Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 612/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5184/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. November 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG") streitig.
Der 1959 geborene Kläger erkrankte als Kind an Kinderlähmung. Bei ihm stellte das Landratsamt L. (LRA) auf den Antrag des Klägers auf Erhöhung des Grades der Behinderung (GdB) mit Bescheid vom 10.05.2010 wegen einer Teillähmung des rechten Beinnervengeflechts, eines Beckenschadens und einer Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks (Teil-GdB 60), degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen und eines chronischen Schmerzsyndroms (Teil-GdB 30) sowie einer Depression (Teil-GdB 30) den GdB mit 90 neu sowie die Merkzeichen "G" und "B" weiterhin fest.
Gegen den Bescheid vom 10.05.2010 legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und machte zur Begründung am 02.07.2010 einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geltend. Das LRA wertete dieses Begehren als Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "aG". Es zog medizinische Unterlagen bei (Befundbericht Dr. L. vom 23.09.2010 und Ärztlicher Entlassungsbericht der S. Kliniken GmbH vom 16.09.2008). Nach Einholung der gutachtlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes, Dr. Bo. , vom 31.10.2010, in der die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" verneint wurden, lehnte das LRA mit Bescheid vom 10.11.2010 die Feststellung des Merkzeichens "aG" ab.
Gegen den Bescheid vom 10.11.2010 legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 07.12.2010 Widerspruch ein. Er machte geltend, aufgrund der Folgen der Kinderlähmung sei er außergewöhnlich gehbehindert. Ohne Hilfsmittel wie eine Orthese und Gehstützen könne er sich nur hüpfend auf einem Bein fortbewegen. Der Kläger bezog sich auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.12.2002.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2011 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10.11.2010 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass der Kläger nicht dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Straßenverkehrsordnung genannten Personenkreis zugeordnet werden und diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden könne. Dem erheblich eingeschränkten Gehvermögen mit der Notwendigkeit regelmäßiger Hilfe in öffentlichen Verkehrsmitteln sei mit der Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" Rechnung getragen.
Hiergegen erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 18.02.2011 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Er wiederholte zur Begründung im Wesentlichen sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und trug ergänzend vor, mit Blick auf Art. 3 GG müsse der Nachteilsausgleich "aG" auch bei der Möglichkeit, längere Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen, noch in Betracht kommen. Der Kläger legte medizinische Unterlagen vor (Stellungnahme des Integrationsfachdienstes L. vom 24.02.2011, Ärztlicher Befundbericht der Berufsausübungsgemeinschaft Dr. Ru. und Kollegen vom 09.02.2011, Bericht Dr. L. vom 17.02.2011) und berief sich auf sozialgerichtliche Entscheidungen.
Das SG hörte die Orthopädin und Unfallchirurgin Dr. L. schriftlich als sachverständige Zeugin an. Dr. L. teilte in ihrer Stellungnahme vom 02.05.2011 den Behandlungsverlauf, die Diagnosen sowie Befunde mit und schätzte den GdB auf 90 ein. Es bestehe eine Bewegungseinschränkung durch eine Parese am rechten Bein.
Anschließend holte das SG (von Amts wegen) das orthopädische Gutachten des Dr. Hu. vom 29.07.2011 ein. Dr. Hu. teilte in seinem Gutachten mit, der Kläger sei zur Untersuchung mit angelegtem Oberschenkelschienenhülsenapparat und einem rechts getragenen Handstock in Begleitung seiner Ehefrau, die ihn leicht auf der linken Seite gestützt habe, laufend erschienen. Die Gehstrecke werde vom Kläger mit etwa 200 Meter (mit Unterstützung durch die Ehefrau) angegeben, wobei nach ca. 75 bis 100 Meter Atembeschwerden auftreten würden. Dr. Hu. diagnostizierte beim Kläger ein Postpoliosyndrom mit deutlicher Muskelatrophie des gesamten rechten Beins, eine Beinverkürzung von 4,5 cm, eine Belastungsinsuffizienz und Notwendigkeit des Tragens eines Schienenhülsenapparats mit Beinlängenausgleich und Schweizer Sperre, muskuläre Dysbalancen der hüftübergreifenden Muskulatur beidseits, minimalste und das altersentsprechende Maß nicht überschreitende degenerative Umbauvorgänge beider Hüftgelenke, ein femoropatellares Schmerzsyndrom links, Spreiz-Plattfüße beidseits, ein plantarer Fersensporn links, ein diskreter Hallux rigidus links, eine einfach positive laterale Instabilität des oberen Sprunggelenks links, ein Lumbalsyndrom mit begleitenden Muskelspannungsstörungen bei das altersentsprechende Maß nicht überschreitenden Verschleißerscheinungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallerscheinungen der linken unteren Extremität, ein Cervicalsyndrom mit Muskelspannungsstörungen bei Fehlhaltung ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallerscheinungen, ein Rotatorenmanschettensyndrom der linken Schulter mit Funktionsdefizit sowie eine Epicondylopathia humero ulnaris links. Dr. Hu. gelangte zusammenfassend zu der Bewertung, der Kläger sei auf die Benützung eines stabilisierenden Schienenhülsenapparats angewiesen. Er sei trotz der Lähmung des rechten Beins soweit mobil, dass er sich mit der gegebenen orthopädischen Versorgung und der stabilisierenden Sicherung durch die Ehefrau erkennbar für mindestens 70 Meter, anamnestisch für gut 200 Meter selbst bewegen könne. Der Kläger fahre selbst Auto. Das gesamte Verhalten des Klägers habe nicht bewusst verdeutlichend gewirkt. Sicher würden das Aus- und Wiedereinsteigen Schwierigkeiten bereiten, wenn die Tür nicht weit geöffnet werden könne. Der Kläger sei in seiner Gehfähigkeit nicht in vergleichbar hohem Maße eingeschränkt wie bei den genannten Vergleichsgruppen. Gleichfalls bedürfe es nicht ebenso großer Anstrengung zur Bewegung. Hinsichtlich der Benötigung fremder Hilfe durch Personen fühle sich der Kläger sicherer, wenn ihn seine Ehefrau unterstütze. Es sei ihm aber durchaus möglich, sich selbstständig fortzubewegen. Letztendlich finde sich als einziges Argument für eine Beschränkung der Wegefähigkeit die Situation, dass es durchaus beschwerlich sein könne, einen geeigneten Parkplatz zu finden. Ob und inwiefern diese Situation geeignet sei, eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu rechtfertigen, obliege der Entscheidung des Gerichts.
Mit Gerichtsbescheid vom 14.11.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, das Gehvermögen des Klägers sei nicht in so ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt, dass er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie der in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung genannte Personenkreis fortbewegen könne. Die durch das Postpoliosyndrom hervorgerufene Beeinträchtigung des Gehvermögens erreiche nicht das für das Merkzeichen "aG" erforderliche Ausmaß. Auch die Unterstützung der Ehefrau des Klägers beim Gehen führe nicht zu der Annahme, dass dem Kläger ein Gehen nur mit fremder Hilfe möglich sei. Vielmehr entspreche die Hilfestellung dem allgemeinen Verhalten der Ehefrau, den Kläger in seinem Alltag zu unterstützen. Der Kläger fühle sich sicherer, wenn er unterstützt werde. Ihm sei jedoch durchaus möglich, sich selbstständig fortzubewegen. Das Gehen mit einem Schienenhülsenapparat und einem Gehstock sei rechtlich der Fortbewegung mit fremder Hilfe nicht gleichzustellen. Mit fremder Hilfe könne nur die Hilfeleistung durch eine weitere Person gemeint sein.
Hiergegen hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 24.11.2011 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, es gehe konkret darum, ob er das Merkzeichen "aG" beanspruchen könne. Ohne die getragene Orthese müsse er sich auf dem linken Bein hüpfend fortbewegen, was auch Dr. Hu. eingeräumt habe. Das durch die Kinderlähmung in Mitleidenschaft gezogene rechte Bein könne er nicht belasten. Er müsse die Gelegenheit haben, sich festzuhalten, sich hinzusetzen und sich auszuruhen. Sein Gehvermögen sei absolut eingeschränkt. Das sächsische Landdessozialgericht habe in einem Urteil vom 30.03.2005 einen Fall beurteilt, bei der die Klägerin ebenfalls an einem Postpoliosyndrom gelitten habe, aber im Gegensatz zu ihm noch in der Lage gewesen sei, eine längere Strecke zurückzulegen, und der Klägerin das Merkzeichen "aG" zuerkannt. Unterschenkelamputierte, die orthopädietechnisch gut versorgt seien, könnten sich wesentlich besser fortbewegen als er, der Kläger. Er stehe praktisch einer Person gleich, die ihr Bein im Bereich der Hüfte verloren habe und deshalb zur Fortbewegung stets auf Hilfsmittel angewiesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. November 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" seit dem 2. Juli 2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die in der Berufungsschrift vom Kläger vorgetragenen Argumente könnten eine abweichende Beurteilung nicht begründen.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) hat der Senat das nervenärztliche Gutachten des Professor Dr. Br. vom 11.07.2012 eingeholt. Professor Dr. Br. beschreibt in seinem Gutachten einen auch mit Hilfe der Orthese stark rechtshinkenden Gang des Klägers, der sehr mühsam erschienen sei. Nach den Angaben des Klägers schaffe er mit Hilfe der Orthese zu Fuß max. 50 Meter. Wenn er gleichzeitig einen Stock benutze, könne er seine Gehstrecke etwas ausdehnen. Professor Dr. Br. stimmte den von Dr. Hu. in seinem Gutachten vom 29.06.2011 gestellten Diagnosen zu. Zusätzlich diagnostizierte Professor Dr. Br. den Verdacht auf ein Carpaltunnelsyndrom beidseits, eine Refluxösophagitis bei axialer Hiatushernie sowie eine chronische Dysthymie. Zusammenfassend gelangte Professor Dr. Br. zu der Bewertung, ohne das Tragen eines Schienenhülsenapparats sei der Kläger nicht in der Lage, eine Gehstrecke, auch nicht die geringste, zu Fuß zurückzulegen. Es ergebe sich somit der Aspekt, dass man den Kläger gewissermaßen als einbeinig zu bezeichnen habe. Ohne die Anwesenheit seiner Frau fühle sich der Kläger beim Gehen sehr verunsichert. Nur mit ihrer Hilfe könne er das Auto verlassen. Durch die chronische Dysthymie werde das Restgehvermögen des Klägers zusätzlich eingeschränkt. Was die Ausprägung der Funktionsdefizite durch den Zustand nach einer Poliomyelitis mit Parese des rechten Beines angehe, seien psychogene Einflüsse zu bedenken und zu berücksichtigen. Nach dem Untersuchungsergebnis sei der Kläger aufgrund seiner Behinderung nur in der Lage dazu, sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges dann zu bewegen, wenn ihm fremde Hilfe zuteil werde, bzw. er könne sich nur mit großer Anstrengung und nur mit Hilfe einer Orthese und Gehstöcken zu Fuß fortbewegen.
Der Beklagte hat sich zum Gutachten des Professor Dr. Br. unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Re. vom 30.10.2012 geäußert und an seiner Antragstellung festgehalten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie zwei Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten.
Der Umstand, dass sich der Kläger ohne den Schienenhülsenapparat nur auf dem linken Bein hüpfend fortbewegen kann, d.h. ggf. als Person anzusehen ist, die ihr Bein im Bereich der Hüfte verloren hat und deshalb stets auf Hilfsmittel angewiesen ist, wenn sie sich fortbewegen will, wie er geltend macht, bzw. gewissermaßen von einer "Einbeinigkeit" auszugesehen ist, wie Prof. Dr. Br. annimmt, rechtfertigt die Gleichstellung mit dem oben genannten Personenkreis für sich genommen nicht. Der Kläger könnte damit allenfalls mit einem einseitig Oberschenkelamputierten, der mit einem Kunstbein versorgt ist, verglichen werden, der aber nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis gehört, bei dem das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung anzunehmen ist. Entsprechendes gilt für das Vorbringen des Klägers, Unterschenkelamputierte, die orthopädietechnisch gut versorgt seien, könnten sich wesentlich besser als er fortbewegen. Denn auf die individuelle prothetische Versorgung der ausdrücklich genannten Personengruppen kommt es nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, juris).
Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch sonst nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat aufgrund der zu den Akten gelangten (zahlreichen) ärztlichen Unterlagen und der vom SG und Senat durchgeführten Ermittlungen fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Die Anlage VG zur VersMedV ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und im Internet: www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, juris).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann der Kläger dem genannten Personenkreis nicht gleichgestellt werden. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend begründet. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Er schließt sich den hierzu gemachten Ausführung des SG an, auf die er zur Begründung seiner eigenen Entscheidung und zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:
Auch der Senat folgt dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Dr. Hu. vom 29.07.2011. Nach den von Dr. Hu. beschriebenen Befunden sowie den Wahrnehmungen zum Gehvermögen des Klägers, liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht vor. Zwar hat die Poliomyelitis im Kindesalter beim Kläger eine Schädigung der Nervenversorgung der rechten unteren Extremität verursacht. Diese Lähmungen sind nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. Hu. in seinem Gutachten nicht reversibel und hinterlassen beim Kläger eine dauernde Kraftabschwächung der betroffenen Extremität, die sich durch ein hypothrophes Wachstum (Beinverkürzung und schlaff atopische Muskulatur) zeigt, weshalb der Kläger auf die Benutzung eines Schienenhülsenapparats angewiesen ist. Dieser Schienenhülsenapparat bewirkt jedoch eine Stabilisierung, die eine passive Beweglichkeit im Kniegelenk erlaubt. Darüber hinaus bestehen beim Kläger nach den von Dr. Hu. in seinem Gutachten beschriebenen Funktionsdaten (insbesondere) der Lendenwirbelsäule sowie der unteren Extremitäten einschließlich der Sprunggelenke und der Füße keine zusätzlich verstärkenden funktionellen Einschränkungen. Vom Kläger im Verlauf der Untersuchung angegebene heftige Schmerzen sind nach dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten von Dr. Hu. (pathologisch anatomisch) in diesem Ausmaß nicht nachvollziehbar, wobei nach der nachvollziehbaren Ansicht von Dr. Hu. das ganze Verhalten des Klägers bei der Untersuchung - wenn auch nicht bewusst - verdeutlichend wirkte. Dem Kläger ist es - nach seinen anamnestisch gemachten Angaben - möglich, etwa 200 Meter zu gehen, bis er eine Pause machen muss. Dies untermauern auch die von Dr. Hu. in seinem Gutachten beschriebenen eigenen Beobachtungen, die der Kläger nicht in Abrede stellt. Danach legte der Kläger beim Verlassen der Praxis des Dr. Hu. pausenfrei eine Gehstrecke von gut 70 Meter zurück. Eine die außergewöhnliche Gehbehinderung begründende große Anstrengung ist danach nicht nachgewiesen. Eine solche Anstrengung beim Gehen hat Dr. Hu. in seinem Gutachten auch nicht beschrieben.
Dass sich der Kläger nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist zur Überzeugung des Senats ebenfalls nicht der Fall. Zwar beschreibt Dr. Hu. in seinem Gutachten, dass die Ehefrau des Klägers beim Verlassen der Praxis ihren Ehemann zur Stabilisierung des Gleichgewichts links leicht untergehakt hatte und der Kläger bei einer Verlagerung seines Körpergewichtes mehr auf die rechte Seite sich mit einem Handstock abstützte. Ein eigentliches Festhalten durch die Ehefrau ist dabei aber nicht erfolgt. Nach der überzeugenden Ansicht des Dr. Hu. fühlt sich der Kläger zwar sicherer, wenn seine Ehefrau ihn unterstützt. Dem Kläger ist es aber durchaus möglich, sich selbständig fortzubewegen. Auch Prof. Dr. Br. geht in seinem Gutachten davon aus, dass der Umstand, dass der Kläger seine Behinderung nicht akzeptiert hat, ihn dazu zwinge, beim Gehen fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass der Kläger nach seinem tatsächlich vorhanden Restgehvermögen dieser fremden Hilfe beim Gehen zwingend bedarf, worauf es maßgeblich ankommt, sagt Professor Dr. Br. nicht. Zur Überzeugung des Senats ist vielmehr davon auszugehen, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen vom Kläger lediglich nicht vollständig ausgenutzt wird.
Der abweichenden Ansicht des Professor Dr. Br. in seinem Gutachten folgt der Senat nicht. Zwar beschreibt Professor Dr. Br. in seinem Gutachten, dass der Kläger nach dem Verlassen der Praxis nur sehr mühsam, kurzschrittig (und auf der einen Seite an seine Ehefrau angelehnt) unter Benutzung eines Stockes ging. Dass sich der Kläger nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, beschreibt Professor Dr. Br. damit nicht. Außerdem geht er in seinem Gutachten nicht näher darauf ein, ob der vom Kläger demonstrierte mühsame Gang durch ein (unbewusstes) Verdeutlichungsverhalten des Klägers beeinflusst ist, welches Dr. Hu. bei der Begutachtung des Klägers festgestellt hat, weshalb das von Prof. Dr. Br. beschriebene Gangbild seine Bewertung nicht plausibel trägt. Soweit Professor Dr. Br. in seine Bewertung eine gewissermaßen "Einbeinigkeit" des Klägers einbezieht, trägt dieser Aspekt die Zuerkennung des Merkzeichens "aG", wie bereits oben ausgeführt, nicht. Unabhängig davon berücksichtigt Professor Dr. Br. bei seiner Bewertung psychogene Einflüsse auf das Gehvermögen des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Senats ist demgegenüber für den Nachteilsausgleich "aG" nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst (die auch auf schweren Herz- und Lungenkrankheiten beruhen können) maßgebend. Aus Funktionsstörungen die das Gehvermögen (nicht oder) nur peripher einschränken, kann eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. Urteile des Senats vom 20.05.2011 - L 8 SB 4848/10 - betreffend Stuhlinkontinenz und vom 29.07.2011 - L 8 SB 576/10 - betreffend Orientierungslosigkeit; beide nicht veröffentlicht). Dies ist auch der Fall, wenn wegen psychogener Einflüsse das tatsächlich vorhandene Gehvermögen nicht vollständig ausgenutzt wird, wie dies beim Kläger nach dem oben Ausgeführten anzunehmen ist. Entgegen der Ansicht von Prof. Dr. Br. können damit psychogene Einflussfaktoren bei der Beurteilung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung grundsätzlich nicht einbezogen werden, weshalb die Bewertung von Professor Dr. Br. den Senat nicht überzeugt. Professor Dr. Br. hat in seinem Gutachten auch nicht dargelegt, dass der Kläger nicht in der Lage ist, einschränkende psychogene Einflüsse auf sein Gehvermögen zu überwinden. Damit ist nach den von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten beschriebenen Befunden und Diagnosen, die er seiner Bewertung zugrunde legt, nicht erwiesen, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert ist. Im Übrigen hat Professor Dr. Br. seine Bewertung auf der Grundlage einer wohlwollenden Betrachtung getroffen und bei strenger Handhabung der rechtlichen Vorgaben beim Kläger einen Grenzfall gesehen.
Auch die Schwierigkeiten des Klägers, mit dem Pkw einen geeigneten Parkplatz zu finden, der ihm das Ein- bzw. Aussteigen ermöglicht, rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Senates die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht. Die Notwendigkeit einer weit geöffneten Pkw-Tür beim Ein- bzw. Aussteigen erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße (Senatsurteil vom 21.02.2007 - L 8 SB 763/06 -, nicht veröffentlicht).
Die vom Kläger genannten sozialgerichtlichen Entscheidungen, auf die er sich bezogen hat, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Der vom sächsischen Landessozialgericht mit Urteil vom 30.03.2005 - L 6 SB 67/01 - entschiedene Rechtsstreit ist auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar. Das sächsische Landessozialgericht traf seine Entscheidung nach einer Gesamtwürdigung des Krankheitsbildes und den konkreten Auswirkungen der dortigen Klägerin, mithin auf der Grundlage eines Einzelfalles. Dabei ging das Landessozialgericht - entgegen der Annahme des Klägers - nicht von einer möglichen Wegstrecke der Klägerin von mehr als 300 Meter aus, sondern hat eine dahingehende Wegstreckeneinschätzung durch objektive Befunde oder Beobachtungen als nicht untermauert angesehen und relativierend gewürdigt. Zudem berücksichtigte es, dass ein Nachteilsausgleich ausnahmsweise schon dann zuzuerkennen ist, wenn der Nachteil, der ausgeglichen werden soll, bereits unmittelbar droht und sein Eintritt nur durch ein entsprechendes Verhalten des Schwerbehinderten zeitlich hinausgezögert werden kann, wofür beim Kläger nichts ersichtlich ist. Allein der Umstand, dass die Klägerin des Verfahrens vor dem sächsischen Landessozialgericht wie der Kläger an den Folgen eines Postpoliosyndroms leidet, macht die Rechtsstreite nicht vergleichbar.
Die Berufung des Klägers kann damit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG") streitig.
Der 1959 geborene Kläger erkrankte als Kind an Kinderlähmung. Bei ihm stellte das Landratsamt L. (LRA) auf den Antrag des Klägers auf Erhöhung des Grades der Behinderung (GdB) mit Bescheid vom 10.05.2010 wegen einer Teillähmung des rechten Beinnervengeflechts, eines Beckenschadens und einer Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks (Teil-GdB 60), degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen und eines chronischen Schmerzsyndroms (Teil-GdB 30) sowie einer Depression (Teil-GdB 30) den GdB mit 90 neu sowie die Merkzeichen "G" und "B" weiterhin fest.
Gegen den Bescheid vom 10.05.2010 legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und machte zur Begründung am 02.07.2010 einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geltend. Das LRA wertete dieses Begehren als Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "aG". Es zog medizinische Unterlagen bei (Befundbericht Dr. L. vom 23.09.2010 und Ärztlicher Entlassungsbericht der S. Kliniken GmbH vom 16.09.2008). Nach Einholung der gutachtlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes, Dr. Bo. , vom 31.10.2010, in der die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" verneint wurden, lehnte das LRA mit Bescheid vom 10.11.2010 die Feststellung des Merkzeichens "aG" ab.
Gegen den Bescheid vom 10.11.2010 legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 07.12.2010 Widerspruch ein. Er machte geltend, aufgrund der Folgen der Kinderlähmung sei er außergewöhnlich gehbehindert. Ohne Hilfsmittel wie eine Orthese und Gehstützen könne er sich nur hüpfend auf einem Bein fortbewegen. Der Kläger bezog sich auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.12.2002.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2011 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10.11.2010 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass der Kläger nicht dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Straßenverkehrsordnung genannten Personenkreis zugeordnet werden und diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden könne. Dem erheblich eingeschränkten Gehvermögen mit der Notwendigkeit regelmäßiger Hilfe in öffentlichen Verkehrsmitteln sei mit der Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" Rechnung getragen.
Hiergegen erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 18.02.2011 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Er wiederholte zur Begründung im Wesentlichen sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und trug ergänzend vor, mit Blick auf Art. 3 GG müsse der Nachteilsausgleich "aG" auch bei der Möglichkeit, längere Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen, noch in Betracht kommen. Der Kläger legte medizinische Unterlagen vor (Stellungnahme des Integrationsfachdienstes L. vom 24.02.2011, Ärztlicher Befundbericht der Berufsausübungsgemeinschaft Dr. Ru. und Kollegen vom 09.02.2011, Bericht Dr. L. vom 17.02.2011) und berief sich auf sozialgerichtliche Entscheidungen.
Das SG hörte die Orthopädin und Unfallchirurgin Dr. L. schriftlich als sachverständige Zeugin an. Dr. L. teilte in ihrer Stellungnahme vom 02.05.2011 den Behandlungsverlauf, die Diagnosen sowie Befunde mit und schätzte den GdB auf 90 ein. Es bestehe eine Bewegungseinschränkung durch eine Parese am rechten Bein.
Anschließend holte das SG (von Amts wegen) das orthopädische Gutachten des Dr. Hu. vom 29.07.2011 ein. Dr. Hu. teilte in seinem Gutachten mit, der Kläger sei zur Untersuchung mit angelegtem Oberschenkelschienenhülsenapparat und einem rechts getragenen Handstock in Begleitung seiner Ehefrau, die ihn leicht auf der linken Seite gestützt habe, laufend erschienen. Die Gehstrecke werde vom Kläger mit etwa 200 Meter (mit Unterstützung durch die Ehefrau) angegeben, wobei nach ca. 75 bis 100 Meter Atembeschwerden auftreten würden. Dr. Hu. diagnostizierte beim Kläger ein Postpoliosyndrom mit deutlicher Muskelatrophie des gesamten rechten Beins, eine Beinverkürzung von 4,5 cm, eine Belastungsinsuffizienz und Notwendigkeit des Tragens eines Schienenhülsenapparats mit Beinlängenausgleich und Schweizer Sperre, muskuläre Dysbalancen der hüftübergreifenden Muskulatur beidseits, minimalste und das altersentsprechende Maß nicht überschreitende degenerative Umbauvorgänge beider Hüftgelenke, ein femoropatellares Schmerzsyndrom links, Spreiz-Plattfüße beidseits, ein plantarer Fersensporn links, ein diskreter Hallux rigidus links, eine einfach positive laterale Instabilität des oberen Sprunggelenks links, ein Lumbalsyndrom mit begleitenden Muskelspannungsstörungen bei das altersentsprechende Maß nicht überschreitenden Verschleißerscheinungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallerscheinungen der linken unteren Extremität, ein Cervicalsyndrom mit Muskelspannungsstörungen bei Fehlhaltung ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder -ausfallerscheinungen, ein Rotatorenmanschettensyndrom der linken Schulter mit Funktionsdefizit sowie eine Epicondylopathia humero ulnaris links. Dr. Hu. gelangte zusammenfassend zu der Bewertung, der Kläger sei auf die Benützung eines stabilisierenden Schienenhülsenapparats angewiesen. Er sei trotz der Lähmung des rechten Beins soweit mobil, dass er sich mit der gegebenen orthopädischen Versorgung und der stabilisierenden Sicherung durch die Ehefrau erkennbar für mindestens 70 Meter, anamnestisch für gut 200 Meter selbst bewegen könne. Der Kläger fahre selbst Auto. Das gesamte Verhalten des Klägers habe nicht bewusst verdeutlichend gewirkt. Sicher würden das Aus- und Wiedereinsteigen Schwierigkeiten bereiten, wenn die Tür nicht weit geöffnet werden könne. Der Kläger sei in seiner Gehfähigkeit nicht in vergleichbar hohem Maße eingeschränkt wie bei den genannten Vergleichsgruppen. Gleichfalls bedürfe es nicht ebenso großer Anstrengung zur Bewegung. Hinsichtlich der Benötigung fremder Hilfe durch Personen fühle sich der Kläger sicherer, wenn ihn seine Ehefrau unterstütze. Es sei ihm aber durchaus möglich, sich selbstständig fortzubewegen. Letztendlich finde sich als einziges Argument für eine Beschränkung der Wegefähigkeit die Situation, dass es durchaus beschwerlich sein könne, einen geeigneten Parkplatz zu finden. Ob und inwiefern diese Situation geeignet sei, eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu rechtfertigen, obliege der Entscheidung des Gerichts.
Mit Gerichtsbescheid vom 14.11.2011 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, das Gehvermögen des Klägers sei nicht in so ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt, dass er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie der in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung genannte Personenkreis fortbewegen könne. Die durch das Postpoliosyndrom hervorgerufene Beeinträchtigung des Gehvermögens erreiche nicht das für das Merkzeichen "aG" erforderliche Ausmaß. Auch die Unterstützung der Ehefrau des Klägers beim Gehen führe nicht zu der Annahme, dass dem Kläger ein Gehen nur mit fremder Hilfe möglich sei. Vielmehr entspreche die Hilfestellung dem allgemeinen Verhalten der Ehefrau, den Kläger in seinem Alltag zu unterstützen. Der Kläger fühle sich sicherer, wenn er unterstützt werde. Ihm sei jedoch durchaus möglich, sich selbstständig fortzubewegen. Das Gehen mit einem Schienenhülsenapparat und einem Gehstock sei rechtlich der Fortbewegung mit fremder Hilfe nicht gleichzustellen. Mit fremder Hilfe könne nur die Hilfeleistung durch eine weitere Person gemeint sein.
Hiergegen hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 24.11.2011 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, es gehe konkret darum, ob er das Merkzeichen "aG" beanspruchen könne. Ohne die getragene Orthese müsse er sich auf dem linken Bein hüpfend fortbewegen, was auch Dr. Hu. eingeräumt habe. Das durch die Kinderlähmung in Mitleidenschaft gezogene rechte Bein könne er nicht belasten. Er müsse die Gelegenheit haben, sich festzuhalten, sich hinzusetzen und sich auszuruhen. Sein Gehvermögen sei absolut eingeschränkt. Das sächsische Landdessozialgericht habe in einem Urteil vom 30.03.2005 einen Fall beurteilt, bei der die Klägerin ebenfalls an einem Postpoliosyndrom gelitten habe, aber im Gegensatz zu ihm noch in der Lage gewesen sei, eine längere Strecke zurückzulegen, und der Klägerin das Merkzeichen "aG" zuerkannt. Unterschenkelamputierte, die orthopädietechnisch gut versorgt seien, könnten sich wesentlich besser fortbewegen als er, der Kläger. Er stehe praktisch einer Person gleich, die ihr Bein im Bereich der Hüfte verloren habe und deshalb zur Fortbewegung stets auf Hilfsmittel angewiesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. November 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" seit dem 2. Juli 2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die in der Berufungsschrift vom Kläger vorgetragenen Argumente könnten eine abweichende Beurteilung nicht begründen.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) hat der Senat das nervenärztliche Gutachten des Professor Dr. Br. vom 11.07.2012 eingeholt. Professor Dr. Br. beschreibt in seinem Gutachten einen auch mit Hilfe der Orthese stark rechtshinkenden Gang des Klägers, der sehr mühsam erschienen sei. Nach den Angaben des Klägers schaffe er mit Hilfe der Orthese zu Fuß max. 50 Meter. Wenn er gleichzeitig einen Stock benutze, könne er seine Gehstrecke etwas ausdehnen. Professor Dr. Br. stimmte den von Dr. Hu. in seinem Gutachten vom 29.06.2011 gestellten Diagnosen zu. Zusätzlich diagnostizierte Professor Dr. Br. den Verdacht auf ein Carpaltunnelsyndrom beidseits, eine Refluxösophagitis bei axialer Hiatushernie sowie eine chronische Dysthymie. Zusammenfassend gelangte Professor Dr. Br. zu der Bewertung, ohne das Tragen eines Schienenhülsenapparats sei der Kläger nicht in der Lage, eine Gehstrecke, auch nicht die geringste, zu Fuß zurückzulegen. Es ergebe sich somit der Aspekt, dass man den Kläger gewissermaßen als einbeinig zu bezeichnen habe. Ohne die Anwesenheit seiner Frau fühle sich der Kläger beim Gehen sehr verunsichert. Nur mit ihrer Hilfe könne er das Auto verlassen. Durch die chronische Dysthymie werde das Restgehvermögen des Klägers zusätzlich eingeschränkt. Was die Ausprägung der Funktionsdefizite durch den Zustand nach einer Poliomyelitis mit Parese des rechten Beines angehe, seien psychogene Einflüsse zu bedenken und zu berücksichtigen. Nach dem Untersuchungsergebnis sei der Kläger aufgrund seiner Behinderung nur in der Lage dazu, sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges dann zu bewegen, wenn ihm fremde Hilfe zuteil werde, bzw. er könne sich nur mit großer Anstrengung und nur mit Hilfe einer Orthese und Gehstöcken zu Fuß fortbewegen.
Der Beklagte hat sich zum Gutachten des Professor Dr. Br. unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Re. vom 30.10.2012 geäußert und an seiner Antragstellung festgehalten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie zwei Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten.
Der Umstand, dass sich der Kläger ohne den Schienenhülsenapparat nur auf dem linken Bein hüpfend fortbewegen kann, d.h. ggf. als Person anzusehen ist, die ihr Bein im Bereich der Hüfte verloren hat und deshalb stets auf Hilfsmittel angewiesen ist, wenn sie sich fortbewegen will, wie er geltend macht, bzw. gewissermaßen von einer "Einbeinigkeit" auszugesehen ist, wie Prof. Dr. Br. annimmt, rechtfertigt die Gleichstellung mit dem oben genannten Personenkreis für sich genommen nicht. Der Kläger könnte damit allenfalls mit einem einseitig Oberschenkelamputierten, der mit einem Kunstbein versorgt ist, verglichen werden, der aber nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis gehört, bei dem das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung anzunehmen ist. Entsprechendes gilt für das Vorbringen des Klägers, Unterschenkelamputierte, die orthopädietechnisch gut versorgt seien, könnten sich wesentlich besser als er fortbewegen. Denn auf die individuelle prothetische Versorgung der ausdrücklich genannten Personengruppen kommt es nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, juris).
Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch sonst nicht gleichgestellt werden, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht für den Senat aufgrund der zu den Akten gelangten (zahlreichen) ärztlichen Unterlagen und der vom SG und Senat durchgeführten Ermittlungen fest.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.
Die Anlage VG zur VersMedV ist rechtlich allerdings nicht beachtlich. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "aG" (wie auch "G") sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und im Internet: www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R -, juris).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann der Kläger dem genannten Personenkreis nicht gleichgestellt werden. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend begründet. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Er schließt sich den hierzu gemachten Ausführung des SG an, auf die er zur Begründung seiner eigenen Entscheidung und zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:
Auch der Senat folgt dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Dr. Hu. vom 29.07.2011. Nach den von Dr. Hu. beschriebenen Befunden sowie den Wahrnehmungen zum Gehvermögen des Klägers, liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht vor. Zwar hat die Poliomyelitis im Kindesalter beim Kläger eine Schädigung der Nervenversorgung der rechten unteren Extremität verursacht. Diese Lähmungen sind nach den nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. Hu. in seinem Gutachten nicht reversibel und hinterlassen beim Kläger eine dauernde Kraftabschwächung der betroffenen Extremität, die sich durch ein hypothrophes Wachstum (Beinverkürzung und schlaff atopische Muskulatur) zeigt, weshalb der Kläger auf die Benutzung eines Schienenhülsenapparats angewiesen ist. Dieser Schienenhülsenapparat bewirkt jedoch eine Stabilisierung, die eine passive Beweglichkeit im Kniegelenk erlaubt. Darüber hinaus bestehen beim Kläger nach den von Dr. Hu. in seinem Gutachten beschriebenen Funktionsdaten (insbesondere) der Lendenwirbelsäule sowie der unteren Extremitäten einschließlich der Sprunggelenke und der Füße keine zusätzlich verstärkenden funktionellen Einschränkungen. Vom Kläger im Verlauf der Untersuchung angegebene heftige Schmerzen sind nach dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten von Dr. Hu. (pathologisch anatomisch) in diesem Ausmaß nicht nachvollziehbar, wobei nach der nachvollziehbaren Ansicht von Dr. Hu. das ganze Verhalten des Klägers bei der Untersuchung - wenn auch nicht bewusst - verdeutlichend wirkte. Dem Kläger ist es - nach seinen anamnestisch gemachten Angaben - möglich, etwa 200 Meter zu gehen, bis er eine Pause machen muss. Dies untermauern auch die von Dr. Hu. in seinem Gutachten beschriebenen eigenen Beobachtungen, die der Kläger nicht in Abrede stellt. Danach legte der Kläger beim Verlassen der Praxis des Dr. Hu. pausenfrei eine Gehstrecke von gut 70 Meter zurück. Eine die außergewöhnliche Gehbehinderung begründende große Anstrengung ist danach nicht nachgewiesen. Eine solche Anstrengung beim Gehen hat Dr. Hu. in seinem Gutachten auch nicht beschrieben.
Dass sich der Kläger nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist zur Überzeugung des Senats ebenfalls nicht der Fall. Zwar beschreibt Dr. Hu. in seinem Gutachten, dass die Ehefrau des Klägers beim Verlassen der Praxis ihren Ehemann zur Stabilisierung des Gleichgewichts links leicht untergehakt hatte und der Kläger bei einer Verlagerung seines Körpergewichtes mehr auf die rechte Seite sich mit einem Handstock abstützte. Ein eigentliches Festhalten durch die Ehefrau ist dabei aber nicht erfolgt. Nach der überzeugenden Ansicht des Dr. Hu. fühlt sich der Kläger zwar sicherer, wenn seine Ehefrau ihn unterstützt. Dem Kläger ist es aber durchaus möglich, sich selbständig fortzubewegen. Auch Prof. Dr. Br. geht in seinem Gutachten davon aus, dass der Umstand, dass der Kläger seine Behinderung nicht akzeptiert hat, ihn dazu zwinge, beim Gehen fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass der Kläger nach seinem tatsächlich vorhanden Restgehvermögen dieser fremden Hilfe beim Gehen zwingend bedarf, worauf es maßgeblich ankommt, sagt Professor Dr. Br. nicht. Zur Überzeugung des Senats ist vielmehr davon auszugehen, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen vom Kläger lediglich nicht vollständig ausgenutzt wird.
Der abweichenden Ansicht des Professor Dr. Br. in seinem Gutachten folgt der Senat nicht. Zwar beschreibt Professor Dr. Br. in seinem Gutachten, dass der Kläger nach dem Verlassen der Praxis nur sehr mühsam, kurzschrittig (und auf der einen Seite an seine Ehefrau angelehnt) unter Benutzung eines Stockes ging. Dass sich der Kläger nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, beschreibt Professor Dr. Br. damit nicht. Außerdem geht er in seinem Gutachten nicht näher darauf ein, ob der vom Kläger demonstrierte mühsame Gang durch ein (unbewusstes) Verdeutlichungsverhalten des Klägers beeinflusst ist, welches Dr. Hu. bei der Begutachtung des Klägers festgestellt hat, weshalb das von Prof. Dr. Br. beschriebene Gangbild seine Bewertung nicht plausibel trägt. Soweit Professor Dr. Br. in seine Bewertung eine gewissermaßen "Einbeinigkeit" des Klägers einbezieht, trägt dieser Aspekt die Zuerkennung des Merkzeichens "aG", wie bereits oben ausgeführt, nicht. Unabhängig davon berücksichtigt Professor Dr. Br. bei seiner Bewertung psychogene Einflüsse auf das Gehvermögen des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Senats ist demgegenüber für den Nachteilsausgleich "aG" nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst (die auch auf schweren Herz- und Lungenkrankheiten beruhen können) maßgebend. Aus Funktionsstörungen die das Gehvermögen (nicht oder) nur peripher einschränken, kann eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. Urteile des Senats vom 20.05.2011 - L 8 SB 4848/10 - betreffend Stuhlinkontinenz und vom 29.07.2011 - L 8 SB 576/10 - betreffend Orientierungslosigkeit; beide nicht veröffentlicht). Dies ist auch der Fall, wenn wegen psychogener Einflüsse das tatsächlich vorhandene Gehvermögen nicht vollständig ausgenutzt wird, wie dies beim Kläger nach dem oben Ausgeführten anzunehmen ist. Entgegen der Ansicht von Prof. Dr. Br. können damit psychogene Einflussfaktoren bei der Beurteilung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung grundsätzlich nicht einbezogen werden, weshalb die Bewertung von Professor Dr. Br. den Senat nicht überzeugt. Professor Dr. Br. hat in seinem Gutachten auch nicht dargelegt, dass der Kläger nicht in der Lage ist, einschränkende psychogene Einflüsse auf sein Gehvermögen zu überwinden. Damit ist nach den von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten beschriebenen Befunden und Diagnosen, die er seiner Bewertung zugrunde legt, nicht erwiesen, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert ist. Im Übrigen hat Professor Dr. Br. seine Bewertung auf der Grundlage einer wohlwollenden Betrachtung getroffen und bei strenger Handhabung der rechtlichen Vorgaben beim Kläger einen Grenzfall gesehen.
Auch die Schwierigkeiten des Klägers, mit dem Pkw einen geeigneten Parkplatz zu finden, der ihm das Ein- bzw. Aussteigen ermöglicht, rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Senates die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht. Die Notwendigkeit einer weit geöffneten Pkw-Tür beim Ein- bzw. Aussteigen erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße (Senatsurteil vom 21.02.2007 - L 8 SB 763/06 -, nicht veröffentlicht).
Die vom Kläger genannten sozialgerichtlichen Entscheidungen, auf die er sich bezogen hat, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Der vom sächsischen Landessozialgericht mit Urteil vom 30.03.2005 - L 6 SB 67/01 - entschiedene Rechtsstreit ist auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar. Das sächsische Landessozialgericht traf seine Entscheidung nach einer Gesamtwürdigung des Krankheitsbildes und den konkreten Auswirkungen der dortigen Klägerin, mithin auf der Grundlage eines Einzelfalles. Dabei ging das Landessozialgericht - entgegen der Annahme des Klägers - nicht von einer möglichen Wegstrecke der Klägerin von mehr als 300 Meter aus, sondern hat eine dahingehende Wegstreckeneinschätzung durch objektive Befunde oder Beobachtungen als nicht untermauert angesehen und relativierend gewürdigt. Zudem berücksichtigte es, dass ein Nachteilsausgleich ausnahmsweise schon dann zuzuerkennen ist, wenn der Nachteil, der ausgeglichen werden soll, bereits unmittelbar droht und sein Eintritt nur durch ein entsprechendes Verhalten des Schwerbehinderten zeitlich hinausgezögert werden kann, wofür beim Kläger nichts ersichtlich ist. Allein der Umstand, dass die Klägerin des Verfahrens vor dem sächsischen Landessozialgericht wie der Kläger an den Folgen eines Postpoliosyndroms leidet, macht die Rechtsstreite nicht vergleichbar.
Die Berufung des Klägers kann damit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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