L 7 AS 964/12 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AS 2585/12 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 964/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Ausschlusstatbestand des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt gegen höherrangiges Recht, nämlich Art. 18 und 21 AEUV bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004.

2. Zu unterscheiden ist die europarechtliche Regelung zum Aufenthaltsrecht von Bürgern eines Mitgliedsstaates im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union in der Richtlinie 2004/38/EG von der europarechtlichen Regelung zum Zugang von Bürgern eines Mitgliedsstats zu den sozialen Sicherungssystemen eines anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union in der VO (EG) Nr. 883/2004. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hat die aufenthaltsrechtliche Regelung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG in nationales Sozialrecht umgesetzt. Falls es sich - wofür die Entscheidung des EuGH vom 04.06.2009 - C-22/08, C-23/08 spricht - bei Leistungen nach dem SGB II nicht um "Sozialhilfe" i.S.d. Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG handelt, mangelt es § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II an einer europarechtlichen Rechtfertigungsnorm. Für den Fall, dass Leistungen nach dem SGB II "Sozialhilfe" im Sinne der Richtlinie sind, liegt ein Verstoß gegen Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 vor.
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 24. August 2012 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis 28.02.2013 i.H.v. 567,00 EUR und für den Zeitraum vom 01.03.2013 bis 31.03.2013 i.H.v. 267,00 EUR - längstens bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers für das Beschwerdeverfahren zu zwei Siebtel.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 02.08.2012.

Der 1979 geborene, alleinstehende Antragsteller ist irischer Staatsangehöriger. Er ist als Doktorand an der Universität P (Polen) tätig. Für die Zeit des Doktorandenstudiums in Polen erhält er von der Universität P ein Doktorandenstipendium, dass jedoch für die Zeit eines Aufenthalts im Ausland ausgesetzt wird (Bescheinigungen der Universität P vom 17.09.2009 und 04.05.2010). Spätestens am 05.07.2011 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seither bewohnt er in L ein 14 qm großes Appartement zum Preis von 185,00 EUR in der Studentenwohnanlage Gärtnerstraße 181. Die monatlichen Gesamtmietkosten belaufen sich auf 185,00 EUR. Der Antragsteller verfügt seit 05.07.2011 über eine Freizügigkeitsbescheinigung gem. § 5 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU). Der Lehrstuhl von Prof. Dr. S der Universität L betreut den Forschungsaufenthalt des Antragstellers in L. Im Wintersemester 2011/2012 und Sommersemester 2012 übte der Antragsteller einen Lehrauftrag an der Universität L aus, wofür er jedoch kein Honorar erhielt. Seit 01.10.2012 geht der Antragsteller einer (zunächst) bis 31.03.2013 befristeten Tätigkeit als Dozent im Umfang von 5 Stunden im Monat nach und erzielt hieraus monatlich 100,00 EUR. Das Arbeitsentgelt für Oktober bis Dezember 2012 floss dem Antragsteller im Januar 2013 und das für Januar bis März am Ende des Wintersemesters zu. Zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes erhielt er im August und September 2012 ein Privatdarlehen i.H.v. monatlich 250,00 EUR und von Oktober 2012 bis Januar 2013 ein solches i.H.v. 500,00 EUR monatlich. Aus dem vorgelegten Darlehensvertrag über 500,00 EUR monatlich geht hervor, dass das Darlehn ab 01.01.2014 zu tilgen ist. Im Zeitraum von 01.08.2011 bis 31.07.2012 erhielt der Antragsteller zur Finanzierung seiner Miete einen Mietzuschuss der irischen Regierung i.H.v. monatlich 185,00 EUR.

Nach Vorsprachen am 05.07.2011, 18.10.2011 und 17.01.2012 beim Antragsgegner wegen Arbeitsvermittlung und Inanspruchnahme von Leistungen beantragte der Antragsteller am 17.01.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Am 25.01.2012 schloss er mit dem Antragsgegner eine Eingliederungsvereinbarung ab. Am 14.02.2012 und 03.04.2012 sprach er erneut beim Antragsgegner vor. Mit Bescheid vom 16.03.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Der Antragsteller befinde sich in einer Ausbildung, die dem Grunde nach nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderungsfähig sei. Mithin greife der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 und 6 SGB II. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Antragstellers vom 04.04.2012. Er befinde sich nicht in einer förderfähigen Ausbildung. Den Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2012 zurück. Der Antragsteller halte sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland auf und sei daher gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes seien Sozialhilfeleistungen, sodass es darauf ankomme, ob bereits eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt bestehe. Dies sei beim Antragsteller nicht der Fall.

Am 02.08.2012 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Leipzig (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und am 08.08.2012 Klage erhoben (S 25 AS 2676/12). Er halte sich in L zu Forschungszwecken auf und habe sich gleichzeitig arbeitsuchend gemeldet. Er sei nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt mit eigenen Mitteln zu sichern, da er derzeit nur von einem monatlichen Darlehn lebe. Der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei nicht gegeben, weil er sich nicht ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Der Leistungsausschluss verstoße gegen Europäisches Sekundärrecht, nämlich den Gleichheitsgrundsatz des Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordninierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.04.2004 L 166, S.1 ff. (VO (EG) Nr. 883/2004)).

Das SG hat mit Beschluss vom 02.08.2012 den Träger von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beigeladen und mit Beschluss vom 24.08.2012 den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn er sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R zur Frage des Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nicht Stellung genommen. Der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 04.06.2009 (C-22/08, C-23/08) festgestellt, es sei legitim, wenn eine staatliche Beihilfe erst nach dem Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt gewährt würde. Der Leistungsausschluss verstoße weder gegen die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.04.2004 L 158; S. 77 ff. (Richtlinie 2004/38/EG)) noch gegen die VO (EG) Nr. 883/2004. Der Antragsteller sei nie in das beitragsabhängige System der sozialen Sicherheit in Deutschland einbezogen gewesen, so dass ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der VO (EG) Nr. 883/2004 nicht gegeben sei. Der Antragsteller habe auch keinen direkten Anspruch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen, da die Bundesrepublik insoweit einen Vorbehalt erklärt habe. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass dem Antragsteller Leistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zustünden. Das SG sehe jedoch von einer Verpflichtung des Beigeladenen im Rahmen dieses Eilverfahrens ab, da nicht ersichtlich sei, dass dem Antragsteller ein Abwarten in der Hauptsache nicht möglich wäre.

Hiergegen hat der Antragsteller am 10.09.2012 Beschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingelegt. Er sei bedürftig und könne seinen Bedarf i.H.v. 559,00 EUR nicht decken.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 24.08.2012 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab 02.08.2012 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners vor.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Daher ist der Beschluss des SG vom 24.08.2012 abzuändern. Der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis 28.02.2013 i.H.v. 567,00 EUR und für den Zeitraum vom 01.03.2013 bis 31.03.2013 i.H.v. 267,00 EUR - längstens bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - zu gewähren. Im Übrigen ist die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Dem Antragsteller steht vom 01.02.2013 bis 31.03.2013 ein Anspruch auf vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

1. Der Antragsteller hat seit 02.08.2012 einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn die einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes bezüglich eines streitigen Rechtsverhältnisses nötig erscheint. Bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Soweit das Hauptsacheverfahren nach überschlägiger Prüfung voraussichtlich Aussicht auf Erfolg haben wird, wovon jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache deutlich überwiegen, liegt ein Anordnungsanspruch vor.

Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) sowie hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte; Nr. 4). Ausgenommen sind gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr. 2) sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3). Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

a) Der 1979 geborene Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er ist – trotz der infolge der Ablehnung der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen erfolgten Gewährung eines Privatkredits im Zeitraum vom 02.08.2012 bis 31.01.2013 – hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Das BSG hat mit Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 46/11 R (zitiert nach Juris, RdNrn. 15 ff.) Folgendes entschieden:

Tenor:

"Die Zuwendungen der Eltern des Klägers sind nicht als Einkommen im Sinne der Vorschriften bei der Berechnung des Alg II im streitgegenständlichen Zeitraum zu berücksichtigen. Zwar ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl nur BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18). Es kommt damit - wovon auch Beteiligte und Vorinstanzen ausgehen - nur die Berücksichtigung der Zuwendungen als Einkommen im Bedarfszeitraum, nicht dagegen als Vermögen in Betracht. Die Zuwendungen der Eltern sind jedoch kein Einkommen des Klägers iS des § 11 Abs 1 SGB II. Aus dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II folgt zwar keine weitergehende Definition dessen, was Einkommen ist. Lediglich die im zweiten Satzteil genannten Leistungen sind von vornherein von der Berücksichtigung ausgenommen. Mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe (BSGE 58, 160 = SozR 4100 § 138 Nr 11; SozR 4100 § 138 Nr 25) und des BVerwG zum Einkommensbegriff im Wohngeldrecht (stRspr seit BVerwGE 54, 358; BVerwGE 69, 247) kann auch im Anwendungsbereich des § 11 Abs 1 SGB II nach Sinn und Zweck der Norm eine von einem Dritten lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung jedoch nicht als Einkommen qualifiziert werden. Nur der ‚wertmäßige Zuwachs’ stellt Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II dar; als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einkünfte hat. Dieser Zuwachs muss dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine Hilfebedürftigkeit in Höhe der Zuwendungen dauerhaft entfallen. Insoweit ist nach der bisherigen Rechtsprechung der beiden Grundsicherungssenate des BSG im Hinblick auf die Qualifizierung von Zuwendungen Dritter als Einkommen zu unterscheiden zwischen a) Geldzahlungen oder Sachleistungen, die einem SGB II-Leistungsberechtigten zum endgültigen Verbleib zugewendet werden, b) einem Darlehen, das mit einer Rückzahlungsverpflichtung im Sinne des BGB gegenüber dem Darlehensgeber belasteten ist und c) Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung eben wegen der Ablehnung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituieren sollen. Letztere stellen kein Einkommen im Sinne der eingangs dargelegten Definition des Einkommensbegriffs dar und entbinden den Grundsicherungsträger nicht von seiner Leistungsverpflichtung. So liegt der Fall hier. Bereits zum BSHG war anerkannt, dass die Hilfe eines Dritten den Sozialhilfeanspruch dann nicht ausschließt, wenn der Dritte vorläufig - gleichsam anstelle des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens - nur deshalb einspringt, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (vgl BVerwG vom 23.6.1994 - 5 C 26/92 - BVerwGE 96, 152; BVerwGE 94, 127; 90, 154; 26, 217). Dem sind der 14. und 4. Senat des BSG gefolgt (BSG vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R - und 27.9.2011 - B 4 AS 202/10 R sowie 22.11.2011 - B 4 AS 204/10 R, alle zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Zuwendungen der Eltern des Klägers erfüllen im streitigen Zeitraum diese Voraussetzungen, weil sie - nach den tatsächlichen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts - in der Erwartung der Rückzahlung und im Vertrauen auf einen bestehenden, lediglich noch nicht erfüllten Alg II-Anspruch des Klägers erfolgt sind."

Vorliegend war dem Antragsteller der Privatkredit lediglich vorläufig, gleichsam anstelle der Leistungen des Grundsicherungsträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens gewährt worden, weil der Antragsgegner Hilfe abgelehnt hatte.

b) Der Antragsteller ist erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gem. § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen, ist ausreichend. Dem Antragsteller war ausweislich seiner Freizügigkeitsbescheinigung die Aufnahme eine Beschäftigung erlaubt. Auf der Grundlage dieser Erlaubnis übt er jedenfalls seit 01.10.2012 eine Beschäftigung aus.

c) Der Antragsteller hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gem. § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Das BSG hat im Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R, RdNrn. 13 f. entschieden:

Tenor:

"Der Kläger verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist bereits Ende 2007 in die Bundesrepublik eingereist. Seitdem hält er sich hier unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er nicht nur vorübergehend verweilt. Offen bleiben kann hier, ob der an tatsächlichen Umständen zu messende Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes bei Ausländern durch zusätzliche rechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird (BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34). Zur alten Rechtslage bis zum 1.4.2006 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Ausländer, die tatsächlich dauerhaft im Inland verweilen, nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wenn sie sich berechtigterweise hier aufhalten (BSG aaO; BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7833 § 1 Nr 7; vgl - speziell zu § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II - auch BSGE 98, 243, 246 f = SozR 4-4200 § 12 Nr 4, jeweils RdNr 19; Valgolio in Hauck/Noftz, Stand Juni 2010, § 7 SGB II RdNr 95; kritisch zu der Verrechtlichung des rein tatsächlichen Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 11). Dass der Kläger sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ergibt sich bereits daraus, dass er über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügt (aA Hessisches LSG, FEVS 59, 110, 115 f). Gegen eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts spricht auch nicht, dass dieser Bescheinigung nach dem Wortlaut der Vorschrift (" über das Aufenthaltsrecht ausgestellt") nur deklaratorischer Charakter im Hinblick auf das sich unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zukommt (vgl nur statt aller Geyer in HK-AuslR, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 1) und es sich um keinen Aufenthaltstitel handelt (vgl § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU). Denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen (so auch die gesetzliche Begründung zum Zuwanderungsgesetz, vgl BT-Drucks 15/420, 106; vgl auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II in der Fassung vom 20.1.2010, Ziffer 7.2d, sowie Ziffer 5.5.1.3. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26.10.2009, GMBl 2009, 1270). Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser Verlustfeststellung begründet." (vgl. auch Schreiber, Soziale Sicherheit 2012, S.392, 393)

Da der Antragsteller im vorliegenden Verfahren sich mindestens seit 05.07.2011 dauernd in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und befristet für die Dauer seiner Forschungsarbeit seinen Lebensmittelpunkt nach L verlegt hat sowie im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung gem. § 5 FreizügG/EU ist, verfügt er über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II.

d) Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist jedenfalls seit 01.10.2012 nicht (mehr) erfüllt. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich spätestens seit diesem Zeitpunkt nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Sein Aufenthaltsrecht resultiert nunmehr vielmehr auch aus seiner Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative FreizügG/EU. Der Begriff des Arbeitnehmers ist nach dem Gemeinschaftsrecht nicht eng auszulegen. Als Arbeitnehmer ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dass die Bezahlung einer unselbstständigen Tätigkeit unter dem Existenzminimum liegt, hindert nicht, die Person als Arbeitnehmer anzusehen, selbst wenn der Betroffene die Vergütung durch andere Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts wie eine aus öffentlichen Mitteln des Wohnortmitgliedsstaats gezahlte finanzielle Unterstützung zu ergänzen sucht (EuGH, Urteil vom 04.06.2009 – C-22/08 und C-23/08, zitiert nach Juris, RdNrn. 26, 28; Dienelt, in Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, § 2 RdNr. 34). Seit 01.10.2012 geht der Antragsteller einer Beschäftigung als Dozent an der Universität L nach und erhält hierfür eine Vergütung. Das BSG hat im Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R (RdNr. 18) entschieden:

Tenor:

"Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG (hier anwendbar in der Fassung des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666 - der Vertrag von Lissabon ist erst zum 1.12.2009 in Kraft getreten, BGBl II 2009, 1223) fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl ua EuGH, Rs 139/85 [Kempf], Slg 1986, 1741 [Rz 9 ff]; Rs 53/81 [Levin], Slg 1982, 1035 [Rz 17]; C-213/05 [Geven], Slg 2007, I-6347 [Rz 16]; so nun auch Ziffer 2.2.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum FreizügG/EU; vgl zum gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU RdNr 31 ff mwN)."

Dass der Antragsteller seine Erwerbstätigkeit nur in geringfügigem Umfang ausübt (monatlicher Verdienst: 100,00 EUR bei 5 Arbeitsstunden im Monat) steht dem nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010, a.a.O., RdNrn. 3 und 18: dort wöchentliche Tätigkeit im Umfang von 7,5 Stunden als Handwerkshelfer mit einem monatlichen Entgelt von 100,00 EUR). Die Tätigkeit des Antragstellers stellt sich jedenfalls nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich dar.

e) Für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.09.2012 kann dahinstehen, ob sich der Antragsteller als Arbeitnehmer - Beschäftigung an Universität L ohne Vergütung in Form von Geld, allerdings mit Gegenleistung in Form einer wissenschaftlichen Betreuung und dem Zur-Verfügung-Stellen von Sachmitteln - in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 12.03.2009 im Verfahren des EuGH – C-22/08, C-23/08, zitiert nach Juris, RdNrn. 23, 24). Falls dies der Fall wäre, wäre der Antragsteller von Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen.

Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II könnte – sofern der Antragsteller im genannten Zeitraum nicht als Arbeitnehmer einzuordnen wäre – erfüllt sein. Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers würde sich in diesem Falle allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben haben. Das FreizügG/EU legt für die Arbeitssuche keine Frist fest (Dienelt, a.a.O., § 2 RdNr. 55.). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitssuchender EU-Bürger solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH, Urteil vom 26.02.1991 – Rs C 292/89; Dienelt, a.a.O., RdNr. 56).

Der Antragsteller hat durch seine mehrfachen Vorsprachen beim Antragsgegner und den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung glaubhaft gemacht, dass er jedenfalls seit 02.08.2012 eine Arbeit sucht.

Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nach Überzeugung des Senats aber gegen höherrangiges Recht, nämlich Art. 18 und 21 Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 (offen lassend: BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R, zitiert nach Terminbericht).

Zu unterscheiden ist zunächst die europarechtliche Regelung zum Aufenthaltsrecht von Bürgern eines Mitgliedsstaates im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union (1.) von der europarechtlichen Regelung zum Zugang von Bürgern eines Mitgliedsstaats zu den sozialen Sicherungssystemen eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union (2.). Der Leistungsanspruch eines Unionsbürgers ergibt sich aus dem Zusammenspiel dieser Regelungen, die jeweils unterschiedliche Rechtspositionen betreffen.

(1.) Der Antragsteller hielt sich im genannten Zeitraum berechtigt im Bundesgebiet auf. Grundsätzlich genießen Unionsbürger ein von Produktion und Wirtschaft losgelöstes Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Gem. Art. 18 AEUV ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Das Europäische Parlament und der Rat können gem. dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.

Mögliche Schranken im Sinne des Art. 21 Abs. 1 AEUV enthält die Richtlinie 2004/38/EG (Hatje in Schwarze, EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 21 AEUV RdNr. 15). Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG bestimmt, dass jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten hat, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist (Buchstabe a) oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen (Buchstabe b) oder bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (Buchstabe c), oder ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht (Buchstabe d).

Gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG genießt, vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates. Nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG ist - abweichend von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG - der Aufnahmestaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehns, zu gewähren. Gem. Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) Richtlinie 2004/38/EG darf abweichend von den Absätzen 1 und 2 der Art. 14 Richtlinie 2004/38/EG und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.

Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem FreizügG/EU vom 05.08.2004 die Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht vorgenommen. Gem. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (Nr. 1), Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige; Nr. 2), Unionsbürger, die - ohne sich niederzulassen - als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind (Nr. 3), Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen (Nr. 4), nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4 (Nr. 5), Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 (Nr. 6), Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben (Nr. 7). Nach § 4 FreizügigG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Hält sich der Unionsbürger als Student im Bundesgebiet auf, haben dieses Recht nur sein Ehegatte, Lebenspartner und seine Kinder, denen Unterhalt gewährt wird.

Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nrn. 2 bis 7 FreizügG/EU lagen im Falle des Antragstellers im Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.09.2012 ersichtlich nicht vor. § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU war insbesondere deshalb nicht gegeben, weil der Antragsteller nicht über ausreichende Existenzmittel verfügte (BSG, Urteil vom 19.10.2010, a.a.O., RdNr. 20). Dennoch war dem Antragsteller eine Freizügigkeitsbescheinigung gem. § 5 FreizügG/EU ausgestellt worden. Nach der o.g. Rechtsprechung des BSG ist von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen.

(2.) Der Antragsteller hatte im o.g. Zeitraum als Unionsbürger einen Anspruch auf Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen der Bundesrepublik Deutschland. Er konnte Leistungen nach dem SGB II beanspruchen.

Die europarechtliche Regelung zur Einbeziehung von Ausländern in die Sozialversicherungssysteme ist in der VO (EG) 883/2004 getroffen. Gem. Art. 4 VO (EG) 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.

Vereinzelt (so: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.08.2012 – L 3 AS 250/12 B ER, zitiert nach Juris, RdNrn. 23, 24) wird die Auffassung vertreten, Art. 4 VO EG 883/2004 finde nicht auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen nach Art. 70 VO (EG) 883/2004 Anwendung, weil "Rechtsvorschriften" in Sinne des Art. 4 VO (EG) 883/2004 lediglich die in Art. 1 Buchstabe l) VO (EG) 883/2004 genannten Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit seien. Die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen seien jedoch lediglich in Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 genannt. Hiergegen spricht zunächst die Regelung in Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004, die negativ bestimmt, in welchen Bereichen die VO (EG) 883/2004 keine Anwendung findet, und zum anderen Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004, der positiv bestimmt, welche Normen der VO (EG) 883/2004 nicht für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gelten (ebenso: Hessisches LSG, Beschluss vom 14.07.2011 – L 7 AS 107/11 B ER, zitiert nach Juris, RdNr. 19).

Gem. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 gilt die Verordnung für den Antragsteller, weil er Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates ist. Nach Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 gilt die Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gem. Art. 70 VO (EG) 883/2004. Bei den Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um besondere beitragsunabhängige Geldleistungen gem. Art. 70 VO (EG) 883/2004. Das ergibt sich aus der ausdrücklichen Benennung in Art. 70 Abs. 2 Buchstabe c) i.V.m. Anhang X zu Art. 70 VO (EG) 883/2004.

Die VO (EG) 883/2004 ist gem. Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt mit ihrem Inkrafttreten am 01.05.2010 in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf. Mithin geht die Regelung des Art. 4 VO (EG) 883/2004 derjenigen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vor. Das bedeutet, das letztgenannte Norm auf Bürger eines Mitgliedsstaates der europäischen Union nicht anwendbar ist, soweit sie im Widerspruch zu den Regelungen der VO (EG) 883/2004 steht (ebenso: SächsLSG, Beschluss vom 20.12.2012 – L 2 AS 182/12; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2010 – L 7 AS 134/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2010 – L 7 AS 3769/10 ER-B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.12.2010 – L 16 AS 767/10 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.08.2011 – L 15 AS 188/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30.06.2011 – L 25 AS 535/11 B ER und vom 30.11.2010 – L 34 AS 1501/10 B ER, L 34 AS 1518/10 B PKH sowie vom 29.06.2012 – L 14 AS 1460/12 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 14.07.2011 – L 7 S 107/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.09.2011 – L 3 AS 155/11 B ER; Valgolio in Hauck/Noftz; SGB II, Stand: 11/2012, § 7 RdNr. 145; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 – L 3 AS 1477/11 und Beschluss vom 01.10.2012 – L 7 AS 3836/12 ER-B; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.06.2010 – L 1 AS 36/08; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.03.2010 – L 29 AS 2128/09 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 13.09.2007 – L 9 AS 44/07 ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.07.2012 – L 9 AS 563/12 B ER, alle zitiert nach Juris).

Dabei ist zu beachten, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die aufenthaltsrechtliche Regelung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG in nationales Sozialrecht umgesetzt hat. Die Frage, ob ein Unionsbürger Sozialleistungen in Anspruch nehmen kann, ist von seinem aufenthaltsrechtlichen Status zu unterscheiden. Der Europäische Gerichtshof (EUGH) legt Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG dahin aus, dass "nach dieser Bestimmung der Aufnahmemitgliedsstaat nicht verpflichtet [ist], u.a. Arbeitssuchenden während des längeren Zeitraums, während dessen sie dort ein Aufenthaltsrecht haben, einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren" (EuGH, a.a.O., zitiert nach Juris, RdNr. 35). Der EuGH (a.a.O., RdNr. 43, 45) hat weiter entschieden:

Tenor:

"Eine Voraussetzung wie die in § 7 Abs. 1 SGB II enthaltene, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein muss, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Leistungen den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll. Finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, können nicht als ‚Sozialhilfeleistungen’ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 angesehen werden."

Der 16. Senat des Bayerischen LSG hat dies mit Beschluss vom 22.12.2010 - 16 AS 767/10 B ER (zitiert nach Juris, RdNr. 57) weiter untersetzt: "Einen weiteren Hinweis in diese Richtung bildet der Umstand, dass gemäß Anhang X zu Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 die Bundesrepublik Deutschland die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht als Leistungen der sozialen Fürsorge im Sinne des Art. 3 Abs. 5 Buchst. a, sondern als besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne des Art. 70 Abs. 1 der Verordnung eingestuft hat, die sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweist ... Schließlich ist nicht zu übersehen, dass der EuGH bereits einmal - nämlich in der oben zitierten Rechtssache C - eine Grundsicherungsleistung - nämlich die Beihilfe für Arbeitsuchende nach dem Jobseekers Act 1995 im Vereinigten Königreich - am Recht der Gleichbehandlung der Arbeitsuchenden nach Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag gemessen hatte, die ganz ähnlich wie die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II eine steuerfinanzierte Lebensunterhaltssicherung und eine arbeitsmarktorientierte Arbeitslosenhilfe zusammenfasste, und den dauerhaften Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger für gemeinschaftsrechtswidrig gehalten hatte (worauf das LSG BW a.a.O., Rdnr. 15 bei juris und Gerenkamp in Mergler/Zink, a.a.O., zutreffend hinweisen)." (ebenso: LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.10.2012 – L 7 AS 3836/12 ER-B, RdNrn. 7 ff und vom 25.08.2010 – L 7 AS 3769/10 ER-B, RdNrn. 13 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.07.2013 – L 9 AS 563/12 B ER, RdNr. 34; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 RdNr. 18; Hackethal in jurisPK-SGB II, § 7 RdNr. 38; offen lassend, aber mit Tendenz ebenso: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.11.2010 – L 34 AS 1501/10 B ER, L 34 AS 1518/10 B PKH, RdNrn. 37 f.; Thie/Schoch in LPK-SGB II, 4. Auflage 2012, § 7 RdNr. 31; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.06.2010 – L 1 AS 36/08, RdNrn. 30 ff.: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 – L 3 AS 1477/11, RdNr. 73 – aufgehoben durch BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R, zitiert nach Terminbericht; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B, RdNr. 29; SG Dresden, Beschluss vom 20.02.2012 – S 36 AS 784/12 ER; Peters in Estelmann, SGB II, Stand: 10/2012, § 7 RdNr. 13)

Falls es sich – wofür die Entscheidung des EuGH vom 04.06.2009 spricht – bei Leistungen nach dem SGB II nicht um "Sozialhilfe" i.S.d. Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG handelt, mangelt es § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II an einer europarechtlichen Rechtfertigungsnorm. Der EuGH hat in der zitierten Entscheidung (a.a.O., RdNrn. 37-39) ausdrücklich entschieden:

Tenor:

"Außerdem ist es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren hat, nicht mehr möglich, vom Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EG eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll (Urteile vom 23. März 2004, Collins, C-138/02, Slg. 2004, I-2703, Randnr. 63, und Ioannidis, Randnr. 22). Es ist jedoch legitim, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde (Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop, C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 38, und Ioannidis, Randnr. 30). Das Bestehen einer solchen Verbindung kann sich u. a. aus der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht hat (Urteil Collins, Randnr. 70)."

In den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 12.03.2009 in den Verfahren C-22/09 und C-23/08 (zitiert nach Juris, RdNrn. 57 f.) ist ausgeführt: "Somit ist der Zweck der Beihilfe nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand der formalen Struktur der Leistung zu untersuchen. Andernfalls ließe sich das Urteil Collins leicht umgehen, da es ausreichen würde, aus der Regelung für die Leistung jeden Bezug auf das Ziel der Leistung – Hilfe zur Wiedereingliederung – zu entfernen und sie damit den Gemeinschaftsbürgern zu versagen, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, um sich eine Beschäftigung zu verschaffen. Diese Problematik veranlasst mich trotz des Vorbringens der Kommission zu der Ansicht, dass es Maßnahmen der ‚Sozialhilfe’ der in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 angesprochenen Art geben kann, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern. Unter solchen Umständen verlangt das Urteil Collins, Art. 39 EG anzuwenden und den Arbeitsuchenden im Gebiet der Union sozialen Schutz zu gewähren. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Aufgaben der ARGE auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gerichtet sind, da sie zur Errichtung der Zwecke des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) eingerichtet worden ist; der vollständige Name der Einrichtung (Arbeitsgemeinschaft zur Arbeitsmarktintegration) spiegelt die Integrationsaufgaben wider, die sie erfüllt (35)."

Der Antragsteller im vorliegenden Verfahren hat durch seine Vorsprachen beim Antragsgegner am 05.07.2011, 18.10.2011, 17.01.2012, 14.02.2012 und 03.04.2012 sowie den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung am 25.01.2012 zu erkennen gegeben und ausreichend glaubhaft gemacht, dass er seit Mitte 2011 und folglich auch im o.g. Zeitraum ernsthaft und nachdrücklich eine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland gesucht hat.

Der Ausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Unionsbürger ist, sofern es sich bei Leistungen nach dem SGB II nicht um "Sozialhilfe" im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG handelt, mit der höherrangigen europarechtlichen Regelung zum Zugang von Bürgern der Europäischen Union zu den sozialen Sicherungssystemen eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union in Art. 18 und 21 AEUV nicht vereinbar (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.08.2011 – L 15 AS 188/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30.09.2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH und vom 30.11.2010 – L 34 AS 1501/10 B ER, L 34 AS 1518/10 B PKH; Hessisches LSG, Beschluss vom 14.07.2011 – L 7 S 107/11 B ER; SG Dresden, Beschluss vom 20.02.2012 S 36 AS 784/12 ER; Valgalio, a.a.O., RdNr. 145 a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER und vom 03.04.2012 – L 5 AS 2157/11 B ER, L 5 AS 2177/11 B PKH; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 – L 3 AS 1477/11 – aufgehoben durch BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R, zitiert nach Terminbericht).

Aber auch für den Fall, dass Leistungen nach dem SGB II "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG sein sollten, verstieße der Leistungsausschluss für Unionsbürger gegen Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004. In der europarechtlichen Regelung zum Zugang von Bürgern der Europäischen Union zu den sozialen Sicherungssystemen eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union in Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 hat der europäische Verordnungsgeber für den Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen ein ausnahmsloses Gleichbehandlungsgebot normiert. Die Übertragung der aufenthaltsrechtlichen Schranke des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 ist nicht zulässig.

Eine Beschränkung des Zugangs von Unionsbürgern zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ergibt sich auch nicht aus Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004. Danach werden die in Art. 70 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 883/2004 genannten Leistungen ausschließlich in dem Mitgliedsstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Die Regelung verbietet lediglich den Export von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen (Schreiber, Soziale Sicherheit 2012, S. 392, 393 f.). Da der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland wohnt und hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist er hierdurch nicht von Leistungen ausgeschlossen. Der Auffassung des 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 21.06.2012, a.a.O.), nach der aus der Formulierung "nach dessen Rechtsvorschriften" Schranken durch das innerstaatliche Recht ermöglicht werden sollen, vermag der Senat nicht zu folgen. Dagegen spricht bereits die ausnahmslos geltende Regelung in Art. 4 VO (EG) 883/2004. Diese Norm gewährt eine umfassende Gleichbehandlung im gesamten persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 (Schreiber, a.a.O., S. 394).

Dass der EuGH in seiner Entscheidung vom 04.06.2009 (a.a.O.) und das BSG im Urteil vom 19.10.2010 (a.a.O.) § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht auf seine Vereinbarkeit mit Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 geprüft haben, hat den einfachen Hintergrund, dass während der dort streitigen Zeiträume die VO (EG) Nr. 883/2004 noch nicht galt. Sie ist erst am 01.05.2010 in Kraft getreten.

2. Der Antragsteller hat jedoch erst ab 01.02.2013 einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den bzw. die Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (SächsLSG, Beschlüsse vom 08.11.2012 – L 7 AS 705/12 B ER und vom 30.10.2007 – L 2 B 472/07 AS-ER).

Soweit Leistungen für einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufenen Zeitraum beansprucht werden, ist ein Anordnungsgrund regelmäßig gegeben (SächsLSG, Beschlüsse vom 08.11.2012, a.a.O., und vom 17.09.2007 – L 2 B 291/07 AS-ER).

Sofern Leistungen für einen zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden (hier: 02.08.2012 bis 30.01.2013) ist ein Anordnungsgrund nur dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer unzumutbarer Nachteil besteht, der glaubhaft gemacht wird (SächsLSG, Beschluss vom 08.11.2012, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2006 – L 10 B 136/06 AS-ER). Grundsätzlich besteht ein Anordnungsgrund nicht für Leistungszeiträume vor Stellung des Antrags auf einstweilige Anordnung beim SG (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.05.2007 – L 13 AS 32/06 ER).

Einen fortbestehenden schweren unzumutbaren Nachteil aus der Nichtgewährung der Leistungen für den zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Vergangenheit liegenden Zeitraum hat der Antragsteller vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher ist gegeben, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, d.h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit auch in Zukunft fortwirkt und eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (Phillip, NVWZ 1984, S.489; Knorr, DÖV 1981, Seite 79; Sächsisches OVG (SächsOVG), Beschluss vom 19.08.1993 – 2 S 183/93, SächsVBl. 1994, Seiten 114, 115; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.1980 – 8 B 1376/79, DÖV 1981, Seite 302). Dies kann gegeben sein, wenn der Antragsteller zur Bestreitung ihres notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht (SächsLSG, Beschluss vom 21.01.2008 – L 2 B 621/07 AS-ER –; SächsOVG, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Phillip, a.a.O.; Knorr, a.a.O.). Es ist ferner denkbar, dass vorangegangene Einsparungen nachwirken (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; SächsOVG, a.a.O.), beispielsweise wenn die Verweigerung der (darlehnsweisen) Bewilligung von Schülerbeförderung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum gegenwärtigen Ausschluss des betroffenen Kindes von der Schülerbeförderung führt (SächsLSG, Beschluss vom 06.02.2008 – L 2 B 601/07 AS-ER).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hat der Antragsteller einen fortbestehenden schweren unzumutbaren Nachteil für den Zeitraum vom 02.08.2012 bis 30.01.2013 nicht glaubhaft gemacht. Er ist zwar zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten in Form eines Privatkredits eingegangen, deren Tilgung steht jedoch ausweislich des Darlehnsvertrages erst zum 01.01.2014 an.

3. Der Antragsgegner war zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis 28.02.2013 Leistungen i.H.v. 567,00 EUR (Regelleistung i.H.v. 382,00 EUR zuzüglich Kosten der Unterkunft i.H.v. monatlich 185,00 EUR) und für den Zeitraum vom 01.03.2013 bis 31.03.2013 Leistungen i.H.v. 567,00 EUR abzüglich des erzielten Einkommens für die Monate Januar bis März 2013 i.H.v. 300,00 EUR, mithin monatlich i.H.v. 267,00 EUR zu bewilligen.

4. Angesichts der Auffassung des Senats kam ein Anspruch auf Sozialhilfe nicht in Betracht (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2012 – L 14 AS 933/12 B ER, RdNrn. 20 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER, L 19 AS 1394/12, RdNrn. 72 f., beide zitiert nach Juris).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Entscheidung ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.

Weinholtz Brügmann Dr. Anders
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