L 4 R 5657/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2432/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5657/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24. November 2010 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Kostenentscheidung in diesem Urteil wie folgt gefasst wird:
Außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens sind nicht zu erstatten.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Erstattung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Rentenversicherung für den Zeitraum 1. Januar 2000 bis 30. November 2004.

Die 1964 geborene Klägerin ist gelernte Einzelhandelskauffrau und betreibt gemeinsam mit ihrem Ehemann, einem Bäckermeister, seit 1995 ein Ladengeschäft, dessen Inhaber ihr Ehemann ist. Die Klägerin ist für das Trockensortiment zuständig und in diesem Bereich auch für Personalauswahl und -führung, ihr Ehemann leitet den Frischebereich, insbesondere die Bäckerei/Konditorei. Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 2000 als Marktleiterin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von ca. 50 Stunden und einem monatlichen Gehalt, ab dem Jahre 2007 von gerundet EUR 1.712,- brutto, tätig. Sie hat Kontovollmacht für das Betriebskonto, ein Arbeitsvertrag existiert nicht. Seit dem Jahr 2000 gibt sie dem Betrieb Darlehn in Höhe von mehr als EUR 135.000,- (Stand 31. Dezember 2007). Für die Klägerin wurden Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgeführt, von ihrem Gehalt wurde Lohnsteuer abgeführt.

Am 27. und 28. Juli 2004 führte die damalige Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg, heute Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (im Folgenden einheitlich: DRVBW) eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2003 durch und stellte mit Betriebsprüfungsbescheid vom 28. Juli 2004 u.a. fest, die stichprobenweise Überprüfung von Abrechnungsfällen bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht habe keine Beanstandungen ergeben. In den geprüften Fällen sei die Versicherungspflicht richtig beurteilt worden. Dieselbe Feststellung traf die DRVBW aufgrund einer am 13. Oktober 2008 durchgeführten Betriebsprüfung für den Zeitraum 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2007 mit Bescheid vom 14. Oktober 2008. Unter der Überschrift "Lohnsteuerprüfbericht" enthalten beide Bescheide den Hinweis, die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt richte sich grundsätzlich nach dem Steuerrecht.

Am 24. Juli 2009, eingegangen am 29. Juli 2009, beantragte die Klägerin bei der zuständigen Einzugsstelle, der IKK Baden-Württemberg und Hessen (im Folgenden: Krankenkasse), die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses und u.a. die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Rentenversicherung. Die Krankenkasse übermittelte einen Bescheidentwurf vom 21. September 2009 an die Beklagte zur Stellungnahme, in dem sie feststellte, dass die Tätigkeit der Klägerin im Betrieb ihres Ehemannes seit dem 1. Januar 2000 nicht der Versicherungspflicht unterliegt. Die Beklagte teilte ausweislich ihres Schreibens vom 2. November 2009 diese Auffassung. Mit Bescheid vom 5. November 2009 stellte die Krankenkasse fest, dass die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit seit 1. Januar 2000 nicht der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegt.

Mit Schreiben vom 23. November 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Beiträge vom 1. Januar 2000 bis 31. Oktober 2009 zu Unrecht gezahlt seien, da sie als mitarbeitende Familienangehörige nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliege. Zu Unrecht gezahlte Beiträge seien stets zu beanstanden, beanstandete Beiträge dürften im Leistungsfall nicht berücksichtigt werden. Eine Beanstandung sei jedoch ausgeschlossen, wenn Beiträge vor ihr geschützt seien, weil sie als Beiträge abhängig Beschäftigter bereits Gegenstand einer Betriebsprüfung gewesen seien, die Beiträge bereits durch einen Bescheid nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bindend festgestellt worden seien, der Rentenversicherungsträger ein Anerkenntnis nach § 199 Satz 2 SGB VI abgegeben habe oder für in Versicherungskarten bescheinigte Beitragszeiten ein Anfechtungsschutz nach § 286 Abs. 3 SGB VI bestehe. Da die zu Unrecht gezahlten Beiträge vom 1. Januar 2000 bis 31. Oktober 2009 vor einer Beanstandung geschützt seien, sei die Beitragsbeanstandung nur zulässig, wenn die Klägerin auf den Beanstandungsschutz verzichte. Dies eröffne ihr die Möglichkeit zur Erstattung der zu Unrecht gezahlten Beiträge. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 beantragte die Klägerin bei der Krankenkasse die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Krankenkasse leitete hinsichtlich der Beiträge den Antrag an die Beklagte weiter.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2010 beanstandete die Beklagte die Rentenversicherungsbeiträge für den 1. Dezember 2004 bis 31. Oktober 2009. Diese seien ohne Rechtsgrundlage gezahlt worden, als Beiträge rechtsunwirksam und daher im Leistungsfall nicht zu berücksichtigen. Zu Recht gezahlt worden seien hingegen die Beiträge vom 1. Januar 2000 bis 31. November 2004. Nach Ablauf von vier Jahren nach dem Kalenderjahr, in dem sie gezahlt worden seien, gälten wegen fehlender Versicherungspflicht zu Unrecht gezahlte Beiträge von abhängig Beschäftigten als zu Recht gezahlt, dürften nicht beanstandet und erstattet werden und blieben dem Versicherungskonto erhalten. Die Beklagte erstattete der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 2004 bis 1. Oktober 2009 gezahlte Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 10.068,60 sowie in derselben Höhe Arbeitgeberanteile an den Ehemann der Klägerin.

Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Nichterstattung der Beiträge vom 1. Januar 2000 bis zum 30. November 2004. § 26 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) - eingefügt mit Wirkung zum 1. Januar 2008 durch Art. 1 Nr. 14 Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze [SGB IVÄndG] vom 19. Dezember 2007 [BGBl. I, S. 3024]) sei nicht anwendbar. Die rückwirkende Änderung der Vorschrift sei unzulässig. Die Beiträge seien von Anfang an zu Unrecht entrichtet gewesen, daher könne eine rückwirkende Rechtsänderung nicht dazu führen, dass sie plötzlich als zu Recht entrichtet gälten. Maßgeblich seien vielmehr die Vorschriften, die während der Anmeldung, Entrichtung und Beitragsüberwachung gegolten hätten. Hilfsweise sei sie (die Klägerin) im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, wie sie bei zutreffender Beratung der Rentenversicherungsträger stünde, da diese bei den Betriebsprüfungen trotz Prüfung der Versicherungs- und Beitragspflicht nicht darauf hingewiesen hätten, dass die Beiträge für sie zu Unrecht entrichtet worden seien. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Dezember 2007 (B 12 AL 1/06 R, in juris) müsse ein Träger einen Betroffenen auf mögliche und gebotene Rechtshandlungen zur Vermeidung von Verjährung aufmerksam machen, selbst wenn dieses nicht dem momentanen Begehr des Betroffenen entspreche und nichts mit dem gerade anstehenden Thema zu tun habe. § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV entfalte selbst bei Anwendbarkeit in seiner ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung nicht die von der Beklagten angenommene Rechtsfolge. Nach der in der Fassung des § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB IV enthaltenen Bezugnahme auf § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) habe sich ein Betroffener auf Vertrauensschutz berufen und dafür sorgen können, dass seine zu Unrecht entrichteten Pflichtbeiträge als zu Recht entrichtet gälten. Wenn der Betroffene die Erstattung der Beiträge wünsche, dürfe der Beanstandungsschutz nicht gegen seinen Willen eingreifen. Durch die Anfügung eines weiteren Satzes in § 26 Abs. 1 SGB IV (zum 1. Januar 2008), demzufolge das gleiche für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 SGB IV bestimmten Frist gelte, ergebe sich, dass der Beanstandungsschutz auch ohne Betriebsprüfung bei Ablauf der in § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV bestimmten Frist nicht gegen den Willen des Betroffenen eingreife. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei die Sozialversicherungspflicht als Grundrechtseingriff nur gerechtfertigt, wenn aus ihr ein angemessener Leistungsanspruch erwachse. Der Eingriff in die Vorsorgefreiheit des Einzelnen sei nur in engen Grenzen gerechtfertigt. An die Grundrechtsschranken seien hohe Anforderungen zu stellen. Die Nichterstattung zu Unrecht erstatteter Beiträge gegen den Willen des Betroffenen sei ein doppelter Grundrechtseingriff ohne jegliche Rechtfertigung. Eine "Formalversicherung" sei in der Rentenversicherung nicht vorgesehen. Durch die Beitragsentrichtung entstünden keine Leistungsansprüche, denn jegliche, an die Entrichtung von wirksamen Pflichtbeiträgen gebundene Leistungen erforderten die Erfüllung von Beitragszeiten in den letzten drei bis fünf Jahren vor Antragstelllung. Dies werde durch die Beiträge, die vor mehr als vier Jahren vor Antragstellung entrichtet worden seien, niemals erfüllt. Die allein leistungsauslösenden, unmittelbar vor dem Eintritt des Leistungsfalls entrichteten Beiträge könnten hingegen auch auf Wunsch des Betroffenen niemals als zu Recht entrichtet gelten. Schließlich führe fehlerhaftes Verwaltungshandeln, nämlich das Unterlassen des Hinweises anlässlich mehrerer Betriebsprüfungen, dass die Klägerin nicht abhängig beschäftigt sei, nach der ständigen Rechtsprechung des BSG dazu, dass die Behörde sich nicht auf § 27 SGB IV berufen dürfe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Nach § 27 Abs. 2 SGB IV verjähre der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Der Antrag auf Erstattung sei bei der Krankenkasse am 29. Juli 2009 eingegangen. Die Verjährungsfrist beginne damit am 1. Januar 2005 und ende am 31. Dezember 2008. Der am 15. Januar 2005 fällige Beitrag für Dezember 2004 sei am 1. Januar 2005 noch nicht verjährt. Die Beiträge vom 1. Januar 20000 bis 30. November 2004 seien bereits vor dem 1. Januar 2005 fällig und damit nicht mehr beanstandungs- und erstattungsfähig gewesen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht, weil keine fehlerhafte Beratung stattgefunden habe. Ein Verschulden der Krankenkasse oder des Betriebsprüfdienstes sei ebenfalls nicht erkennbar. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen erfolge nicht durch den Rentenversicherungsträger, sondern durch das BVerfG.

Mit ihrer am 27. September 2010 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter und bezog sich auf ihre Begründung des Widerspruchs.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Mit Urteil vom 24. November 2010 wies das SG - im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung - die Klage ab und entschied, die Klägerin habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die hier greifende Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV sei mit Wirkung zum 1. Januar 2008 eingeführt worden, um vor längerer Zeit entrichtete Beiträge den Versicherten zu erhalten. Nach der vorher geltenden Rechtslage seien zu Unrecht entrichtete Beiträge zur Rentenversicherung im Einzelfall viele Jahre rückwirkend erstattet worden. § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV enthalte keine Übergangsregelung und entfalte unmittelbar Geltung. Nicht abzustellen sei hingegen auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Beschäftigung bzw. der Beitragsentrichtung. Die Regelung sei auch verfassungsgemäß. Eine Verletzung grundrechtlich geschützter Rechte sei nicht ersichtlich. Vielmehr werde der Vertrauensschutz erweitert, die Beiträge blieben dem Versicherten erhalten. Die Klägerin habe die Möglichkeit, die in den letzten vier Jahren irrtümlich entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge gelten zu lassen. Dies habe sie vorliegend durch ihr Erstattungsverlangen verhindert. Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liege nicht vor. Der Bürger könne nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine für ihn günstige gesetzliche Regelung in alle Zukunft bestehen bliebe (Beschluss vom 20. Juni 1978 – 2 BvR 71/76 - in juris). Der des Ausgleichs bedürftige Widerstreit zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Blick auf den Wandel der Lebensverhältnisse dürfe nicht unvertretbar zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung gelöst werden. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2006 – 2 BvR 226/06 - in juris). Vorliegend sei allenfalls eine unechte Rückwirkung gegeben, da die Klägerin ihren Erstattungsanspruch erst deutlich nach Inkrafttreten der Norm geltend gemacht habe. Die Zulässigkeit einer tatbestandlichen Rückanknüpfung (sog. unechte Rückwirkung), bei der die Rechtsfolge an einen vor der Verkündung der Norm liegenden Sachverhalt anknüpfe, bestimme sich nach Abwägung der berührten Vertrauensschutzbelange des Betroffenen mit der Bedeutung des mit der Rückwirkung verfolgten gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2006 2BvR 226/06 - a.a.O.). Die Regelung sei mit der Verfassung vereinbar, wenn nach dieser Abwägung das Vertrauen in den Bestand der Regelung nicht generell schutzwürdiger sei als das öffentliche Interesse an einer Änderung (BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 - 2 BvL 24/82 - in juris). Vorliegend sei das Interesse an einer zeitlich unbegrenzten Erstattungsmöglichkeit nicht generell schutzwürdiger als das öffentliche Interesse an dem Erhalt zumindest der älteren Beiträge, zumal hierdurch nur die Situation fortbestehe, von der die Klägerin jahrelang bei ihrer Beitragszahlung ausgegangen sei. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, so gestellt zu werden, wie sie bei früherem Erstattungsantrag stünde, bestehe ebenfalls nicht. Vorliegend seien weder Anhaltspunkte für ein Beratungsgesuch oder eine Spontanberatung noch für eine falsche Beratung ersichtlich; die Klägerin habe kein an die Beklagte gerichtetes Beratungsgesuch konkret dargelegt. Der pauschale Hinweis auf die durchgeführten Betriebsprüfungen genüge nicht. Der Bescheid sei nicht mangels Ermessensausübung rechtswidrig, denn die Beklagte habe kein Ermessen gehabt. Der Verweis in § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV auf § 27 Abs. 2 SGB IV beziehe sich nur auf die Frist, nicht auf die Verjährung selbst. Die Beklagte habe daher die im pflichtgemäßen Ermessen stehende Einrede der Verjährung nicht erheben müssen. Selbst im Fall einer Verjährungseinrede habe der Gesetzgeber durch die Neuregelung eine verpflichtende Ermessensrichtlinie vorgegeben, die abgesehen von atypischen Ausnahmefällen, für die hier keine Anhaltspunkte vorlägen - zu einer Ermessensreduzierung auf Null führe. Die Kostenentscheidung folge aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin nach der Feststellung, dass sie in ihrer Tätigkeit nicht der Sozialversicherungspflicht unterliege, nicht als Versicherte im Sinne von § 183 SGG anzusehen sei.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 1. Dezember 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Dezember 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie ergänzend vor, die Feststellung der Versicherungsfreiheit umfasse nicht nur die Zeit ab 1. Januar 2010. Das SG habe es zudem unterlassen, den damaligen Betriebsprüfer der LVA, Herrn Becker, dazu zu hören, dass er bei der Prüfung am 27. und 28. Juli 2004 sie als sozialversicherungspflichtig beurteilt habe, dies aber - da Beiträge abgeführt worden seien - nicht im Bescheid dokumentiert habe. Daher seien die Beiträge aufgrund des Urteils des BSG vom 13. September 2006 (B 12 AL 1/05 R, in juris) insgesamt unverjährt, weil nicht von der Vierjahresfrist erfasst. Ausdrücklich werde ein klarer Verstoß gegen ihre Grundrechte durch das SG gerügt, da dieses ohne Hinweis zu erteilen, die Sach- und Rechtslage als klar, eindeutig, ohne besondere Schwierigkeiten habe darstellen und ohne mündliche Verhandlung habe entscheiden wollen, um dann aber im Urteil zu zeigen, dass aus Sicht des Gerichts hinsichtlich des geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs offensichtlich Beweisantritt respektive dezidierterer Vortrag vorausgesetzt, und, da unterblieben, gegenteilig entschieden worden sei. Sie sei zur Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getäuscht worden. Daher sei das Urteil bereits aus formalen Gründen aufzuheben. Es sei auch zu klären, wie eng der Kontakt mit der Krankenkasse über all die Jahre gewesen sei und dass die Krankenkasse zunächst die Beitragszahlung gefordert und trotz entsprechender Fragen und Beratungsbitten erst nach anwaltlicher Einschaltung und Beratung zur gegenteiligen Erkenntnis gelangt sei. Das SG "befinde sich auf tönernen Füßen", wenn es annehme, § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV sei verfassungsgemäß und erweitere ihren Vertrauensschutz; da die Beiträge ihr erhalten blieben und keine Schlechterstellung gegenüber tatsächlich Rentenversicherungspflichtigen entstehe. Wäre sie jetzt erwerbsunfähig geworden, hätte sie keine drei Jahre Pflichtbeiträge in den letzten fünf Jahren vorzuweisen und bekäme keine Leistungen. Dies gelte ebenso für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Berücksichtigungszeiten mit Auswirkungen auf die Altersrente. § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV diene nicht dem Schutz des Betroffenen, sondern intendiere und werde dazu missbraucht, den zum Schutz des Betroffenen gedachten Vertrauensschutz gegen ihn zu verwenden. Die Möglichkeit der Umwandlung der Beiträge in freiwillige Beiträge ändere nichts an der Situation, weil die dargestellten Leistungen der Rentenversicherung nicht aufgrund von freiwilligen Beiträgen beansprucht werden könnten. Es sei verfassungsrechtlich längst geklärt, dass eine Beitragserstattung nur in den Zweigen der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nach Ablauf einer Verjährungsfrist verweigert werden dürfe, weil dort aus älteren Beiträgen kein Mehrleistungsanspruch erwachse, denn es handele sich um Risikoversicherungen. Hingegen dürfe der Betroffene bei der Rentenversicherung aufgrund ihres Konto-Charakters die Erstattung für Jahrzehnte in die Vergangenheit fordern. Der Gesetzgeber habe keine Verjährung der Erstattungsansprüche gegen die Beklagte eingeführt, denn dies wäre verfassungswidrig, so als würde die Sparkasse die Auszahlung von Girokonten und Sparbüchern mit dem Hinweis verweigern, die Beiträge seien vor mehr als vier Jahren eingezahlt worden und gehörten nun ihr. Die Konsequenz der Auslegung des § 26 SGB IV in seiner Gesamtheit vor der Systematik der Verweise auf § 45 SGB X und § 27 SGB IV könne nicht die Verjährung sein. Die "Ermessensnotwendigkeit" ergebe sich nicht wörtlich aus § 27 SGB IV, sondern aus der Systematik des auch im Sozialrecht gültigen Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog. Der sei hier nicht ausgeschlossen. Die Vierjahresfrist beginne im Übrigen erst mit Ablauf des dritten Tages nach Zustellung des Bescheides über die Feststellung, dass keine Sozialversicherungspflicht bestehe, da erst mit dieser Feststellung die Beiträge zu Unrecht entrichtet seien. In den Betriebsprüfungsbescheiden sei festgestellt worden, dass die Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit von Abrechnungsfällen bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht geprüft und nicht beanstandet worden sei. Das SG habe zu Unrecht nicht ermittelt, ob sich die Prüfung der Versicherungspflicht auch auf sie als namensgleiche Ehegattin des Unternehmers bezogen habe. Die Erläuterung, die sozialrechtliche Beurteilung richte sich nach dem Steuerrecht, habe bei ihr, die nach wie vor zur Entrichtung von Lohnsteuer verpflichtet sei, den falschen Glauben hervorgerufen, da sie steuerlich nicht Mitunternehmerin gewesen sei, sei sie zwingend sozialversicherungspflichtig gewesen. Die Beklagte dürfe ihre Leistungsfähigkeit nicht auf versehentlich gezahlte Beiträge stützen, sondern müsse ggf. Leistungen senken. Der Einbehalt von Beiträgen verletze sie auch in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die Anordnung des Beitragsverbleibs nicht Versicherungspflichtiger in der Rentenversicherung verstoße ferner gegen die für öffentliche Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln der Art. 86, 81ff EG-Vertrag (EGVtr) i.d.F. des Art. 2 des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997 (BGBl II 1998, 387). Die Rentenversicherung behalte hier nicht den Charakter eines auf dem Grundsatz der Solidarität beruhenden obligatorischen Systems der sozialen Sicherheit, deren Träger öffentliche Aufgaben der sozialen Sicherheit mit allein sozialem Charakter und ohne Gewinnzweck ausübten. Schließlich sei die Kostenentscheidung im erstinstanzlichen Urteil falsch, sie (die Klägerin) sei als Versicherte kostenprivilegiert.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24. November 2010 aufzuheben und den Bescheid vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2020 teilweise aufzuheben, soweit darin für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 die Verjährung festgestellt und eine Beanstandung und Erstattung der zu Unrecht entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung abgelehnt wird, und die Beklagte zu verurteilen, ihr auch den Arbeitnehmeranteil der für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung zu erstatten, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen, um eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes nach Art. 234 EGVtr vom 25. März 1957 (i.d.F. des Art. 2 des Amsterdamer Vertrages) einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Den Betriebsprüfungsbescheiden sei eine konkrete Aussage über die Versicherungspflicht der Klägerin nicht zu entnehmen. Ein Vertrauensschutz bezüglich der Berichte entstehe nur, wenn über die Versicherungspflicht eines Mitarbeiters ausdrücklich entschieden worden sei (BSG, Urteil vom 18. April 1991 - 7 RAr 32/90 - in juris). Die abschließende Regelung des § 26 SGB IV lasse keinen Raum für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (BSG, Urteil vom 29. Januar 1998 B 12 KR 11/97 R - in juris). Die Sozialversicherung sei keine Sparkasse, sondern fortwährenden Korrekturen durch den Gesetzgeber unterworfen. Die Neuregelung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV sei erforderlich geworden, weil Beiträge in erheblichem Umfang für viele Jahre rückwirkend der Sozialversicherung entzogen worden seien, was die Kalkulationssicherheit der Solidargemeinschaft gefährdet habe (vgl. Bundestags-Drucksache 15/5251, S. 7). In der Kompromissregelung des § 26 SGB IV hinsichtlich der in der rechtlichen Grauzone zwischen Selbständigkeit und Abhängigkeit entrichteten Beiträge, die die Lasten einer möglichen falschen Einordnung teile, könne kein Grundrechtsverstoß erkannt werden,. Die Beitragsentrichtung der Klägerin ab dem Jahr 2000 habe ihrem freien Entschluss entsprochen, diese zunächst ungeprüfte Formalmitgliedschaft diene allen Beteiligten. Gerade in einer mittelständischen Unternehmerehe könne der Schutz eines Partners durch eigene Beiträge von erheblicher Bedeutung sein.

Die frühere Berichterstatterin hat die Beteiligten auf das Urteil des Senats vom 21. Januar 2011 (L 4 KR 4672/10; in juris) hingewiesen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die SG-Akte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben. Denn die Klägerin begehrt die Erstattung von Beiträgen, die Geldleistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG sind (z.B. BSG, Urteil vom 28. Januar 1999 - B 12 KR 51/98 B - in juris), für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

2. Richtige Klageart ist vorliegend nicht nur die isolierte Anfechtungsklage, sondern die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Denn das Begehren der Klägerin geht dahin, von der Beklagten auch den Arbeitnehmeranteil der für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung erstattet zu erhalten. Demgemäß hat der der Senat den Antrag der Klägerin sachgerecht gefasst (§ 123 SGG).

3. Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2010 ist rechtmäßig, soweit die Beklagte es abgelehnt hat, der Klägerin den Arbeitnehmeranteil der für den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten (zum Folgenden rechtskräftiges Urteil des Senats vom 21. Januar 2011 - L 4 R 4672/10 - in juris).

Nach § 26 Abs. 2, erster Halbsatz SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Der Erstattungsanspruch steht nach § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV dem zu, der die Beiträge getragen hat.

3.1. Die Klägerin begehrt zu Recht nur die Erstattung des so genannten Arbeitnehmeranteils der entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Denn sie hat nur diese Beiträge selbst getragen. Aus den zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträgen wurden keine Leistungen erbracht. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

3.2. Die Voraussetzungen für die begehrte Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 sind nicht gegeben, weil die von der Klägerin in diesem Zeitraum getragenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu Unrecht, sondern zu Recht entrichtete Beiträge sind. Beiträge sind zu Unrecht entrichtet, wenn sie ohne Rechtsgrund gezahlt wurden. Ohne Rechtsgrund sind die Beiträge entrichtet, wenn für die Zahlung weder ein formaler noch ein materiell-rechtlicher Grund gegeben war.

3.2.1. Die Klägerin hätte für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 an sich keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichten müssen. Denn sie war nicht pflichtversichert. Aufgrund des bestandskräftigen Bescheids der Krankenkasse vom 5. November 2009 steht fest, dass die Tätigkeit der Klägerin im Unternehmen ihres Ehemannes im genannten Zeitraum keine abhängige Beschäftigung, sondern eine selbstständige Tätigkeit war. Auch aufgrund der selbstständigen Tätigkeit trat nicht Versicherungspflicht nach § 2 SGB VI ein. Die von der Klägerin zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge gelten in dem hier streitigen Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 jedoch als zu Recht entrichtet.

3.2.2. Die von der Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 getragenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gelten zwar nicht nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB IV als zu Recht entrichtete Beiträge. Danach gilt, wenn Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden sind, § 45 Abs. 2 SGB X entsprechend. Die Klägerin hat mit ihrem Begehren auf Erstattung der Beiträge sinngemäß auf diesen Beanstandungsschutz verzichtet.

3.2.3. Die von der Klägerin im Zeitraum vom 01. Januar 2000 bis 30. November 2004 getragenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gelten jedoch nach § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV als zu Recht entrichtete Beiträge, weil sie nicht mehr beanstandet werden können. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gelten Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt nach § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV - angefügt mit Wirkung zum 1. Januar 2008 durch Art. 1 Nr. 14 SGB IVÄndG - für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV bestimmten Frist. Nach dieser Vorschrift verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Diese zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Regelung (Art. 21 SGB IVÄndG) hat zur Folge, dass zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gleichwohl nach vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entrichtet worden sind, als zu Recht entrichtete Beiträge gelten und damit nicht mehr erstattungsfähig sind. Mit der Neuregelung änderte der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage, wonach zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Einzelfall viele Jahre rückwirkend erstattet werden mussten (Bundestags-Drucksache 16/6540, S. 44). Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift ist Anknüpfungspunkt für den Beginn der Verjährung die Beitragsentrichtung. Die klägerische Rechtsansicht, die Verjährung beginne erst mit dem Erlass des Feststellungsbescheides der Krankenkasse, findet keine Stütze im Gesetz.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV hinsichtlich der von ihr geltend gemachten Erstattung der für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung anwendbar. Denn erst nach Inkrafttreten der Vorschrift zum 1. Januar 2008 konnte ein Verwaltungsverfahren wegen der Erstattung dieser Beiträge beginnen, weil erst mit Erlass des Bescheides der Krankenkasse vom 5. November 2009 feststand, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 in den Zweigen der Sozialversicherung nicht versicherungspflichtig war. Zu diesem Zeitpunkt galt § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV.

Da das SGB IVÄndG keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält, bestimmt sich der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (z.B. Urteil vom 27. August 2008 - B 11 AL 11/07 R - m.w.N., in juris). Das anspruchsauslösende Ereignis war der Bescheid der Krankenkasse vom 5. November 2009, mit dem diese feststellt, dass keine Sozialversicherungspflicht vorlag. Dieser Bescheid ist Voraussetzung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs. Entgegen der klägerischen Rechtsansicht ist nicht bereits die Beitragsentrichtung anspruchsauslösend.

3.2.4. Es kann dahinstehen, ob vorliegend der gleichzeitig mit dem Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 28h Abs. 2 SGB IV an die Krankenkasse gestellte Antrag auf Erstattung der Beiträge bereits der Beginn eines Verwaltungsverfahrens auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge war. Auch zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 28h gegenüber der Krankenkasse am 24. Juli 2009 galt bereits § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV.

3.3. § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV greift mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestaltet dies für den betroffenen Versicherten um. Denn der betreffende Versicherte kann seit 1. Januar 2008 nicht mehr verlangen, dass ihm zu Unrecht zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistete Pflichtbeiträge erstattet werden. Der Senat lässt dahingestellt, inwieweit insoweit das öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnis zum Nachteil des betroffenen Versicherten umgestaltet wird. Denn aus den nicht mehr erstattungsfähigen Beiträgen kann der betroffene Versicherte einerseits noch Leistungen erhalten, insbesondere die Regelaltersrente, andererseits kann ihm allerdings auch ein zunächst bestehender Anspruch auf Leistungen verloren gehen, insbesondere ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil er nunmehr die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht mehr erfüllt. Letzteres ist allerdings ein Risiko, das jeder Versicherte trägt, wenn er keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (mehr) ausübt.

Selbst wenn man davon ausgeht, es liege eine Umgestaltung zum Nachteil des Versicherten vor, so dass die Regelung eine sogenannte unechte Rückwirkung hat, ist § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Regelungen mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und entsprechen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (vgl. z.B. BVerfG Beschluss vom 22. Mai 2001 - 1 BvL 4/96 - in juris). Die Einfügung des Satzes 3 in § 26 Abs. 1 SGB IV ist die Reaktion des Gesetzgebers auf die vermehrten Feststellungsanträge von Personen, die - wie die Klägerin - über Jahre hinweg Beiträge zu den Zweigen der Sozialversicherung, insbesondere zur gesetzlichen Rentenversicherung, entrichteten, weil sie selbst über Jahre hinweg davon ausgingen - teilweise auch aufgrund entsprechender vertraglicher Gestaltungen, mit denen die Sozialversicherungspflicht ausdrücklich gewollt war -, versicherungspflichtig beschäftigt zu sein. Nach dem bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Recht mussten Beiträge zur Rentenversicherung über Jahre hinweg erstattet werden, wenn sich nachträglich herausstellte, dass eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich nicht bestand. Die Rentenversicherungsträger mussten deshalb regelmäßig damit rechnen, zum Teil erhebliche Beträge erstatten zu müssen. Zur rechtzeitigen Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status stehen den Betroffenen seit Jahren die Verfahren nach § 7a SGB IV oder § 28h Abs. 2 SGB IV zur Verfügung. Es liegt demnach in der Hand desjenigen, der Beiträge zu den Zweigen der Sozialversicherung trägt, auf die Klärung seines sozialversicherungsrechtlichen Status hinzuwirken und es nicht zunächst möglicherweise aus steuerrechtlichen Gründen - dabei zu belassen, Beiträge zu den Zweigen der Sozialversicherung abzuführen und nachträglich, wenn der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, zu Unrecht entrichtete Beiträge mit der Behauptung zurückzuverlangen, Versicherungspflicht habe nicht bestanden. Bei dieser Sachlage ist das Vertrauen in den Fortbestand der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage weniger schutzwürdig als das öffentliche Interesse, dass alsbald feststeht, welche Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu Recht oder zu Unrecht entrichtet sind.

4. Die Klägerin kann ihr Begehren auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils der für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. November 2004 entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung auch nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen, indem sie so gestellt wird, als hätte sie einen Antrag auf Erstattung bereits nach der ersten Betriebsprüfung im Jahr 2004 gestellt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt eine zurechenbare Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts voraus; als Rechtsfolge ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, wobei dies nur durch eine zulässige Amtshandlung geschehen darf (z.B. BSG, Urteil vom 2. Februar 2006 - B 10 EG 9/05 R -; Urteil vom 11. März 2004 - B 13 RJ 16/03 R-; Urteil vom 19. November 2009 - B 13 R 5/09 R -; jeweils in juris; Urteil des Senats vom 25. Januar 2013 - L 4 R 2724/12; nicht veröffentlicht). Für einen solchen Anspruch fehlt es bereits an einem rechtswidrigen Verhalten, nämlich einer Pflichtverletzung der Beklagten oder einer ihr zurechenbaren Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers. Weder die Beklagte oder die DRVBW noch die Krankenkasse haben dadurch, dass sie die Klägerin nicht darauf hingewiesen haben, dass diese ihren sozialversicherungsrechtlichen Status überprüfen lassen könne, eine Hinweispflicht verletzt. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Betriebsprüfungen gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nicht beabsichtigt war, zumal bei Tätigkeiten eines Ehegatten im Unternehmen des anderen Ehegatten, der dieses als Einzelunternehmen führt, regelmäßig von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist (vgl. z.B. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. April 2011 - L 11 KR 3422/10 -in juris; Urteil des Senats vom 15. April 2011 - L 4 KR 3059/09 -, nicht veröffentlicht). Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen, konkret um Beratung nachgesucht zu haben. Eine Pflicht zur Spontanberatung besteht nur bei entsprechendem Anlass. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Anlass zur Spontanberatung nur dann vorliegt, wenn sich klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 24. September 2012 - B 14 AS 36/12 B - unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 9 VJ 2/02 R; Urteil vom 5. August 1999 - B 7 AL 38/98 R -; Urteil vom 26. Oktober 1994 - 11 RAr 5/94 -; alle in juris). Eine solche eindeutige Sach- und Interessenlage bestand vorliegend indes nicht. Wichtige Indizien für die Feststellung, dass keine abhängige Beschäftigung vorliege, wurden erst im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status vorgetragen, insbesondere die hohen von der Klägerin gewährten Darlehn, die zur Annahme eines unternehmerischen Risikos geführt haben. Aber auch andere Aspekte, die eigenverantwortliche Führung des Frischebereichs, die nähere Ausgestaltung der Tätigkeit, waren den Beitragsnachweisen und -meldungen nicht zu entnehmen. Es besteht auch kein Erfahrungssatz, wonach etwa mitarbeitende Ehegatten regelmäßig nicht abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien. Auch ist es nicht offensichtlich zweckmäßig, die Feststellung anzustreben, dass keine Sozialversicherungspflicht bestehe, weil aus der Zugehörigkeit zum Kreis der Sozialversicherten Leistungsansprüche erwachsen, die eine Absicherung des Ehegatten unabhängig vom langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bewirken.

5. Die Voraussetzungen für ein Aussetzen des Verfahrens und die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art. 234 Abs. 2 EG-Vtr. liegen nicht vor. §§ 26, 27 SGB IV verstoßen nach Ansicht des Senats nicht gegen europäisches Recht, namentlich nicht, wie von der Klägerin behauptet, gegen europäisches Wettbewerbsrecht. Das Gemeinschaftsrecht lässt nach der Rechtsprechung des EuGH die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt (EuGH, Urteil vom 22. Januar 2002 - C-218/00; in juris). Die Mitwirkung an der Verwaltung eines der traditionellen Zweige der sozialen Sicherheit ist eine Aufgabe rein sozialer Natur und daher keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts, der Versicherungsträger ist somit kein Unternehmen im Sinne der EG Art. 85 und 86 (EuGH, a.a.O.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2003 - L 1 U 3237/01 - in juris).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Klägerin ist im Verfahren über die Erstattung der zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge kostenprivilegiert im Sinne von § 183 SGG. Eine vom Versicherten geführte Streitsache liegt auch dann vor, wenn das Versicherungsverhältnis beendet ist und um Beiträge gestritten wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 - B 12 P 2/03 R - in juris). Die Kostenentscheidung im SG-Urteil war deshalb abzuändern.

7. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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