L 7 AS 244/12 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 1251/12 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 244/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Zeit der Unterbringung in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung i.S.d. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II ist gesondert zu betrachten und nicht mit der Zeit eines Aufenthalts in einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation, für die die Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückgestellt wurde,
zusammenzurechnen.
I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten auch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit des Aufenthalts der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragstellerin) in der Reha-Klinik H in G.

Die 1982 geborene Antragstellerin wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 22.09.2010 zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und einem Jahr und drei Monaten verurteilt. In diesem Zusammenhang saß sie von 24.11.2010 bis 29.12.2011 in der Justizvollzugsanstalt C (JVA) ein. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 16.12.2011 (Bl. 18 der LA) wurde die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafen mit Zustimmung des Gerichts gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) für die Behandlung in der Reha-Klinik H Go ab dem Betreten der Therapieeinrichtung am 29.12.2011 für die Dauer von längstens zwei Jahren zurückgestellt. Die nachgewiesene Zeit des Aufenthalts in der staatlich anerkannten Therapieeinrichtung werde gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die Strafe von einem Jahr und sechs Monaten angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt seien.

Am 29.12.2011 wurde die Antragstellerin zur stationären Langzeitentwöhnung in der Reha-Klinik G aufgenommen; die Regeltherapiedauer betrage 24 Wochen und könne ggf. verlängert werden. Entsprechende Leistungen der medizinischen Rehabilitation hatte der Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 04.10.2011 bewilligt.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsgegner) lehnte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 06.02.2012 unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 4 SGB II ab, weil die Antragstellerin bereits ab dem 24.11.2010 in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht gewesen und ab 29.11.2011 in einer stationären Einrichtung untergebracht sei, dieses voraussichtlich länger als sechs Monate bleibe oder in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht werde. Die Ausnahmeregelung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II sei nicht anzuwenden. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Widerspruch, weil die Unterbringung in der Reha-Klinik die Frist von sechs Monaten unterschreite und es nicht zulässig sei, die Haftstrafe mit dem Reha-Aufenthalt zusammenzufassen.

Am 24.02.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dresden die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, ab Antragstellung vorläufig die Regelleistung in Höhe von monatlich 374,00 EUR zu bewilligen. Das ihr bei Haftentlassung ausbezahlte Geld habe sie inzwischen verbraucht, da sie sich habe neu einkleiden müssen. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass kein Antrag beim Kommunalen Sozialverband gestellt worden sei, weil die Antragstellerin vor der Haft ihren Wohnsitz in Thüringen gehabt habe. Sie sei Notfallpatientin, da sie bereits zwei Risikoschwangerschaften gehabt habe und nunmehr wieder ein Kind erwarte. Sie ist am 27.02.2012 und am 10.03.2012 Ärzten vorgestellt worden, die ihr – da kein Krankenversicherungsschutz besteht – ihre Leistungen in Rechnung gestellt haben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2012 hat der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.02.2012 über die Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage ist beim Sozialgericht Dresden unter dem Az. S 23 AS 1708/12 anhängig.

Mit Beschluss vom 22.03.2012 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 23.02.2012 längstens bis zum 15.06.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 374,00 EUR zu gewähren. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach § 7 SGB II lägen vor. Insbesondere sei die Antragstellerin erwerbsfähig und es liege keine gesetzlich fingierte Erwerbsunfähigkeit nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vor. Der Aufenthalt in der Reha-Klinik könne nicht deswegen als Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung i.S.d. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II gewertet werden, weil ihre Entlassung aus der JVA auf der Grundlage einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG erfolgt sei. Voraussetzung für die Behandlung sei die Freiwilligkeit. Zwar bedürfe die Maßnahme nach § 35 BtMG der Zustimmung des Gerichts; dies sei nicht einer richterlichen Anordnung gleich zu setzen. Zudem sei die Drogenbehandlung nicht zwingend stationär durchzuführen, so dass sich eine Gleichstellung mit dem Aufenthalt in der JVA verbiete. Zur Begründung beruft sich das Sozialgericht u.a. auf die Gesetzesbegründung: in allen dort genannten Fällen handele es sich um mit einer Freiheitsentziehung verbundene Zwangsmaßnahmen, die schon aus diesem Grund durch ein Gericht angeordnet oder zumindest genehmigt werden müssten. Die freiwillige Aufnahme in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, die auch ambulant durchgeführt werden könne, sei damit nicht vergleichbar. Die in der JVA verbüßte Freiheitsstrafe und der Aufenthalt in der stationären Rehabilitationsmaßnahme seien nicht zusammen zu rechnen. Beide Maßnahmen würden seit der Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB II unterschiedlich geregelt. Während der Aufenthalt in der JVA einen Leistungsanspruch nunmehr unabhängig von der Dauer der Inhaftierung ausschließe, stelle der Gesetzgeber für den Aufenthalt in einem Krankenhaus oder in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung darauf ab, ob der Aufenthalt mindestens sechs Monate dauere. Der Aufenthalt in der JVA und in der Reha-Klinik bildeten nach Auffassung des Gerichts keine Einheit. Ein Abbruch der stationären Rehabilitationsmaßnahme nach § 35 Abs. 5BtMG führe nicht zwingend zu einer erneuten Inhaftierung. Die Antragstellerin sei auch hilfebedürftig, wobei sich ihr Hilfebedarf auf die nur beantragte monatliche Regelleistung beschränke. Eine etwaige Kürzung im Hinblick auf die gewährte Verpflegung komme gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 11 Alg II-VO nicht in Betracht. Im Übrigen handele es sich um einen Pauschalbetrag, der auch dann gewährt werde, wenn im Einzelfall Bedarfe nicht bestünden oder anderweitig gedeckt würden. Ein Anordnungsgrund liege vor; etwaiges Einkommen oder Vermögen bestünde nicht. Die Leistungen seien ab Antragstellung bei Gericht bis zur voraussichtlichen Entlassung am 15.06.2012 vorläufig zuzuerkennen.

Gegen den am 28.03.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 03.04.2012 eingegangene Beschwerde des Antragsgegners. Er bemängelt, das Sozialgericht habe nicht den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen. Vorliegend gehe der Gefängnisaufenthalt der Antragstellerin direkt in den Reha-Aufenthalt über; zwei an sich getrennte Sachverhalte träfen aufeinander. Hätte die Antragstellerin nicht die Möglichkeit des § 35 BtMG genutzt, würde sie weiter ihre Haftstrafe verbüßen, so dass die Rehabilitationsmaßnahme zwingend als Weiterführung der freiheitsentziehenden Maßnahme zu verstehen sei. Die Motivation zur Rehabilitation sei auch nicht als Maßnahme zu verstehen, wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, sondern diene lediglich dazu, die Strafvollstreckung zurückzustellen. Es sei nicht geprüft worden, inwiefern die Antragstellerin aufgrund der Langzeitentwöhnung überhaupt gemäß § 8 Abs. 1 SGB II dem Arbeitsmarkt für mindestens drei Stunden am Tag unter den üblichen Bedingungen zur Verfügung stehen könne, wenn sie ganztägig therapiert werde, oder ob sie wegen der Risikoschwangerschaft einem Beschäftigungsverbot unterliege. Das SGB II sei aus Sicht des Antragsgegners für die Antragstellerin überhaupt nicht anwendbar. Anders als bei einem Krankenhausaufenthalt, bei dem der Betreffende nicht seine bisherige Wohnung und seine bisherige Lebensführung aufgebe, habe die Antragstellerin vorher keine Leistungen bezogen und vor der Inhaftierung ihren Lebensmittelpunkt in Erfurt gehabt, wohin sie voraussichtlich zurückkehren werde. Auch sei der zugesprochene Regelbedarf in ihrem Fall nicht angemessen, da allenfalls Bedarfe für Bekleidung, Gesundheitspflege und Bildung anfielen. Die Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) sei viel naheliegender, da dabei keine Gegenleistung des Empfängers von Leistungen gefordert werde. Auch ließen sich die notwendigen Bedarfe der Situation besser anpassen.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 25.11.2011 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Ihr Prozessbevollmächtigter trägt vor, auch wenn die Antragstellerin direkt in eine Reha-Klinik verlegt worden sei, handele es sich bei dem Klinikaufenthalt nicht um eine Maßnahme mit freiheitsentziehender Wirkung i.S.d. §§ 63 ff. Strafgesetzbuch (StGB). Die Motivation sei unbeachtlich, entscheidend sei die Regelung des Gesetzgebers. Der Hinweis auf § 8 SGB II gehe fehl, weil auch bei einem Aufenthalt in einem Krankenhaus die Person dem Arbeitsmarkt üblicherweise nicht für drei Stunden zur Verfügung stehe. Entscheidend sei, dass diese Einschränkung nicht auf eine nicht absehbare Zeit vorliegen dürfe. Hierfür sei ein Zeitraum von sechs Monaten maßgeblich wie bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Am 15.06.2012 hat die Rehabilitationsmaßnahme der Antragstellerin geendet und sie hat eine Adaption in M angetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte des Beschwerdegegners (1 Band) verwiesen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf Antrag schon vor Klageerhebung (§ 86b Abs. 3 SGG) eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der geltend gemachte materielle Rechtsanspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert oder geregelt werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang – wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalte der Entscheidung in der Hauptsache – das gewähren, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen kann.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn nach summarischer Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren Erfolg haben würde. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, ihn zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 154-156 m.w.N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff.). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (Keller, a.a.O., § 86b RdNr. 27a). Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist (vgl. Krodel, NZS 2002, 234 ff.; Finkelnburg/Jank, a.a.O., RdNrn. 152, 338; jeweils m.w.N.).

Daran gemessen hat das Sozialgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin die beantragte monatliche Regelleistung zu gewähren. Denn der Bescheid vom 06.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2012 ist voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Der Senat schließt sich aus eigener Überzeugung den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts an und sieht deswegen teilweise von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Im Hinblick auf das Vorbringen im Beschwerdeverfahren ist Folgendes ergänzend aufzuführen:

Maßgeblich kommt es auf § 7 Abs. 4 SGB II in der seit 01.08.2006 unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706; zuletzt in der Neufassung bekannt gemacht am 13.05.2011, BGBl. I S. 850) an. Danach erhält keine Leistungen nach diesem Buch, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht (Satz 1). Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt (Satz 2). Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V)) untergebracht ist (Satz 3 Nr. 1). Hierzu gehören nach dem Willen des Gesetzgebers auch die in § 107 SGB V genannten Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation, die in diesem Zusammenhang Krankenhäusern gleichgestellt sind (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 20).

Die Antragstellerin hält sich seit 29.12.2011 in einer Einrichtung der medizinischen Rehabilitation auf, sodass grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II eröffnet ist. Der Senat geht davon aus, dass es sich auch aus der Sicht des Antragsgegners bei der Reha-Klinik H G nicht um eine Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung handelt. Zu diesen in § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II speziell und ausdrücklich geregelten Einrichtungen hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 24.02.2011 – B 14 AS 81/09 R, RdNr. 25 und im Anschluss daran: Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 128/10 R; beide zitiert nach Juris) entschieden, dass diese eine Sonderstellung einnehmen, so dass nicht mehr zu prüfen ist, ob es sich bei einer JVA um eine stationäre Einrichtung handelt. Ziel der Gesetzesänderung war es, Personen in diesen Einrichtungen vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen, ohne dass es darauf ankäme, ob sie nach ihrer Art die Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von vornherein ausschließen. Denn nach der gesetzgeberischen Entscheidung unterscheidet sich der Aufenthalt z.B. in einer JVA generalisiert für alle unter § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II fallenden Einrichtungen wesentlich von dem Aufenthalt in anderen stationären Einrichtungen.

Die Rechtsauffassung des Antragsgegners, dass die Aufenthaltszeiten der Antragstellerin in der JVA und in der Reha-Klinik zusammenzurechnen sind, findet weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung eine Stütze. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Umstand, dass gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG die Zeit, in der sich der Verurteilte in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet bzw. in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken (vgl. § 35 Abs. 1 BtMG), teilweise auf die Strafe angerechnet wird, eine entsprechende Zuordnung des Aufenthalts in einer Rehabilitationseinrichtung zur Strafzeit erlauben könnte. Bei den genannten Vorschriften, die eine Zurückstellung der Strafvollstreckung und eine anschließende Aussetzung zur Bewährung ermöglichen, handelt es sich jedoch um besondere Regelungen für drogenabhängige Straftäter, die den Umstand, dass die Verurteilten die Tat aufgrund eine Betäubungsmittelabhängigkeit begangen haben, beim Strafvollzug berücksichtigen und die Maßnahmen der Resozialisierung dementsprechend anpassen. Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber diese Sonderregelungen bekannt waren, als er mit Wirkung zum 01.08.2006 den Leistungsausschluss im § 7 Abs. 4 SGB II neu ordnete. Aus der Gesetzbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 20) ergibt sich ferner, dass der Gesetzgeber sich bewusst war, dass Aufenthaltszeiten in unterschiedlichen stationären Einrichtungen aufeinander folgen können. So hat er ausdrücklich erwähnt, dass die Aufenthalte in zwei Einrichtungen, nämlich Krankenhaus und Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation, zu addieren sind. Ganz explizit hat der Gesetzgeber (a.a.O.) vorhergesehen, dass "eine Person keine Leistungen nach dem SGB II [erhält], wenn von vornherein absehbar ist, dass sie sich länger als sechs Monate in einem Krankenhaus aufhalten wird. Dann ist das SGB XII einschlägig. Kann keine Prognose abgegeben werden oder wird ein unter sechs Monate dauernder Aufenthalt prognostiziert, greift der Ausschlusstatbestand nach sechs Monaten, so dass für die ersten sechs Monate das SGB II und danach das SGB XII einschlägig ist.".

Aus alldem folgt, dass die Unterbringung in einer JVA einerseits und in einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation i.S.d. § 107 Abs. 2 SGB V andererseits im Rahmen des § 7 Abs. 4 SGB II unterschiedlichen Regimen unterworfen sind, die ein Zusammenrechnen der jeweiligen Aufenthaltszeiten ausschließen (so im Ergebnis auch LSG Rhld.-Pf., Beschluss vom 19.06.2007 – L 3 ER 144/07 AS – und LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 21.03.2006 – L 7 AS 1128/06 ER-B). Denn bei einer Unterbringung in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung kommt es auf die Dauer des Aufenthalts überhaupt nicht an: der Leistungsausschluss gilt ab dem ersten Tag. Somit ist die Zeit, die die Antragstellerin vom 24.11.2010 bis 29.12.2011 im Strafvollzug verbracht hat, nicht zu der Zeit ihrer Unterbringung in der Reha-Klinik H in G hinzuzurechnen, da die Unterbringung in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung i.S.d. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II gesondert zu betrachten sind.

Nach der spätestens zu Beginn der Unterbringung in der Reha-Klinik H zu treffenden Prognose (vgl. Thie/Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 7 RdNr. 94 m.w.N.) war ein Aufenthalt dort nicht länger als bis zum 15.06.2012 geplant, obwohl grundsätzlich die Möglichkeit einer Verlängerung bestand. Dies ergibt sich aus den Schreiben der Reha-Klinik H G vom 19.03.2012. Damit war zwar ein knapp sechsmonatiger Aufenthalt in der Reha-Klinik vorgesehen, aber nicht länger als sechs Monate, so dass für die dortige Unterbringung bis zum 15.06.2012 (maximal bis zum 28.06.2012) ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gegenüber dem örtlich zuständigen Grundsicherungsträger bestand.

Eine vermeintlich fehlende Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II macht der Antragsgegner vergeblich geltend. Hierzu hätte ggf. eine Feststellung der zuständigen Agentur für Arbeit nach § 44a Abs. 1 SGB II getroffen werden müssen. Dass eine Hilfebedürftiger bei einer voraussichtlich weniger als sechs Monate dauernden stationären Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation tatsächlich nicht (voll) erwerbstätig sein kann, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen.

Auch hinsichtlich des Umfangs der Leistungen (kein Abschlag vom Regelbedarf wegen Vollverpflegung) ist die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden.

Auch einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, weil sie aufgrund der Risikoschwangerschaft bereits mehrfach in ärztlicher Behandlung war, für die sie selbst aufzukommen hatte, weil kein Krankenversicherungsschutz bestand.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Dr. Anders Reichert Wagner
Rechtskraft
Aus
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