S 2 KA 125/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 125/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 35/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Vergütung nephrologischer Leistungen im Quartal 1/2009.

Die Kläger sind Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie und betreiben in Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft) ein Nephrologisches Zentrum in N nebst Zweigpraxis.

Bis zum 31.12.2008 gab ein Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 vor, dass Regelleistungsvolumina (RLV) auf die Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie nicht anwendbar seien. Ab dem 01.01.2009 wurden Nephrologen aufgrund eines Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28.08.2008 in die RLV einbezogen. Nach einem weiteren Beschluss des Bewertungsausschusses vom 20.04.2009 verblieb es zwar bei der Einbeziehung der Nephrologen in die RLV, jedoch wurden nephrologische Leistungen des Abschnitts 13.3.6 EBM außerhalb der RLV vergütet.

Für das Quartal 1/2009 wurde den Klägern ein RLV auf der Grundlage eines Fallwertes von 94,72 EUR für die Arztgruppe der Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie zugewiesen. Auf entsprechenden Antrag erkannte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 03.07.2009 den Klägern zudem einen Fallwertzuschlag in Höhe von 16,96 EUR für das Jahr 2009 zu.

Die Kläger widersprachen sowohl der RLV-Zuweisung als auch dem Quartalskonto/Abrechnungsbescheid für das Quartal 1/2009, da es im Vergleich zum Bezugsquartal 1/2008 zu einer deutlichen Absenkung des Fallwertes gekommen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2010 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Abrechnungsbescheid 1/2009 unter Hinweis auf die Beschlüsse des (Erweiterten) Bewertungsausschusses zurück. Eine Honorarzahlung wegen einer Beschränkung des Umsatzverlustes im Vergleich zum Vorjahresquartal (Konvergenzphase) scheide aus, da die Überprüfung der Abrechnung ergeben habe, dass das Gesamthonorar (PKK und EK ohne Labor) im Quartal 1/2009 nicht um mehr als 5 % unter dem entsprechenden Honorar des Vorjahresquartals gelegen habe.

Hiergegen richtet sich die am 23.03.2010 erhobene Klage.

Die Kläger sind der Ansicht, die in Kap. 13.3.6 EBM abgebildeten nephrologischen Leistungen seien nicht budgetierungsfähig, weil diese Leistungen im Bedarfsfall zeitnah mit Erscheinen des Patienten erbracht werden müssten, nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden könnten und keiner Mengensteuerung zugänglich seien. Dialyseleistungen seien ohnehin bereits budgetiert, als nach § 5 Abs. 7 der Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren gemäß § 135 Abs. 2 SGB V pro Dialysearzt maximal 50 Dialysepatienten pro Jahr betreut werden dürften. Sowohl aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 31/08 R -) als auch aus der Umbildung der RLV für die Nephrologen nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 20.04.2009 sei abzuleiten, dass die nephrologischen Leistungen des Kap. 13.3.6 EBM insgesamt oder zumindest die Dialysebetreuungsleistungen (GO-Nrn. 13602, 13610 - 13612 EBM) sowie die Betreuung nierentransplantierter Patienten (GO-Nr. 13601 EBM) außerhalb jeglicher Budgetierung anerkannt werden müssten. Eine Rechtsgrundlage, die nephrologischen Leistungen in RLV mit einzubeziehen, gebe § 87 b Abs. 2 SGB V nicht.

Hinzu kämen Besonderheiten ihrer Praxis insofern, als sie im Verhältnis zur Vergleichsgruppe mehr Rentner versorgten und bei geringeren Fallzahlen als die Vergleichsgruppe ein stark selektioniertes Patientenkollektiv mit deutlich höherer Betreuungsintensität behandelten (Nierentransplantatträger, dialysepflichtige Patienten, Hämodialyse, Peritonealdialyse, Lipidapharese). Schließlich habe sich die Honorarsituation gegenüber dem Vorjahresquartal um mehr als 15 % verschlechtert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2010 wies die Beklagte auch den Widerspruch gegen die RLV-Zuweisung 1/2009 zurück.

Die Kläger beantragen,

den Abrechnungsbescheid der Beklagten für das Quartal I/2009 vom 28.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2010 sowie den RLV-Zuweisungsbescheid der Beklagten für das Quartal I/2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidungen aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben des Bewertungsausschusses für rechtmäßig. Den Besonderheiten der klägerischen Praxis sei durch die Zuerkennung eines Fallwertzuschlages von 16,96 EUR für das Jahr 2009 ausreichend Rechnung getragen worden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese nicht rechtswidrig sind. Die Kläger haben für das Quartal 1/2009 keinen Anspruch auf Vergütung der nephrologischen Leistungen des Abschnitts 13.3.6 EBM außerhalb des RLV, auch nicht teilweise hinsichtlich der Dialysebetreuungsleistungen sowie der Betreuung nierentransplantierter Patienten.

Nach der den Beteiligten bekannten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.02.2010 - B 6 KA 31/08 R - bestehen im Bereich der Dialyseleistungen Besonderheiten, die den Bewertungsausschuss berechtigen - aber nicht verpflichten -, die Nephrologen und die Dialyseleistungen von der Einbeziehung in RLV freizustellen. Die Besonderheiten ergeben sich aus verschiedenen Gesichtspunkten:

So ist im Dialysebereich eine Leistungs- und Mengenausweitung zwar nicht ausgeschlossen, diese Gefahr ist aber geringer als in anderen ärztlichen Bereichen; hinzuweisen ist insofern auf die Regelungen in §§ 4, 6 der Anlage 9.1 zum BMV-Ä und zum EKV-Ä über die Zuweisung von Versorgungsaufträgen mit Vorgaben für die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung und für die Gewährleistung einer kontinuierlichen wirtschaftlichen Versorgungsstruktur. Auch kann die sachgerechte Bemessung von RLV schwierig sein, weil bei den im Dialysebereich abrechnenden Praxen und Gemeinschaftspraxen das Verhältnis zwischen dem Anteil an Dialyseleistungen und demjenigen an anderen internistischen Leistungen sehr unterschiedlich ist und deshalb bei schematisierender Einbeziehung in vereinheitlichende RLV in erheblichem Umfang Stützungszahlungen erforderlich werden könnten. Ferner besteht das Leistungsspektrum im EBM nur aus wenigen Leistungstatbeständen, die Einnahmen ergeben sich überwiegend aus (pauschalierten) Sachkostenerstattungen. Schließlich darf der Bewertungsausschuss auch prüfen, ob nephrologische Leistungen deshalb in höherem Maße förderungswürdig sind, weil die Dialyseversorgung in Deutschland noch immer nicht optimal ausgebaut ist, und dies ggf. berücksichtigen.

Andererseits sind die Besonderheiten - auch zusammengenommen - nicht von so großem Gewicht, dass der Bewertungsausschuss verpflichtet gewesen wäre, von einer Einbeziehung der Nephrologen und/oder der Dialyseleistungen in die RLV abzusehen. Vielmehr hat(te) der Bewertungsausschuss insoweit Gestaltungsfreiheit.

Wenn der Bewertungsausschuss vor solchem Hintergrund die Nephrologen zum 01.01.2009 in das RLV einbezogen hat, so stützt sich dies auf die Rechtsgrundlage des § 87b Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 i.V.m. Abs. 2 SGB V (in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung). Danach hatte der Bewertungsausschuss erstmalig bis zum 31.08.2008 Vorgaben zur Umsetzung von § 87b Abs. 2 Satz 3, 6 und 7 SGB V a.F. zu bestimmen, d.h. einerseits zur Abstaffelung der Preise bei einer das RLV überschreitenden Leistungsmenge (Abs. 2 Satz 3), andererseits zu den außerhalb der RLV zu vergütenden Leistungen, zu denen obligatorisch die psychotherapeutischen Leistungen (Abs. 2 Satz 6) sowie fakultativ weitere Leistungen (Abs. 2 Satz 7) gehören (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2012 - B 6 KA 28/11 R -). Die dem Bewertungsausschuss als Normgeber hierbei zustehende Gestaltungsfreiheit bedeutet insbesondere, dass er zur Generalisierung, Pauschalierung, Schematisierung und Typisierung befugt ist (vgl. BSG, Urteile vom 28.01.2009 - B 6 KA 50/07 R -; vom 08.12.2010 - B 6 KA 33/09 R - m.w.N.). Dabei ist dem Normgeber gerade bei der Neuregelung komplexer Materien ein besonders weiter Spielraum in Form von Ermittlungs-, Erprobungs- und Umsetzungsspielräumen eingeräumt, weil sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht in allen Einzelheiten übersehen lassen und deshalb auch gröbere Typisierungen und geringere Differenzierungen zunächst hingenommen werden müssen. Mit dieser relativ weiten Gestaltungsfreiheit bei Anfangs- und Erprobungsregelungen korrespondiert allerdings eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht des Normgebers, wenn sich im Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen herausstellt, dass die die Norm legitimierenden Gründe weggefallen oder die Auswirkungen für einzelne Normadressaten unzumutbar geworden sind (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 11.03.2009 - B 6 KA 31/08 B - m.w.N.).

Insofern mögen bei der erstmaligen Einbeziehung der Nephrologen in das RLV durch Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28.08.2008 - kurz vor Ablauf der im Gesetz vorgegebenen Frist - die Besonderheiten der Diagnostik und Therapie nierenkranker Patienten in den Stadien 1 bis 4 und dialysepflichtiger Patienten im Stadium 5 sowie nierentransplantierter Patienten nicht in allen Verästelungen und Feinheiten durchdrungen worden sein. Der Bewertungsausschuss hat jedoch bereits in seiner 175. Sitzung am 27.02.2009 weitere Maßnahmen zur Umsetzung und Weiterentwicklung der arzt- und praxisbezogenen RLV angekündigt, indem er mit Wirkung ab 01.07.2009 - regional ggf. bereits ab 01.04.2009 - u.a. die Zuordnung nephrologischer Leistungen zu den RLV überprüfen und ggf. im notwendigen Umfang ändern werde (Ziffer 1 lit. g). Diese Ankündigung ist auch zeitnah durch Beschluss des Bewertungsausschusses vom 20.04.2009 umgesetzt worden, indem es zwar bei der grundsätzlichen Einbeziehung der Nephrologen in die RLV verblieb, jedoch die nephrologischen Leistungen des Abschnitts 13.3.6 EBM aus dem RLV herausgenommen wurden.

Damit ist der Bewertungsausschuss in hinreichendem Maße seiner Observations- und Korrekturpflicht nachgekommen und hat hierbei insbesondere den gesetzlichen Auftrag beachtet, fakultativ weitere Leistungen außerhalb des RLV zu vergüten (§ 87b Abs. 2 Satz 7 SGB V a.F.).

Hinzu kommt, dass Besonderheiten in einzelnen nephrologischen Praxen durch Ausnahmeregelungen gemäß Teil F, Ziffer 3.6, des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28.08.2008 aufgefangen werden. Die darin enthaltenen bundesrechtlichen Vorgaben haben die Partner der Gesamtverträge in § 6 Abs. 3 des Honorarverteilungsvertrages (HVV) ab 01.01.2009 umgesetzt. Danach konnten auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch die Beklagte Zuschläge auf den durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe bzw. auf das RLV gewährt werden, wenn Praxisbesonderheiten, die sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ergeben, zu einer Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % geführt haben. Der Vorstand der Beklagten hatte dabei einen Beurteilungsspielraum, ob eine Praxisbesonderheit in diesem Sinne vorlag und welche Überschreitungen daraus resultierten, und entschied nach pflichtgemäßem Ermessen, in welcher Weise der Zuschlag gewährt wurde. Das Ergebnis der Beurteilung wurde durch Verwaltungsakt der Beklagten festgestellt. Zudem konnte gemäß § 6 Abs. 1 lit. b) HVV der Vorstand der Beklagten in begründeten Fällen auf Antrag oder von Amts wegen aus Sicherstellungsgründen Zuschläge auf das arzt-/praxisbezogene RLV bewilligen, wenn besondere Umstände des Einzelfalles vorlagen.

Auf dieser Grundlage ist den Klägern für das gesamte Jahr 2009 ein Fallwertzuschlag in Höhe von 16,96 EUR zuerkannt worden. Der entsprechende Bescheid vom 03.07.2009 ist indes bestandskräftig geworden und damit für die Beteiligten, d.h. auch für die Kläger, in der Sache bindend (§ 77 SGG). Die im Klageverfahren vorgetragenen Besonderheiten hätten, sofern sie nicht (hinreichend) berücksichtigt worden sein sollten, durch Widerspruch gegen diesen Bescheid geltend gemacht werden müssen. Im Rahmen der Klage gegen den RLV-Zuweisungsbescheid und gegen den Abrechnungsbescheid ist für die Berücksichtigung solcher Besonderheiten, die in einem eigenständigen Antragsverfahren mit gesondertem Bescheid zu prüfen sind, kein Raum (vgl. BSG, Urteil vom 15.08.2012 - B 6 KA 38/11 R - m.w.N.).

Rechtsfehlerfrei hat die Beklagte schließlich Honorarzahlungen aufgrund der Konvergenzregelung abgelehnt. Hierbei ist nicht zu beanstanden, dass der Umsatzverlust nicht an den reinen Honorareinnahmen ausgerichtet wird, sondern den GKV-Gesamtumsatz erfasst. Denn die Einnahmen von Nephrologen ergeben sich überwiegend aus (pauschalierten) Sachkostenerstattungen (BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 31/08 R -), wenngleich sich diese bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise für den einzelnen Vertragsarzt mitunter lediglich als durchlaufende Posten erweisen mögen (BSG, Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 13/04 R -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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