L 5 R 23/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1082/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 23/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15.12.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente anstatt der ihm gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Der 1953 geborene Kläger erlernte von 1967 bis 1971 den Beruf des Werkzeugmachers und arbeitete von 1977 bis 1978 als solcher, sodann machte er eine Ausbildung zum Techniker, Fachrichtung Maschinentechnik mit Refa-Ausbildung. Von 1979 bis 1995 war er als Prüftechniker beschäftigt, danach war er Servicetechniker und Maschinenbautechniker. Von Juli 1999 bis März 2003 arbeitete er als Qualitätsmanagementbeauftragter beim gleichen Arbeitgeber. Aufgrund der Firmenschließung verlor er den Arbeitsplatz. Von September 2003 bis März 2005 arbeitete er im Vertrieb einer Maschinenbaufirma. Im November 2005 war er nach einem Praktikum im Rahmen eines bis zum 30.11.2006 befristeten Arbeitsverhältnisses als Produktionsleiter in einem Kunststoff verarbeitenden Betrieb tätig. Ab September 2006 war er, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass er nicht weiterbeschäftigt werde, arbeitsunfähig krank und bezog ab 20.11.2006 Krankengeld, am 08.04.2008 wurde er ausgesteuert. Danach bezog er Arbeitslosengeld I bis einschließlich 07.10.2009. Bei ihm ist ein GdB von 50 seit 05.05.2006 anerkannt. In der Zeit vom 28.11.2006 bis 09.01.2007 nahm der Kläger an einer medizinischen Reha-Maßnahme in B. S. teil.

Der Kläger absolvierte vom 08.01.2008 bis 19.02.2008 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Fachklinik S. F. in B. K ... Dort wurde er regulär als arbeitsunfähig entlassen. Diagnostiziert wurden eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig. Der Kläger könne wegen der noch anhaltenden depressiven Symptomatik keine Nachtschichten verrichten, darüber hinaus dürften keine hohen Anforderungen an das Konzentrations-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen gestellt werden, er dürfe keine Aufgaben unter Zeit- und Leistungsdruck verrichten. Als Produktionsleiter sei er nur noch unter drei Stunden leistungsfähig, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er noch sechs Stunden und mehr Tätigkeiten verrichten. Für die erlernte Tätigkeit als Werkzeugmacher und staatlich geprüfter Maschinenbautechniker sei der Kläger ebenfalls sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Mit dieser Einschätzung habe der Kläger nicht übereingestimmt, er sehe sich insgesamt nur noch für drei bis sechs Stunden leistungsfähig.

Am 23.06.2008 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Er halte sich aufgrund einer psychosomatischen Erkrankung seit September 2006 für erwerbsgemindert und könne keinerlei Tätigkeiten verrichten. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung des Klägers durch Dr. S., Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, der den Kläger am 31.07.2008 begutachtete. Im Gutachten vom 04.08.2008 diagnostizierte Dr. S.: Anamnestisch rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, anamnestisch Agoraphobie mit Panikstörung in weitestgehender Remission, akzentuierte Persönlichkeitszüge. Der Kläger sei durchaus in der Lage, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzutreten. Es zeige sich keine Antriebsminderung, sozial-phobische Züge seien nicht bekannt und seien nicht ersichtlich gewesen. Auch ein Hinweis auf eine Einschränkung des Durchhaltevermögens bestehe nicht. Es liege ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Tätigkeiten mit vermehrt geistig-psychischen Belastungen seien nicht leidensgerecht, eine Nachtschichttätigkeit sei zu vermeiden. Allerdings könne der Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionsleiter mit den entsprechenden geistig-psychischen Belastungen nicht mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 23.10.2008 wurde dem Kläger ab 01.11.2006 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in Höhe von monatlich 635,14 EUR bewilligt. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe nicht, weil er eine Erwerbstätigkeit noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne. Hiergegen legte der Kläger am 31.10.2008 Widerspruch ein. Der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. G. gehe entgegen von Dr. S. davon aus, dass selbst leichteste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch weniger als drei Stunden täglich verrichtet werden könnten. Der Kläger fügte eine Stellungnahme von Dr. G. zur Vorlage beim Rentenversicherungsträger vom 23.12.2008 bei (Bl. 184 der Verwaltungsakte). Nach Einholung einer beratungsärztlichen nervenärztlichen Stellungnahme vom 21.01.2009 wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2009 zurückgewiesen.

Der Kläger hat sein Begehren weiterverfolgt, am 03.04.2009 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und sein Vorbringen aus Widerspruchsverfahren wiederholt. Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten.

Das SG hat Dr. G. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Unter dem 23.06.2009 (Bl. 19 ff. Gerichtsakte) nahm Dr. G. ausführlich Stellung. Beim Kläger lägen schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor, die am ehesten als eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome zu klassifizieren seien. Diese Störungen hätten in den letzten zehn Jahren derart zugenommen, dass sich trotz intensivster Bemühungen eine entscheidende Veränderung nicht ergeben habe. Der Kläger habe über Jahre hinweg über seine Fähigkeiten und Fertigkeiten gearbeitet und sei nun vorzeitig an die Grenze gekommen, durch die seine Leistungsfähigkeit soweit herabgemindert werde, dass er nach Auffassung von Dr. G. keine Tätigkeiten mehr ausüben könne. Die vielen Entlassungen und Arbeitsstellenwechsel in den letzten Jahren würden dies mit aller Deutlichkeit beweisen. Da der Kläger zutiefst beschämt über seinen Zustand sei und das Daniederliegen des Selbstwertes nach außen verbergen müsse, sei es für Gutachter schwierig, das eigentliche Leid und Elend des Patienten in richtigem Ausmaß zu erfassen. Es handle sich damit um eine erhebliche innerseelische Regulationsstörung, die ein Krankheitsbild bedinge, das einen Zustand erreicht habe, der eine Leistungsfähigkeit von mehr als drei Stunden täglich nicht zulasse. Die Beklagte nahm hierzu durch Dr. M., Ärztin für Nervenheilkunde, am 05.08.2009 Stellung und teilte mit, aus dem Schreiben von Dr. G. ließen sich keine entsprechenden Befunde für die angenommene schwergradig ausgeprägte depressive Episode finden. Offensichtlich habe Dr. G. trotz der angenommenen schwergradig ausgeprägten Episode keine Intensivierung der Behandlungsmaßnahmen durchgeführt, die geringe Behandlungsintensivität spreche gegen die Annahme einer schwergradig ausgeprägten depressiven Episode.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr. S., Chefarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie 1 des Zentrums für Psychiatrie N. in W ... Im Gutachten vom 11.12.2009 diagnostizierte Dr. S.: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradig, Panikstörung, psychogener Tremor sowie zusätzlich eine nicht krankheitswerte Persönlichkeitsakzentuierung mit leistungsfixierten und narzisstischen Zügen. Er beurteile die Lage im Wesentlichen deckungsgleich mit der Beurteilung von Dr. S. sowie der Psychosomatischen Fachklinik B. K ... Der Kläger könne kognitiv überschaubare, nicht erhöht stressbelastende Tätigkeiten in Produktion, Logistik und Dienstleistung, insbesondere auch Tätigkeiten im erlernten Beruf als Werkzeugmacher bzw. Maschinenbautechniker verrichten. Als Produktionsleiter könne er nicht mehr arbeiten. Die möglichen Tätigkeiten könne der Kläger weiterhin vollschichtig verrichten. Der Kläger beantragte die Erstellung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz von Dr. H., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Im Gutachten vom 23.09.2010 diagnostizierte Dr. H. eine rezidivierende depressive Störung, allenfalls leichtgradig, eine Angststörung mit Panikattacken und eine narzisstisch-zwanghafte Persönlichkeitsentwicklung. Durch die Psychopathologie sei insgesamt von einer verminderten psychischen Belastbarkeit auszugehen, wobei diese bezüglich eines möglichen Arbeitsumfeldes zu differenzieren bleibe. Das psychische Vermögen des Klägers sei in außergewöhnlichem Maße abhängig von der Wahrnehmung einer besonders fördernden und gratifizierenden Umgebung. Der Kläger könne keine Tätigkeiten mit einem erhöhten Maß an Verantwortung für Personen oder Sachwerte mehr verrichten, ebenso müssten Tätigkeiten, die eine erhöhte Anforderung an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen erfordern würden und Tätigkeiten mit Publikumsverkehr sowie solche, die ein erhöhtes Maß an eine Dauerkonzentration erfordern, ausgeschlossen sein, auch Tätigkeiten in unphysiologischer Arbeitszeit seien nicht mehr zu erbringen. Die quantitative Belastbarkeit knüpfe an die möglichen günstigen oder ungünstigen Umgebungsbedingungen. Unter den dargestellten günstigen Umgebungsbedingungen sei eine vollschichtige Belastbarkeit anzunehmen, unter den ungünstigen Bedingungen sei eine unter dreistündige Belastbarkeit anzunehmen. Es sei zu prüfen, inwiefern sich über die Gewährung von Teilhabemöglichkeiten die Arbeitsbedingungen günstig gestalten lassen würden. Bei günstigen Bedingungen seien verantwortungsvolle Tätigkeiten für den Kläger eher psychisch stabilisierend, unter ungünstigen Bedingungen sei jedoch jede Tätigkeit über die erhebliche Labilisierung des narzisstischen Gefüges durch Dekompensationsmechanismen nicht mehr zu erbringen. Der Kläger teilte hierzu mit, aus dem Gutachten lasse sich nicht ableiten, dass er noch ein sechsstündiges Leistungsvermögen habe. Denn dies hänge nicht von günstigen oder ungünstigen Bedingungen ab, sondern von der Frage, ob er derzeit grundsätzlich in der Lage sei, einen sechsstündigen Arbeitstag zu verrichten. Dies sei aufgrund der noch vorhandenen psychischen Instabilität nicht der Fall, egal, um welche Tätigkeiten es sich handele. Er fügte eine Stellungnahme von Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 28.10.2010 bei. Dieser führt aus, es sei davon auszugehen, dass das Auftreten zwischenmenschlicher Konflikte am Arbeitsplatz zu einer erheblichen Destabilisierung mit längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten führen würde.

Mit Urteil vom 15.12.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, sein berufliches und körperliches Leistungsvermögen sei nicht auf eine Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich herabgesunken. Vielmehr sei der Kläger in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten unter Ausschluss von Tätigkeiten mit vermehrten geistig-psychischen Belastungen, ohne Nachtschichttätigkeiten, ohne Tätigkeiten mit einem erhöhtem Maß an Verantwortung für Personen oder Sachwerte und ohne Tätigkeiten mit Publikumsverkehr oder dem Erfordernis eines erhöhten Maßes an Dauerkonzentration noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies ergebe sich aus der Gesamtwürdigung der im Verfahren eingeholten medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Entlassungsbericht der stationären Rehabilitationsmaßnahme vom 08.01.2008 bis 19.02.2008, dem Gutachten von Dr. S. aus dem Verwaltungsverfahren, vorliegend im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie den Gutachten von Dr. S. und Dr. H ... Die beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen schränkten - auch in ihrer Zusammenschau - die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers zwar, wie dargestellt, in qualitativer Hinsicht ein, stünden aber der Ausübung sechsstündiger leichter Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit den genannten qualitativen Einschränkungen nicht entgegen. Die genannten Ärzte seien übereinstimmend zum Ergebnis, dass beim Kläger zwar erhebliche psychische Erkrankungen bestünden, er aber dennoch in der Lage sei, die genannten Tätigkeiten mindestens sechs Stunden am Tag zu verrichten. Dies gelte auch für das Gutachten von Dr. H ... Zwar unterscheide er, dass die Tätigkeiten unter günstigen Umgebungsbedingungen möglich seien, also in einer fördernden und gratifizierenden Umgebung. Unter ungünstigen Bedingungen bestehe jedoch die Gefahr der Dekompensation. Die Kammer sei jedoch davon überzeugt, dass diese von Dr. H. genannten günstigen Arbeitsbedingungen keine ungewöhnlichen Anforderungen an eine Arbeitsstelle stellten, sondern bei einem normalen kollegialen Miteinander, wie es an einem Großteil der Arbeitsplätze herrsche, durchaus gegeben seien. Der Auffassung sei offenbar auch der Kläger selbst, der in seiner Stellungnahme zum Gutachten von Dr. H. ausführte, die Beurteilung, ob er arbeiten könne oder nicht, hänge nicht von günstigen oder ungünstigen Bedingungen ab. Vielmehr habe er sich der Beurteilung des Gutachters Dr. H., er sei überhaupt in der Lage, noch sechs Stunden zu arbeiten, nicht anschließen können. Dieser Auffassung sei die Kammer jedoch nicht. Dabei sehe sie die Beurteilung von Dr. G. als widerlegt an. Zwar habe dieser eine ausführliche Stellungnahme über den Kläger erstattet und dabei mitgeteilt, trotz intensivster Bemühungen habe sich eine entscheidende Veränderung in seinem Gesundheitszustand nicht ergeben. Allerdings führe Dr. S. ausdrücklich aus, dass die beim Kläger bestehende Medikation noch optimiert werden könne. Auch in psychotherapeutischer Hinsicht sehe Dr. S. durchaus noch Behandlungsmöglichkeiten. Der Beurteilung von Dr. G., Bemühungen seien intentivst gewesen und es lasse sich nichts mehr ändern, könne daher nicht zugestimmt werden. Im Übrigen schildere Dr. G. für die von ihm angenommene schwere depressive Episode keine entsprechenden Befunde. Auch die Stellungnahme von Dr. D. vom 28.10.2010 könne nach Auffassung der Kammer, nicht die Beurteilung der Gutachter widerlegen. Dr. D. führe aus, er bezweifle, dass ein entsprechender Arbeitsplatz zu finden sei. Nach der Gesetzeslage dürfe dies allerdings bei der Bewertung, ob eine Rente gewährt werden könne, nicht berücksichtigt werden. Wie dargestellt, gehe das Gericht nicht davon aus, dass die von Dr. H. vorausgesetzten günstigen Bedingungen derart ungewöhnlich seien, dass sie das Erfordernis besonderer Arbeitsbedingung darstellten. Ansonsten teile Dr. D. mit, dass das Auftreten zwischenmenschlicher Konflikte am Arbeitsplatz zu einer erheblichen Destabilisierung mit längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten führen würde. Diesen Ausführungen lasse sich nicht entnehmen, dass Dr. D. davon ausgehe, der Kläger könne Tätigkeiten, die den oben geschilderten qualitativen Einschränkungen entsprächen, nicht mehr oder nicht mehr unter sechs Stunden verrichten. Das Gericht verkenne nicht, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Beschwerden nachvollziehbar und eindrücklich geschildert habe. Das Gericht verkenne ebenfalls nicht, dass der Kläger unter seiner Krankheit leide und insbesondere unter den Einschränkungen, die sie ihm auferlege. Allerdings hätten diese Beschwerden ebenso bei den geschilderten Begutachtungen durch Dr. S., Dr. S. und Dr. H. wie auch im Rahmen der stationären Rehabilitationsmaßnahmen bestanden. Alle darüber berichtenden Ärzte kämen jedoch übereinstimmend zum Ergebnis, dass der Kläger trotz seiner Einschränkungen leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Zusammenfassend sei der Kläger unter Berücksichtigung sämtlicher bei ihm diagnostizierter Gesundheitsstörungen nach alledem noch in der Lage, jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Der Kläger sei somit nicht erwerbsgemindert, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein Leistungsvermögen von täglich weniger als sechs Stunden begründe. Insbesondere müsse für die Vermeidung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch sei die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gebe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden seien. Dies stimme mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt habe, dass nicht erwerbsgemindert sei, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen sei. Der Kläger habe somit keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, unabhängig davon, ob die für ihn zuständige Arbeitsagentur einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, sei nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen. Des Weiteren seien keine Beschränkungen des zumutbaren Arbeitsweges erkennbar, auch betriebsunübliche Pausen würden nicht benötigt. Wie dargestellt, benötige der Kläger für seine Arbeit auch keine ungewöhnlichen betrieblichen Bedingungen. Schließlich liege auch weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor.

Gegen dieses ihm am 23.12.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.01.2011 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, er könne aufgrund seiner Panikstörung an manchen Tagen seine Wohnung nicht verlassen und nur in Begleitung Strecken über 10 km mit dem Auto fahren. Aufgrund seines Tremors bereits bei geringen Belastungen könne er ebenfalls nicht mehr arbeiten. Zusammenfassend sei er nur bis etwa 2 Stunden belastbar. Dann komme es zu Zittern und Müdigkeit sowie Unwohlsein bis zu Schwindel. Er benötige dann eine Pause von ca. 1 Stunde. Zudem würde die anhaltende nervliche Belastung immer häufigere Angstattacken auslösen. Die Untersuchung durch Dr. H. habe am 25.03.2010 und damit etwa 1/2 Jahr vor Abfassung des Gutachtens stattgefunden. Die vom SG im Rahmen der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Befunde seien somit etwa 1/2 Jahr alt. Es werde angeregt, den ihn seit etwa Mai 2009 behandelnde Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. als sachverständigen Zeugen zu hören.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15.12.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. D ... Dieser hat unter dem 19.04.2011 angegeben, dass er den Kläger seit dem 25.05.2009, fortlaufend behandle, zuletzt habe er ihn am 14.03.2011 aufgesucht. Die Behandlung sei vom vorbehandelnden Nervenarzt, Dr. G. übernommen worden, nachdem dieser seine Praxis abgegeben habe. Es habe ein depressives Syndrom mit reduzierter emotionaler und teilweise auch reduzierter konzentrativer Belastbarkeit bestanden. Die bewährte Medikation von Dr. G. mit Quilonum retard und Laif 900 sei weitergeführt worden unter der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD 10 F33.1). Der Verlauf sei chronifiziert, es ergäben sich teilweise Schwankungen bei insgesamt jedoch konstanter Befundlage.

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme hierzu vorgelegt, in der ausgeführt wird, der Bericht von Dr. D. bestätige die bisherige sozialmedizinische Einschätzung. Es werde Arbeitsunfähigkeit seit zumindest Mai 2009 attestiert; der beratungsärztliche Dienst der Beklagten gehe von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen für den letzten Beruf seit Oktober 2006 aus. Eine grundlegend veränderte Befundlage werde im Bericht von Dr. D. nicht mitgeteilt. Aus Sicht des beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten ergebe sich somit weder eine Veränderung in der bisherigen Einschätzung noch die Notwendigkeit der Empfehlung weiterer medizinischer Ermittlungen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Berufungsakte, Gerichtsakte des SG sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig.

Die Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Denn das SG hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1). Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gem. § 43 Abs. 3 SGB VI ist jedoch nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Würdigung der dem Senat vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere der Gutachten, Stellungnahmen und sonstigen ärztlichen Meinungsäußerungen und Befundangaben, ergibt in ihrer Gesamtschau, dass der Kläger weder voll- noch teilerwerbsgemindert ist, weil nach Überzeugung des Senats nicht festgestellt werden kann, dass er nicht mehr sechs Stunden und mehr täglich an fünf Tagen in der Woche unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann.

Der Kläger kann, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, leichte körperliche Tätigkeiten unter Ausschluss von Tätigkeiten mit vermehrten geistig-psychischen Belastungen, ohne Nachtschichttätigkeiten, ohne Tätigkeiten mit einem erhöhtem Maß an Verantwortung für Personen oder Sachwerte und ohne Tätigkeiten mit Publikumsverkehr oder dem Erfordernis eines erhöhten Maßes an Dauerkonzentration noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG) und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab.

Die qualitativen Einschränkungen begründen nicht die Notwendigkeit der Benennung einer Verweisungstätigkeit. Grundsätzlich bedarf es bei Versicherten, die noch mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten können, nicht der konkreten Benennung (zumindest) einer Verweisungstätigkeit. Ausnahmsweise hat die Rechtsprechung auf der Grundlage der vor dem 1. Januar 2001 gültigen Rechtslage auch bei noch vollschichtiger Leistungsfähigkeit die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit in solchen Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. BSG, Beschlüsse des Großen Senats (GrS) vom 19.12.1996 - GS 1 bis 4/95 -, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 sowie Entscheidungen des BSG vom 20.08.1997 - 13 RJ 39/96 - SozR 3-2600 § 43 Nr. 17, vom 24.03.1998 - B 4 RA 44/96 R -, vom 25.03.1998 - B 5 RJ 46/97 R - und vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - SozR 3-2600 § 44 Nr. 12 jeweils veröffentlicht in Juris). Überträgt man diese Rechtsprechung auf die Frage des Vorliegens voller Erwerbsminderung, führt dies hier zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Bei dem Kläger lag weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die sein Leistungsvermögen in einer zur Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes Anlass gebenden Weise einschränken. Eine relevante Verschlechterung ist auch insoweit nicht feststellbar. Einer Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es daher nicht. Der Kläger kann insbesondere die von Dr. S. im Rahmen der Begutachtung angesprochenen Tätigkeiten in Produktion, Logistik und Dienstleistung sowie im erlernten Beruf als Werkzeugmacher bzw. Maschinenbautechniker jeweils ohne Personalverantwortung noch ausführen und benötigt keine betriebsunüblichen Pausen.

Die von Dr. H. angegebene Notwendigkeit günstiger Umgebungsbedingungen überzeugt nicht. Diese leitet Dr. H., der nach eigner Einschätzung im Wesentlichen die gleichen Befunde erhoben hat, wie Dr. S., aus einer narzisstisch-zwanghaften Persönlichkeitsentwicklung ab, der Dr. S. mit seiner Bewertung als Persönlichkeitsakzentuierung keine ausreichende Bedeutung beigemessen habe. Dr. H. stützt die narzisstisch-zwanghaften Persönlichkeitsentwicklung aus der er das Erfordernis besonders günstiger Arbeitsbedingungen ableitet, auf das besondere Maß der psychischen Vulnerabilität, das sich während der letzten Reha-Maßnahme Januar/Februar 2008 gezeigt habe. Diese sei im Anschluss an einen erheblichen Arbeitsplatzkonflikt erfolgt, der die Grenzen der psychischen Bewältigungsmöglichkeiten offen gelegt habe. Die hieraus für die Arbeitsumgebung gezogene Schlussfolgerung überzeugt jedoch nicht. Zunächst hat der Kläger zuletzt im November 2006 gearbeitet. Nach dem Verlust dieses Arbeitsplatzes hat er von November 2006 bis Anfang Januar 2007 an einer Reha-Maßnahme in B. S. teilgenommen. Aus dem von Dr. H. in Bezug genommenen Entlassungsbericht zur Reha-Maßnahme 2008 geht schließlich hervor, dass der Kläger für sechs und mehr Stunden unter Beachtung der genannten qualitativen Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leistungsfähig erachtet wurde. Weiterhin lässt sich aus der Dekompensation eines erheblichen Konflikts am Arbeitsplatz nicht herleiten, dass unter üblichen Bedingungen und Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen eine regelmäßige Arbeit nicht mehr möglich wäre. Schließlich hat Dr. S. bei seiner Würdigung auch zutreffend dargelegt, dass die seit 2003 erfolgten Arbeitsplatzverluste betrieblich bzw. zuletzt 2006 aufgrund der Mitnahme von Eingliederungshilfen durch den Arbeitgeber bedingt und nicht krankheitsbedingt erfolgt waren. Dementsprechend gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, den gerade die jeweiligen Verluste der Arbeitsplatzplätze – insbesondere des letzten - psychisch sehr belastet haben, die oben genannten Tätigkeiten in der üblichen Arbeitsumgebung nicht mehr sechs Stunden regelmäßig an fünf Tagen in der Woche ausüben könnte.

Hinweise auf Einschränkungen der Wegefähigkeit haben sich aus den medizinischen Ermittlungen nicht ergeben. Der Kläger kann öffentliche Verkehrsmittel zumutbar erreichen und benutzen. Ebenso kann er mit dem Pkw zur Arbeit fahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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