L 8 SB 727/13 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 4206/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 727/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Januar 2013 aufgehoben. Die Kosten des auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz eingeholten Gutachtens von Dipl.-Med. A. vom 08. Juni 2011 sowie die dadurch entstandenen baren Auslagen des Klägers werden auf die Staatskasse übernommen.

Die Staatskasse trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss, mit dem das Sozialgericht Reutlingen (SG) es abgelehnt hat, die Kosten des auf Antrag des Klägers eingeholten orthopädischen Gutachtens von Dipl.-Med. A. vom 08.06.2011 auf die Staatskasse zu übernehmen, entspricht nicht der nach Abschluss des Rechtsstreits bestehenden Sach- und Rechtslage. Der Senat hält es für ermessensgerecht, die Kosten dieses Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen.

Gemäß § 109 Abs. Satz 2 SGG kann die von einem Versicherten oder Versorgungsberechtigten beantragte gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes davon abhängig gemacht werden, dass der Kläger die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung steht es im Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Kosten dem Kläger endgültig auferlegt. Ein vom Sozialgericht ausgeübtes Ermessen ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens durch den Senat uneingeschränkt nachprüfbar, da die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in der Sache durch das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergegangen ist.

Nach der Rechtsprechung des Senats können die Kosten eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens dann auf die Staatskasse übernommen werden, wenn dieses Gutachten für die gerichtliche Entscheidung oder die Erledigung des Rechtsstreits (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 19.10.2011 - L 8 SB 3043/11 B, vom 19.05.2011 - L 8 SB 2294/10, vom 07.03.2011 - L 8 U 1148/10, vom 01.09.2010 - L 8 SB 6039/08 -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl., § 109 Rdnr. 16a) von wesentlicher Bedeutung war bzw. zusätzliche, für die Sachaufklärung bedeutsame Gesichtspunkte erbracht, diese also objektiv gefördert hat. Dabei kann nicht in jedem neuen Gesichtspunkt ein Beitrag zur Sachaufklärung gesehen werden. Es muss sich vielmehr, gemessen an dem Prozessziel des Klägers, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt haben. Dies bedeutet aber weder, dass nur Gutachten, welche ein für den Kläger günstiges Ergebnis haben, hierunter fallen können, noch, dass für den Kläger günstige Gutachten stets von der Staatskasse zu bezahlen sind. Durch die Anbindung an das Prozessziel des Klägers wird lediglich verdeutlicht, dass es nicht genügt, wenn eine für die Entscheidung unmaßgebliche Abklärung eines medizinischen Sachverhalts durch das Gutachten nach § 109 SGG vorangetrieben worden ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist es sachgerecht, die Kosten des Gutachtens von Dipl.-Med. A. auf die Staatskasse zu übernehmen, denn es hat wesentlich zur Erledigung des Rechtsstreits beigetragen.

Gegenstand des Rechtsstreits vor dem SG war die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 60 statt des bisher festgestellten GdB von 50 sowie der Merkzeichen G und aG. Der Kläger leidet unter Veränderungen der Wirbelsäule, einem chronischen Schmerzsyndrom und einer Psychose mit aggressiven Durchbrüchen und Neigung zu Fremdaggression. Der Kläger war der Auffassung, dass seine Wirbelsäulenbeschwerden nicht ausreichend berücksichtigt seien. Das SG zog zahlreiche Unterlagen bei den behandelnden Ärzten bei, unter denen sich mehrere Entlassungsberichte über stationäre Behandlungen u.a. des Bezirkskrankenhauses G. (03.12.2009, Neurochirurgie, chronisches Schmerzsyndrom), des Universitätsklinikums U. vom 26.09.2008 (Z.n. nach zweimaliger Nukleotomie, chronisches Schmerzsyndrom), der Z.klinik vom 15.05.2008 (stationäre Rehabilitation vom 03.04.2008 bis 08.05.2008 wegen Restbeschwerden nach Sequestrotomie, dissoziative Störung gemischt, Lumboischialgie links, Hyperlipidämie), des Klinikums H. (Neurologie, 28.01.2008, Rezidivbandscheibenvorfall, initiale Koxarthrose beidseits, Zustand nach Billroth-II-Operation 1990, somatoforme Schmerzstörung; Klinik für Anästhesie, spezielle Schmerztherapie vom 10.02.2:009: u.a. Persönlichkeitsstörung, V.a. wahnhaft halluzinatorische Psychose; für Psychiatrie vom 18.06.2009 und 04.08.2009: akuter Erregungszustand bei familiärem Konflikt, V.a. schizoaffektive Störung, DD narzisstische Persönlichkeitsstörung) sowie ein Kernspintomographiebefund des Dr. F. vom 09.12.2009 befand, in dem dieser unter anderem eine Instabilität im Segment LWK 3/4 feststellte. Weiterhin war der Kläger in psychiatrischer Behandlung bei Dr. B., die ebenfalls den Verdacht auf eine schizo-affektive Störung äußerte (Brief vom 26.04.2010). Der ärztliche Dienst des beklagten Landes wertete diese Befunde aus (Dr. R., 23.09.2010) und kam zu dem Ergebnis, dass eine Änderung der bisherigen Entscheidung nicht gerechtfertigt sei.

Das SG holte nunmehr auf Antrag des Klägers das Gutachten des Orthopäden Dipl.-Med. A. vom 08.06.2011 ein, der zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger nicht nur Einschränkungen in der Lendenwirbelsäule sondern auch - geringere - in Hals- und Brustwirbelsäule habe, die insgesamt mit einem GdB von 40 zu bewerten seien. Weiterhin liege ein chronisches Schmerzsyndrom vor, das sich verstärkend auf die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule auswirke. Es sei deshalb ein GdB von 60 gerechtfertigt. Die psychischen Beschwerden könne er nicht beurteilen, insofern müsse ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden. Es sei aber anzunehmen, dass auch diese verstärkend wirkten.

Das beklagte Land ließ das Gutachten durch Dr. B. auswerten (Stellungnahme vom 28.09.2011). Er kam zu dem Ergebnis, dass die von Dipl.-Med. A. angenommenen Werte nicht nachvollziehbar seien. Allerdings ergebe sich aus den bereits vorliegenden Unterlagen, dass beim Kläger eine wahnhafte Psychose bestehe, die schon mehrfach zu Krankenhausaufenthalten in H. geführt habe und deshalb mit einem Einzel-GdB von 40 zu berücksichtigen sei. Außerdem habe Dr. F. in seinem Befund vom 09.12.2009 eine Instabilität der Lendenwirbelsäule mitgeteilt. Insofern könne ab Dezember 2009 für die Wirbelsäule ein GdB von 30 berücksichtigt werden.

Die Beteiligten einigten sich vergleichsweise auf die Feststellung eines GdB von 60 ab April 2009 und 70 ab Dezember 2009.

Aufgrund dieser Tatsachen geht der Senat entgegen der Ansicht des SG im angefochtenen Beschluss davon aus, dass das Gutachten des Dipl.-Med. A. wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Beklagten schließlich ein Vergleichsangebot abgegeben hat. Das SG geht zwar zutreffend davon aus, dass Dr. B. sich nicht ausdrücklich auf die Befunde von Dipl.-Med. A., sondern sich vielmehr - zumindest soweit es die orthopädischen Beschwerden betrifft - auf den Befund von Dr. F. bezieht. Der Senat bewertet die Bedeutung des Gutachtens des Dipl.-Med. A. aber insofern als wesentlich, als es dazu geführt hat, dass der ärztliche Dienst des Beklagten im Lichte dieses Gutachtens die weiteren vorliegenden Unterlagen neu bewertet hat und zu einem anderen Ergebnis gekommen ist. Dipl.-Med. A. beschrieb eine chronische Schmerzentwicklung im Rahmen der nach Bandscheibenoperationen in dem Segment des Lendenwirbelkörpers 4/5 ausgelösten Funktionsstörung. Hierauf stellt aber Dr. B. maßgeblich ab, wenn für seine neue Bewertung des Teil-GdB die Instabilität bei L3/4 und L4/5 mit chronischem Schmerzsyndrom wegen narbiger Veränderungen in diesem Bereich herangezogen werden. Insofern hat das Gutachten des Dipl.-Med. A. die Sachlage neu dargestellt und bewertet sowie eine Erhöhung des Einzel-GdB für die Wirbelsäule auf 30 und des Gesamt-GdB auf 70 bewirkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG (ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 176 RdNr. 5a m.w.N.). Im Verfahren zur nachträglichen Kostenübernahme eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens ist der Beklagte des Hauptsacheverfahrens nicht beteiligt. Im mit nur einem Verfahrensbeteiligten ausgestalteten Rechtsbehelfsverfahren - vergleichbar mit Rechtsbehelfsverfahren gegen ein Ordnungsmittel - entspricht bei erfolgreicher Beschwerde die ausgesprochene Kostenfolge billigem Ermessen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Beschluss vom 14.01.2013 - L 8 SB 4705/12 B, vom 19.10.2011 - L 8 SB 3043/11, vom 25.08.2009 - L 8 SB 2542/08 - unveröffentlicht; ebenso der 13. Senat, Beschluss vom 06.05.2009 - L 13 R 339/09 KO-B -, veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de und juris).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved