L 5 R 3615/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 4169/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3615/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1967 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war als Döner-Imbissverkäufer und zuletzt als Arbeiter/Reinigungskraft auf einer Baustelle versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 14.10.2010 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor hatte er vom 31.3.2010 bis 5.5.2010 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Reha-Klinik K., N., absolviert. Im Entlassungsbericht vom 5.5.2010 sind die Diagnosen Anpassungsstörungen mit Somatisierungsstörungen und chronische polypoide Pansinusitis festgehalten. Der Kläger könne als Raum- und Hausratsreiniger (nicht auf einer Baustelle) 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Die Beklagte erhob das Gutachten der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. E. vom 19.4.2011 sowie das Gutachten der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. H. vom 19.4.2011.

Dr. E. fand (bei nicht depressiver Grundstimmung, unauffälliger affektiver Schwingungsfähigkeit und Psychomotorik bzw. unauffälligem Antrieb) eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Angabe von Kopfschmerzen, am ehesten medikamenteninduziert und polypoide Pansinusitis. Eine belangvolle depressive Symptomatik habe nicht festgestellt werden können. Der Kläger habe angegeben, seit 7 bis 8 Monaten eine Psychiaterin alle 2 bis 3 Monate aufzusuchen. Die Lebensführung des Klägers sei nicht beeinträchtigt. Es habe Aggravation in der Untersuchungssituation bestanden; beim FNV (Koordinationstest) habe der Kläger demonstrativ daneben gezeigt. Der Kläger spreche offenbar auch wesentlich besser Deutsch als er vorgebe. Er könne als Reinigungskraft auf Baustellen 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Dr. H. diagnostizierte zusätzlich zu den von Dr. E. gestellten Diagnosen eine operativ behandelte NNH-Entzündung, eine geringgradige Wirbelsäulenfehlhaltung, eine Verspannung der Schulter-Nacken-Muskulatur ohne Funktionsminderung sowie Immuntoleranz bei chronischem Hepatitis-B-Virusnachweis sowie Nikotinabusus. Der Kläger könne als Hilfsarbeiter in Renovierungs- und Abbruchunternehmen 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 20.1.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 21.6.2011 zurück.

Am 18.7.2011 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Zur Begründung trug er vor, er leide schon ohne Belastung an Kopfschmerzen, Nackenschmerzen und Schmerzen im ganzen Gesicht. Die Diagnose chronischer Spannungskopfschmerz sei nicht berücksichtigt worden. Wegen der Schmerzen könne er nicht mehr durchschlafen. Arbeit von wirtschaftlichem Wert sei ihm nicht mehr möglich.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters, Psychotherapeuten Dr. H. (Klinikum a. W., W.) vom 16.4.2012. Die Beklagte legte eine beratungsärztliche Stellungnahme vor.

Der Orthopäde Dr. R. teilte im Bericht vom 24.10.2011 Diagnosen mit (Kopfschmerzen, HWS-Syndrom, Schwindel unklarer Genese, Karpaltunnelsyndrom beidseits). Er schloss sich der Leistungsbeurteilung der Dr. H. an (beigefügt Arztbrief der Neurologin und Psychiaterin Dr. N. vom 6.12.2010: chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp ohne cerebrales Organkorrelat). Die psychiatrische Institutsambulanz des R.-S.-S., S. (Dr. K., Dipl.-Psych. D.), teilte im Bericht vom 14.11.2011 eine mittelgradige depressive Episode mit. Das Leistungsvermögen des Klägers sei auf unter 3 Stunden täglich abgesunken.

Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. B. vom 30.11.2011 vor. Darin ist (u.a.) ausgeführt, den Bericht der psychiatrischen Institutsambulanz vom 14.11.2011 habe offenbar nicht die behandelnde Psychiaterin (Dr. L. - Klagebegründung vom 5.10.2011), sondern eine Diplom-Psychologin (D.) verfasst. Es würden nur spärliche vage klinische psychische Untersuchungsbefunde benannt, weshalb die Leistungseinschätzung (unter 3 Stunden täglich) nicht nachvollziehbar sei. Welche Therapie stattfinde, werde in dem Bericht ebenfalls nicht erwähnt.

Dr. H. führte in seinem Gutachten aus, der Kläger suche nach eigenen Angaben einmal im Monat einen Nervenarzt auf. Er habe Kopfschmerzen angegeben und Schmerzen im Übrigen verneint; außerdem sei er (hinsichtlich psychischer Beschwerden) müde und sehr nervös sowie lustlos und traurig. Das Hauptproblem seien die Kopfschmerzen. Der Gutachter diagnostizierte (bei leicht gedrückter Stimmungslage und leicht reduzierter affektiver Schwingungsfähigkeit sowie leicht reduziertem Antrieb) eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine leichte depressive Episode (keine mittelgradige oder gar schwere depressive Episode, auch kein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung). Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen wie keine Überforderung durch Akkord- und Nachtarbeit oder Arbeit unter besonderem Zeitdruck bzw. mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration oder besonders hoher Verantwortung und geistiger Beanspruchung) mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Ein schädlicher Gebrauch von Analgetika sei eindeutig gesichert. Der Kläger sei auch wegefähig.

Mit Bescheid vom 21.5.2012 lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab; Krankenbehandlung im Rahmen der Krankenversicherung sei ausreichend.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.7.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, Erwerbsminderungsrente (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI) stehe dem Kläger nicht zu. Er könne jedenfalls leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliege (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI). Das gehe aus dem Gerichtsgutachten des Dr. H. sowie aus den Verwaltungsgutachten der Dres. E. und H. und dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. vom 5.5.2010 überzeugend hervor. Die im Bericht der psychiatrischen Institutsambulanz des R.-S.-S., S., geäußerte abweichende Auffassung sei nicht schlüssig und nachvollziehbar begründet. Die geltend gemachten Kopfschmerzen bedingten qualitative, jedoch keine quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkungen.

Auf den ihm am 27.7.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.8.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen. Bei ihm lägen keine wissenschaftlich messbaren körperlichen Störungen vor, vielmehr leide er unter einer seelischen Krankheit. Deswegen könne er sich den Normen des Arbeitslebens nicht anpassen und nicht mehr 6 Stunden täglich arbeiten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.7.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.6.2011 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Er hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren des Klägers zu beurteilen ist, und weshalb ihm danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten anzumerken:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass der Kläger (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht aus den Verwaltungsgutachten der Dr. E. und der Dr. H. sowie dem Gerichtsgutachten des Dr. H. und dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik K. überzeugend hervor. Der behandelnde Orthopäde Dr. R. hat sich der Leistungseinschätzung der Dr. H. ebenfalls angeschlossen.

Eine Erkrankung des psychiatrischen Fachgebiets oder eine Schmerzerkrankung, die rentenberechtigende (quantitative) Leistungseinschränkungen verursachen würde, liegt nicht vor. Dr. E. hat eine belangvolle depressive Symptomatik bei unauffälliger affektiver Schwingungsfähigkeit und unauffälligem Antrieb nicht gefunden. Auch Dr. H. hat nur eine leichte depressive Episode diagnostiziert. Dementsprechend findet eine multimodale und engmaschige psychopharmakologische, psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlung auch nicht statt; der Kläger sucht nach eigenen Angaben (bei der Begutachtung durch Dr. H.) einmal im Monat bzw. alle 2 bis 3 Monate (bei der Begutachtung durch Dr. E.) einen Nervenarzt bzw. eine Psychiaterin auf. Auch eine adäquate Schmerztherapie, die bei einer sozialmedizinisch beachtlichen Schmerzerkrankung zu erwarten wäre, wird nicht durchgeführt. Die vom - so Dr. E. aggravierenden (und jedenfalls beim FNV-Test auch simulierenden) - Kläger für sein Rentenbegehren behaupteten Kopfschmerzen gehen im Übrigen offenbar auf einen - so Dr. H. - schädlichen Gebrauch von Analgetika zurück (ebenso Dr. E.) und sind behandelbar. Der Bericht der psychiatrischen Institutsambulanz des R.-S.-S. vom 14.11.2011, der offenbar nicht von der behandelnden Ärztin (Dr. L.) abgefasst worden ist, enthält eine ärztliche Meinungsäußerung, aber keine aus Befunden schlüssig begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung (so zu Recht Dr. B. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.11.2011). Der Bericht hat dem Gutachter Dr. H. auch vorgelegen und ist von diesem berücksichtigt worden. Die vom Kläger zur Berufungsbegründung angeführten seelischen Störungen sind wissenschaftlich/sozialmedizinisch erfassbar und beurteilbar. Rentenberechtigende Leistungsminderungen haben die Gutachter (insbesondere Dr. H.) insoweit aber nicht gefunden.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, etwa weitere Begutachtungen, nicht auf.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved