 2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht Magdeburg (SG) Klage erhoben und weiter ausgeführt, ihr Ehemann habe das Restaurant P. eröffnet und über sechs Jahre betrieben, als er es ihr dann zum 31. Dezember 1999 veräußert habe. Bis dahin sei sie selbst im Servicebereich des Restaurants – jedoch nicht in der Küche, weil sie davon keine große Ahnung gehabt habe – tätig gewesen. Ihr Ehemann habe bis zur Restaurantübergabe bei Bedarf sowohl im Service als auch im Küchenbereich sämtliche anfallende Tätigkeiten verrichtet. Ab dem 01. Januar 2000 habe sie als neue Inhaberin das Restaurant geleitet und weiter im Service mitgeholfen. Zur Überleitung der Gaststätte und zu ihrer eigenen Anleitung sei ihr Ehemann bis zum 31. Mai 2000 zunächst als Restaurantleiter in Form eines freien Mitarbeiters tätig gewesen. Sie habe sich von ihrem Ehemann einiges beibringen lassen wollen, es sollte aber so weiterlaufen wie bisher. Ihr Ehemann habe bei einem geschätzten monatlichen Aufwand von ca. 100 Stunden seine Arbeitszeit frei einteilen können. Er habe nach dem freien Mitarbeitervertrag auch nicht ihren Weisungen unterlegen. Feste Arbeitszeiten habe es für ihn nicht gegeben, da er noch andere Restaurants betrieben habe. Er sollte ihr die "einzelnen Sachen" erklären, damit sie die Geschäfte dann übernehmen könne. Die Hilfe ihres Ehemannes habe sie, sofern er überhaupt Zeit gehabt habe, sehr gerne in Anspruch genommen. Die erforderlichen Sach- und Personalentscheidungen habe sie häufig erst nach Rücksprache mit ihrem Ehemann getroffen. Er habe als Restaurantleiter die Organisation und Kontrolle von Service, Küche und Empfang erledigt, sei für den Einkauf zuständig gewesen und habe den Personaleinsatz in der Küche und teilweise auch im Service geplant. Hierzu habe die Optimierung von Küchenabläufen, die Ermittlung notwendiger Bestellmengen und des Personalbedarfs, die Planung und Kontrolle des Wareneinsatzes sowie die Repräsentation nach außen gehört. Manchmal sei er auch im Service tätig gewesen. Erst zum 01. Juni 2000, als ihr Ehemann alle anderen Gaststätten veräußert oder geschlossen gehabt habe, sei es zu seiner Festanstellung als stellvertretender Restaurantleiter in abhängiger Beschäftigung gekommen. Ab dann sei er nur noch in der Küche tätig gewesen und habe feste Arbeitszeiten gehabt. Teilweise habe sie ihn aber auch mit den Einkäufen beauftragt. Sie habe ihm gegenüber dann auch Weisungen hinsichtlich Ordnung und Sauberkeit erteilt und den Einsatzhauptplan erstellt.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass für jede Tätigkeit des Beigeladenen zu 4. zu prüfen sei, ob es sich um eine selbständige Tätigkeit oder um eine abhängige Beschäftigung handle. Ohne vertragliche Änderung sei der Beigeladene zu 4. zum 01. Juni 2000 von der Klägerin als sozialversicherungspflichtig angemeldet worden.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Zeugenbefragungen. Wegen der Aussagen wird auf Bl. 145 ff. der Gerichtsakte verwiesen. Ferner hat es mit Beschluss vom 26. Juni 2008 die B. f. A., die A. S.-A. und die Pflegekasse bei der A. S.-A. beigeladen.

In der Öffentlichen Sitzung vom 27. August 2010 hat der Beigeladene zu 4. bei seiner Vernehmung als Zeuge erklärt, ihm seien seine Gaststätten zu viel gewesen, und er habe sie abgeben wollen. Die Klägerin habe sich entschieden, das P. zu übernehmen, und sie habe sich dann langsam in den Betrieb "einfuchsen" sollen. Er habe keine festen Arbeitszeiten gehabt, teilweise habe ihn die Klägerin angerufen und dann sei er vorbei gekommen, falls dies die Situation in den anderen Gaststätten zugelassen habe. Er sei zu dieser Zeit immer zwischen den Gaststätten gesprungen und habe etwa den Koch ersetzt, wenn dieser ausgefallen sei. In der Zeit vom Januar 2000 bis Mai 2000 sei er im P. nicht als Koch tätig gewesen, er habe allenfalls bei Druck in der Küche mal mitgeholfen. Im Zeitraum ab Januar 2000 habe nicht die Klägerin ihm Weisungen erteilt, sondern er habe ihr erzählt, was sie zu machen habe. Ab Juni 2000 habe er der Klägerin nicht mehr viel sagen müssen; sie habe in Bezug auf die Gaststätte alles gelernt. Ab dieser Zeit habe die Klägerin ihn dann hauptsächlich zum Kochen eingeteilt. Von 01. Juni 2000 an habe er sich nicht mehr um alle Sachen kümmern müssen.

Mit Urteil vom 27. August 2010 hat das SG den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben, da unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 4. vom 01. Januar 2000 bis zum 31. Mai 2000 nicht vorgelegen habe. Zur Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 7 SGB IV seien die tatsächlichen Verhältnisse nach dem Gesamtbild und die hierbei getroffenen Vereinbarungen entscheidend. Der Beigeladene zu 4. habe einen freien Mitarbeitervertrag besessen und habe nur auf Abruf zur Verfügung gestanden. Erst zum 01. Juni 2000 sei mit ihm ein Arbeitsvertrag mit abhängiger Beschäftigung geschlossen worden. Davor habe er vor allem die noch unerfahrene Klägerin beraten und daneben noch in anderen Restaurants gekocht. Er sei daher nicht vollständig in das Restaurant der Klägerin eingegliedert gewesen.

Gegen das am 12. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. November 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Berufungsbegründung trägt die Beklagte vor, die Klägerin und der Beigeladene zu 4. seien im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht verheiratet gewesen; es liege daher keine familienhafte Beziehung vor. Der Beigeladene zu 4. sei in einem "fremden" Unternehmen tätig und den Weisungen der Klägerin unterworfen gewesen. Als freier Mitarbeiter ohne Unternehmensbeteiligung habe er kein unternehmerisches Risiko getragen. Es ergebe sich kein Unterschied zur Beschäftigung ab dem 01. Juni 2000. Es sei ohne Relevanz, dass der Beigeladene zu 4. daneben als selbständig Tätiger noch weitere Restaurants geführt habe.

Die Beigeladene zu 3. hat ausgeführt, die Tätigkeit als Restaurantleiter gehöre zu den anerkannten Berufen; es handle sich dabei ausschließlich um eine abhängige Beschäftigung. Die selbständige Tätigkeit als Restaurantleiter setze die Inhaberschaft eines Betriebes voraus. Rechtlich habe nur die Klägerin dem Beigeladenen zu 4. Weisungen erteilen können. Im Übrigen sei eine "freie Mitarbeit" in einem fremden Betrieb nicht möglich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. August 2010 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend. Die Vereinbarung des freien Mitarbeitervertrages habe der praktizierten Rechtsbeziehung entsprochen. Der Beigeladene zu 4. habe die Klägerin bei der Führung des Restaurants angeleitet und sei daher nur auf Abruf beratend und unterstützend tätig gewesen. Er sei nicht in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen und habe nicht ihrer Weisungsbefugnis unterlegen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 03. September 2012 Herrn M. H. zum Verfahren beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet, denn ihr Bescheid vom 29. September 2004, abgeändert durch Bescheid vom 09. März 2006, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten. Das SG hat daher zu Recht mit Urteil vom 27. August 2010 den angefochtenen Bescheid aufgehoben.

Für die Klägerin besteht keine Verpflichtung, für den Beigeladenen zu 4. im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. Januar 2000 bis zum 31. Mai 2000 Pflichtbeiträge in Höhe von 3.458,00 EUR nachzuentrichten, da der Beigeladene zu 4. in diesem Zeitraum in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu ihr stand (§ 7 Abs. 1 SGB IV).

1.

Die Sozialversicherung umfasst gemäß § 2 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) Personen, die kraft Gesetzes oder Satzung (Versicherungspflicht) oder aufgrund freiwilligen Beitritts oder freiwilliger Fortsetzung der Versicherung (Versicherungsberechtigung) versichert sind. In allen Zweigen der Sozialversicherung sind nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV Personen versichert, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Dem Grunde nach unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V; § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung; § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuches – Soziale Pflegeversicherung). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Die Abgrenzung der nichtversicherten selbständigen von der versicherungspflichtigen Tätigkeit ist danach vorzunehmen, ob der Beschäftigte von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönlich abhängig ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Beschäftigte, der in den Betrieb eingegliedert ist und einem Weisungsrecht des Arbeitsgebers hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsleistung unterliegt. Kennzeichnend für eine selbständige Tätigkeit ist das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Möglichkeit, frei über den Arbeitsort und die Arbeitszeit zu verfügen. Sofern eine Tätigkeit Merkmale aufweist, die auf eine Abhängigkeit oder Unabhängigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen. Dabei sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen und eine Entscheidung nach dem Gesamtbild zu treffen. Anknüpfungspunkt ist zunächst die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses. Weicht diese jedoch von den tatsächlichen Verhältnissen ab, so sind diese entscheidend, wenn sie rechtlich zulässig sind (Urteil des Senats vom 06. September 2012 – L 1 R 7/11; vgl. m. w. N.: BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 – B 12 KR 8/01 R – SozR 3-2004 § 7 Nr. 19 und Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – SozR 4-2004 § 7 Nr. 7; jüngst: BSG, Urteile vom 29. August 2012 – B 12 KR 14/10 R und B 12 KR 25/10 R – Terminbericht des BSG Nr. 46/12 vom 31. August 2012, www.bundessozialgericht.de).

Zur Überzeugung des Senats war der Beigeladene zu 4. im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. Januar 2000 bis zum 31. Mai 2000 in seinem vormals von ihm betreibenen Restaurant P. selbständig tätig, da er in dieser Zeit der Klägerin weder weisungsunterworfen noch in einem "fremden Unternehmen" eingegliedert war. Der klägerische Vortrag wird im Wesentlichen durch die Beweisaufnahme bestätigt. Nach den glaubhaften Angaben der schriftlich vernommenen Zeugen war zumindest den Mitarbeitern im Restaurantbetrieb bewusst, dass zum Jahreswechsel 1999/2000 ein Inhaberwechsel auf die Klägerin stattfand, allerdings war dies, insbesondere gegenüber den Gästen, nicht erkennbar. Der Beigeladene zu 4. hat – wie auch vor dem 01. Januar 2000 – seine Aufgaben als Restaurantleiter im Restaurant P. wahrgenommen. Erst nachdem die Klägerin mit der gesamten Geschäftsführung des Restaurants hinreichend vertraut gemacht worden war, kam es zum 01. Juni 2000 zu einer abhängigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 4. mit dem Verantwortungsbereich der Küche. Faktisch war der Beigeladene zu 4. vom 01. Januar 2000 an weiterhin Chef des Restaurants, bis die Klägerin die für sie neuen Tätigkeiten allmählich übernehmen konnte. Auch die Aussage des Beigeladenen zu 4. selbst steht hiermit in Einklang.

Die getroffenen Vereinbarungen in Form des Mitarbeiter- oder Arbeitsvertrages haben den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen. Grundsätzlich steht es auch in der Macht der Beteiligten, das Rechtsverhältnis nach ihrem Willen in seinen Einzelheiten so auszugestalten, dass es sich objektiv als Beschäftigungsverhältnis oder als selbständige Tätigkeit ausweist (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 1980 – 12 RK 26/79SozR 2200 § 165 Nr. 45). Aus den Regelungen des Mitarbeitervertrages als Restaurantleiter vom 01. Mai 1999 lässt sich ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht ableiten. Nach dessen § 4 unterliegt der Beigeladene zu 4. selbst keinen Weisungen, hat aber seinerseits Weisungsbefugnis gegenüber anderen Mitarbeitern. Feste Arbeitszeiten sind nicht vereinbart; die Vertragsparteien gehen lediglich von einem durchschnittlichen Zeitaufwand von monatlich 100 Stunden aus. Der Beigeladene zu 4. kann nach § 3 seine Arbeitszeit nach eigener Disposition gestalten. Arbeitnehmertypische Regelungen wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder ein Anspruch auf jährlichen Erholungsurlaub finden sich gerade nicht in der Vereinbarung.

a.

Die vertraglich vereinbarte Weisungsfreiheit des Beigeladenen zu 4. entspricht im streitgegenständlichen Zeitraum auch der geübten Praxis. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erteilte der Beigeladene zu 4. als Restaurantleiter zumindest während der Übergangsphase bis zum 01. Juni 2000 weiterhin – wie zuvor als Inhaber – allen Mitarbeitern Weisungen, einschließlich der Klägerin selbst, die auf seine Anleitungen zu dieser Zeit noch angewiesen war. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in diesem Zeitraum dem Beigeladenen zu 4. Weisungen erteilte, finden sich nicht und erscheinen vor dem Hintergrund der Übertragungshistorie auch nicht plausibel. Eine Analogie zur Weisungsunterworfenheit eines "leitenden Angestellten" erscheint für den Beigeladenen zu 4. im vorliegenden Kontext nicht passend, da im Gaststättengewerbe die Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs nach einer hierarchischen Arbeitsstruktur verlangt und kaum Raum für eine so genannte funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess lässt (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 – B 12 KR 12/05 R –, juris). Indessen ist auch das Merkmal der Weisungsgebundenheit nur einer der gesetzlichen Anhaltspunkte, ohne dass dadurch eine abschließende Bewertung ermöglicht wird.

b.

Die fehlende Eingliederung des Beigeladenen zu 4. in einen fremden Betrieb ist ein weiterer normierter Anhaltspunkt zur Abgrenzung von Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Entscheidend ist hierbei, ob der Beigeladene zu 4. Glied eines fremden Betriebes ist oder im Mittelpunkt des eigenen Unternehmens steht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Januar 1960 – 3 RK 49/56BSGE 11, 257, 260 und juris). Faktisch war im ersten Halbjahr 2000 die Klägerin selbst in ihrem eigenen Geschäftsbetrieb bei dem Beigeladenen zu 4. als "Anzulernende" eingegliedert. Der Beigeladene zu 4. führte auch nach dem 01. Januar 2000 zunächst das Restaurant P. neben seinen anderen Betriebsstätten so weiter, als wäre es noch sein eigener Betrieb. Er bestimmte maßgeblich die Geschicke des Restaurants, ähnlich wie zuvor als dessen Inhaber – wenn auch zunehmend in Absprache mit der Klägerin, um diese in ihre neue Rolle als Inhaberin einzuführen. Wie zuvor kontrollierte und organisierte er den Service, die Küche und den Empfang, war für den Einkauf zuständig und plante das Personal in der Küche und teilweise auch im Service. Ferner optimierte er die Küchenabläufe, ermittelte notwendige Bestellmengen und den Personalbedarf, plante und kontrollierte den Wareneinsatz sowie die Repräsentation nach außen. Teilweise war er auch im Service tätig. Angesichts seiner umfangreichen Befugnisse als Restaurantleiter hatte der Beigeladene zu 4. die tatsächliche Macht zur entscheidenden Einflussnahme auf den klägerischen Betrieb. Dies kann überwiegend den Zeugenaussagen entnommen werden, da die Aufgabenverteilung nach außen weitgehend beibehalten wurde und insbesondere auch die Klägerin weiterhin als Kellnerin arbeitete. Bei dem Beigeladenen zu 4. ist wegen seiner vormaligen Inhaberschaft und seiner besonderen Beziehung zur Klägerin daher von einem so hohen Identifikationsgrad mit dem Restaurant auszugehen, dass er das Unternehmerrisiko als sein eigenes ansah und sich auch entsprechend verantwortlich fühlte. Sein nicht unerhebliches Gehalt nur für eine Teilzeittätigkeit kann nicht losgelöst vom eigenen Beitrag zum tatsächlichen Umsatzerfolg gesehen werden. Dies war dem Beigeladenen zu 4., nachdem er das Restaurant sechs Jahre lang selbst führte, auch bewusst, so dass ihm an einer erfolgreichen Übertragung im eigenen wirtschaftlichen Interesse gelegen war.

c.

Schließlich spricht auch die Vereinbarung eines Entgelts zuzüglich Mehrwertsteuer anstelle eines Lohns für eine selbständige Tätigkeit. Die Inrechnungstellung von Mehrwertsteuer ist nicht beschäftigungstypisch und indiziert, anders als die Lohnsteuerpflicht, kein Beschäftigungsverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1962 – 3 RK 74/57BSGE 16, 289, 295). Weitere arbeitnehmertypische Vereinbarungen wie längere Kündigungsfristen, Gewährung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen fehlen insgesamt. Auch ist eine wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit des Beigeladenen zu 4. nicht erkennbar und damit keine ausgeprägte soziale Schutzbedürfigkeit gegeben. Die anderweitige selbständige Tätigkeit des Beigeladenen zu 4. mit weiteren Gaststätten ist zumindest ein Indiz für dessen Absicht einer selbständigen Tätigkeit im Restaurant P. – wenngleich jede Tätigkeit für sich rechtlich zu bewerten ist.

d.

Die Tätigkeiten des Beigeladenen zu 4. als Restaurantleiter auf Grund des freien Mitarbeitervertrages im streitgegenständlichen Zeitraum und seine anschließende Tätigkeit in der Küche – dann mit Arbeitsvertrag – ab dem 01. Juni 2000 als stellvertretender Restaurantleiter unterscheiden sich maßgeblich voneinander. Nicht nur die bewusst gewählte vertragliche Vereinbarung differiert hinsichtlich Weisungsgebundenheit, üblichen Arbeitnehmerrechten und -pflichten, sondern auch die tatsächliche Ausgestaltung seiner Tätigkeit orientiert sich hieran. Nach dem 31. Mai 2000 hat sich der Beigeladene zu 4. auf die Küche als sein hauptsächliches Betätigungsfeld zurückgezogen und der Klägerin bewusst die Führung des Betriebes, einschließlich des Weisungsrechts auch ihm gegenüber, überlassen.

e.

Entgegen der Rechtsansicht der Beigeladenen zu 3. sind selbständige Tätigkeiten in einem fremden Betrieb unproblematisch möglich. Beispielhaft hierfür seien Steuerberater, Unternehmensberater oder Handwerker genannt, die regelmäßig ihre selbständigen Tätigkeiten in fremden Betrieben verrichten. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht auf das "Berufsbild" eines Restaurantleiters an, da es sich um eine bloße Bezeichnung für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 4. handelt. Entscheidend ist, ob der Beigeladene zu 4. seine Dienstleistung in abhängiger Beschäftigung oder in selbständiger Tätigkeit erbrachte, nicht wie die Tätigkeit "berufskundlich" einzuordnen ist.

f.

Bei Tätigkeiten, die Merkmale aufweisen, die sowohl auf Abhängigkeit wie auch auf Selbständigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist dann das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 72/92 –, NJW 1994, 2974; BSG, Urteil vom 22. Juni 2005 – B 12 KR 28/03 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 5). Der Senat hat nach den vorgenannten Einzelmerkmalen unter Berücksichtigung des Gesamtbildes der Tätigkeit und der Verkehrsanschauung keine vernünftigen Zweifel an der selbständigen Tätigkeit des Beigeladenen zu 4.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts und die Klägerin als Inhaberin eines einzelkaufmännischen Gaststättenbetriebes gehören nicht zu dem in § 183 SGG genannten kostenprivilegierten Kreis. Nach § 154 Abs. 1 VwGO hat die Beklagte Kosten zu tragen; dies gilt auch für die Verfahrenskosten vor dem SG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

3.

Der Streitwert war nach §§ 52 Abs. 1, 2 Gerichtskostengesetz (GKG) für das Berufungsverfahren sowie für das Verfahren vor dem SG auf 3.458 EUR festzusetzen. Der Streitwert ist nach Ermessen anhand der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen. Maßgebender Anhaltspunkt für den Gegenstandswert sind die von der Beklagten begehrten Sozialversicherungsbeiträge.

Der in diesem Urteil enthaltene Streitwertfestsetzungsbeschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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