L 4 KR 3517/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3446/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3517/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine von der Klägerin geplante Liposuktion (Fettabsaugung) und anschließende Oberschenkelreduktionsplastik zur Behandlung einer Fettverteilungsstörung beider Oberschenkel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die am 1956 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Am 19. Juni 2009 beantragte sie unter Vorlage eines Arztbriefs des Oberarztes der Abteilung Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Freiburg Dr. F. (Bericht vom 14. April 2009) nebst Vorlage einer Fotodokumentation die Kostenübernahme für eine Liposuktion mit späterer Oberschenkelreduktionsplastik. In seinem Arztbericht vom 14. April 2009 legte er dar, bei der Klägerin habe sich bei einem Gewicht von 91 kg und einer Körpergröße von 1,57 m bei schlankem Gesicht und Oberkörper eine extreme Fettgewebsvermehrung im Bereich der Trochanteren und Fettgewebswucherungen an beiden Oberschenkeln gebildet. Aufgrund des extrem ausgeprägten Habitus mit diätresistenten Fettdepots, die erheblichen krankhaften Lipomen ähnelten, sei die begehrte Therapie medizinisch notwendig.

Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme bei Dr. S. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Dieser führte am 25. Juni 2009 aus, eine medizinische Indikation für die beantragte Fettabsaugung sei nicht gegeben, da eine Funktionsstörung durch die Fettfehlverteilung nicht gegeben sei. Mit Bescheid vom 26. Juni 2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme unter Hinweis auf die Stellungnahme des MDK ab.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 6. Juli 2009 unter Berufung auf den Arztbericht des Dr. F. Widerspruch ein.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. H. vom MDK am 21. Juli 2009 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten. Danach leide die Klägerin an einer Adipositas Grad II (BMI 37) mit Lipomatose im Oberschenkelbereich. Eine medizinische Indikation zur beantragten Fettabsaugung sei nicht gegeben. Die Liposuktion sei ein in der kosmetisch/ästhetischen Chirurgie etabliertes Behandlungsverfahren, das hauptsächlich bei Fettverteilungsstörungen im kosmetischen Bereich angewandt werde. Risiken der Therapie seien anaphylaktische Reaktionen auf das Lokalanästhetikum, kardiale Komplikationen durch eine toxische Wirkung des Lokalanästhetikums, das Auftreten von Schwellungen, Blutergüssen, Infektionen und bleibenden Hautveränderungen. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über den therapeutischen Nutzen der Methode liege nicht vor. Bei Beachtung der Richtlinien der vertragsärztlichen Versorgung und der aktuellen Rechtsprechung könne eine Kostenübernahme für die beantragte Methode aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden.

Trotz Kenntnis des Gutachtens hielt die Klägerin ihren Widerspruch aufrecht. Zwar habe sie ihr Gewicht mittels mehrmonatiger sportlicher Betätigung in einem Sportstudio, der Anschaffung eines Fahrrades und Ernährungsumstellung bei fortlaufender Diät um über zehn kg reduzieren können; allerdings sei an den Oberschenkeln keine Veränderung eingetreten. Dies beeinträchtige zunehmend ihre Psyche. Auch müsse sie wegen vorhandener Schmerzen an den Oberschenkeln täglich Schmerzmittel einnehmen. Mittlerweile habe sie soziale Rückzugstendenzen entwickelt, da sie sich ihres Aussehens schäme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch der Klägerin unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ([BSG], Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - in juris) und die beiden Stellungnahmen des MDK zurück. Auch sei die begehrte Behandlungsmethode bisher durch den GBA nicht bewertet und somit auch nicht als Vertragsleistung zugelassen.

Mit ihrer am 23. Oktober 2009 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren unter Wiederholung ihres Vortrags im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren weiter. Selbst wenn die geplante Behandlungsmethode durch den GBA nicht bewertet worden und daher nicht in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werde, handele es sich bei der Liposuktion um die einzig zielführende Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung, welche sie nicht nur körperlich, sondern auch psychisch massiv belaste. Aus der vorgelegten Stellungnahme des Dr. F. vom 21. Dezember 2009 gehe hervor, dass die Liposuktion nicht kosmetisch, sondern medizinisch indiziert sei. Denn es liege eine extrem krankhafte Fettgewebsvermehrung vor, die zu Funktionsbehinderungen der Oberschenkelinnenseiten führten. Gegen die Schmerzen in den betroffenen Körperregionen müsse sie eigentlich Schmerzmittel einnehmen. Aufgrund einer chronischen Nierenerkrankung müsse sie jedoch auf nierenschädigende Schmerzmittel verzichten, weshalb die Liposuktion geboten sei. Auch das auf ihre Veranlassung eingeholte Gutachten des Ärztlichen Direktors der Abteilung plastische Chirurgie der Universitätsklinik Freiburg Prof. Dr. St. und des Oberarztes Dr. P. vom 15. November 2010 stütze ihren Anspruch. Insbesondere bestätige das Gutachten, dass die von der Beklagten vorgeschlagenen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion ihre Schmerzen nicht beheben könnten. Die einzige Behandlungsmethode sei die von ihr begehrte Liposuktion.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage weiterer Stellungnahmen des MDK vom 8. Juni 2010, 21. Januar 2011 und 27. Mai 2011 entgegen. Dr. H. führte darin aus, reaktiven psychischen Funktionseinschränkungen, die durch Unzufriedenheit mit dem äußeren Erscheinungsbild einhergingen, sei nach der Rechtsprechung regelmäßig mit den Mitteln der Psychotherapie und psychiatrischer Mitbehandlung, nicht hingegen mit chirurgischen Maßnahmen zu begegnen. Für eine Kostenübernahme der strittigen neuen Behandlungsmethode lägen keine Voraussetzungen vor, welche nach der BSG-Rechtsprechung eine Kostenübernahme rechtfertigen würden, da keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung gegeben sei. Letztlich verwies Dr. H. auf einen multimodalen Behandlungsansatz mit Psychotherapie, Diät bzw. Diätberatung und Sport und empfahl die Teilnahme an einer Adipositasgruppe.

Das SG erhob Beweis durch Vernehmung der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen. Allgemeinmediziner Dr. D. (Auskunft vom 10. Februar 2010) legte dar, aufgrund der extremen Lipodystrophie habe die Klägerin vermehrte soziale Rückzugstendenzen entwickelt. Es liege eine schwere psychische Belastung vor, die durch die Erkrankung aggraviert werde. Wegen der schweren reaktiven depressiven Episode sei die Klägerin in fachärztlicher Mitbehandlung. Er fügte seiner Auskunft u.a. den Arztbericht des Orthopäden Dr. Z. vom 24. Juli 2009 mit der Diagnose Lumboischialgie bei. Oberarzt der Abteilung Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums F. Dr. P. (Auskunft vom 3. März 2010) stellte fest, die Klägerin habe sich zwei Mal in der Ambulanz vorgestellt. Er wiederholte die bereits von seinem Vorgänger in dessen Arztbrief vom 14. April 2009 formulierten Befunde und legte dar, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich anlässlich der zweiten Vorstellung am 9. September 2009 nicht verändert. Die Liposuktion sei zwar zur Behandlung von Adipositas nicht geeignet, jedoch könne das Verfahren bei der Behandlung von diät- sowie sportresistenten Fettgewebsdepots effektiv sein. Insbesondere ergebe sich aus den Leitlinien der Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie, dass die Liposuktion bei der Behandlung einer Lipodystrophie indiziert sei. Nach Verkleinerung der Fettgewebsvermehrungen werde von vielen Patienten eine Beschwerdelinderung der betroffenen Areale beschrieben. Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. führte in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft vom 2. Mai 2010 aus, die Klägerin befinde sich in zweimonatigen Abständen in ihrer Behandlung. Es bestehe ein erheblicher Leidensdruck der Klägerin. Allein durch diätische Maßnahmen und Sport sei eine ausreichende Fettreduktion im Oberschenkelbereich nicht zu erreichen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten der Ärztliche Direktor der Abteilung plastische Chirurgie der Universitätsklinik F. Prof. Dr. St. und Oberarzt Dr. P. am 15. November 2010 das fachärztliche plastisch-chirurgische Gutachten. Bei der Klägerin bestehe eine extreme disproportionale Fettgewebsvermehrung vor allem an beiden Oberschenkelvorder- und -außenseiten sowie über den Hüften und im Gesäßbereich. Dort klage die Klägerin über deutliche Druckschmerzen; im Gegensatz dazu berichte sie an der Innenseite der Oberschenkel keine Schmerzen zu haben. Ebenfalls zeige sich eine Fettgewebsansammlung mit einem Hautüberschuss und einer tiefen Umschlagfalte am Unterbauch. Unterschenkel, Arme und das Gesicht seien schlank. Die Schmerzen seien so St., dass sie täglich Schmerzmittel einnehmen müsse. Mittlerweile leide sie auch unter Schmerzen an der HWS und LWS sowie am linken Knie. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin seien erfahrungsgemäß über das in der kosmetisch-ästhetischen Chirurgie etablierte Behandlungsverfahren der Liposuktion gefahrlos zu beheben. Lediglich die bei einem chirurgischen Eingriff zu beachtenden Risiken und Komplikationen müssten berücksichtigt werden. Die Klägerin habe berichtet, in der Vergangenheit konsequent Diät und Sport durchgeführt zu haben; allerdings habe dies keinerlei Einfluss auf das vermehrte Fettgewebe in den betroffenen Arealen gezeigt. Daher könne auch bei einer Gewichtsabnahme von einer Besserung der Schmerzsituation in den betroffenen Regionen nicht ausgegangen werden. Der Eingriff solle im Rahmen eines kurzen stationären Aufenthalts unter Vollnarkose durchgeführt werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2011 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die geplante Liposuktion weder im Rahmen vertragsärztlicher ambulanter Versorgung noch in Form einer stationären Krankenhausbehandlung. Hinsichtlich der Liposuktion liege bislang keine positive Empfehlung des GBA gemäß § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Die Gewährung dieser Leistung durch die gesetzliche Krankenversicherung komme somit nicht in Betracht. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen und sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu neuen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden. Die Voraussetzungen dieser Rechtsprechung seien bereits deshalb nicht erfüllt, weil es sich bei der Erkrankung der Klägerin nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung handele. Die beantragte Kostenerstattung könne auch nicht erfolgreich auf den Vortrag gestützt werden, die Liposuktion sei im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts der Klägerin durchzuführen. Zwar sei eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Rahmen einer stationären Krankenbehandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausgeschlossen, solange der GBA wie für die Liposuktion kein negatives Votum ausgesprochen habe. Gemäß § 39 SGB V sei die Gewährung einer stationären Behandlungsmaßnahme in einem zugelassenen Krankenhaus nicht bereits erforderlich, weil eine bestimmte Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht werden kann, vertragsärztlich aber mangels positiver Empfehlung des GBA nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden dürfe. Im Übrigen sei wegen mangelnder rechtlicher Relevanz dem weiteren Antrag nach § 109 SGG, den Nervenfacharzt Dr. Großmann mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen, nicht nachzugehen.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 22. Juli 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17. August 2011 Berufung eingelegt. Das SG habe verkannt, dass bei ihr der Ausnahmefall einer seltenen Erkrankung vorliege, für die anderweitige Behandlungsformen als die Liposuktion mit anschließender Oberschenkelreduktionsplastik nicht zur Verfügung stünden und es demnach keiner Empfehlung des GBA bedürfe. Auch sei von einem Systemversagen auszugehen. Keine Berücksichtigung habe in der Entscheidung des SG ihre psychische Erkrankung gefunden. Auch Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates seien nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt worden. Die von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme des Internisten sowie Arztes für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin Dr. B. vom 28. Dezember 2011 befasse sich nicht mit der medizinischen Beurteilung des Falles. Auch sei er aufgrund seiner Gebietsbezeichnung für eine gutachterliche Stellungnahme im vorliegenden Fall nicht geeignet. Ergänzend weist sie auf das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. März 2012 - S 10 KR 189/10 - in juris hin, das einer Klage auf Kostenerstattung für Liposuktion wegen Nichtbefassung des GBA und eines daraus folgenden Systemmangels stattgegeben hat.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Juli 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Liposuktion mit späterer Oberschenkelreduktionsplastik beider Oberschenkel als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ein erneutes Gutachten des MDK vom 28. Dezember 2011 (mit Ergänzung vom 21. März 2012), in welchem Dr. B. ein weiteres Mal keine Empfehlung für eine Kostenübernahme ausspricht. Die auf den Fotodokumenten ersichtliche Körpersilhouette zeige, dass das erhebliche Übergewicht der Klägerin nicht allein durch die kräftigen Oberschenkel, sondern auch durch deutliche Fetteinlagerungen am Gesäß, den Hüften und am Bauch mit einer Bauchfettschürze verursacht werde. Die Fettverteilung sei symmetrisch und entspreche dem typischen weiblichen Fettverteilungsmuster bei Adipositas. Bestätigt werde dies durch die Ausführungen des Dr. P., der eine Fettgewebeansammlung mit einem Hautüberschuss und tiefer Umschlagsfalte im Bereich des Unterbauchs beschrieben habe. Bei einer derartigen Erkrankung liege keine seltene Erkrankung vor; insgesamt sei von einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn nicht auszugehen. Auch sei eine vollstationäre Krankenhausbehandlung zur Durchführung der geplanten Behandlungsmaßnahme nicht erforderlich.

Der Senat hat auf sein Urteil vom 27. April 2012 (L 4 KR 595/11, in juris) hingewiesen und das Gutachten "Liposuktion bei Lip- und Lymphödem vom 6. Oktober 2011 der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7", welches im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes unter Federführung des Medizinischen Fachbereichs Methodenbewertung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung Nordrhein unter Hinzuziehung des Ergebnisses einer interdisziplinären Arbeitsgruppe erstellt worden ist, in das Verfahren eingeführt. Die Autoren Dr. David (Facharzt für Chirurgie und Phlebologie) und Dr. Weingart (Facharzt für Allgemeinmedizin) gelangen unter Mitwirkung weiterer Ärzte, insbesondere des Dermatologen Dr. Dittberner, nach Auswertung der bislang über die Behandlung von Lipödemen durch Liposuktion vorhandenen Studien zu der Auffassung, dass die grundsätzlichen Anforderungen für die Erbringung einer Liposuktion zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß §§ 2 und 12 SGB V nicht erfüllt seien. In der durchgeführten systematischen Recherche hätten nur zwei kontrollierte Studien (eine zum Krankheitsbild der Lipomatosis dolorosa von Hansson - veröffentlicht 2011 und eine zum sekundären Lymphödem nach Therapie des Mammakarzinoms) identifiziert werden können. Die Ergebnisse dieser Studien seien in keiner Weise geeignet, eine für eine Therapieempfehlung ausreichende Nutzen-Risiko-Bewertung zu bejahen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Liposuktion zur Therapie des Lipödems noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und weitere (randomisierte) Studien erforderlich seien. Die Aussagen zur Liposuktion in den nicht evidenzbasierten Leitlinien seien als Beleg einer etablierten Standardtherapie im Sinne der Verfahrensordnung des GBA ungeeignet und begründeten auch kein Systemversagen, sodass unabhängig vom Leistungssektor nicht von einer generellen Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen sei. Es fehlten daher Belege für den Patientennutzen aus klinischen Studien. Der Senat nimmt auf den Inhalt dieses Gutachtens im Einzelnen ausdrücklich Bezug.

Die Klägerin hält das Gutachten für nicht verwertbar. Im Übrigen sei der Sachverhalt des Senatsurteils vom 27. April 2012 nicht mit dem hiesigen vergleichbar, da die dortige Klägerin insgesamt an Adipositas erkrankt sei.

Mit Schreiben vom 5. und 20. Februar 2013 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten in beiden Instanzenzügen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 19. Juli 2011 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2009 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ambulante oder stationäre Durchführung einer Liposuktion mit späterer Oberschenkelreduktionsplastik beider Oberschenkel als Sachleistung.

Der Antrag der Klägerin vom 19. Februar 2009 war umfassend dahingehend auszulegen, dass sie alternativ eine ambulante oder stationäre Maßnahme begehrt. Nachdem die Klägerin nicht vorgetragen hat, die Liposuktion sei bereits durchgeführt worden und die Beklagte habe die Kosten hierfür zu erstatten, richtet sich das Begehren der Klägerin auf die Erbringung der Sachleistung Liposuktion sowie der späteren Oberschenkelreduktionsplastik beider Beine durch die Beklagte.

Die Beklagte ist aber nicht verpflichtet, der Klägerin diese Sachleistung als stationäre oder ambulante Maßnahme zu erbringen.

1. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung die ärztliche Behandlung durch einen Vertragsarzt sowie nach Satz 2 Nr. 5 auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs. 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 B 1 KR 3/03 R - und vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R - in juris). Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (ständige Rechtsprechung seit dem Urteil vom 28. April 1967 - 3 RK 12/65 - in juris). Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in den Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998 - B 1 KR 18/96 R -; Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 11/04 R -; zuletzt Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R -, alle in juris).

Ausgehend davon steht der Klägerin weder ein Anspruch auf eine stationär noch auf eine ambulant durchgeführte Liposuktion zu. Zwar geht der Senat davon aus, dass die Klägerin unter einer Lipodystrophie im Rahmen einer Fettverteilungsstörung leidet, welche als Krankheit zu qualifizieren ist (dazu a). Jedoch besteht ein Anspruch auf Behandlung der Erkrankung nicht mittels Durchführung einer Liposuktion (dazu b).

a) Der Senat geht zunächst nach Auswertung aller über die Klägerin vorhandenen medizinischen Unterlagen davon aus, dass die Klägerin - neben einer Adipositas-Erkrankung - im Bereich beider Beine auch an einer Lipodystrophie mit Störung der Fettverteilung bei extremer Fettgewebeansammlung am Becken sowie an beiden Oberschenkeln leidet. Zwar ist den Ausführungen des Dr. B. in seiner für die Beklagte erstellten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 28. Dezember 2011 zuzugeben, dass die in den Akten befindlichen ärztlichen Äußerungen über die Klägerin insoweit teilweise voneinander abweichen. Insbesondere besteht offensichtlich keine Einigkeit darüber, ob die Schwellungen im Bereich insbesondere der Oberschenkel der Klägerin auf einer Lipomastose beruhen oder möglicherweise - da zugleich von einer Erkrankung im "Reithosentyp", eine Qualifizierung, die umgangssprachlich der Diagnose eines Lipödems entspricht - von einem Lipödem ausgegangen werden muss. Möglicherweise weichen - mit Blick auf die Diagnosen der Lipodystrophie und des Lipödems - auch lediglich die Begrifflichkeiten voneinander ab, ohne dass hiermit ein jeweils anderes Krankheitsbild gemeint sein soll. Trotz dieser Unklarheiten schon hinsichtlich der Diagnostik der bei der Klägerin im Beinbereich vorliegenden Gesundheitsstörungen und der gegenüber Dr. F. und Dr. D. geschilderten Schmerzzustände geht der Senat zugunsten der Klägerin von der Diagnose einer Lipodystrophie aus. Diese Diagnose hat der als Oberarzt in der plastischen Chirurgie tätige Dr. F., der sich aufgrund eigener Untersuchung der Klägerin in der Ambulanz der Uniklinik Freiburg ein persönliches Bild machen konnte, ursprünglich auch genannt.

Dieses Beschwerdebild stellt nach Auffassung des Senats auch eine Krankheit gem. § 27 Abs. 1 SGB V dar, denn der insoweit bei der Klägerin vorliegende körperliche Zustand ist mit Blick auf die bestehenden Beschwerden und die geklagten Schmerzen, die eine Beeinträchtigung von Körperfunktionen darstellen, ein regelwidriger Zustand, der - darüber sind sich im Übrigen alle über die Klägerin Auskunft erteilenden Ärzte einig - einer körperlichen Behandlung bedarf.

b) Jedoch besteht kein Anspruch der Klägerin auf Behandlung dieser Krankheit im Wege einer stationär oder ambulant durchzuführenden Liposuktion. Diese Maßnahme entspricht - schon ganz grundlegend - nicht den erforderlichen Qualitätsanforderungen, die an eine zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsmethode zu stellen sind (dazu aa). Von diesem Einwand ist auch nicht ausnahmsweise im spezifischen Fall der Klägerin abzuweichen (dazu bb). Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch weder unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels (dazu cc) noch auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98. in juris) und der diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (dazu dd).

aa) § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V gibt vor, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V umfasst daher nur solche Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit diesen wissenschaftlichen Anforderungen entspricht. Hierzu genügt es nicht, dass eine Behandlungsmethode bei einem Versicherten nach Ansicht seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll (vgl. entsprechend das BSG auch zur Frage der Erfüllung von Qualitätskriterien einer bestimmten Arzneimitteltherapie, Urteil vom 1. März 2011 - B 1 KR 7/10 R -; Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R - m.w.N. beide in juris). Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, oder Außenseitermethoden, die zwar bekannt sind, aber sich nicht bewährt haben, lösen keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus. Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die medizinische Forschung zu finanzieren (so ausdrücklich BT-Drucks. 11/2237, S. 157). Die einzige Ausnahme bilden nach § 137c Abs. 2 Satz 2 SGB V die Durchführung klinischer Studien. Behandlungen im Rahmen solcher Studien waren und sind daher zur Förderung des medizinischen Fortschritts stets zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar.

Außerhalb klinischer Studien muss es jedoch zu Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen geben. Entsprechend der auch durch den GBA für seine Entscheidungen zugrunde gelegten Maßstäbe der evidenzbasierten Medizin ist dabei eine Sichtung und qualitative Bewertung der über eine Behandlungsmethode vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen und Expertisen vorzunehmen (vgl. dezidiert BSG, Urteile vom 1. März 2011 u.a. - B 1 KR 7/10 R -; ebenso BSG, Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 10/07 R -; beide in juris). Erforderlich ist mithin, dass der Erfolg der Behandlungsmethode objektivierbar, also in einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R - m.w.N., in juris; vgl. dazu auch Wagner, in Krauskopf, Stand 2008, § 13 SGB V Rn. 19). Die höchste Beweiskraft haben danach direkte Vergleichsstudien mit anderen Behandlungsmethoden, also Studien der Evidenzklasse I (vgl. entsprechend zur Arzneimitteltherapie BSG, Urteile vom 1. März 2011, u.a - B 1 KR 7/10 R - a.a.O.). Nur soweit derartige Studien nicht existieren, kann im Einzelfall auf andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden (vgl auch Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 64). Um der in § 137c SGB V grundsätzlich angelegten Innovationsmöglichkeit gerecht zu werden, schließt der Senat dabei nicht aus, dass auch Expertenmeinungen zur Beurteilung des wissenschaftlichen Standards herangezogen werden können. Diese sind jedoch nicht geeignet, eine Leistungspflicht der Krankenkasse auch dann zu begründen, wenn objektivierbare Erkenntnisse bereits in eine andere Richtung weisen. Expertenmeinungen sind daher stets im Zusammenhang mit den vorhandenen objektivierbaren wissenschaftlichen Aussagen im Sinne einer maßgeblichen Gesamtschau heranzuziehen (so der erkennende Senat in seinem Urteil vom 27. Januar 2012 - L 4 KR 2272/10 - in juris).

Von Qualität und Wirksamkeit der begehrten Liposuktion zur Behandlung eines Lipodystrophie im Sinne der Kriterien des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V vermochte der Senat sich indes nicht zu überzeugen. Er legt insoweit ganz maßgeblich das von der Beklagten vorgelegte "Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 6. Oktober 2011 zugrunde. Dieses Gutachten nimmt eine umfassende Auswertung der über den Einsatz von Liposuktion als Methode zur Behandlung von Lipödemen veröffentlichten Studien vor, wobei die Gutachter neben randomisiert kontrollierten auch nicht randomisiert kontrollierte Studien berücksichtigt haben. Die im Mai 2011 insoweit durchgeführte Recherche der hierzu vorhandenen Publikationen - die Dr. B. in seinem Gutachten vom 28. März 2012 auch anführte - ergab überhaupt nur zwei relevante, diesen Qualitätsanforderungen entsprechende Studien. Für den konkreten Fall ist sogar nur eine der beiden Studien (nämlich diejenige zum Krankheitsbild der Lipomatosis dolorosa von Hansson - veröffentlicht 2011) relevant, da sich die andere der beiden Studien mit Liposuktion zur Behandlung eines Lymphödems nach Mammakarzinom befasst. In der Studie Hansson wurde (nicht randomisiert kontrolliert) der Langzeiterfolg der Liposuktion bei 111 Frauen mit Lipomatosis dolorosa beobachtet. Dabei wurde ein signifikanter Unterschied in der Schmerzreduktion beobachtet, ohne dass dies von den Autoren selbst als zureichendes Ergebnis gewertet wurde, um einen langfristigen Nutzen ausreichend zu belegen. Vielmehr fordern auch die Autoren weitere randomisiert kontrollierte Studien mit ausreichend validierten Ergebniskriterien. Alle übrigen seinerzeit zugänglichen Veröffentlichungen erfüllen diese Qualitätsanforderungen nicht bzw. stellen Registernachbeobachtungen oder Ergebnisberichte kleiner Fallserien dar. Für den Senat war daher das Fazit der Gutachter überzeugend, dass die Methode der Liposuktion zur Therapie des Lipödems derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion ist und weitere randomisierte Studien erforderlich sind, um sie zu einer den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechenden Behandlungsmethode qualifizieren zu können. Diesem Fazit schließt sich der Senat an (so der erkennende Senat beispielsweise im Beschluss vom 6. Dezember 2012 - L 4 KR 3153/12 -, nicht veröffentlicht).

Dieses Ergebnis steht im Übrigen auch nicht im Widerspruch zum Urteil des BSG vom 16. Dezember 2008 (B 1 KR 11/08 R - in juris). Das BSG hatte sich dort mit der Frage zu befassen, ob die Behandlungsmethode der Liposuktion, die ambulant zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse von vornherein mangels positiver Empfehlung des GBA nicht erbracht werden darf (§ 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V; dazu auch Urteil des Senats vom 10. September 2010 - L 4 KR 3961/09 -, nicht veröffentlicht), gleichsam automatisch stationär zu erbringen ist, da im klinischen Bereich das Erfordernis einer positiven Entscheidung durch den GBA nicht besteht. Dies hat das BSG im konkreten Fall unter Verweis auf das Fehlen schon der Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 SGB V verneint, da die dort statuierten spezifischen Voraussetzungen für eine Krankenhausbehandlung nicht vorlagen. Mit der Frage, ob die Methode der Liposuktion denn überhaupt den Maßstäben evidenzbasierter Medizin entspricht, hatte sich das BSG demgemäß gar nicht zu befassen. Aus der zitierten Entscheidung kann daher nicht abgeleitet werden, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des Erfordernisses der Durchführung einer stationären Operation ohne weiteres ein Leistungsanspruch auf Durchführung einer Liposuktion zu Lasten der Krankenkasse besteht. Anhand der jüngeren Rechtsprechung des BSG ergibt sich vielmehr gerade das Gegenteil. Das BSG hat darin (vgl. insoweit insbesondere das Urteil vom 17. Februar 2010 - B 1 KR 10/09 R - in juris zum Anspruch einer Versicherten auf stationär durchgeführt Reimplantation nach Kryokonservierung von Eierstockgewebe) ausdrücklich zum Maßstab gemacht, dass auch die stationäre Behandlung stets einer Überprüfung anhand der Maßstäbe des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V zu unterziehen ist. Eine andere Auffassung führte im Übrigen zu dem auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) nicht tragbaren Ergebnis, dass Patienten allein deshalb, weil sie bestimmte Risikofaktoren erfüllen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, eine Behandlung in stationärem Rahmen erhielten, obwohl sich für die Wirksamkeit einer bestimmten Methode keine bislang hinreichend wissenschaftlich gefestigten Anhaltspunkte ergeben.

Eine Übertragung der Grundsätze aus dem Gutachten vom 6. Oktober 2011 scheitert entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht daran, dass sie an einer Lipodystrophie leidet; denn hierbei handelt es sich ausweislich des Gutachtens um ein Synonym für den Begriff des Lipödems ebenso wie das Fettödem und die Reithosenfettsucht.

Der Verwertung des Gutachtens vom 6. Oktober 2011 steht nicht entgegen, dass dieses Gutachten der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nordrhein erstellt hat und nur die Interessenlage der Krankenkassen widergebe. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung ist nicht eine Verwaltungseinheit der Krankenkassen, sondern institutionell von diesen getrennt. Es handelt sich auf Länderebene jeweils um eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 278 Abs. 1 SGB V). Um auch den Anschein eines Weisungsverhältnisses zwischen Kranken- oder Pflegekassen und den Ärzten des MDK auszuschließen, stellt § 275 Abs. 5 SGB V ausdrücklich klar, dass die Ärzte des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind. Gutachten des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung können deshalb auch im gerichtlichen Verfahren verwertet werden (vgl. BSG, Beschluss vom 23. Dezember 2004 - B 1 KR 84/04 B -, Urteil vom 14. Dezember 2000 - B 3 P 5/00 R - zu einem Gutachten des MDK zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit; beide in juris)

Eine stationäre Behandlung von Lipodystrophien der vorliegenden Art durch Liposuktion käme zulasten der Krankenkasse daher derzeit nur im Rahmen klinischer Studien zu dieser Behandlungsmethode in Betracht. Darüber war indes vorliegend nicht zu entscheiden.

bb) Eine davon abweichende Betrachtung gebietet aber auch der konkrete Fall der Klägerin nicht. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass trotz bislang nicht hinreichend erwiesener Wirksamkeit der Liposuktion zur Behandlung von Lipodystrophien der Klägerin eine Behandlung mittels Liposuktion aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu gewähren ist. Der anders lautenden Einschätzung der Sachverständigen Prof. Dr. St. und Dr. P. in ihrem Gutachten vom 15. November 2010 vermag der Senat nicht zu folgen. Das Gutachten ist aus Sicht des Senats nicht schlüssig und nachvollziehbar.

Problematisch erscheint für den Senat insbesondere das mit der Behandlung verbundene Gesundheitsrisiko für die Klägerin und die damit verknüpfte Frage der Nachhaltigkeit der begehrten Maßnahme. Wie hierzu Dr. H. in seinem Gutachten vom 21. Januar 2011 überzeugend ausgeführt hat, nimmt das Risiko möglicher Komplikationen mit dem Umfang des medizinischen Eingriffs zu. Bei der im Rahmen einer Liposuktion bei der Klägerin vorzunehmenden Maßnahme ist ausweislich des Arztberichts des Dr. F. vom 14. April 2009 ein Absaugen von ca. vier Liter reinen Fettes pro Sitzung veranschlagt worden. Dies ist mit den von Prof. Dr. St. und Dr. P. genannten Fallbeispielen minimalinvasiver Verfahren im kosmetisch-ästhetischen Bereich, in dem die Liposuktion als etabliertes Behandlungsverfahren gilt, nicht vergleichbar. Ebenso fehlen im Gutachten Hinweise darauf, ob die Fettreduktion dauerhaft die bei der Klägerin vorhandenen Schmerzen reduzieren wird und ob eine Bildung nachfolgender Fettdepots ausgeschlossen ist. Überdies ergibt sich letztlich anhand der über die Klägerin vorhandenen Unterlagen nicht eindeutig, in welchem Ausmaß gerade die bei der Klägerin vorhandene Lipodystrophie Ursache für die bei der Klägerin bestehenden Schmerzen und Einschränkungen ist, nicht dagegen etwa die bei der Klägerin ebenfalls diagnostizierte Adipositas-Erkrankung. Genaueres lässt sich hierzu auch dem Gutachten des Prof. Dr. St. und des Dr. P. nicht entnehmen. Untersuchungen dahingehend, worauf die Schmerzzustände der Klägerin zurückzuführen sind, wurden im Gutachten nicht dokumentiert; entsprechende gutachterliche Feststellungen, die im Übrigen über eine Darlegung von Befunden nicht hinausgehen und im Wesentlichen auf einer Beschwerdeschilderung der Klägerin selbst beruhen, finden sich im Gutachten nicht. Auch wird der von der Beklagten genannte Therapieansatz über Ernährungsumstellung und sportliche Aktivitäten damit verworfen, dass Fettgewebedepots bei einer Fettverteilungsstörung erfahrungsgemäß diät- und sportresistent seien, ohne die Klägerin explizit zu befragen, welche konkreten Maßnahmen sie zur Gewichtsreduktion unternommen hat. Insoweit bleibt für den Senat insgesamt auch unklar, inwiefern eine konsequente Fortführung konventioneller Behandlungsmethoden wirksam gewesen wäre.

Aufgrund all dessen vermag der Senat dem Ergebnis des Gutachtens des Prof. Dr. St. und des Dr. P. vom 15. November 2010 nicht zu folgen. Es ist nicht plausibel dargelegt, dass - jedenfalls im Falle der Klägerin - die Durchführung der Liposuktion eine einerseits erforderliche, andererseits Erfolg versprechende Behandlungsmethode darstellt.

cc) Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels. Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R - in juris). Der Gesichtspunkt eines Systemmangels, weil das Verfahren vor dem GBA noch nicht durchgeführt wurde, ist im hier vorliegenden Fall, in dem sowohl eine Kostenerstattung für eine stationäre als auch eine ambulante Behandlung im Streit steht, lediglich im Hinblick auf die begehrte ambulante Durchführung der Maßnahme zu prüfen. Anders als im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, wo nur diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse abgerechnet können, für die der GBA positiv eine Einhaltung der Qualitätsanforderungen des SGB V im Wege einer Richtlinie, der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung, festgestellt hat (vgl. § 135 SGB V), ist im stationären Bereich kein solcher Anerkennungsvorbehalt formuliert. Während der Gesetzgeber in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung für die Abrechenbarkeit von Behandlungen und Untersuchungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen von einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (§ 135 SGB V) ausgeht, ist in der Krankenhausversorgung die Qualitätssicherung im Sinne einer grundsätzlichen Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt (§ 137c SGB V) vorgesehen. Dies entbindet jedoch das Krankenhaus nicht von einer Überprüfung und Einhaltung der Standards des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V im Einzelfall (Urteil des Senats vom 27. Januar 2012 - L 4 KR 2272/10 - in juris). Auf das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. März 2012 - S 10 KR 189/10 - a.a.O., auf das die Klägerin ihr Begehren mit Blick auf das Vorliegen eines Systemmangels stützt, kann sich die Klägerin deshalb im Hinblick auf die stationäre Durchführung der Maßnahme nicht berufen. Soweit sie die Durchführung einer Liposuktion als ambulante Maßnahme begehrt, vermag der Senat aber auch nicht festzustellen, dass der GBA die Überprüfung der Liposuktion trotz Vorliegens der notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich nicht durchgeführt hat. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Weitergehende substantiierte Einwände, die die Annahme rechtfertigen könnten, es läge ein sogenanntes "Systemversagen" vor, wurden von der Klägerin nicht erhoben. Ohne das Vorbringen entsprechender tatsächlicher Umstände ist der Senat nicht gehalten, Ermittlungen "ins Blaue hinein" durchzuführen (vgl. Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. November 2009 - L 9 KR 29/08 -, in juris). Im Übrigen hat auch das BSG in seinem Urteil vom 16. Dezember 2008 (a.a.O.) und in seinem Beschluss vom 10. Mai 2012 (B 1 KR 78/11 R, in juris) keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles gesehen.

dd) Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2983), mit Wirkung vom 1. Januar 2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - a.a.O.) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (z.B. BSG, Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R -; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - alle in juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung voraus (BSG, Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R -; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R -; a.a.O.). Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist (BSG a.a.O.). Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreicht die Lipodystrophie der Klägerin nicht (so auch für einen vergleichbaren Fall BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - a.a.O.). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob konservative Therapien für die Klägerin als allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen erfolgsversprechend zur Verfügung gestanden haben und stehen.

3. Im Hinblick auf das von der Beklagten vorgelegte "Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 6. Oktober 2011 war es nicht erforderlich, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen. Für den Senat ist nicht erkennbar, dass ein anderer Arzt oder eine andere Organisation über weitergehende Möglichkeiten verfügt, vorhandene Studien oder Publikationen auszuwerten.

Auch hat das SG zu Recht den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. Großmann abgelehnt, nachdem die Klägerin ihr diesbezügliches Antragsrecht bereits in erster Instanz ausgeschöpft hat (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. November 2012 - L 11 R 5317/10 - in juris). Auch hat die Klägerin diesen Antrag nicht aufrechterhalten, weil sie bei Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung diesen Antrag nicht wiederholte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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