S 23 P 70/10

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 P 70/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. &8195;

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen für eine wohnumfeldverbessernde Maßnahme nach § 40 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Die 1942 geborene Klägerin, die u.a. an einer Bewegungseinschränkung bei Osteoarthrose leidet und Leistungen nach Pflegestufe I erhält, beantragte im März 2009 bei der beklagten Pflegekasse einen Zuschuss für eine Einbauküche mit höhenverstellbaren Oberschränken. Beigefügt war ein entsprechendes Angebot der Fa. J. im Gesamtwert von rund 24.000 Euro.

Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 03.06.2009 ab. Die Klägerin sei in ihrer Beweglichkeit soweit eingeschränkt, dass ihr eine effektive Küchennutzung nicht möglich sei.

Die Klägerin legte Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass sie sehr wohl in der Lage sei, sich selbständig etwas zu trinken zu holen bzw. einen Tee zu kochen. Da sie nur 1,50 m groß sei und die Arme zudem nur noch um 90° bzw. 120° heben könne, sei es jedoch erforderlich, dass der Küchenschrank heruntergesetzt werde. Dadurch werde die Abhängigkeit vom die Pflege leistenden Ehemann verringert.

Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Gutachten des MDK nach Durchführung eines Hausbesuchs bei der Klägerin ein. In diesem heißt es, die Klägerin könne wegen eingeschränkter Schulterbeweglichkeit bei maximal abgesenkten Schränken und im Stand nur das unterste von vier vorhandenen Schrankböden nutzen. Ansonsten sei sie bei der Küchennutzung bzw. Benutzung der Hängeschränke auf umfangreiche Hilfe durch den Ehemann angewiesen. Die verminderte Handkraft der Klägerin schränke die "küchenpraktischen Fähigkeiten" zusätzlich ein.

Auf Zwischenmitteilung der Beklagten wandte die Klägerin ein, sie könne entgegen der Darlegung des MDK die beiden unteren Borde der Schränke erreichen. Dort und in einer Schublade unter dem Kochfeld befänden sich auch die "Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens", auf die sie deshalb Zugriff habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2010 zurück und nahm zur Begründung im Wesentlichen auf die Feststellungen des MDK Bezug. Im Übrigen sei selbst unter der Annahme einer selbständigeren Lebensführung durch die Nutzung der Schränke diese jedenfalls nicht so bedeutend, dass sie eine Bezuschussung durch die Pflegekasse rechtfertigen würde. Darüber hinaus sei erkennbar, dass die Modernisierung der Küche insgesamt im Vordergrund gestanden habe.

Die Klägerin hat am 28.05.2010 Klage erhoben.

Sie verweist auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und führt ergänzend aus, dass sich ihr Ehemann häufiger außer Haus aufhalte und es auch deshalb erforderlich sei, dass sie ohne fremde Hilfe auf die in den Oberschränken aufbewahrten Geschirrteile zugreifen könne. Trotz Einschränkung der Beweglichkeit sei sie in der Lage, beidhändig eine Tasse oder einen Teller zu greifen und auf den Rollator zu stellen. In der vorherigen Küche habe sie die Oberschränke überhaupt nicht erreichen können.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 03.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, einen Zuschuss zur Verbesserung des Wohnumfeldes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Am 18.04.2012 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage als Ortstermin in der Wohnung der Klägerin stattgefunden. Das Gericht hat anschließend den Erlass eines Gerichtsbescheides angekündigt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll des Erörterungstermins, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Das Gericht konnte gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten dazu gehört worden sind.

2. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 03.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2010 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Zuschuss zum erfolgten Einbau höhenverstellbarere Küchenschränke gegen die Beklagte.

Nach § 40 Abs. 4 SGB XI können die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des (versicherten) Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird (Satz 1). Die Zuschüsse dürfen dabei einen Betrag von 2.557 Euro je Maßnahme nicht übersteigen (Satz 3).

Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage liegen nicht vor.

a) Der in der Wohnung der Klägerin durchgeführte Einbau höhenverstellbarer Küchenschränke fällt zunächst unter die in § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI beispielhaft genannte technische Hilfe im Haushalt. Das Gemeinsame Rundschreiben des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen vom 10.10.2002 in der Fassung vom 15.07.2008 nennt in Abschnitt D. 6.6 die "Höhenverstellbarkeit der Schränke" ausdrücklich als eine förderungsfähige Maßnahme. Dass vorliegend ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger in Betracht kommen könnte, ist nicht zu erkennen.

b) Durch den Einbau der höhenverstellbaren Schränke wird aber weder die häusliche Pflege der Klägerin ermöglicht (§ 40 Abs. 4 Satz 1, 1. Alt. SGB XI), noch erheblich erleichtert (2. Alt.). Eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes "ermöglicht" die häusliche Pflege, wenn sie objektiv erforderlich ist, um die Pflege im häuslichen Umfeld überhaupt erst durchführen zu können (BSG, Urt. v. 26.04.2001 – B 3 P 15/00 R –, juris). "Erheblich erleichtert" wird sie, wenn ohne Durchführung der Maßnahme eine Überforderung der Pflegeperson droht und deshalb eine stationäre Unterbringung des Pflegebedürftigen in Betracht zu ziehen ist (BSG, Urt. v. 03.11.1999 – B 3 P 3/99 R –, juris). Unzweifelhaft war und wäre die durch den Ehemann der Klägerin geleistete häusliche Pflege auch ohne eine Höhenverstellbarkeit der Küchenschränke zu keiner Zeit gefährdet. Die Klägerin hat dies auch nicht vorgetragen.

c) Ernsthaft zu prüfen ist damit allein, ob durch den Einbau der Schränke die "möglichst selbständige Lebensführung der Pflegebedürftigen wiederhergestellt" wurde (§ 40 Abs. 4 Satz 1, 3. Alt. SGB XI).

Auch dies ist aber nach Auffassung der Kammer nicht der Fall.

Zwar genügt im Rahmen der 3. Alternative die Herbeiführung einer "selbständigeren" – wenn auch nicht "selbständigen" – Lebensführung (BSG, Urt. v. 13.05.2004 – B 3 P 5/03 R –, juris). Auch steht nach Durchführung des Ortstermins in der Wohnung der Klägerin außer Frage, dass erst die Möglichkeit, die Küchenschränke abzusenken, die Klägerin in die Lage versetzt, diese zu öffnen und darin aufbewahrte Geschirrteile eigenständig zu entnehmen.

Indessen dürfte bereits der Begriff der "Lebensführung" – als Zusammenfassung aller alltäglichen Tätigkeiten des Versicherten – darauf hindeuten, dass nicht jede graduelle Erweiterung der Selbständigkeit in kleinen Teilbereichen des täglichen Lebens zur Förderungsfähigkeit führt. Zudem fordert das BSG eine "deutliche" Verbesserung der selbständigen Lebensführung (BSG, Urt. v. 30.10.2001 – B 3 P 3/01 R –, juris) und hebt hervor, dass letztlich alle zu bezuschussenden Maßnahmen ihre Rechtfertigung darin finden, dass durch sie das Verbleiben in häuslicher Pflege gefördert und die Notwendigkeit der Heimpflege vermieden wird (BSG, Urt. v. 30.10.2001 – B 3 P 3/01 R –, juris). Auch die Zielrichtung des § 40 Abs. 4 SGB XI verdeutlicht demnach, dass der Erlangung größerer Selbständigkeit ein gewisses Gewicht zukommen muss. Letztlich wird die Auslegung der Rechtsbegriffe des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI durch das Wirtschaftlichkeitsgebot nach §§ 4 Abs. 3 und 29 Abs. 1 SGB XI beeinflusst (vgl. dazu BSG, Urt. v. 26.04.2001 – B 3 P 15/00 R –, juris). Die Leistungen der Pflegekasse müssen wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Daraus folgt u.a. auch, dass sich die Erforderlichkeit einer wohnumfeldverbessernden Maßnahme, wenn sie die selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen ermöglichen soll, nicht stets und vollständig nach den individuellen Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten des einzelnen Pflegebedürftigen richtet (BSG, Urt. v. 26.04.2001 – B 3 P 15/00 R –, juris).

Diesen Maßstab zugrunde gelegt, führt die in Streit stehende Maßnahme nach Auffassung der Kammer nicht zu einer hinreichend bedeutsamen Verbesserung der Selbständigkeit der Klägerin, ist deshalb nicht notwendig und damit unwirtschaftlich.

Der Einbau der absenkbaren Küchenschränke erweitert die Möglichkeiten der Klägerin, sich selbst zu versorgen, nur marginal. Die Klägerin hat selbst darauf hingewiesen, dass die Mahlzeiten im Wesentlichen durch ihren Ehemann bereitet werden, wenn sie ihm dabei auch helfe, so gut sie könne. Diese Mithilfe müsste aber zum einen nicht unbedingt im Reichen von Geschirrteilen bestehen, die sich in den Oberschränken befinden. Zum anderen erscheint es ohnehin nicht zwingend, häufiger gebrauchte Küchenutensilien in den Oberschränken unterzubringen. Es ist vielmehr zumutbar, insbesondere die wichtigsten Geschirrteile – vor allem solche, die die Klägerin auch einmal in Abwesenheit ihres Ehemannes benötigt, wie Teetasse, Teller, Besteck – in Unterschränken aufzubewahren oder auf eine Ablage zu stellen, die die Klägerin auch mit ihrer eingeschränkten Armbeweglichkeit ohne fremde Hilfe erreichen kann. Dies ist bei vielen Versicherten, die zuhause gepflegt werden, auch so üblich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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